Redaktionsgespräch mit Uwe Fröhlich

"Die Illusion, dass die Bank bestimmt, wie der Kunde auf sie zugeht, endet"

Uwe Fröhlich, Präsident, Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (BVR), Berlin

Angesichts des von BaFin und Bundesbank ausgemachten Bedrohungsszenarios durch die Niedrigzinsphase findet der BVR-Präsident beruhigende Worte. Er sieht die genossenschaftliche Finanzgruppe trotz der ernst zu nehmenden Rahmenbedingungen gut positioniert. Seine Gruppe, so betont er, wird sich nicht aus der Fläche zurückziehen - auch wenn nach seiner Einschätzung zukünftig eher Schwerpunktfilialen an Bedeutung gewinnen und Servicestellen voraussichtlich deutlich weniger werden. Den größten Gesprächsbedarf im Hinblick auf die Harmonisierung der Gesetzgebung in Europa sieht er angesichts der derzeit verstärkten Bemühungen zur Neuordnung der Einlagensicherung. Proportionalität und Risikoorientierung passen in der Bankenregulierung durchaus gut zur Unterscheidung in systemrelevante und nicht systemrelevante Banken, so sein Credo. (Red.)

Herr Fröhlich, BaFin und Bundesbank haben anhand einer Umfrage unter 1 500 deutschen Banken eine große Bedrohung durch die Niedrigzinsphase ausgemacht. Ergebnisrückgänge von bis zu 50 Prozent bis 2019 werden befürchtet. Wie dramatisch ist die Lage wirklich?

Unter dem Strich ist die Situation nicht so dramatisch, wie es zunächst scheint. Uns als Verantwortliche der genossenschaftlichen Finanzgruppe haben die Ergebnisse nicht überrascht, denn natürlich beschäftigen wir uns nicht zuletzt aus Präventionsgesichtspunkten intensiv mit den Herausforderungen aus der anhaltenden Niedrigzinsphase für unsere Banken. Wir sind der festen Überzeugung, dieses Thema bewältigen zu können. Die wirtschaftliche Situation der Banken ist gut, 2014 war das mit Abstand beste Geschäftsjahr, das die genossenschaftliche Finanzgruppe in den vergangenen Jahrzehnten erzielt hat. Die deutschen Genossenschaftsbanken haben in den zurückliegenden sechs Jahren trotz krisenhafter Rahmenbedingungen an den Märkten ihre Eigenkapitalsubstanz um 25 Milliarden Euro auf 75,2 Milliarden Euro weiter deutlich ausbauen können. Dies entspricht einer harten Kernkapitalquote inklusive 340 f HGB Reserven von 17,1 Prozent. Auch Phasen erhöhter Risiken oder reduzierter Erträge sind für die Gruppe also verkraftbar.

Natürlich ist die derzeitige Zinssituation für alle Banken, die über Einlagenüberhänge verfügen, eine ernst zu nehmende Entwicklung. Analysen und Erfahrungen mit längeren Niedrigzinsphasen in anderen Ländern haben gezeigt, dass nur diejenigen Marktteilnehmer eine solche Phase überstehen, denen es gelingt, ihre Kosten der Ertragssituation anzupassen. Das bedeutet auch, Strukturen, die sich nicht mehr rechnen, zu überdenken und gegebenenfalls anzupassen. Unsere Organisation ist entschlossen, auch in Zukunft durch unternehmerisches Handeln aus eigener Kraft erfolgreich zu sein. Dafür werden wir die notwendigen Entscheidungen treffen - nicht zuletzt um die Unabhängigkeit der Ortsbanken und die subsidiäre Aufstellung unserer Organisation dauerhaft zu erhalten. Dramatisch ist aus meiner Sicht nicht die Lage der Kreditgenossenschaften, sondern aufgrund der potenziell sehr negativen Folgen die derzeitige Geldpolitik der EZB.

Haben Sie denn Hoffnung, dass bald ein Umdenken bei den Zentralbanken stattfinden wird?

