"Ich habe keine Minute bereut"

Helmut Schleweis
Foto: DSGV

50 Jahre hat Helmut Schleweis in der deutschen Sparkassenorganisation zugebracht. Und dabei alle Stationen durchlaufen - vom Lehrling bis zum Vorstand, vom Verwaltungsratsmitglied bis zum DSGV-Präsidenten. Dabei hat er viel gesehen, viel gelernt und viel begleitet. In unserem großen Interview zum Ende seiner Amtszeit als DSGV-Präsident spricht er mit ZfgK-Chefredakteur Philipp Otto über gute und weniger gute Zeiten, blickt zurück auf viele schöne Erinnerungen, aber vor allem auch voraus. Denn die Herausforderungen für die Gesellschaft ebenso wie die Sparkassen werden in einer multmedialen und immer bunteren Welt nicht geringer. Schleweis' Überzeugung: Stets mit Spaß arbeiten, den Zusammenhalt festigen, dem Markt mehr Freiraum lassen, Gesetze und Regulierung auf die Aufgaben einer Missbrauchsaufsicht reduzieren, persönliche Nähe und damit den persönlichen Austausch fördern, lieber etwas Großes versuchen und scheitern als den Versuch gleich zu unterlassen und vor allem die Werte der Sparkassen verteidigen. (Red.)

Herr Schleweis, Sie haben Ihr gesamtes Berufsleben, immerhin rund 50 Jahre, in der Sparkassen-Finanzgruppe zugebracht. Woran denken Sie gerne zurück, was sind weniger gute Erinnerungen?

Ich bin immer wieder beeindruckt von den Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, die unsere Gruppe jungen Menschen anbietet. Bei mir war das noch der Fachlehrgang mit anschließendem Besuch des Lehrinstituts. Davon habe ich mein ganzes Berufsleben profitiert. Und ich bin sehr froh, dass ich zusätzlich durch den Besuch der Führungsakademie des Landes Baden-Württemberg auch noch tieferen Einblick in die Politik und die Verwaltung bekommen habe.

"Ich habe mich nie um ein Amt beworben."

Darüber hinaus denke ich gerne an den Zusammenhalt innerhalb der Sparkassen-Finanzgruppe zurück. Wobei Sparkasse vielleicht früher sogar noch mehr Familie war als heute. Man war sehr nah beieinander und hat sich gegenseitig unterstützt.

Persönliche Highlights sind einerseits natürlich die vier Fusionen, die ich in meinen Funktionen bei der Sparkasse Heidelberg begleiten und mitgestalten durfte. Zum anderen hat mir die Arbeit in den Gremien des Rechenzentrums immer sehr viel Freude gemacht. Auch hier habe ich als Aufsichtsrat der DVG - Gesellschaft für Datenverarbeitung der badischen Sparkassenorganisation den Weg bis hin zur heutigen Finanz Informatik aktiv begleiten dürfen.

Daneben gibt es aber auch noch die Funktionärskarriere: Sie waren Landesobmann, Bundesobmann und DSGV-Präsident. Haben Sie das in erster Linie aus Pflichtbewusstsein gemacht?

Ich habe mich selbst nie um ein Amt beworben. Die Angebote wurden immer an mich herangetragen. Wenn sie kamen, war ich aber bereit, sie anzunehmen. Sparkässler vom alten Schlag, so wie auch ich einer bin, haben die Einstellung, dass sie von der Organisation viel Gutes erfahren haben und davon etwas zurückgeben wollen. Das kann man mit dem von Ihnen erwähnten Pflichtbewusstsein umschreiben. Aber, das möchte ich betonen, ich habe diese Aufgaben sehr gerne wahrgenommen. Ich könnte nicht arbeiten, ohne dass es mir Spaß macht.

Was würden Sie jungen Leuten heute in Sachen Karriereplanung raten? Worauf sollen diese achten?

