Bargelddiskussion

Diskussion ums Bargeld: vielschichtiger, als es scheint

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Die Diskussion um das Bargeld ist deutlich vielschichtiger, als es auf den ersten Blick den Anschein hat, so Sebastian Serfas. Beide Seiten, Befürworter wie Gegner, scheinen auf den ersten Blick glasklare Argumente zu haben, die mantraartig wiederholt werden; auf den zweiten Blick jedoch wird deutlich, dass dies gar nicht unbedingt der Fall ist. So lassen sich die Argumente Schnelligkeit und Sicherheit - abhängig von der Situation oder dem Blickwinkel - ebenso gut auf die Barzahlung wie auf das bargeldlose Bezahlen anwenden. Und in Sachen Anonymität weicht der wahrgenommene Wert deutlich von dem gelebten Wert ab, zumal der Verbraucher überall seine Datenspuren hinterlässt. Red.

Sie ist überall und allgegenwärtig: die Diskussion ums Bargeld. Egal ob in der Zeitung oder im Radio, im Fernsehen oder am Stammtisch. Dabei ist das Thema nicht neu. Seit Jahren schon taucht es regelmäßig auf - und wieder ab. Seit jedoch Anfang Februar EZB und Bundesregierung offen über konkrete Maßnahmen nachdenken, ist die Diskussion in Deutschland richtig entflammt. Und mit ihr die Rhetorik. So liest man in Zeitungsüberschriften regelmäßig vom "Angriff auf das Bargeld" und vom "Krieg gegen das Bargeld", von Kriminellen mit Koffern voller 500-Euro-Scheinen und von der "Rettung von Freiheit und Bargeld". Doch blickt man hinter die martialische Rhetorik auf die Argumente, dann wird eines schnell klar: Die Lage ist lange nicht so eindeutig wie sie - von beiden Lagern - dargestellt wird. Dies fängt bereits bei den Vorteilen der Barzahlung beziehungsweise des bargeldlosen Zahlens an.

Einfach, schnell und sicher: es kommt drauf an

Bargeldloses Zahlen ist einfach, schnell und sicher. Barzahlen auch. Also was jetzt? Es kommt wie so oft darauf an! Wenn die Technik mitspielt und alles passt, dann geht die bargeldlose Zahlung schnell und einfach. In der Praxis hakt es da jedoch oft noch.

Nicht selten kann man im Supermarkt beobachten, dass das Zahlen mit Karte weder schnell noch einfach ist. Karte verkehrt herum eingesteckt, PIN vertippt, Terminal mit Fehlfunktion und anderes. Ein ähnliches Bild beim Barzahlen. Das kann schnell und einfach gehen, tut es aber auch nicht immer: Der Kunde kramt eine gefühlte Ewigkeit im Geldbeutel um die letzte fehlende Centmünze zu finden, ein Geldstück fällt aus der Hand und kullert über den Boden, der Kassierer hat das Wechselgeld nicht mehr passend in der Kasse und muss eine neue Münzrolle öffnen. Beide Arten des Bezahlens können also schnell und einfach sein - oder zeitraubend und nervenzehrend. Es kommt drauf an.

Zwei Seiten der Medaille beim Thema Sicherheit

Auch beim Thema Sicherheit gibt es unterschiedliche Blickwinkel. In Umfragen wird Bargeld häufig als sicherer eingeschätzt - schließlich liest man in schöner Regelmäßigkeit von Hackerangriffen, Phishing-Attacken und Kreditkartenbetrug. Diese nehmen auch tatsächlich zu und verursachen enorme gesamtwirtschaftliche Schäden.

Aber auch das ist wieder nur eine Seite der Medaille. Denn Bargeld ist zwar erst einmal sicher vor Cyberangriffen, dafür aber anfällig für Taschendiebstahl, Trickbetrügereien und Einbruchdiebstähle. Und dies ist leider auch keine Seltenheit, ganz im Gegenteil. Es steht nur seltener auf der Titelseite der Zeitung. Ein klassischer Fall von kognitiver Wahrnehmungsverzerrung. Zudem übersehen viele die Tatsache, dass geklautes Bargeld meist unwiederbringlich weg ist, wohingegen bei Kreditkartenbetrug das Kreditkartenunternehmen die illegale Abbuchung zumeist wieder gutschreibt, auf dessen Kosten beziehungsweise Kosten der Versicherung. Auch hier ist die Welt also lange nicht so schwarz oder weiß wie einem dies die Diskutanten beider Lager darstellen.

Der Wert der Anonymität

Eine der häufigsten Aussagen der Bargeldbefürworter lautet "Bargeld ist geprägte Freiheit", angelehnt an ein Wort des russischen Schriftstellers Fjodor Dostojewski. Die Nutzung von Bargeld steht in der Diskussion häufig als Synonym für Freiheit, Privatsphäre und Anonymität. Entsprechend groß war der Aufschrei, als die ersten Gedanken von EZB und Bundesregierung zur möglichen Einführung von Einschränkungen der Bargeldnutzungsmöglichkeiten bekannt wurden.

