"Finanzen sind für viele ein Tabuthema"

Tijen Onaran, Foto: Andrea Heinsohn

Frau Onaran, vielen Frauen ist ein gutes Finanzwissen wichtig, aber sie bezeichnen sich selbst als Finanzanalphabeten. Warum klafft eine so große Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit?

Ich beobachte immer wieder, dass über alles Mögliche miteinander gesprochen wird: über alltägliches, den Job oder sogar die Politik. Aber bei Finanzen hört diese Kommunikation scheinbar auf - seltsam, oder? Aus meiner Erfahrung ist das Finanzthema für viele also noch ein Tabuthema.

Junge Menschen lernen beispielswiese zwar in der Schule was ein Algorithmus ist, aber haben keine Ahnung davon, was eine Aktie ist. Um das Thema der Finanzen legt sich häufig ein Mantel des Schweigens - als gäbe es etwas zu verbergen. Dabei sollte über Finanzen zu sprechen, genauso selbstverständlich und normal sein wie über das Wetter zu plaudern.

Wieso ist gerade die finanzielle Unabhängigkeit so wichtig für Frauen?

Wer die eigenen Finanzen im Griff hat, hat sein Leben im Griff. Finanzielle Unabhängigkeit bedeutet Emanzipation - es bedeutet, sich nicht abhängig von jemand anderem, zum Beispiel dem Partner, zu machen. Mein Vater hat immer gesagt: "Sei finanziell unabhängig." Viele verwechseln aber das Streben nach finanzieller Unabhängigkeit mit dem Drang nach Reichtum. Doch darum geht es primär nicht. Es geht vielmehr darum zu wissen, wo und wie ich mein Geld verwalte und anlege oder wie ich mein Gehalt verhandle. Die wahre finanzielle Unabhängigkeit liegt also im Finanzwissen.

Wie könnte diese Unabhängigkeit gefördert werden?

Ich erlebe derzeit eine große Finanzbewegung unter Frauen. Es wird sich ausgetauscht, offen über das Anlegen oder Verhandeln gesprochen. Genau das ist der erste Schritt in die richtige Richtung: offene Kommunikation. Wenn ich über Finanzen nicht spreche, bleibt es ein ungreifbares Konstrukt. Wer in den sozialen Medien, gerade auch auf Instagram unterwegs ist, wird sehen, dass hier immer mehr Frauen auch zum Thema Finanzen aufklären. Das ist großartig zu sehen und genau so kann und sollte das Thema finanzielle Unabhängigkeit weiter gefördert werden!

Welchen positiven Einfluss können Netzwerke hier bieten, was bringt diese digitale Sichtbarkeit?

Nur was ich sehen kann, kann ich greifen. Je mehr - auch Frauen - über das Thema Finanzen sichtbar sprechen, aufklären und Mut machen, desto mehr fühlen sich auch andere Frauen ermutigt, sich mit ihren Finanzen zu beschäftigen. Die Enttabuisierung beginnt mit der Sichtbarkeit für das Thema. Netzwerke helfen hier ungemein: Ob es Netzwerkveranstaltungen sind, oder auch die sozialen Netzwerke - Gleichgesinnte zu finden ist unglaublich wichtig. Und dieses Umfeld gibt einem auch das notwendige Selbstvertrauen, um all die Fragen adressieren können, die man schon immer mal jemandem stellen wollte. Positiv fällt dabei auch auf, dass man mit diesen Fragen gar nicht allein dasteht.

Werden Finanzthemen generell zu kompliziert vermittelt? Was sollte sich hier ändern?

Sprache schafft Realität. Wenn ich als Unternehmen, das beispielsweise Finanzprodukte anbietet, eine komplexe Sprache nutze und davon ausgehe, dass jedermann sämtliche Begriffe versteht, dann kommuniziere ich definitiv an der Zielgruppe vorbei. Die sozialen Medien können hier Abhilfe leisten, denn hier können komplexe Themen leicht und einfach erläutert werden. Davon auszugehen, dass jeder Mensch weiß, was ETFs, Robo Advisor oder Broker sind, ist fatal.

Beim Thema Finanzen führen viele Unternehmen ein einziges großes Selbstgespräch - dabei ist die Zielgruppe draußen, die sie eigentlich auch mit ihren Angeboten und Produkten erreichen möchte, divers und der Wissensstand eben auch. Die Kunst liegt nicht darin, Komplexität zu erhöhen, sondern zu reduzieren. Warum nicht mit einem Finanz-ABC aufklären oder die junge Zielgruppe in eigenen Worten über Social Media erklären lassen, was die Begriffe bedeuten? Das wäre doch ein Ansatz!

Tijen Onaran , Gründerin und CEO , Global Digital Women GmbH, Berlin
Noch keine Bewertungen vorhanden


X