Digitaler Vertrieb - Gefahr im Verzug

Anzahl der Fintech-Kooperationen von Banken und Versicherungen in Deutschland 2012 bis 2017 Quelle: PwC

An der Anzahl der Fintech-Neugründungen kann man ein Stück weit ablesen, wo die Digitalbranche die größten Potenziale im Bereich Finanzdienstleistungen sieht. Waren es anfangs vor allem Start-ups, die sich mit dem Payment befassten, sind es inzwischen die Insurtechs, die am schnellsten zunehmen. Das passt zu der beobachteten Ertragsverschiebung im Retailbanking, in dem der Versicherungsbereich immer wichtiger wird.

Versicherungsabschluss per Sprachassistent

Damit wird der Handlungsbedarf für den Bankvertrieb immer größer. Denn wenn Insurtechs immer neue Ansätze finden, wie sich Abschluss und Verwaltung von Versicherungsverträgen für den Kunden vereinfachen lassen, dann wird es immer absurder, wenn Banken und Sparkassen daran festhalten, dafür auf den Berater zu verweisen, und nicht einmal Online-Rechner bereitstellen. Das aber ist bei vielen Kreditinstituten noch die Regel.

Ein Beispiel dafür, wie der klassische Bankvertrieb gleichsam rechts überholt wird, bietet die Deutsche Familienversicherung AG, Frankfurt am Main. Bereits 2017 hat das Insurtech als erstes deutsches Versicherungsunternehmen einen eigenen Alexa-Skill auf dem Markt gebracht. Damals wurde die Idee, über den smarten Lautsprecher Versicherungsabschlüsse durchzuführen, noch durch die fehlende Verbindung zwischen Amazon Echo und Amazon Pay verhindert.

Durch intensive Zusammenarbeit mit Amazon und Amazon Pay und dank dem eigenen modernen, Event- und Java-basierten IT-System, ist es aber nun gelungen, den volldigitalen Abschluss über Amazon Echo Realität werden zu lassen, so Dr. Stefan M. Knoll, Gründer & CEO der Deutschen Familienversicherung. Der Kunde könne sich nun nicht mehr nur von Alexa beraten lassen, sondern zeitgleich, innerhalb weniger Sekunden, eine Versicherung abschließen. Zum Start gilt das nur für die Auslandsreisekrankenversicherung, weitere Produkte sollen jedoch sukzessive folgen: Haftpflichtversicherung, Kranken und Sach.

Potenzial dafür scheint es heute schon zu geben. Laut der von Adcubum veröffentlichten Studie "Digitale Versicherung 2018" kann sich fast jeder fünfte Deutsche unter 35 Jahren einen Versicherungsabschluss über digitale Sprachassistenten vorstellen. Zudem hat sich die Nutzeranzahl bei Alexa & Co. in den letzten drei Jahren mehr als verdoppelt, so eine Statista-Umfrage zur Nutzung von virtuellen digitalen Assistenten.

Die Assekuranz auf Aufholjagd

Die Assekuranz hat inzwischen begonnen, sich dem neuen Wettbewerb zu stellen. Und obwohl die Versicherer im Vergleich mit den Banken später mit der Digitalisierung und auch mit der Zusammenarbeit mit Fintechs begonnen haben, sind sie in dieser Hinsicht inzwischen auf Aufholjagd.

Das zeigt zum Beispiel der aktuelle Fintech-Kooperationsradar von PwC vom Oktober dieses Jahres. Die erste dokumentierte Fintech-Partnerschaft einer Bank gab es demnach im Jahr 2012. Die Assekuranz war erst zwei Jahre später so weit. Im Jahr 2015 gab es bereits 46 Kooperationen von Banken mit Fintechs, hingegen erst 14 von Versicherungen. 2017 hatten die Versicherer mit bereits 107 Partnerschaften vereinbart, gegenüber 162 bei den Banken. Das Wachstum bei der Anzahl der Kooperationen ist demnach bei der Assekuranz in etwa doppelt so stark.

Dem ersten World Insurtech Reports von Capgemini and Efma zufolge schätzt die Versicherungsbranche in Deutschland vor allem die Fähigkeit, neue Services und Produkte in Kooperation mit Insurtechs schneller am Markt einführen zu können. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil die Branche erwartet, dass sich durch Bigtechs (wie Google, Amazon, Facebook, Apple, Alibaba oder Tencent) und Automobilhersteller ganz neue Wettbewerbssituationen ergeben.