Gerade beim Aspekt der "Anonymität" zeigt sich jedoch ein bemerkenswertes Phänomen, das auch bei anderen Themen zu beobachten ist: der "wahrgenommene" Wert der Anonymität weicht deutlich vom gelebten Wert ab! Wenn man danach fragt, wie wichtig einem diese ist, erhält man eine klare Antwort: sehr wichtig! Fragt man jedoch - wie in einer FOM-Umfrage vom September 2015 -, ob jemand zumindest gelegentlich bereit wäre, für die Zahlung mit Bargeld einen geringen Aufpreis von maximal ein bis zwei Prozent zu zahlen (gegenüber einer bargeldlosen Zahlung), um dadurch anonym bleiben zu können, so erhält man von 84 Prozent der Befragten ein klares Nein.

Privatsphäre und der gläserne Nutzer

Nachdenklich machen sollte auch, dass der durchschnittliche Deutsche bereits heute im Hinblick auf Privatsphäre und Datenschutz nicht gerade übervorsichtig ist. Dank Payback, Deutschlandcard & Co. werden beim Einkauf - auch bei Barzahlung - bereits heute Unmengen an Daten preisgegeben, für Rabatte im Promillebereich. Aktivitäten in sozialen Netzwerken sind eine Goldgrube für Datensammler, und Tracking-Möglichkeiten auf Mobiltelefon, Smart-Watch & Co. sorgen längst für den "gläsernen Nutzer".

Hinzu kommt, dass bereits heute ein Großteil unserer Transaktionen bargeldlos ist: Gehalt, Miete, Rente, Strom, Wasser, Versicherungen, Telefon, Rundfunkbeitrag, Online-Shopping, Steuern. Sind Anonymität und Privatsphäre also schon Geschichte? Ganz so schlimm ist es noch nicht, aber die obigen Punkte zeigen, dass auch hier die Bargelddiskussion deutlich vielschichtiger ist, als man dies auf den ersten Blick denken könnte oder suggeriert bekommt.

500-Euro-Schein - im Alltag kaum genutzt

Zudem geht es aktuell ja überhaupt nicht um die vollkommene Abschaffung des Bargelds, was viele Diskutanten im Eifer des Gefechtes übersehen - oder bewusst unter den Tisch fallen lassen. Vorerst geht es primär um eine mögliche Abschaffung des 500-Euro-Scheins sowie eine Barzahlungsobergrenze im mittleren vierstelligen Bereich.

Der 500er ist der größte Geldschein der Eurozone, sogar einer der größten Scheine weltweit. In den USA ist beispielsweise der 100-Dollar-Schein die größte Banknote. Laut EZB waren 2015 insgesamt mehr als 300 Milliarden Euro in 500er-Scheinen im Umlauf (zum Vergleich: beim 200er-Schein sind es nur zirka 40 Milliarden Euro, beim 100er-Schein etwas mehr als 210 Milliarden Euro), das entspricht fast 30 Prozent des gesamten Bargelds in Europa. Da stellt sich die Frage: Wo sind die vielen 500-Euro-Scheine?

Umfragen zeigen, dass diese typischerweise nicht im Geldbeutel der Deutschen sind. Auch in Geschäften und Tankstellen werden sie nur äußerst selten gesehen - zumeist sogar per Hinweisschild "abgelehnt". Wo stecken die 500er-Scheine also? Für Notenbankchef Mario Draghi ist die Lage klar: "Der 500-Euro-Schein ist ein Instrument für illegale Aktivitäten". Das ist vermutlich ein gewichtiger Teil der Antwort, und - zumindest hinter vorgehaltener Hand - stimmen dem auch viele Bargeld-Befürworter bis zu einem gewissen Grad zu.

Ein anderer Teil der Antwort zeigt, dass der 500-Euro-Schein - ganz legal - durchaus auch zur Wertaufbewahrung genutzt wird, sowohl innerhalb der Eurozone (zum Beispiel verstärkt in Griechenland) als auch außerhalb der Eurozone, unter anderem in Osteuropa und der Türkei. Im alltäglichen Leben wird er trotzdem kaum genutzt. Und da sind sich ausnahmsweise fast alle einig.

Offenbar würde die Abschaffung des 500-Euro-Scheins - isoliert betrachtet - also kaum jemanden ernsthaft einschränken, und Umfragen zeigen, dass die Auswirkungen auf das tägliche Leben bestenfalls minimal wären, zumal man zur Wertaufbewahrung immer noch auf kleinere Geldscheine ausweichen kann.

