Transparenz

Wie viel Transparenz ist sinnvoll?

Die Finanzmarktkrise und insbesondere die sogenannten "Lehman-Fälle" haben den Blick der Politik auf ein vermeintliches Problem in der Anlageberatung von Banken gerichtet: fehlende Transparenz. Anlageprodukte im Allgemeinen und Zertifikate im Besonderen gelten seither als intransparent und riskant. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) verfolgt das Thema in besonderem Maße seit nunmehr gut einem Jahr im Rahmen der "Qualitätsoffensive Verbraucherfinanzen". Mit dem seit Jahresbeginn zwingend anzufertigenden Anlageberatungsprotokoll sind erste Änderungen in der Praxis angekommen.

Weitere Verschärfungen stehen mit dem vom Bundesfinanzministerium (BMF) vorgelegten Diskussionsentwurf für ein "Gesetz zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes" vor der Tür. Der folgende Beitrag setzt sich kritisch mit bereits bestehenden sowie geplanten Transparenzvorschriften auseinander und widmet sich der Frage: Wie viel Transparenz ist bei Kapitalanlageprodukten im Interesse des Anlegers notwendig und sinnvoll?

Grundsätzlich ist zwischen Informationsbeziehungsweise Transparenzpflichten auf Produktebene und solchen auf Beratungsebene zu unterscheiden. Der Gesetzgeber normiert seit geraumer Zeit in zahlreichen Vorschriften umfangreiche Informations- und Publizitätspflichten. Daneben etabliert der Bundesgerichtshof (BGH) immer wieder zusätzliche Transparenzanforderungen für die Branche, die der Gesetzgeber anschließend meist im Rahmen von Gesetzesnovellen kodifiziert. Erwähnt sei hier nur die grundlegende Bond-Entscheidung des BGH zur anleger- und anlagegerechten Beratung, die ebenso ihren Niederschlag im WpHG gefunden hat, wie die sogenannten Kick-Back-Rechtsprechung.

Zieht man zunächst eine allgemein gültige Begriffsbestimmung heran, bedeutet Transparenz nichts anderes als "Durchsichtigkeit". Übertragen auf die Finanzbranche bedeutet dies in der Regel, durch umfassende Aufklärung eine Informationsasymmetrie zu beseitigen.

Transparenz auf Produktebene

Seit Jahren werden Anbieter von Kapitalanlageprodukten verpflichtet, über die Chancen und Risiken, die rechtlichen und steuerlichen Grundlagen sowie die Kosten der angebotenen Finanzprodukte umfassend aufzuklären. Entsprechende Regelungen finden sich beispielsweise für Investmentfonds in § 42 Investmentgesetz (InvG), für sonstige Wertpapiere in § 5 Wertpapierprospektgesetz (WpPG) und für geschlossene Beteiligungen in § 8g Verkaufsprospektgesetz (VerkProspG) in Verbindung mit der Verordnung über Vermögensanlagen-Verkaufsprospekte (VermVerk ProspV).

Exemplarisch fasst § 5 Absatz 1 WpPG die Grundvoraussetzungen, die an einen Prospekt für Kapitalanlagen gestellt werden und sich analog in Vorschriften zu anderen Finanzprodukten wiederfinden, wie folgt zusammen: "Der Prospekt muss in leicht analysierbarer und verständlicher Form sämtliche Angaben enthalten, die im Hinblick auf den Emittenten und die öffentlich angebotenen oder zum Handel an einem organisierten Markt zugelassenen Wertpapiere notwendig sind, um dem Publikum ein zutreffendes Urteil über die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten, die Finanzlage, die Gewinne und Verluste, die Zukunftsaussichten des Emittenten und jedes Garantiegebers sowie über die mit diesen Wertpapieren verbundenen Rechte zu ermöglichen. Insbesondere muss der Prospekt Angaben über den Emittenten und über die Wertpapiere, die öffentlich angeboten oder zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen werden sollen, enthalten. Der Prospekt muss in einer Form abgefasst sein, die sein Verständnis und seine Auswertung erleichtern."

Die Rechtsprechung des BGH erkennt bislang an, dass es als Mittel der produktbezogenen Aufklärung ausreichen kann, wenn einem Anleger ein Prospekt über die betreffende Kapitalanlage überreicht wird, sofern dieser den gesetzlichen Mindestanforderungen genügt. Ob dies der Fall ist, hat der Berater zuvor im Rahmen seiner obligatorischen Plausibilitätsprüfung zu kontrollieren. Außerdem sollte der Prospekt dem Interessenten so rechtzeitig vor Vertragsschluss übergeben werden, dass er seinen Inhalt noch zur Kenntnis nehmen kann.

Erst bei einem Flop des Produktes findet der Prospekt Beachtung

In der Praxis hat dies dazu geführt, dass die Prospekte der Anbieter immer umfangreicher geworden sind, um eine potenzielle Haftung für fehlende oder unzureichende Angaben zu vermeiden. Jedes noch so kleine Risiko wird aufgeführt und juristisch möglichst "wasserdicht" formuliert. Dies führt oft zu einer wahren Informationsflut - aber sind die Prospekte dadurch auch hinreichend transparent?