Plattformökonomie verändert auch den Versicherungsvertrieb

Unter den etablierten Versicherern identifizierten 81 Prozent Amazon als die Hauptquelle für potenziellen neuen Wettbewerb, 59,5 Prozent verwiesen auf andere Bigtechs (wie Alibaba) und Produkthersteller. In Deutschland sehen sogar 100 Prozent Amazon als die Hauptbedrohung an und 83,3 Prozent andere Bigtechs.

Doch auch in anderer Hinsicht geht das Stichwort "Plattformökonomie" am Versicherungswesen nicht vorbei. Nicht von ungefähr ist die Zurich Versicherung im Oktober dem Bundesverband Deutscher Fertigbau e.V. als Fördermitglied beigetreten, um Smart-Home-Lösungen zum Durchbruch zu verhelfen, der Fertigbaubranche im Rahmen der Kooperation ihr Know-how in Fragen der Smart-Home-Absicherung zur Verfügung zu stellen und sich auf diesem Weg den Bauherren von Fertighäusern als Versicherungspartner anzudienen. Das zeigt, wie sehr sich herkömmliche Prozesse verändern könnten.

Dass Insurtechs die Fähigkeiten der etablierten Versicherer verbessern können, gaben in der Studie 35,4 Prozent der Versicherer weltweit an, in Deutschland 33,3 Prozent. Diese Einschätzung teilen die Insurtechs weltweit zu 33,3 Prozent und in Deutschland zu 20 Prozent.

Vorteile eines Schulterschlusses mit Fintechs sehen die deutschen Versicherer vor allem der schnelleren Markteinführung neuer Produkte und Services - darin waren sich alle Studienteilnehmer einig. Es folgt die Verbesserung des Kundenerlebnisses, aber auch die Fähigkeit der Insurtechs, neue Einnahmequellen zu erkunden (beides 66,7 Prozent). Insbesondere beim Blick auf mögliche neue Ertragsquellen sind die Erwartungen der deutschen Versicherer sehr viel höher als im internationalen Durchschnitt.

Welche Position der Bankvertrieb in dieser ganzen Gemengelage künftig haben wird, ist heute noch schwer auszumachen. Ganz wesentlich wird das von der Weiterentwicklung der Vertriebsansätze sowie der Kooperationsmodelle abhängen. Denn eines scheint ausgemacht: Auch bei Versicherungen wird sich der Trend zum Online-Abschluss verstärken.

Natürlich bietet sich der nicht bei allen Produkten gleichermaßen an und natürlich gibt es - vor allem bei den personengebundenen Versicherungen - Produkte, zu denen für viele Menschen eine Beratung sinnvoll sein könnte. Die Menschen in diesen Vertriebskanal zwingen zu wollen, wird aber auf Dauer nicht funktionieren.

Den muss vielleicht auch der Regulator stärker als bisher Rechnung tragen. So, wie das Schriftformerfordernis beim Ratenkredit sich in der digitalen Welt als hinderlich erweist, können auch Beratungsanforderungen im Versicherungsgeschäft auf Dauer eine Hürde sein, die sich als konterproduktiv erweist, weil sie den unkomplizierten Online-Abschluss mindestens erschweren und die Menschen damit vom Abschluss überhaupt abhalten. Dann wäre der beabsichtigte Verbraucherschutz eindeutig zu weit getrieben.

Potenziale bei weitem nicht ausgeschöpft

Auch dort, wo komfortable Online-Prozesse mühelos und ohne Konflikte mit gesetzlichen Anforderungen möglich sind, sind die Potenziale allerdings noch längst nicht ausgereizt. Hier wenigstens müssten Banken und ihre Versicherungspartner ansetzen, um sich zeitgemäßer zu positionieren und ihre Marktposition zu verteidigen. Derzeit landet derjenige, der bei Google nach Online-Abschlussmöglichkeiten für Versicherungsprodukte sucht, jedenfalls nicht bei einer Bank.

Auf erreichten Serviceverbesserungen für bestehende Versicherungskunden darf sich die Kreditwirtschaft deshalb keinesfalls ausruhen. Maßnahmen wie die Ende Oktober eingeführte automatisierte Videoidentifikation für die digitale Plattform der R+V Versicherung, die auf Künstlicher Intelligenz basiert und deshalb von der Verfügbarkeit eines Mitarbeiters gänzlich unabhängig ist, sind zweifellos gut und richtig. Sie können aber nur ein Anfang sein. Der Handlungsbedarf beim digitalen Vertrieb ist unverändert hoch. Und die Zeit dafür drängt.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X