Die amerikanische Zentralbank hatte kürzlich leider noch nicht den Mut, die seit 2008 andauernde Nullzinspolitik in den USA zu beenden. Das wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung gewesen. In Europa sehe ich das leider noch nicht. Die niedrigen Zinsen sind aufgrund der hohen staatlichen Schuldenquoten wie eine Droge für die Politik - dies gilt in Europa wie weltweit. Dringend notwendige Strukturveränderungen werden aufgeschoben - nicht nur in der südeuropäischen Peripherie, sondern insbesondere auch in Frankreich.

Nichtsdestoweniger zeigen sich auch in den Ergebnissen der Volks- und Raiffeisenbanken deutliche Bremsspuren. Wo kommt dieser Swing von einem Rekordjahrgang zu halbierten Ergebnissen her?

Die Genossenschaftsbanken gehören zu den ertragsstärksten Bankengruppen in Europa. Auch wenn unsere Ergebnisse künftig leiden sollten - halbieren werden diese sich nicht. Die Wachstumschancen im Kundengeschäft werden auch weiterhin genutzt. Auch die aktuelle Marktsituation der Kreditgenossenschaften im zweiten Quartal 2015 ist wieder durch steigende Marktanteile im Kredit- und Einlagenbereich gekennzeichnet. Die Analyse von BaFin und Bundesbank beleuchtet im Übrigen nur die Zinsüberschüsse.

Wie kann man gegensteuern - Fusionen, Filialschließungen, höhere Gebühren?

Der intensive Wettbewerb im deutschen Bankenmarkt sorgt im europäischen Vergleich zu ausgesprochen günstigen Konditionen für die Verbraucher. Ich stelle derzeit in der Branche ein Umdenken fest, eine Abkehr von Bankdienstleistungen zum Nulltarif. Die Entscheidung der privaten Banken, die Gebühren für Fremdabhebungen an den Geldautomaten zu erhöhen, ist hierfür nur ein Beispiel. Aber es ist ein Irrglaube, die Rückgänge im Zinsergebnis über höhere Gebühren kompensieren zu können. Banken müssen sich auch strukturell auf die Rahmenbedingungen einstellen. Mit unseren internen Programmen Kundenfokus 2015 und Kundenfokus 2020 entwickeln wir genau hierfür Maßnahmen und Strategien für das dauerhaft profitable und erfolgreiche Privatkundengeschäft unserer genossenschaftlichen Finanzgruppe.

Was sind die Erkenntnisse aus dem Programm Kundenfokus 2015 mit den Schwerpunkten "Weberfolg" und "Beratungsqualität"? Hat das schon Veränderungen bewirkt?

Besonders wichtig ist an dieser Stelle die Bewusstseinsänderung, die Bereitschaft zur Weiterentwicklung der Genossenschaftsbank vor Ort. Beispiel "Weberfolg": Ausgehend von der Fragestellung, wie die Gruppe der Kreditgenossenschaften den Vertriebsweg Internet nutzen kann, überprüfen die Banken Prozesse und Systeme, passen sie an und schaffen eine neue Infrastruktur mit zum Teil neuen Zuständigkeiten in der Bank.

Heute ist die technische Funktionalität auf einem Niveau, auf das wir stolz sein können - die vertriebliche Positionierung dieser Möglichkeiten ist in einigen unserer Institute allerdings noch ausbaufähig. Die Digitalisierung darf nicht als lästige Pflichtaufgabe verstanden werden, sondern ist eine große Chance auch für uns Genossenschaftsbanken. Unterstützung erfährt die Primärstufe dabei durch umfangreiche Dienstleistungen der Rechenzentren, Zentralbanken, Verbundunternehmen und der Verbände.

"Beratungsqualität" ist der an den Kundenbedürfnissen ausgerichtete Umbau der Beratungssysteme in den Filialen zur Unterstützung der Berater und zur Minimierung des administrativen Aufwandes. Für die Berater ist es nicht leicht, die ständig steigenden regulatorischen und verbraucherrechtlichen Anforderungen im Blick zu behalten. Da hilft auch im Interesse des Kunden eine bessere Unterstützung durch die IT-Systeme.