Ach wissen Sie, es lässt sich nicht alles planen im Leben. Entscheidend ist, immer dort, wo man steht, das Beste zu geben. Wenn das klappt, kommen andere Dinge ganz von allein. Man darf aber auch den Kamerad Zufall nicht unterschätzen - Glück beziehungsweise Zufall ist ja immer eine Mischung aus Gelegenheit und Bereitschaft. Wenn das sogenannte "window of opportunity" aufgeht, muss man am Fenster stehen.

Wie kamen Sie eigentlich zur Sparkasse?

Eigentlich wollte ich Jura studieren. Allerdings wurde 1973 in den Universitäten mehr gestreikt als studiert. Da hatte ich überhaupt keine Lust darauf. Meine Mutter hat in der Sparkasse gearbeitet und ließ mal einen Prospekt zu Hause liegen. Da ich unbedingt etwas machen wollte, bin ich halt zur Ausbildung in die Sparkasse gegangen. Und da bin ich dann auch geblieben.

Das würde ich jetzt wirklich als Zufall bezeichnen.

Ja, das war es.

Gibt es auch Erinnerungen, die nicht so schön, aber trotzdem wichtig für Ihren Weg, Ihre Entwicklung waren?

Als ich noch recht frisch im Vorstand der Sparkasse Heidelberg war, wurde ich für ein Amt vorgeschlagen, habe dieses Amt aber nicht bekommen. Da hatte ich ganz schön dran zu knabbern. Allerdings habe ich nicht viel später gleich zwei Ämter bekommen. Da habe ich gelernt, dass man sich nicht so schnell davon beeindrucken lassen darf, wenn etwas nicht klappt; man muss seinen Weg immer konsequent weitergehen.

Ein wenig problematisch wurde es auch nach den vier Fusionen in Heidelberg. Unsere Sparkasse war nach der Übernahme der Nachbar-Sparkassen eine andere als vorher, allein schon wegen der Größenordnung und der komplexeren Betriebswirtschaft. Das zu steuern, war eine enorme Herausforderung. Auch das Zusammenführen der Organisationen zu einem Team hat sehr viel Kraft gekostet. Ich habe dabei gelernt, auf was es bei solchen Zusammenschlüssen wirklich ankommt. Und bei wirklich unschönen Erinnerungen muss ich natürlich die Finanzkrise erwähnen. Da mussten wir alle eine Zeit lang im Nebel rudern. Niemand hatte schnelle Lösungen parat.

Gibt es denn auch persönliche Enttäuschungen?

Da hatte ich Glück, persönlich hat man mich nie wirklich angegriffen.

Wie haben Sie die teils sehr öffentlich geführten Diskussionen um Ihre Nachfolge empfunden?

Für mich stand fest, dass ich meinen Vertrag nicht verlängern will. Das wussten die entsprechenden Personen, das konnte aber nicht öffentlich kommuniziert werden, da die Nachfolge noch nicht geregelt war. Dadurch entstand ein Informationsvakuum, das für allerlei Spekulationen Raum gegeben hat. Mit solchen Situationen muss man manchmal leben. Es hat mich aber gefreut, dass ich in den Medien nie als "lame duck" bezeichnet wurde. Mit der vorgezogenen Wahl des neuen Präsidenten kehrten dann aber auch schnell wieder Klarheit und Ruhe ein.

Sie wirken sehr aufgeräumt. Was ist die Kunst?

Wie gesagt, ich lasse die Dinge nicht zu dicht an mich heran.

Haben Sie sich in 50 Jahren Sparkassen-Organisation verändert?

Erfahrungen lassen sich durch nichts ersetzen. Da wäre es schlecht, wenn man sich nicht verändert, sich nicht weiterentwickelt hätte. Aber vom Typ her bin ich der geblieben, der ich immer gewesen bin. Ich bin halt ich.