Unabhängig von der jeweiligen Anlageklasse sind Prospekte mit mehr als 100 Seiten inzwischen üblich. Größtenteils sind die Werke sogar noch deutlich umfangreicher. Geprägt sind viele Prospekte von einem Finanzjargon und einem verklausulierten Juristendeutsch, wodurch die Texte teilweise nicht nur für den interessierten Anleger wenig verständlich sind. Die Erfahrung zeigt, dass die wenigsten Anleger den Prospekt tatsächlich lesen. Erst wenn bei einem Produkt die Erwartungen nicht erfüllt werden beziehungsweise es floppt, lassen enttäuschte Anleger den Prospektinhalt von Anwälten im Hinblick auf potenzielle Ansprüche prüfen. Ob eine weitere Verschärfung der Anforderungen auf der Produktebene vor diesem Hintergrund sinnvoll ist, ist durchaus umstritten.

Transparenz auf Beratungsebene

Im Zuge der Markets in Financial Instruments Directive (MiFID) wurden Wertpapierdienstleistungsunternehmen verpflichtet, Anlegern bestimmte zusätzliche Informationen zukommen zu lassen, die über den Prospektinhalt hinaus gehen können. So sind Banken gemäß § 31 Absatz 3 des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) verpflichtet, "Kunden rechtzeitig und in verständlicher Form Informationen zur Verfügung zu stellen, die angemessen sind, damit die Kunden nach vernünftigem Ermessen die Art und die Risiken der ihnen angebotenen oder von ihnen nachgefragten Arten von Finanzinstrumenten oder Wertpapierdienstleistungen verstehen und auf dieser Grundlage ihre Anlageentscheidungen treffen können. Die Informationen müssen sich beziehen auf das Wertpapierdienstleistungsunternehmen und seine Dienstleistungen, die Arten von Finanzinstrumenten und vorgeschlagene Anlagestrategien einschließlich damit verbundener Risiken, Ausführungsplätze und Kosten und Nebenkosten."

Wie diese Pflichten konkret umzusetzen sind, wird in der Verordnung zur Konkretisierung der Verhaltensregeln und Organisationsanforderungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen (WpDVerOV) detailliert ausgeführt. Diese Informationen können in standardisierter Form zur Verfügung gestellt werden, was praktisch regelmäßig der Fall ist und dabei ebenfalls zu ähnlichen Verständnisproblemen führen kann, wie bei den Produktprospekten.

Treiber für den Ruf nach Transparenz: Misstrauen der Anleger

Schon heute gibt es zahl- und umfangreiche Informationspflichten, die allesamt das - ohne Zweifel berechtigte - Ziel verfolgen, Transparenz herzustellen. Allein der bürokratische Aufwand für das seit dem 1. Januar 2010 obligatorische Anlageberatungsprotokoll ist jedoch enorm. Und es gilt keineswegs als sicher, dass durch die Protokollierungspflicht tatsächlich Informationsdefizite beseitigt werden.

Aktueller Treiber für den Ruf nach mehr Transparenz - so sind sich viele Experten einig - ist jedoch weniger ein tatsächlicher Mangel an Information als der generelle Vertrauensverlust der Anleger. Ob dieses durch weitere Informationspflichten für die Anbieter von Anlageprodukten zurück gewonnen werden kann, scheint zweifelhaft.

Geplante Änderungen - "Beipackzettel" mit oder ohne "Ampel"

Dennoch stellte das BMELV im Rahmen der Qualitätsoffensive Verbraucherfinanzen fest, dass noch zu wenige Verbraucher wüssten, welches Anlageprodukt sie im Einzelfall erworben haben, wie es funktioniert und vor allem welche Risiken es birgt. Um hier Abhilfe zu schaffen, baute die Politik zunächst auf die freiwillige Einführung eines sogenannten Produktinformationsblattes. Dieses sollte kurz und prägnant die wesentlichen Eigenschaften eines Anlageprodukts darstellen und somit einen Vergleich mit anderen Anlageprodukten ermöglichen. Ein Vorreiter ist hier die Deutsche Bank, die seit Februar 2010 (vgl. bank und markt 4-2010, S. 18) entsprechende Produktinformationsblätter verwendet.

Mögliche Überschneidungen mit OGAW-IV-Richtlinie

Einen anderen Weg beschreitet die Verbraucherzentrale Hamburg, die in Anlehnung an die Lebensmittelkennzeichnungspflicht einen "Ampelcheck" von Kapitalanlagen etablieren möchte. Hierbei sollen Sicherheit, Rendite, Liquidität und Transparenz von verschiedenen Anlageformen und Produktgruppen mittels einer Ampel bewertet werden, und zwar insbesondere vor dem Hintergrund, ob die jeweilige Anlageform für die Altersvorsorge geeignet ist oder nicht. Ob und in welcher Art und Weise dies überhaupt zulässig ist, war schnell Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen. Der Anstoß jedenfalls erregte Aufmerksamkeit. Verbraucher- und Finanzpolitiker sollen Modelle für eine ähnliche Kennzeichnung von Finanzprodukten erwägen. Der Versuch erfährt jedoch berechtigte Kritik, da er die grundverschiedenen, individuellen Bedürfnisse eines Anlegers durch eine standardisierte Kategorisierung niemals angemessen berücksichtigten kann.