Der Weg der flächendeckenden Umsetzung dieses Projektes in der Organisation ist allerdings lang, denn natürlich wird das Kerngeschäft der Ortsbanken und der Beratungsprozess von vielen Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in unserer Organisation verändert. Darüber hinaus geht es bei diesem Projekt darum, bundesweit die einheitliche Qualität der Beratung im Sinne des genossenschaftlichen Beratungsangebots sicherzustellen. Das muss unser Anspruch sein.

Und darauf setzt Kundenfokus 2020 nun auf, oder?

Ja, wobei zunächst die erfolgreiche Umsetzung der Aufgaben aus dem Projekt Kundenfokus 2015 im Mittelpunkt der Ortsbankenaktivitäten steht. Kundenfokus 2020 schaut darauf aufbauend weiter in die Zukunft des Privatkundengeschäftes der genossenschaftlichen Finanzgruppe, über rein technische Themen hinaus. Wir wollen die Möglichkeiten, die sich durch die Digitalisierung bieten, aktiv für unser Geschäftsmodell nutzen. Die Kernfrage ist, wie die verschiedenen Vertriebswege und Kundenkontaktmöglichkeiten auch in der digitalen Welt am besten strukturiert und verzahnt werden können und wie sich das auf die Aufstellung unserer Organisation zum Beispiel in der Filialwelt auswirkt.

Was sind daraus resultierend die größten Veränderungen, die auf die Primärstufe zukommen?

Die maximale Transparenz über das Finanzdienstleistungsangebot im Markt und das Ende der Illusion, dass die Bank bestimmt, wie der Kunde auf die Bank zugeht.

Viele der Maßnahmen werden zentral angestoßen, bedingen jedoch mitunter auch Auswirkungen in den Banken: Wie reagieren die Volks- und Raiffeisenbanken? Ist die Bereitschaft mitzuarbeiten aufgrund der zukünftigen Herausforderung größer geworden?

Die genossenschaftliche Bankengruppe zeichnet sich durch eine große Bereitschaft aus, die Herausforderungen gemeinsam anzugehen. Das gilt für BVR, Regionalverbände, Zentralbanken, Verbundunternehmen und Rechenzentrum ebenso wie für die Volksbanken und Raiffeisenbanken. Das genossenschaftliche Geschäftsmodell und der Nutzen für unsere Mitglieder und Kunden stehen zu Recht immer im Vordergrund. Die Arbeit in den BVR-Gremien stellt sicher, dass Entscheidungen nicht einseitig zu Lasten des einen oder anderen Partners in der Finanzgruppe gehen. Der Verbund zeichnet sich durch eine intensive interne Diskussionsbereitschaft aus, die stets zielführend ist und am Ende zu guten Ergebnissen für alle führt.

Bei all den Themen kommen viele Aufgaben auf das gerade fusionierte Rechenzentrum zu. Ist die Fiducia/GAD gut genug aufgestellt, das alles zu bewältigen?

Davon gehe ich aus. Sicherlich ist die Migration der GAD-Banken auf das System Agree-21 eine gewaltige Aufgabe und die ständig notwendigen Anpassungen der Systeme durch regulatorische Anforderungen sind ebenfalls fordernd, aber wir haben mit dem Zusammenschluss beider Rechenzentralen einen sehr starken IT-Partner geschaffen, der dies alles bewältigen wird.

Zurück zu "Kundenfokus 2020": Nehmen die Kunden den bisherigen Erfahrungen nach denn eine "Online"-Volksbank überhaupt an?

Ja. Über unser zentrales Portal VR.de verzeichnen wir große Steigerungen bei den Zugriffszahlen. Die Philosophie der genossenschaftlichen Finanzgruppe ist es, kein Geschäft direkt über dieses Portal zu machen, sondern die Kunden auf das Portal der regional verantwortlichen Bank und den jeweiligen Berater durchzuleiten.