Würden Sie denn dem heute jungen Helmut Schleweis einen ähnlichen Weg empfehlen, wie den, den Sie gegangen sind? Oder ist die Zeit für Banken, für Sparkassen eine andere geworden, nicht zuletzt durch den technischen Fortschritt?

Ich empfehle jedem Menschen, das zu tun, woran er wirklich Spaß hat. Wenn das eine Tätigkeit in einer Bank oder Sparkasse ist, umso besser. Auch wenn Bank beziehungsweise Sparkasse heute natürlich anders funktioniert als früher, komplexer ist und multimedial. Aber ich glaube weiterhin, dass regionale Institute trotz all des technischen Wandels gebraucht werden. Die Zukunft wird sich nicht im Metaverse abspielen.

Ist die Zeit heute denn grundsätzlich eine bessere Zeit als früher?

Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. In meiner Jugend war der Kalte Krieg, es startete der Mauerbau und damit die Teilung Berlins, Anfang der siebziger Jahre folgten die Ölpreiskrise, die Sorge vor einem Atomkrieg. Da war immer Krieg - Korea, Vietnam. Erst danach folgte eine Phase, in der die Bedrohung von außen nachgelassen hat und wir in Deutschland und Europa den Wohlstand steigern konnten. Das war eine gute Zeit. Aktuell gibt es wieder viele geopolitische Spannungen. Und die Komplexität der Ereignisse hat enorm zugenommen; auch weil über alles überall und jederzeit berichtet wird. Dadurch steigt auch der Druck, Entscheidungen treffen zu müssen, schneller als es manchmal gut ist.

Gilt das mit den schnelleren Entscheidungen auch für die Sparkassen-Organisation?

Na ja, wenn es gilt, können wir auch schnell. Denken Sie nur an die Corona-Pandemie, bei der wir zu Beginn innerhalb eines Wochenendes Förderstrecken aufgebaut haben, um unseren mittelständischen Kundinnen und Kunden helfen zu können. Aber natürlich braucht eine dezentrale Organisation dieser Größe für viele Entscheidungen oft etwas mehr Zeit als ein Konzern oder ein Startup.

Zurück zum Zeitenvergleich bitte... erleben wir aktuell nicht ein gesellschafts- und wirtschaftspolitisch sehr herausforderndes Umfeld, gerade in der bislang so stabilen Bundesrepublik? Wie nimmt das der Präsident der deutschen Sparkassenorganisation wahr?

Ja, das Umfeld ist für alle Beteiligten sehr herausfordernd; gerade, weil es von vielen Unsicherheiten geprägt ist. Das kann mich als Bürger, aber auch in meiner Funktion nicht zufriedenstellen. Es ist Grundauftrag der Sparkassen, Stabilität in der Gesellschaft zu fördern. Das fällt in diesem Umfeld schwer. Das Motto des Sparkassentags 2019, meinem ersten als DSGV-Präsident, lautete "Gemeinsam allem gewachsen". Wir wollten damals schon herausstellen, dass mit Zusammenhalt viel erreicht werden kann. Dann brach die Corona-Pandemie aus, mit all den schwerwiegenden Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft. Danach folgte der brutale russische Angriffskrieg auf die Ukraine, jetzt der Terroranschlag der Hamas auf Israel. Was mich dabei besonders beunruhigt, ist die zu beobachtende mangelnde Bereitschaft zum persönlichen Austausch. Viele Menschen stecken tief in ihren Kommunikationsblasen und sind für andere Argumente taub. Das macht sie anfälliger für mitunter wirklich krude Ansichten bis hin zu Verschwörungstheorien.

"Wenn das ,window of opportunity' aufgeht, muss man am Fenster stehen."

Und auch die Aggressivität untereinander, gegeneinander nimmt zu. Da braucht man gar keine Nachrichten zu schauen, sondern das erleben die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Sparkassen zwar nicht täglich, aber doch viel zu oft, wenn sie angeschrien, beschimpft und teilweise auch körperlich angegangen werden. Diese Entwicklungen machen mir wirklich Sorgen.

