Corporate Governance

Spekulation versus Governance

Michael Altenburg, Foto: Studio Ecker

Tesla Unternehmer Elon Musk sah sich kurz vor Weihnachten zu einer obszön provokanten Illustration per Tweet veranlasst, die suggerierte, dass für einen Unternehmer neuerdings reine Zockerei mehr bringt als wertschöpfendes Unternehmertum. Am 8. Januar 2021 erreichte der Dollarkurs von Bitcoin ein Allzeithoch von nahezu 42 000 US-Dollar. Bei Elon Musk selbst dürfte die Versuchung, vom Unternehmer zum Zocker zu werden, nicht übermächtig sein, da sich der Kurs von Tesla im gleichen Zeitraum mehr als verachtfacht hat. Laut dem Milliardär-Index von Bloomberg haben ihn die Kurssteigerungen von Tesla inzwischen sogar an Jeff Bezos von Amazon als reichsten Mann der Welt vorbeiziehen lassen.

Das eigentlich Erstaunliche ist, dass ein Unternehmer wie Elon Musk überhaupt über spekulative Absicherungsstrategien nachdenkt. Glaubt er nicht mehr an den Erfolg seiner unternehmerischen Investitionen? Hält er ein extremes Negativszenario für denkbar, gegen das er für zumindest einen Teil seines Vermögens eine Absicherung sucht? Warum sollte 2021 nicht sogar besser als das vergangene Jahr werden? Immerhin haben die Impfungen gegen Covid-19 begonnen. Und der Übergang der amerikanischen Präsidentschaft von Trump auf Biden war trotz des Sturms auf das Kapitol durch einen Mob letztlich nicht infrage gestellt. Aber das Virus könnte weiter mutieren und die gigantischen Finanzaufwendungen zur Stützung und Erholung der Wirtschaft könnten sich als eher behindernd denn als fördernd für den notwendigen Strukturwandel im rivalisierenden Wettbewerb zwischen den USA, China und der EU herausstellen.

In einer weiten Finanzperspektive scheint daher ein scharfer Blick auf sich hier überkreuzende Spannungen angebracht. Allianz-Chef Oliver Bäte hat in einem Interview mit der Financial Times vom 20. Dezember 2020, in dem er Versäumnisse der Finanzaufsicht im Wirecard-Skandal kommentierte, die grundsätzlichere Frage wie folgt formuliert: "I think there's a huge question around who is going to finally have the guts to look at the whole system and say, in a digitalised world, where is the financial risk and how do we get control of it? At the moment I don't see anybody doing that."

Der Allianz-Chef sieht als Symptom eines grundsätzlichen Governance-Defizits, dass die Erfüllung der Langfristverbindlichkeiten der Lebensversicherer, denen höherrentierliche Risikoanlagen gesetzlich versperrt sind, durch die EZB Niedrig- bis Nullzinsen ernsthaft gefährdet wird. Und er sieht dasselbe Symptom in der Nebenwirkung stark zunehmender Redistribution zulasten nichtvermögender Einkommensbezieher, während eine angemessene Besteuerung hochrentabler Finanzaktivitäten politisch nicht durchsetzbar scheint. Aus dieser Asymmetrie resultieren politischer Vertrauensverlust und steigende Aggressivität gegenüber einer intransparenten Finanzelite, welche die politische Willensbildung vollkommen im Griff zu haben scheint.

In China diktiert Xi Jinping dem Alibaba/Ant Mitgründer Jack Ma, was der zu tun und zu lassen hat. In den USA blockierten Social Media dem noch amtierenden Präsident den Account, als der zu weit gegangen war. Weder das eine noch das andere kann als Vorbild gelten für transparente, nachhaltige, rechenschaftspflichtige, legitime Governance. Es bleibt zu hoffen, dass 2021 an dieser Front im Osten wie im Westen Fortschritte bringt.

Michael Altenburg

Michael Altenburg , Luzern, Schweiz
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