Die reinen Online-Abschlüsse bei den Banken sind zwar beachtlich, würden den Aufwand und die Investitionen allein aber nicht rechtfertigen. Bei einer Vielzahl von Beratungsgesprächen informiert sich der Kunde vorab im Internet und dieser sogenannte Ropo-Effekt (Research online, Purchase offline) macht unsere digitalen Investitionen auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht lohnend.

Was heißt das für die Zukunft des Regionalprinzips, das in der genossenschaftlichen Finanzgruppe zwar kein Gesetz, aber doch ein Gentleman's Agreement ist?

Es gibt kein institutionell festgeschriebenes Regionalprinzip in der genossenschaftlichen Finanzgruppe - das Regionalprinzip ist allerdings Teil der genossenschaftlichen Verbundkultur. Es ergibt für eine regional agierende Bank großen Sinn, sich dort zu bewegen, wo man die Kunden und die Risiken des Bankgeschäftes kennt. Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass es häufig dann zu betriebswirtschaftlichen Problemen kam, wenn Institute sich systematisch und großflächig außerhalb ihres natürlichen Geschäftsgebietes bewegt haben.

Andere Banken bauen im großen Stil die Präsenz in der Fläche ab, ist das auch von den Volks- und Raiffeisenbanken zu erwarten, ist das also Teil der angesprochenen erforderlichen strukturellen Veränderung?

Die genossenschaftliche Finanzgruppe wird dauerhaft in der Fläche vertreten sein. Dabei werden die Schwerpunktfilialen an Bedeutung und auch an Zahl gewinnen, während hingegen die reinen Servicestellen deutlich zurückgehen werden.

Hilft der Rückzug von Wettbewerbern?

Der hilft. Und auch unsere Präsenz in der Fläche ist ein wesentlicher Grund für unsere Marktanteilsgewinne. Verstärkt wird unser Erfolg aber entscheidend durch die Transparenz des Geschäftsmodells. Kunden wissen, was sie von einer Volksbank oder einer Raiffeisenbank zu erwarten haben. Das zeigen auch die kontinuierlich steigenden Mitgliederzahlen.

Wie viel der Marktanteilsgewinne kommt tatsächlich von neuen Kunden und wie viel ist neues Geschäft mit Bestandskunden?

Ich gehe davon aus, dass die Marktanteilsgewinne zu großen Teilen aus dem Bestandskundengeschäft resultieren. Aber wir gewinnen natürlich auch zahlreiche neue Kunden.

Wo bauen die Volks- und Raiffeisenbanken ihre Marktanteile aus?

Sehr spürbar im Geschäfts- und Firmenkundenbereich, aber auch bei der Kreditvergabe an Privatkunden.

Wie wichtig sind dabei die Konditionen? Schauen die Kunden immer noch so stark auf den Preis?

Preis ist wichtig, aber wie schon angesprochen, spielen auch die qualifizierte und faire Beratung, die Transparenz des Geschäftsmodells und unsere Präsenz vor Ort eine wichtige Rolle. Bei standardisierten Produkten ist die Bedeutung des Preises natürlich höher. Wie man hier Marktanteile gerade im Privatkundenbereich gewinnen kann, zeigen insbesondere die Sparda- und PSD-Banken in unserer Gruppe.

Gehen Sie davon aus, dass der Konsolidierungsdruck steigt?

Ja, das kann in diesem Umfeld gar nicht anders sein. Sicherlich werden wir in naher Zukunft mehr Fusionen sehen als bislang. Allerdings ist durch eine Fusion allein noch keine Schlacht geschlagen - Synergien erzielen wir nur, wenn notwendige Veränderungen in Strukturen und Prozessen tatsächlich angegangen werden.

Wie wichtig ist eine Fusion der Zentralbanken?

Nach dem gelungenen Zusammenschluss unserer Rechenzentralen wäre dies ein weiterer wesentlicher Schritt für die gesamte Gruppe zur Bündelung der Kräfte auf der zentralen Ebene. Das wird aus meiner Sicht von allen Verantwortungsträgern auch so gesehen. Aber Stand heute gibt es dazu nichts Neues zu berichten.

