Finanzplatz Frankfurt

Hängepartie vermeiden

Zu den historischen Ereignissen rechnet Volker Bouffier das Ergebnis des britischen Brexit-Votums. Entsprechend hoch ist der Stellenwert, den der hessische Ministerpräsident den daraus resultierenden Folgen für den Standort Frankfurt, für Hessen, für Deutschland und für die Europäische Union beimisst. Überaus wichtig ist ihm derzeit eine seriöse Bestandsaufnahme der Lage, also sowohl das Ausloten der Chancen als auch der Blick auf anstehende Risiken. Zu Beginn der zweiten Juliwoche hat er dazu - übrigens nach Januar 2005, Dezember 2009 und November 2012 erst zum vierten Mal in der Geschichte dieses Instrumentes - das sogenannte Finanzplatzkabinett einberufen. Hochrangige Vertreter der hessischen Landesregierung - neben dem Ministerpräsidenten diesmal auch die Minister für Finanzen, Wirtschaft und Europaangelegenheiten - haben sich mit geladenen Gästen aus der Bundesregierung, der Bundesbank, der Wissenschaft und der Bankenszene zur Sache ausgetauscht. Getagt wurde in der Bundesbankzentrale.

Dass das Wählervotum in Großbritannien an den Devisen- und Aktienmärkten in den ersten Wochen zwar heftige Bewegungen ausgelöst hat, aber Panikreaktionen bisher ausgeblieben sind, darf zwar als Erfolg einer vergleichsweise besonnenen Haltung aller Beteiligten interpretiert werden. Schleichende oder vielleicht auch einmal heftige Zweit- und Drittrundeneffekte an den Märkten können gleichwohl nicht ausgeschlossen werden. Denn trotz der zuletzt doch rasch vorangetriebenen Regierungsbildung in London lässt sich nicht absehen, wie lange die Phase der politischen Unsicherheit anhalten wird und damit immer wieder auf die Märkte ausstrahlen kann. Die Protagonisten des Finanzplatzes Frankfurt wollen die jetzige Phase der Grundsatzüberlegungen zur künftigen Gestaltung der Europäischen Union keinesfalls verstreichen lassen, ohne den derzeit noch in London ansässigen europäischen Institutionen wie auch allen Unternehmen mit anstehenden Entscheidungen über die künftige Standortwahl offensiv die Vorteile der Rhein-Main-Region darzulegen. Unter anderem steht Mitte August der Besuch einer Delegation mit dem hessischen Wirtschaftsminister an der Spitze in der britischen Hauptstadt an. Dabei soll Informations- und Aufklärungsarbeit für wichtige Akteure geliefert werden, die ihren Standort künftig in die EU verlagern müssen, etwa um den Europäischen Produktpass zu sichern.

Bei der öffentlichen Präsentation der Sitzungsergebnisse des Finanzplatzkabinetts in der Helaba haben Bouffier und seine beiden wichtigen Ressortminister für Wirtschaft wie für Finanzen ebenso wie der Frankfurter Landesbankchef Herbert Hans Grüntker als Gastgeber noch einmal demonstrativ die insgesamt wohl eher negativen Effekte eines Austritts Großbritanniens aus der EU betont. Gleichzeitig haben sie aber keinen Zweifel daran gelassen, mit Schwung und Realismus die mit der anstehenden Neusortierung von öffentlichen Instanzen und privaten (Dienstleistungs-)Unternehmen aus London verbundenen Chancen für den Standort Frankfurt nutzen zu wollen. Schon kurzfristig, bis Mitte Juli, waren in Frankfurt mit den Banken, Institutionen, der Wirtschaft und der Wissenschaft vor Ort vertiefende Gespräche zu konkreten Maßnahmen des Standortmarketings angesetzt. Es geht dabei nicht zuletzt um das Ausloten der bestehenden Möglichkeiten in wichtigen Detailfragen. Eventuell notwendige Anpassungen wie beispielsweise eine Flexibilisierung des deutschen Arbeitsrechtes für bestimmte Berufsgruppen der Londoner Bankenszene dürften hierzulande politisch nicht so leicht durchsetzbar sein.

Welche Chancen sich der Rhein-Main-Region in der Praxis infolge eines Austritts Großbritanniens eröffnen, hängt letztlich sehr stark von den Ergebnissen der Verhandlungen um die künftige Bindung des Landes an die EU ab. Was passiert beispielsweise rund um die bereits angekündigte Standortverlagerung der EBA weg aus London? Wird diese mit einer ordnungspolitischen Grundsatzdiskussion verknüpft, die derzeit bei der EZB angesiedelten Verantwortlichkeiten für die Geldpolitik wie auch für die Bankenaufsicht wieder zu trennen und letztere Funktion mit der EBA zusammenzuführen, könnte das in diesem speziellen Fall die Chancen Frankfurts mindern. Aber es gibt in London auch andere europäische Instanzen, die für Frankfurt reizvoll sind, beispielsweise die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA - European Medicines Agency), die für die Beurteilung und Überwachung von Arzneimitteln zuständig ist.

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