Fehlt den Menschen in Deutschland klare Führung, die die Probleme anspricht und Verantwortung übernimmt?

Ja, ich glaube schon. Im Augenblick werden wir den unterschiedlichen Herausforderungen nicht gerecht. Deutschland fehlt eine gemeinsame Idee für die Zukunft, die konsequent umgesetzt wird. Das führt dazu, dass wir unseren geschaffenen Wohlstand gerade Stück für Stück verzehren. Wir leben von der Substanz - das ist nicht gut!

Wie nehmen Sie die Diskussionen um den Wirtschaftsstandort wahr?

Die Diskussionen sind notwendig. Wir müssen aber jetzt auch dringend ins Handeln kommen. Deutschland muss sich auf seine Stärken besinnen. Dafür muss man aber auch ehrlich miteinander umgehen. Zu sagen, es gibt keine Deindustrialisierung, ist einfach nicht richtig. Denn es werden aktuell Produktions- und Wertschöpfungsketten in das Ausland verlagert, da der Standort Deutschland an Attraktivität verliert. Dieser Entwicklung müssen wir uns stellen und sie aufhalten. Das ist eine der wesentlichen wirtschaftspolitischen Aufgaben derzeit, sonst verlieren wir den Anschluss. Ich war gerade in Singapur, von wo aus der ganze Südostasien-Raum abgedeckt wird. Dort ist ein enormes Wachstum zu beobachten, da entsteht eine ganz neue Mittelschicht. Und natürlich muss man auch China weiter im Blick behalten.

Geht es den Deutschen zu gut? Wir diskutieren lieber über eine 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich, über die Abschaffung von Urkunden und Bewertungen bei Bundesjugendspielen, keine Noten mehr in der Grundschule und Ähnliches, schaffen eine Wohlfühlblase, anstatt schmerzhafte Entscheidungen zu treffen und gemeinsam anzupacken.

Weniger Arbeit ist nicht die Lösung. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Arbeitskräfte in sozialversicherungspflichtigen Jobs kontinuierlich angestiegen, die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden sinkt aber stetig. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht weiter an Produktivität und Wertschöpfung verlieren. Hinzu kommen die ernüchternden Ergebnisse der aktuellen PISA-Studie. Wir dürfen uns nicht immer weiter vom Leistungsgedanken entfernen. Ein gewisses Maß an gesundem Wettbewerb in unserer Gesellschaft schadet da sicherlich nicht.

Schauen wir mal auf das Bankgeschäft: Wie hat sich das Sparkassen-Geschäft aus Sicht der Kunden verändert, von Ihren Anfängen bis heute? Ist es besser geworden?

Es ist anders geworden. Der Beginn meiner Laufbahn fiel in eine Zeit des Umbruchs. Auf dem Sparkassentag 1969 in Karlsruhe unter dem Präsidenten Ludwig Poulain hieß es: "Opas Sparkasse ist tot." Denn es kamen mehrere Dinge zusammen: Zum einen das Aufkommen der Computer, die plötzlich Aufgaben übernehmen konnten. Zum anderen ein struktureller Wandel hin zu stärkerer Kundenorientierung. Marktorientierte Aufbauorganisation hieß das damals. Es wurde versucht, vom Kunden her zu denken, was letztlich das echte Bank-Marketing begründete. Bislang kannte man nur Reklame, kein Marketing. Dadurch wurden die bislang strikt voneinander getrennten einzelnen Abteilungen einer Sparkasse - Spar-Abteilung, Giro-Abteilung, Wechsel-Abteilung und Wertpapier-Abteilung - enger miteinander verzahnt. Plötzlich gab es einen Kundenberater für den Kunden.

Ist diese Ausrichtung auf den Kunden, die Kundenorientierung konsequent genug erfolgt? Gerade die gilt doch gemeinhin als großer Vorteil der Fintechs und Neobanken gegenüber den etablierten Instituten?