Wie groß ist die Bedrohung durch Fintechs für das Geschäftsmodell der Volks- und Raiffeisenbanken?

Ich sehe dies weniger als akute Bedrohung, sondern vielmehr als Chance, sich mit innovativen Geschäftsideen auseinanderzusetzen und zu überlegen, was davon zum Geschäftsmodell der Volksbanken und Raiffeisenbanken passt. Was Banken definitiv von Fintechs lernen können, ist der Ansatz, konsequent vom Kunden her zu denken - Stichworte Benutzerfreundlichkeit und Prozessgeschwindigkeit - und nicht den Nutzen für die Bank allein in den Vordergrund zu stellen.

Da sich die Angebote der Fintechs derzeit nur auf ausgewählte Ausschnitte des Bankgeschäfts konzentrieren bin ich nicht so pessimistisch, dass der Untergang der Bankenwelt unmittelbar bevorsteht, im Gegenteil.

Denn die Bankenwelt insgesamt und auch wir reagieren ob der Herausforderung mit aller Kraft, in Sachen Zahlungsverkehr unter der Überschrift Paydirekt bekanntermaßen in der deutschen Kreditwirtschaft sogar gemeinschaftlich. Kritisch ist hier allerdings das nicht existierende gemeinsame Level Playing Field - das heißt wir bewegen uns hinsichtlich der Regulierungsanforderungen in verschiedenen Welten zum Vorteil der neuen Wettbewerber - hier muss der Regulator aufpassen, nicht in den Wettbewerb einzugreifen.

Wie ist ihr Verhältnis zur deutschen Politik?

Das Verhältnis zur nationalen Politik ist ausgesprochen gut. Die Volksbanken und Raiffeisenbanken tragen maßgeblich zur guten wirtschaftlichen Entwicklung und zur Kreditversorgung bei. Das honorieren alle Parteien in Deutschland. Natürlich brauchen wir die Unterstützung der nationalen Politik, um unsere Belange im Rahmen der europäischen Regulierungsmaßnahmen bei den maßgeblichen europäischen Stellen zu adressieren. Das funktioniert ausgesprochen gut und hat sich bei der Diskussion um die europäische Einlagensicherungsrichtlinie in jüngerer Vergangenheit erfolgreich gezeigt.

Schwierig wird es immer dann, wenn deutsche Interessen zahlreichen europäischen Gegenstimmen gegenüberstehen, aktuell zum Beispiel im Rahmen der Diskussion über die weitere Vergemeinschaftung der Einlagensicherungssysteme in Europa. Kritisch ist auch der Ansatz der EZB, bis in die kleinste Genossenschaftsbank durchzugreifen, auch wenn man diese Aufgabe formal den nationalen Aufsichtsbehörden übertragen hat. Von daher begrüße ich den Ansatz von Finanzministerium und BaFin, sich bestimmte Verantwortlichkeiten im Rahmen des neuen Aufsichtsregimes selbstbewusst zu erhalten.

Wie haben sich die Gewichte zwischen Berlin und Brüssel verschoben?

Zahlreiche Gesetze und regulatorische Vorgaben werden nicht mehr in Deutschland gemacht. Von daher ist es auch für die genossenschaftliche Bankengruppe entscheidend , wie erfolgreich wir mit unseren Forderungen auf europäischer Ebene sind. Nicht zuletzt deshalb finden Sie den BVR mittlerweile nicht mehr nur mit Büros in Berlin und Bonn, sondern ebenso in Brüssel und London. Zusätzlich hilft der wirtschaftliche Erfolg unserer Gruppe auch gegenüber EU-Kommissar Hill oder EU-Kommissionspräsident Juncker, denn er belegt die Stärke und Nachhaltigkeit unserer Organisationsstruktur und unseres Geschäftsmodells.

Wo sehen Sie den größten Gesprächsbedarf?