Erster Schritt zur Bargeldabschaffung

Warum also dann die hitzige Diskussion um die Abschaffung des 500-Euro-Scheins? Kritiker sehen darin den "ersten Schritt zur vollständigen Bargeldabschaffung". Und darin liegt auch der Schlüssel für scheinbar sehr widersprüchliche Umfrageergebnisse:

- Geht es isoliert um den 500-Euro-Schein und dessen Abschaffung, dann würden zwei Drittel die Abschaffung befürworten.

- Verknüpft man dies jedoch mit der Aussicht auf ein drohendes vollständiges Bargeldverbot, dann drehen sich die Mehrheitsverhältnisse.

Schon anhand dieser wenigen ausgewählten Beispiele zeigt sich wieder die Vielschichtigkeit der Diskussion.

Barzahlungsobergrenzen taugen kaum zur Kriminalitätsbekämpfung

Ähnlich vielschichtig ist die Diskussion um die mögliche Einführung einer Obergrenze für Barzahlungen. Die Befürworter geben ein klares Ziel aus: Bekämpfung von organisierter Kriminalität, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Bei genauerer Analyse ist die Argumentation jedoch nicht so klar, wie es auf den ersten Blick erscheint. Die meisten Experten erwarten durch die Einführung von Barzahlungsobergrenzen nur minimale Auswirkungen auf die genannten kriminellen Aktivitäten. Den berühmten "Geldkoffer" sieht man eher im TV als in der Realität. Geldwäsche funktioniert bargeldlos ebenfalls - zumindest solange nur ausgewählte, große Zahlungen überwacht werden. Und die organisierte Kriminalität betätigt sich längst digital. So ist beispielsweise Kreditkartenbetrug meist deutlich lukrativer und risikoärmer als der klassische Banküberfall.

Auch die Erfahrungen aus anderen Ländern wie Frankreich, Spanien, Portugal oder Italien, in denen Barzahlungsobergrenzen bereits Realität sind, sind bisher eher ernüchternd im Hinblick auf die Auswirkungen auf die genannten kriminellen Aktivitäten. Doch warum dann die Gedankenspiele um die Einführung einer Obergrenze für Barzahlungen, die - ausgehend von der diskutierten Höhe von 5 000 Euro - den überwältigenden Großteil aller Transaktionen des täglichen Lebens gar nicht betreffen würde?

Ein möglicher weiterer Aspekt liegt im steuerlichen Bereich. Durch eine entsprechende Regelung wären größere Transaktionen - beispielsweise am Bau, beim Gebrauchtwagenhändler, beim Schmuckkauf et cetera - leichter zu erfassen und mit Steuerdaten abzugleichen, um dadurch Steuerhinterziehung zu erschweren. Auch hier ist die eigentliche Diskussion also deutlich vielschichtiger als sie auf den ersten Blick scheint und dabei wurden viele Aspekte hier noch gar nicht angesprochen, angefangen von der rechtlichen Seite bis hin zu Überlegungen in Verbindung mit Negativzinsen.

Auswirkungen auf die Banken noch unklar

Im Bankensektor stoßen die Überlegungen von EZB und Bundesregierung ebenfalls auf ein geteiltes Echo. Auch hier gibt es Befürworter und Gegner von Bargeldrestriktionen. Was die möglichen Maßnahmen für die Banken konkret bedeuten würden, lässt sich noch schwer abschätzen.

Fakt ist, dass Bargeld sowohl bei den Banken als auch im Handel Kosten verursacht (Lagerung, Transport, Ausgabe und Entgegennahme, Versicherung), auch wenn über die Höhe sehr unterschiedliche Angaben kursieren. Dass diese Kosten allein durch die Abschaffung des 500-Euro-Scheins deutlich sinken würden, wird von den meisten Experten allerdings bezweifelt. Klar scheint dagegen, dass auf die Banken vermutlich erst mal Kosten sowie personeller, zeitlicher und organisatorischer Aufwand zukommen würden, wenn die 500-Euro-Scheine nach und nach aus dem Verkehr gezogen würden - denn dies geschähe voraussichtlich durch die Banken vor Ort.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Diskussion ums Bargeld deutlich vielschichtiger ist, als dies auf den ersten Blick den Anschein hat, und dass die Interessenslage durchaus als komplex und vielseitig einzustufen ist. Bleibt die Frage wie es weitergehen wird? Die meisten Experten sind sich einig, dass die beiden angedachten Bargeldrestriktionen früher oder später kommen werden. Davon geht Umfragen zufolge auch die Mehrheit der Deutschen aus. Wann, in welcher Form und in welcher Ausgestaltung dies geschehen wird, das wird sich voraussichtlich in den kommenden Monaten zeigen. Die Diskussion wird also vorerst weitergehen.

Zum Autor Prof. Dr. Sebastian Serfas, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Finance & