Bankmanagement-Glossar

Was ist Ethno-Marketing?

Von Ewald Judt und Claudia Klausegger

Zu den klassischen Marktsegmentierungskriterien, die in der Marktforschung zum Einsatz kommen, zählen soziodemografische (Alter, Geschlecht, Einkommen, Familienstand), psychografische Persönlichkeitsmerkmale, Life Style Segmentierung, AIO, also Activities, Interests, Opi nions), verhaltensorientierte (wie Preisverhalten oder Mediennutzungsverhalten), nutzenorientierte und geografische Kriterien. In der Praxis sind insbesondere soziodemografische Segmentierungskriterien weit verbreitet, da die erforderlichen Informationen leicht verfügbar und gleichzeitig gut messbar sind.

Strategische Bedeutung der Ethnie nimmt zu

Angesichts der Tatsache, dass sowohl Deutschland wie auch Österreich starke Einwanderungsländer sind und die zunehmend multikulturelle Bevölkerung eine interessante und zudem nicht unerheblich große Zielgruppe darstellt, erstaunt es, dass diesem Faktor in Marktforschung und Marketing bislang kaum Bedeutung beigemessen wird. Das scheint sich aber jetzt zu ändern. Ausgehend von den USA beginnt sich Ethno-Marketing (von griechisch Ethnos = Volk) durchzusetzen. Dort sind mittlerweise spezielle Marketingkampagnen für Minderheiten Usus geworden. Stark entwickelt hat sich dort in letzter Zeit das Hispanics-Marketing, da sich zum Beispiel in Florida Produkte, die nicht auch in Spanisch beworben und angeboten werden, kaum absetzen lassen.

Da man in Deutschland und Österreich bereits jetzt rund zehn Prozent der Bevölkerung mit Ethno-Marketing ansprechen kann, die Zahl der Immigranten weiter zunehmen wird und die Altersstruktur von (noch) ausländischen Staatsbürgern und von eingebürgerten Staatsbürgern eine nicht so zwiebelförmig ausgeprägte Alterspyramide ("Überalterung") darstellt, wird Ethno-Marketing ein Bereich sein, der in Zukunft an strategischer Bedeutung gewinnen wird.

Voraussetzung für Ethno-Marketing ist die Berücksichtigung der Ethnie beziehungsweise der Muttersprache in Marktforschung und Marketing. Bei Berücksichtigung dieses Kriteriums gelangt man zu einer Marktsegmentierung, die eine unterschiedliche kundenorientierte Ansprache noch ausländischer und eingebürgerter Staatsbürger gegenüber alteingesessenen Staatsbürgern erlaubt.

Die Marktsegmentierung muss jedoch weiter nach der Herkunft verfeinert werden. Die Zusammensetzung der Zielgruppe nach Ethnien ist in Deutschland und Österreich unterschiedlich. Während Türken in beiden Ländern stark repräsentiert sind, gibt es in Deutschland noch viele Italiener, Spanier und Griechen sowie Spätaussiedler aus Polen und der ehemaligen UdSSR und in Österreich Immigranten aus dem ehemaligen Jugoslawien.

Bei Marketingaktivitäten in Richtung unterschiedlicher Ethnien sind nicht nur Unterschiede in der Sprache, sondern auch die der Wertvorstellungen, der Kultur und in der Altersstruktur der jeweiligen Herkunftsnationalitäten ins Kalkül zu ziehen. Es ist notwendig festzustellen, inwieweit sich diese Zielgruppen beim Kauf-, Spar- und Kreditverhalten von alteingesessenen Staatsbürgern unterscheiden und worauf abweichendes Verhalten zurückzuführen ist.

Entsprechende Marketingstrategien, wie man die Hirne und Herzen der Menschen unterschiedlicher Ethnien erreicht, sind Aufgabe des zielgruppenspezifischen Eth-no-Marketings: Welche Produkte sind zu welchem Preis an die Eigenheiten der ethnischen Zielgruppen zu adaptieren beziehungsweise einzuführen? Wie sind diese Produkte zu kommunizieren? Über welche Vertriebswege erfolgt die Vermarktung am besten? Beispiel Western Union

Ein Beispiel für eine idealgültige Umsetzung des Ethno-Marketings ist das weltweite Finanzdienstleistungsunternehmen Western Union. Dessen Hauptprodukt, Geldanweisungen, ist insbesondere von ethnischen Minderheiten gefragt, um Geld vom Immigrationsland in das Herkunftsland zu überweisen. Western Union hat daher seine Marketingaktivitäten nicht nur in den verschiedenen Sprachen kommuniziert, sondern hat die Produkte, die Kommunikation und die Distribution so gestaltet, dass sie sich stimmig der Kultur und den Wertvorstellungen der ethnischen Gruppe anpassen, was den Markterfolg ermöglichte.

Bei deutschen und österreichischen Finanzdienstleistern besteht - wenn man von Ausnahmen absieht - noch ein deutlicher Nachholbedarf, um ethnische Zielgruppen als Neukunden zu gewinnen beziehungsweise mehr Geschäft mit bestehenden Kunden zu machen.

Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor der Wirtschaftsuniversität Wien und Geschäftsführer der PayLife Bank GmbH; ewald. judt[at]paylife[dot]at/www.paylife.at. Dr. Claudia Klaus egger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Mana gement der Wirtschaftsuniversität Wien; claudia.klausegger[at]wu-wien[dot] ac.at.

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