Aktuell sicherlich bei den Bestrebungen zur Neuordnung der Einlagensicherung in Europa. Ein vergemeinschaftetes Einlagensicherungssystem für alle Banken und damit für alle Sparer in der Eurozone lehnen wir entschieden ab. Hierbei geht es weniger um die Sicht der deutschen Kreditgenossenschaften, sondern um die Kernfrage, wie sich die Sicherheit der Einlagen deutscher Bankkunden in Europa dauerhaft weiterentwickelt. Es ist falsch zu glauben, dass die Sicherheit in Deutschland steigt, wenn ein gemeinsames System unter Beteiligung der deutschen Banken europaweit etabliert ist, denn am Ende wird sich ein gemeinsames System immer auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner und damit dem niedrigsten Sicherheitsniveau einpendeln. Zunächst sollte man das, was unter der europäischen Einlagensicherungsrichtlinie vereinbart wurde, in allen Euroländern konsequent umsetzen.

Wer sind Ihre Hauptansprechpartner?

Auf nationaler Ebene sicherlich Bundesminister Schäuble und die Vertreter des Finanzministeriums. Daneben versuchen wir natürlich gemeinsam mit unseren Regionalverbänden und Ortsbanken auch auf Landesebene für unsere Positionen zu werben. International sprechen wir mit den Kommissaren, aber auch mit den Vertretern des Europäischen Parlaments und der Fachabteilungen der Kommission.

Passen die Harmonisierungsbestrebungen der EU-Kommission und Ihre Wünsche nach mehr Proportionalität überhaupt zusammen?

Proportionalität und Risikoorientierung in der Bankenregulierung passen gut zur vorgenommenen Unterscheidung in systemrelevante und nicht systemrelevante Banken. Wenn man hier stärker ansetzen würde und den nationalen Aufsichtsbehörden mehr Freiräume geben würde, könnte man diese Grundsätze noch überzeugender leben.

Man darf nicht vergessen, wie stark sich die Regulierung auf das Tagesgeschäft in den Instituten auswirkt. Hierzu gibt es eine aktuelle Untersuchung der Goethe-Universität in Frankfurt im Auftrag des BVR, die ergeben hat, dass die durchschnittlichen Regulierungskosten bezogen auf die Bilanzsumme bei kleineren Banken oft um ein Vielfaches höher liegen als bei großen Instituten und auch im Vergleich zum Ertrag weitaus höher sind. Vor allem im Meldewesen und im Anlegerschutz haben die Maßnahmen das Proportionalitätsprinzip deutlich verletzt. Auch die Ressourcenbelastung ist hier am größten. Dabei sollte das Kundengeschäft und weniger Regulierungsfragen zu den wichtigsten Aufgaben einer mittelständisch orientierten Bank gehören.

Wie hat sich in diesem europäischen Kontext die Arbeitsteilung zwischen Bundesbank und BaFin verändert?

Wir haben in den vergangenen Jahren mit den nationalen Aufsichtsbehörden gut zusammengearbeitet und ich gehe davon aus, dass dies auch in Zukunft der Fall ist. Warnen möchte ich allerdings vor zu großem Ehrgeiz oder auch Übereifer bei der Umsetzung der internationalen Vorgaben. Es hilft niemandem, wenn sogar noch etwas draufgesattelt wird wie beispielsweise beim Thema Anacredit, bei dem die Anforderungen der Bundesbank über das europäische Maß deutlich hinausgehen.

Welche drei Wünsche hat der Präsident des BVR mit Blick auf die Zukunft seiner genossenschaftlichen Bankengruppe?

Dass wir die Kräfte in der genossenschaftlichen Finanzgruppe weiter bündeln, trotz der Herausforderungen auf der Ertragsseite weiter beherzigen, dass wir nur gemeinsam stark sind und dass wir den evolutionären Veränderungsprozess des Geschäftsmodells - Stichworte Digitalisierung und Demografie - in den kommenden Jahren erfolgreich gestalten.

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