Natürlich haben sich seit damals die Dinge grundlegend geändert. Die Kundschaft kann heute aus einem breiten Spektrum von unterschiedlichen kreditwirtschaftlichen Angeboten wählen. Aber gerade beim Thema individuelle Kundenansprache und Service haben die Institute der beiden großen Verbünde sicher die Nase vorn - schon weil sie überall in der Fläche gut erreichbar sind. Könnte man sich grundsätzlich noch mehr vorstellen? Ja, Banken und Sparkassen könnten noch stärker vom Kundenbedarf her denken.

Wie ist es mit dem ganzen Thema Technik und Digitalisierung? Wie sehr hat die das Bankgeschäft verändert, und zwar nicht erst in den vergangenen Jahren?

Ich habe es mit dem Thema Computer schon angesprochen. Als ich in der Sparkasse Heidelberg angefangen habe, arbeiteten in der Zahlungsverkehrsabteilung 45 Menschen. Später nur noch ein oder zwei, weil die Prozesse nahezu vollständig automatisiert abliefen. Man spürt natürlich inzwischen nahezu täglich den Fortschritt, durch sich immer weiter entwickelnde technische und digitale Möglichkeiten.

Was sind für Sie die größten Herausforderungen, die die Sparkassen-Finanzgruppe zu bewältigen hat?

Der Abbau der überbordenden Bürokratie und die Bewältigung der aus der Regulatorik kommenden Anforderungen. Beides hängt oft unmittelbar zusammen. Kleinere Institute fusionieren heute überwiegend nicht aus betriebswirtschaftlichen Gründen, sondern weil sie den Alltag nicht mehr bewältigen können. Das sollte Warnsignal genug sein. Die Überbürokratisierung und Überregulierung hat das eigentliche Ziel aus den Augen verloren. Das gilt auch für das Meldewesen und die enormen Dokumentationspflichten. Und dann kommen aktuell noch die verschiedenen Nachhaltigkeitsthemen dazu.

Wie sähe gute Regulatorik aus Ihrer Sicht aus?

Der Markt braucht Ordnung, das steht außer Frage. Ich bin ein großer Anhänger einer Missbrauchsaufsicht, das heißt derjenige wird bestraft, der gegen Regeln verstößt. Der heutige Regulierungsansatz ist aber verhaltenslenkend. Man möchte angeblich "richtiges" Verhalten durch Vorschriften erzielen. Das Leben ist aber vielfältiger als die Vorschriften. Die Folgen sind immer mehr einzelne Regelungen. Mir wären klare Wegmarken lieber. Das gilt übrigens nicht nur für die Bankenregulierung, sondern auch insgesamt für die Politik.

Noch einmal zurück zu den Herausforderungen, neben der Regulatorik: Welche Themen müsste die Organisation aus Ihrer Sicht verstärkt angehen?

Ich glaube, dass wir als Gruppe an allen relevanten Aufgabenstellungen dran sind. Stichwort Digitalisierung: Von den rund 40 Millionen Kunden der Sparkassen nutzen inzwischen mehr als 24 Millionen das Online-Banking-Angebot und 16 Millionen erledigen Bankgeschäfte über die Sparkassen-App. Das heißt, für das Standard-Bankgeschäft hat die Gruppe entsprechend bequeme Lösungen geschaffen, Convenience ist hier das Stichwort. Oder das Thema Zahlungsverkehr: Die Organisation begleitet all die europäischen und internationalen Entwicklungen sehr eng, sei es der digitale Euro, EPI oder auch Apple Pay. Auch sämtliche ESG- und Nachhaltigkeitsthemen haben alle Institute im Fokus.

"Ein gewisses Maß an gesundem Wettbewerb in unserer Gesellschaft schadet nicht."

Mit Blick auf die Transformation der Wirtschaft, was hören Sie von den Mitgliedsinstituten, sind wir auf einem einigermaßen guten Weg?

