Verbriefung

STS-Alchemie: simpel, transparent und standardisiert

In seinem neuen Buch "The End of Alchemy" spricht der frühere Gouverneur der Bank of England, Mervyn King, von Banking als einer Art Alchemie. Damit kritisiert er eine illusionäre Umwandlung langfristiger, illiquider Kreditrisiken in jederzeit liquides, risikoarmes Anlagerisiko. In neutraler Ausdrucksweise ist damit die für das Bankgeschäft typische Fristentransformation von Sichtdepositen in Langfristaktiva gemeint, die einen höheren Zins eintragen, als auf Sichteinlagen gezahlt werden muss. Eine ähnliche Transformation findet statt, wenn die Bank das Kreditrisiko durch Umwandlung der Forderung in ein handelbares Wertpapier im Markt platziert. In beiden Fällen funktioniert die "Alchemie" nur so lange, wie Vertrauen herrscht, beim Sparer in die Liquidität und Solvenz der Bank und beim Kapitalmarktinvestor in die Fungibilität und Werthaltigkeit des Wertpapiers. Mervyn King hat nichts gegen Fristentransformation, ist aber gegen den faulen Zauber, dass hierdurch oder durch gleich welche Art von Verbriefung das ursprüngliche Risiko irgendwie gänzlich aus der Welt geschaffen werden könne. Das liegt daran, dass zukünftige Finanzmarktentwicklungen grundsätzlich unbekannt (unknowable) und daher weder wirklich berechenbar noch exakt optimierbar sind. Das zukünftige Risiko bleibt immer nur grob abschätzbar und muss daher konsequent berücksichtigt werden, auch wenn die Finanzmathematik anderes vorzugaukeln scheint.

Die Finanzmarktkrise von 2008 wurde dadurch ausgelöst, dass sich vom US-Markt für in Wertpapiere verbriefte Hypothekenforderungen her eine Vertrauenskrise ausbreitete. Dies geschah, als der durch die expansive Geldpolitik von Greenspan mehr als zehn Jahre lang gestützte Trend steigender US-Immobilienpreise ab Mitte 2006 zunächst stagnierte und dann aber immer deutlicher wegsackte, die Blase also platzte. Über eine Kette kurzfristiger Refinanzierungskonstruktionen solcher Hypothekenwertpapiere und deren Rückabsicherungen brach nicht nur der Markt für US subprime mortgages ein, sondern eine Panik breitete sich aus und trieb gegen Ende 2008 das globale Weltfinanzsystem nahe an den Rand des Totalkollapses, von dem es nur durch massive Interventionen der Zentralbanken gerettet werden konnte. Verbriefung (Securitization) wurde seitdem zum Schlüsselbegriff für die Interpretation der Finanzmarktkrise.

In gebändigter Form kehrt sie nun wieder, sozusagen nach mehrjährigem Purgatorium, als Teil des EU-Projektes Kapitalmarktunion. Die Kommission hat einen Vorschlag gemacht, der Ministerrat hat sich unterstützend rückgeäußert und seit dem 19. Mai dieses Jahres liegt nun auch dem Europäischen Parlament ein Arbeitspapier vor zu einem Rahmenwerk über simple, transparente, standardisierte Verbriefung, im Papier kurz als STS Securitization gekennzeichnet (über DT\1090341EN.doc aufrufbar). Darin wird betont, dass das Hauptziel die Wiederbelebung der Realwirtschaft, also insbesondere die KMU-Finanzierung sei. Realität ist aber, dass gegenwärtig die Verbriefung von Wohnimmobilien den erdrückenden Teil des europäischen Verbriefungsmarktes ausmacht, während auf KMU-Verbriefungen weniger als 10 Prozent des Neuemissionsvolumens entfallen. Außerdem werden derzeit auch nur 13 Prozent des Verbriefungsvolumens ausplatziert. Der Rest wird als Pfand für Repogeschäfte mit der EZB einbehalten und ist dadurch zu einem wichtigen Instrument in der Umsetzung ihrer Geldpolitik geworden. Da vom Repogeschäft mit der EZB keine Impulse für die KMU-Finanzierung ausgehen, bleibt es also bei bloßen Refinanzierungserleichterungen für die Banken in einem Sektor, der bereits wieder die Merkmale eines Blasenrisikos zeigt.

Aber nicht mal STS wird die neue Verbriefung sein, muss sie doch CRD II bis IV genügen und Solvency II, AIFMD und UCITS-Direktive. Hier entwickelt sich eine lobbygetriebene Komplexitätsspirale zwischen Bankern und Regulatoren, in der Compliance mit immer undurchsichtigeren Regulierungen zu einer Mauer gegen jeden Verdacht von Fehlverhalten instrumentalisiert wird. Gleichzeitig wird STS nicht einmal sicherer. Mervyn King mahnt als überfällig an, die immer feinere Kalibrierung von Risikogewichten endlich als illusionäre Anmaßung bloßzustellen, welche die Triftigkeit von Risikoprognosen nicht wirklich zu steigern imstande ist. Die weite Verbreitung defekter Verbriefung sei nur eines der Symptome der großen Krise von 2008 gewesen. Ihre eigentliche Ursache seien vielmehr die Ungleichgewichte in den internationalen Zahlungsbilanzen, die sich in den Jahren zuvor infolge einer falschen, jeweils zu eng national orientierten Geldpolitik aufgebaut hatten. Erst von deren Abbau im Wege verbindlicher internationaler Vereinbarungen seien nachhaltige Wachstumsimpulse in der Realwirtschaft zu erwarten und eine Vermeidung einer noch größeren nächsten Krise.

Michael Altenburg, Luzern

Michael Altenburg , Luzern, Schweiz
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