bank und markt Analyse: Droht eine Kreditverknappung?

Firmenkunden Der Mittelstand steckt in einer akuten Kreditklemme

Die gegenwärtige Diskussion darüber, ob es in Deutschland eine Kreditklemme per definitionem gibt oder nicht, ist in höchstem Maße ärgerlich, ja gefährlich. Während Wirtschaftsforscher, Bankenvertreter und Politiker ebenso akademisch abgehoben wie semantisch spitzfindig über Begrifflichkeiten streiten, geht in Tausenden Betrieben mangels Liquidität das Licht aus. Laut Euler Hermes sind knapp 40 Prozent der Insolvenzfälle der vergangenen Monate auf restriktive Kreditpolitik der Hausbanken zurückzuführen.

Vor diesem Hintergrund kann es keinen Zweifel geben: Der deutsche Mittelstand steckt in einer akuten Kreditklemme. Das belegen auch alle Umfragen aus jüngerer Zeit. Dem Ifo-Konjunkturtest zufolge ist die Kredithürde für die Unternehmen im Juli sogar noch gestiegen. Rund 45 Prozent der Betriebe beklagen eine rigide Kreditvergabepraxis der Banken. Besonders schwer bei der Kreditfinanzierung haben es der Befragung zufolge das Verarbeitende Gewerbe, Bauhauptgewerbe und Handel.

Primärbanken der Verbünde agieren weniger restriktiv

Eine repräsentative Umfrage des BVMW erbrachte Anfang Juli einen ähnlich alarmierenden Befund. Danach haben sich für 38,4 Prozent der Mittelständler die Kreditkonditionen spürbar verschlechtert. Was nichts anderes bedeutet, als dass die Banken über den Hebel von Sicherheiten und Risikoaufschlägen Kredit suchende Klein- und Mittelbetriebe am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Der Fairness halber sei erwähnt, dass nicht alle Geldinstitute gleichermaßen restriktiv verfahren. Im Allgemeinen zeigen sich die genossenschaftlichen Volks- und Raiffeisenbanken sowie Sparkassen weniger zugeknöpft als private Geschäftsbanken und Landesbanken.

Allerdings stehen deutsche Banken mit ihrer Kredit(verhinderungs)politik im EU-Vergleich nicht allein. So sanken in der Euro-Zone die Darlehen an Unternehmen im Juli gegenüber dem Vormonat um 35 Milliarden Euro. Dass das für notleidende Betriebe wenig tröstlich ist, liegt auf der Hand. Schlimmer noch: Der Dreh an der Kreditschraube wirkt in der volkswirtschaftlichen Gesamtschau Krisen verstärkend. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sind Unternehmen mehr denn je auf ausreichende Liquidität angewiesen. Die generelle Abhängigkeit der Betriebe vom Bankentropf wiederum begründet sich aus der Steuerpolitik des Staates, die die Fremdmittelfinanzierung begünstigt hat.

Das Zahlenwerk der Bankenlobby kommt zu gänzlich anderen Ergebnissen. Danach hat der Kreditbestand im ersten Quartal dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sogar noch um 6,9 Prozent zugelegt. Was auf den ersten Blick die Klagen der Unternehmer zu widerlegen scheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als simpler, wenn auch wirkungsvoller Trick. Die Banken haben bei ihren Berechnungen schlicht Kredite an Investmentfonds und Versicherer einbezogen. Ohne Finanzdienstleister hingegen sind die Kredite an inländische Unternehmen und Selbstständige um 2,7 Milliarden Euro zurückgegangen. Dabei ist nicht einmal berücksichtigt, dass vor der Finanzkrise eine Reihe ausländischer Banken in nennenswertem Umfang zur Mittelstandsfinanzierung beigetragen haben. Diese Kreditinstitute haben sich inzwischen teilweise oder komplett vom deutschen Kapitalmarkt zurückgezogen. Auch die Erfahrung, dass, wie ausgeführt, Betriebe in der Krise einen höheren Kreditbedarf aufweisen, bleibt ausgeblendet. Kurzum: Wir haben es mit einem Teufelskreis zu tun. Weil sich die Wirtschaftslage verschlechtert, gibt es mehr Insolvenzen und Kreditausfälle, die Banken reagieren darauf im Sinne der Vorsorge mit einer Verschärfung der Kreditvergaberichtlinien. Viele Unternehmen gehen aber gerade deswegen in die Insolvenz, weil ihnen die Hausbank den Kredithahn zugesperrt hat.

Radikaler Kurswechsel tut not

Höchste Zeit also, dass die Banken zum "Brot- und Butter-Geschäft zurückkehren", wie es der Bundespräsident bei der Eröffnung der Hannover-Messe trefflich formulierte. Dies ist eine Frage des Wollens, nicht des Könnens. Die EZB hat unlängst die Rekordsumme von 442 Milliarden Euro an die Kreditinstitute verliehen - an Geld zur Mittelstandsfinanzierung mangelt es ihnen nicht. Das rührt an die moralische Seite der Finanzkrise. Das Verhalten einiger Kreditinstitute in der gegenwärtigen Krise ist verwerflich. Es geht nicht an, dass Banken unter dem Rettungsschirm, den die Bundesregierung aus Steuermilliarden für sie aufgespannt hat, im Trockenen sitzen, während sie die Klein- und Mittelbetriebe im Regen stehen lassen. Hier sind in erster Linie die Banken selbst gefragt. Die Versorgung der Wirtschaft mit Krediten gehört zu ihren vornehmsten Aufgaben. Klemmen sie die lebenswichtigen Finanzadern für die Betriebe weiter ab, muss notfalls die Bundesregierung den Kreditfluss qua Gesetz wieder in Gang bringen.

Mario Ohoven ist Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW), Berlin, und des europäischen Dachverbands nationaler Mittelstandsvereinigungen (CEA-PME), Brüssel.

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