Ja, ich denke schon. Zumindest ist das Bewusstsein überall in den Köpfen angekommen. Und zwar nicht nur bei den großen Unternehmen, sondern auch bei den vielen kleinen Mittelständlern, wie eine Befragung im Rahmen unseres jüngsten Mittelstandsbarometers gezeigt hat. Unternehmen müssen sich dem Wandel stellen und ihre Geschäftsmodelle anpassen, wenn sie in Zukunft erfolgreich sein wollen. Und Sparkassen und Banken stehen bereit, die Transformation zu finanzieren. Denn nur erfolgreiche Unternehmen werden in Zukunft ihre Darlehen auch zurückzahlen können.

Politik und damit auch die Regulatorik müssen aber aufpassen, dass sie den Bogen nicht überspannen. Man darf die Unternehmen nicht unnötig verunsichern und überfordern und man muss der Kreditwirtschaft den Spielraum lassen, Industrie und Mittelstand auf ihrem Weg zu begleiten. Mit der richtigen Unterstützung kann aus einem heute "braunen" in Zukunft ein nachhaltiges "grünes" Unternehmen werden. Dafür ist es aber wichtig, nicht nur "grüne" Investments zu unterstützen, sondern möglichst allen Unternehmen den Transformationsprozess hin zur Klimaneutralität möglich und finanzierbar zu machen. Das muss in den ESG-Kriterien entsprechend berücksichtigt werden. Und schließlich müssen definierte Ziele betriebswirtschaftlich möglich und sinnvoll sein. Sonst wird nicht investiert. Da sehe ich im Moment schon eine gewisse Zurückhaltung.

Sie sagten vorhin "Früher war mehr Familie." Wie meinen Sie das?

Mit Blick auf Gemeinschaft und Gemeinsamkeit. Heute trifft man sich alle paar Jahre auf dem Sparkassentag. Früher gehörten in den Regionen gemeinsame Veranstaltungen wie Wandertage oder Treffen auf Vorstandsebene zum ganz normalen Prozedere in jedem Jahr. Und auch die bereits ausgeschiedenen Mitarbeitenden wurden zu manchen Treffen hinzugezogen. Durch diesen Austausch hat man von deren Erfahrungsschatz profitieren können. Das gibt es so heute nicht mehr.

Sie haben kürzlich Ihre Sorge darüber geäußert, dass die Sparkassen einen Teil ihrer DNA verlieren könnten. Dafür gab es viel Kritik. Was genau meinen Sie damit?

Die DNA der Sparkassen besteht für mich aus zwei wesentlichen Faktoren: der Nähe zum Kunden und dem verantwortungsvollen Handeln nach dem Prinzip des ehrbaren Kaufmanns. Leider konnten wir in der sehr herausfordernden Zeit von Negativ- und Nullzinsen unseren Kunden die gewohnten Sparzinsen nicht anbieten. Deswegen bin ich froh, dass wir endlich in einer normalen Zinswelt angekommen sind und es dem Großteil der Sparkassen gelungen ist, dies an ihre Kunden zu kommunizieren.

Welche Rollen spielen Filialen heute noch für die angesprochene Nähe zum Kunden - bei all den Vorzügen und Möglichkeiten der Sparkassen-App und des Online-Bankings?

Filialen sind ein wesentlicher Bestandteil des Kundenkontakts der Sparkassen. Nicht mehr der einzige, denn die Marke Sparkasse ist längst multimedial, aber ein wesentlicher. Das darf bei aller Betriebswirtschaft nicht vergessen werden. Natürlich braucht es nicht mehr jede Filiale. Aber eine Schließung muss gut vorbereitet sein, gerade auch kommunikativ. Wenn ich vorher mit den vor Ort Verantwortlichen vernünftig spreche, erreiche ich in aller Regel eine höhere Akzeptanz. Dann entsteht auch nicht der Eindruck, dass sich die Sparkassen aus der Fläche insgesamt zurückziehen. Das tut die Gruppe nämlich nicht. Die Sparkassen betreiben immer noch mehr Geschäftsstellen als Aldi und Lidl zusammen. Das darf man bei der Diskussion nicht vergessen.

