Agile Produktentwicklung

Dr. Claudia Klausegger

Quelle: privat

In der traditionellen Form der Produktentwicklung wird eine Idee ausgearbeitet, ein Business- und Budgetplan erstellt, ein Projektplan entwickelt und das Produktangebot erarbeitet. In der agilen Produktentwicklung gibt es eine grobe Idee, jedoch kein festgelegtes Ziel und nach jedem Arbeitsschritt werden die Ergebnisse mit dem Kunden abgeglichen. Durch agile Produktentwicklung werden Unternehmen in unserer schnelllebigen Zeit den sich immer rascher ändernden Bedürfnissen ihrer Kunden besser gerecht und die Gefahr, über einen längeren Zeitraum in die falsche Richtung zu investieren, wird reduziert.

In den bestehenden Produktangeboten traditioneller Banken spiegeln sich oft über Jahrzehnte gewachsene Strukturen wider und es ist nicht unüblich, dass der Vertrieb nur über eine kleine Auswahl des Produktportfolios große Teile des Geschäfts generiert. Die Digitalisierung schreitet aber rasch voran. Die von den Konsumenten, Neobanken und Bigtechs ausgehende wachsende Dynamik verlangt nach agileren Wegen der Produktentwicklung. Für die traditionellen Hausbanken steigt der Druck, die Chancen der digitalen Transformation wahrzunehmen und bei der Produktentwicklung innovativer, flexibler und anpassungsfähiger zu werden. Das Problem von zu wenig passgenauen Produkten ist oftmals die Folge starrer, unflexibler Produktentwicklungsprozesse und Silodenken, das Interdisziplinarität und abteilungsübergreifende Zusammenarbeit in der Produktentwicklung hemmt.

Es ist mittlerweile oldschool, ein Produkt oder ein Dienstleistungsangebot jahrelang zu entwickeln, um es in mehrfach getesteter und möglichst ausgereifter Form auf den Markt zu bringen. Diese herkömmliche Art der Produktentwicklung - Idee, Planung, Entwicklung, Umsetzung, Vertrieb - kostet viel Zeit und Geld.

Um die Entwicklungszeiten zu reduzieren, ist mit der agilen Produktentwicklung eine neue Art der Produkt- und Serviceentwicklung entstanden. Agile Produktentwicklung soll sicherstellen, dass Unternehmen schneller und kundenorientierter agieren. Es geht aber nicht nur um größere Schnelligkeit, sondern vor allem um Innovationen. Agile Produktentwicklung bedeutet eine raschere kundenzentrierte Produktgestaltung unter Einbindung aller relevanten Personen im Unternehmen. Die zentralen Vorteile liegen in der schnelleren (Weiter-)Entwicklung wesentlicher Leistungsbestandteile und der Schaffung innovativer werthaltiger Produkte.

Um erfolgreich und schnell neue Produkte entwickeln und einführen zu können, muss ein agiles Setup entwickelt werden. Die Prozesskomponente bezieht sich auf die definierten Arbeitsschritte, Beteiligten und Aufgaben sowie die Qualitäts- und Dokumentationsanforderungen. Dabei geht es von der Ideengenerierung, der Öffnung des Ideenraums über die Konzeption eines Leistungsversprechens bis zur iterativen Erprobung mit Kunden, Vermittlern oder anderen Bereich, bevor als Ergebnis die finale Produktdefinition feststeht.

Bei der Kulturkomponente geht es um die Umgebung, in der der Entwicklungsprozess stattfindet. Diese soll agiles Arbeiten fördern, um den Einsatz kreativer "kundenzentrierter" Techniken erfolgreich zu machen. Damit ist ein Management-Commitment aller Führungskräfte zum "agilen Arbeiten" notwendig, um den Entwicklungsteams die erforderlichen Freiheitsgrade einzuräumen. Oftmals muss die existierende Unternehmenskultur stark verändert und angepasst werden. Die Praxis zeigt, dass für eine agile Produktentwicklung die starke Einbindung unterschiedlicher Abteilungen notwendig ist und es mitunter einer professionellen Unterstützung bedarf, um die erforderlichen Veränderungen nachhaltig zu etablieren.

Unterschiedliche Methoden

Für die agile Produktentwicklung können unterschiedliche Methoden, wie zum Beispiel Design Thinking oder Design Sprint eingesetzt werden. Die zur Auswahl stehenden Methoden setzen an verschiedenen Stufen des Entwicklungsprozesses an und werden abhängig von der jeweiligen Herausforderung gewählt. Unabhängig von der Wahl des jeweiligen Instruments weisen alle Methoden der agilen Produkt- und Serviceentwicklung folgende typische Merk male auf: Sie gehen vom Kunden aus und lösen dessen Probleme. Sie zielen auf Geschwindigkeit ab. Sie arbeiten mit Prototypen und schauen, wie der Markt reagiert, bevor das Produkt flächendeckend auf den Markt gebracht wird. Sie sind offen im Ausgang. Sie arbeiten iterativ, also mit Annäherungen. Nach dem Motto Trial and Error werden Fehler in frühen Stadien gemacht und korrigiert.

Der Umstieg auf mehr Agilität in der Produktentwicklung ist für die meisten Banken nicht einfach, weil sie vor neue, anfangs nicht leicht lösbare Herausforderungen gestellt werden. Traditionsbanken könnten durch agile Produktentwicklung jedoch wichtige Optimierungspotenziale identifizieren, was den hoch erscheinenden Umstellungsaufwand rechtfertigt.

Die Kunden einbeziehen

Eine zentrale Prämisse der agilen Produkt- und Serviceentwicklung ist, dass der Kunde frühzeitig und permanent in den Prozess eingebunden wird. Es braucht viel Überzeugungsarbeit, eine bestehende Produktentwicklungskultur zu verändern und die Aufmerksamkeit stärker in Richtung Kunden zu lenken, damit die tatsächlichen Wünsche und Bedürfnisse Berücksichtigung finden. Allzu oft herrscht eine andere Auffassung davon, was der Kunde möchte, wofür er bereit ist zu zahlen und wofür nicht. Durch die agile Entwicklung der Produkte/Leistungsangebote erfahren Banken, welche Features oder Leistungsbestandteile reduziert oder wegfallen können, weil der Kunde sie nicht braucht oder welche Features fehlen, die der Kunde sich erwarten würde.

Das Wichtigste bei der agilen Anpassung an das sich rasch ändernde technologische Umfeld ist es daher, die Kundenbedürfnisse nicht aus dem Auge zu verlieren. Steve Jobs (1955-2011), Apple-Mitgründer und langjähriger Apple-CEO meinte dazu schon 1997: "You've got to start with the customer experience and move backwards to the technology".

Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor der Wirtschaftsuniversität Wien, ewald.judt[at]wu.ac[dot]at. Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien, claudia.klausegger[at]wu.ac[dot]at.

Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
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