Der vom BMF vorgestellte Entwurf eines "Gesetzes zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes" will Wertpapierdienstleistungsunternehmen nun gesetzlich dazu verpflichten, rechtzeitig vor dem Abschluss eines Geschäfts über Finanzinstrumente dem Kunden ein kurzes und leicht verständliches "Kurzinformationsblatt" zu dem jeweiligen Finanzinstrument zur Verfügung zu stellen. Ziel dieser Regelung soll es sein, den Kunden - ähnlich einem "Beipackzettel" bei Medikamenten - kurz und übersichtlich, das heißt in leicht verständlicher Weise die jeweiligen Charakteristika von Finanzprodukten aufzuzeigen.

Obwohl es wünschenswert wäre, wenn sowohl dem Anlageberater als auch dem Kunden derart verdichtete Informationen zur Verfügung gestellt werden, ist zu bezweifeln, ob es tatsächlich möglich ist, über ein standardisiertes Muster eine Vergleichbarkeit zwischen sämtlichen am Markt vorhandenen Kapitalanlagen zu erzielen. Im Übrigen stellt sich die Frage, warum der deutsche Gesetzgeber an dieser Stelle einen nationalen Alleingang startet, obwohl der europäische Gesetzgeber in der OGAW IV Richtlinie ebenfalls die Einführung eines Produktinformationsblattes vorsieht und dort konkrete Anweisungen gibt, wie ein solches Produktinformationsblatt zu gestalten ist. Es würde das Ziel einer komprimierten Information konterkarieren, wenn der Anleger künftig "doppelt" informiert werden müsste und ihm dadurch noch mehr Unterlagen ausgehändigt werden.

Neben der Frage, welche Angaben unbedingt in dem Kurzinformationsblatt enthalten sein müssten, tritt vor allem die Gefahr auf, dass der Anleger nur noch das Kurzinformationsblatt zur Kenntnis nimmt und den ausführlichen Prospekt jetzt erst Recht nicht mehr liest. Ob und wie sich dadurch die Haftungssituation zulasten der Anbieter und Verwender verschieben kann, ist noch völlig ungeklärt.

Keine Rede mehr vom "Grauen Kapitalmarkt"

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das BMF eine neuartige Sanktionierung im Zusammenhang mit seiner Transparenzoffensive erwägt, nämlich die Einführung einer bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) angesiedelten besonderen Datenbank. Dort sollen Anlageberater, Vertriebsverantwortliche und Compliance-Beauftragte namentlich erfasst werden. Ermittelt die BaFin schwerwiegende Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften, unter anderem Transparenzgebote sind Sanktionsmöglichkeiten bis hin zu einem zweijährigen Abzug des fraglichen Mitarbeiters aus der Anlageberatung oder Vertriebsverantwortung vorgesehen.

Schließlich wird über eine Verschärfung der Anforderungen an Prospekte für "Graumarktprodukte" nachgedacht. Dies erschließt sich nicht unbedingt, da an den Prospektinhalt geschlossener Fonds, die tradiert dem sogenannten "Grauen Kapitalmarkt" zugeordnet werden, seit 2005 bereits sehr hohe formale Anforderungen gestellt werden. Die gesetzlich vorgeschriebenen Verkaufsprospekte sind anderen regulierten Finanzprodukten in puncto Transparenz seitdem durchaus ebenbürtig. Gerade in Bezug auf die Offenlegung von Risiken, Kosten und Provisionen sind hier umfassende Vorgaben bereits heute etabliert, sodass von "Grauem Kapitalmarkt" eigentlich keine Rede mehr sein dürfte.

Individuelle Aufklärung der Anleger

Der Vertrauensverlust der Anleger im Zuge der Finanzmarktkrise hat weitreichende Konsequenzen für den Vertrieb von Finanzprodukten. Ein möglichst hohes Maß an Transparenz ist sicher wichtig, um ein neues Vertrauensverhältnis zwischen Kunden und Beratern herzustellen. Die Frage ist allerdings, mit welchen Mitteln dies erreicht werden kann und ob die durch die Politik postulierten Anforderungen in der Praxis wirklich zu erfüllen sind. Der Erfolg der in diesem Bereich geplanten gesetzlichen Änderungen wird entscheidend davon abhängen, ob der Gesetzgeber hier mit Augenmaß und im Gleichklang mit europäischen Vorstellungen agiert.

Die Transparenzvorschriften auf der Produktebene sind heute schon sehr umfassend. Möglicherweise sind sie sogar zu umfangreich, sodass etwa ein komprimiertes Produktinformationsblatt sinnvoll und hilfreich sein kann. Eine noch so vollständige und verständliche Information kann jedoch die individuelle Aufklärung der Anleger nicht ersetzen. Mehr Transparenz in den Prospekten ohne Berater mit fundierter Qualifikation, die die Inhalte verlässlich vermitteln, wird das Misstrauen der Kunden sicher nicht beseitigen.

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