Also es geht um die flächendeckende Präsenz und es geht um faire Konditionen. Ist das dann die DNA einer modernen Sparkasse?

Die DNA, damals wie heute, besteht aus kommunaler Verbundenheit, der Kundennähe, der Bereitschaft, wirklich für alle Kundengruppen da zu sein und der regionalen Geschäftsausrichtung. Man könnte noch das Sicherungssystem dazurechnen, das für die notwendige Stabilität und Sicherheit sorgt. Diese fünf Faktoren würde ich zur DNA zählen.

Kommunale Verbundenheit ist ein schönes Stichwort. Wie bewerten Sie den politischen Einfluss auf Sparkassen und vor allem Landesbanken, der die Dinge ja nicht immer einfacher macht?

Durch die ausgewogene Besetzung der Verwaltungsräte der Institute spielt Parteipolitik praktisch keine Rolle. Ich persönlich habe nie den Versuch politischer Einflussnahme erlebt. Natürlich kann so was auch mal vorkommen. Das ist bei einer so großen und vielschichtigen Organisation nie ganz auszuschließen. Die kommunale Verbundenheit und regionale Ausrichtung ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Sparkassen wollen ihre Region stark machen. Das ist gut für die Menschen und die Sparkassen. Dafür ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den kommunalen Verantwortlichen wichtig. Am Ende ist das Geschäftsmodell der Sparkassen für alle von Vorteil.

"Die Überbürokratisierung und Überregulierung hat das eigentliche Ziel aus den Augen verloren."

Es ist allgemein bekannt, dass ich mich in den vergangenen Jahren für eine Verdichtung der unterschiedlichen Einheiten in der Sparkassen-Finanzgruppe starkgemacht habe. Von der Idee und dem Ziel eines Zentralinstituts bin ich nach wie vor überzeugt.

Aktuell gibt es noch 353 Sparkassen in Deutschland, Tendenz sinkend, denn es gibt immer wieder Fusionen aus den bekannten und schon genannten Gründen. Gibt es eine Größenordnung, unter die die Zahl nicht sinken sollte, damit die Regionen noch gut versorgt sind, beziehungsweise können Sparkassen auch zu groß werden?

Was die Sparkassen angeht, bin ich ein Freund der kleinen, überschaubaren Einheiten in klar abgegrenzten Wirtschaftsräumen. Das ist aber natürlich nicht mehr überall aufrechtzuerhalten. Je größer eine Sparkasse wird, umso stärker und aufwendiger muss Nähe organisiert werden. Denn Sparkasse braucht immer auch ein Gesicht. Von daher gibt es keine bestimmte Größenordnung, sondern es ist eine Frage der Kultur, der Menschen, der Organisation.

"Von der Idee und dem Ziel eines Zentralinstituts bin ich nach wie vor überzeugt."

Kommen wir zu Ihrer Zeit als Sparkassen-Präsident. Waren die sechs Jahre für Sie eine gute Zeit, auch wenn das Umfeld keineswegs einfach war?

Auf jeden Fall waren sie das. Ich habe keine Minute davon bereut. Ich war wirklich gerne Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands. Man kann viele Themen und Projekte anstoßen und vorantreiben und es wird einem niemals langweilig. Allerdings wird man als DSGV-Präsident auch relativ schnell von der Realität eingeholt. Ich dachte, ich weiß, was auf mich zukommt, da ich auch schon DSGV-Vizepräsident war, aber es sieht dann in der Wirklichkeit doch etwas anders aus.

Die vergangenen sechs Jahre waren sehr intensive Jahre. Die Herausforderungen reichten von der HSH-Privatisierung über die Nord/LB-Stabilisierung, die Corona-Pandemie und den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bis hin zum Israel-Gaza-Konflikt aktuell - und den Deep-Dive unseres IPS hatten wir auch noch.

Sind Sie zufrieden mit Ihrer Amtszeit oder hätten Sie gerne mehr bewegt?

Ich bin zufrieden. Bei meinem Handeln habe ich mich an unserer schon 2011 verfassten Agenda "Strukturen und Entscheidungswege" orientiert, denn die ist auch heute noch aktuell. Als Präsident ist man zwar oft nur Moderator, kann aber trotzdem Impulse setzen. Ich denke, wir sind mit der gesamten Gruppe im Wirken für die Kundschaft ein gutes Stück vorangekommen, auch wenn der Fortschritt ohne die zwei Jahre Corona sicherlich größer ausgefallen wäre. Also, ich bin zufrieden.

Auch wenn das große Thema Ihrer Amtszeit unvollendet blieb?

Ja, denn es war mir von Anfang an klar, wie schwer das Ziel eines Zentralinstituts für die Sparkassen-Finanzgruppe zu erreichen ist. Das "window of opportunity" war da, schlug aber vor allem durch Corona zu schnell wieder zu. Bin ich gescheitert? Vielleicht, auch wenn ich das nicht so sehe. Es war den Versuch auf jeden Fall wert. Und so habe ich mich damals, auch gegen guten Rat, ganz bewusst entschieden, den Versuch zu wagen und das Thema Zentralinstitut anzustoßen. Ich würde mir heute eher vorwerfen, wenn ich dieses wichtige und von der Sache her richtige Thema nicht angepackt hätte. Nun liegen alle Ideen auf dem Tisch und es ist Sache der Eigentümer, den Weg weiterzugehen oder eben nicht.

"Die vergangenen sechs Jahre waren sehr intensive Jahre."

Allerdings ist das politische Beharrungsvermögen sehr ausgeprägt. Braucht es wieder einmal erst ein externes Ereignis, eine Schieflage, bevor Bewegung in die Entwicklung kommt?

Ich hoffe nicht, aber die Erfahrung zeigt, dass das durchaus so sein kann. Die Steuerungsmechanismen einer Bank und die der Politik sind einfach sehr unterschiedlich.

Drohen der Sparkassen-Finanzgruppe Probleme aus dem Immobilienfinanzierungsgeschäft?

Ich glaube nicht. Für die Sparkassen kann ich das ausschließen. Über Landesbanken wird viel öffentlich berichtet, vor allem im Zusammenhang mit der Insolvenz der Signa-Gruppe, aber hier wurden ja Vorkehrungen getroffen und entsprechende Rücklagen gebildet. Ganz allgemein betrachtet ist es natürlich in einem solch wichtigen Geschäftsfeld wie der gewerblichen und privaten Immobilienfinanzierung für alle Institute nicht schön, wenn die Nachfrage nach Darlehen stagniert, nicht mehr gebaut wird und die Insolvenzen in der Immobilienwirtschaft steigen. Aber wir haben bislang keine Anzeichen dafür, dass das in signifikantem Ausmaß geschieht. Generell steigt die Zahl der Unternehmensinsolvenzen, aber in einem normalen Rahmen.

Würden Sie mit den Erfahrungen von heute wieder Ja sagen, wenn Sie gebeten würden, DSGV-Präsident zu werden?

Ja!

Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus, zum ersten Mal ohne das rote "S" seit 50 Jahren?

Jetzt freue ich mich über einen leeren Kalender und die Zeit, die ich haben werde ... und dann sehen wir weiter!

Lieber Herr Schleweis, ich bedanke mich für viele gute Gespräche mit Ihnen, einen stets vertrauensvollen und konstruktiven Austausch und wünsche für alles, was da kommen mag, ganz viel Glück und Freude.

Helmut Schleweis , Präsident, Deutscher Sparkassen- und Giroverband, Berlin
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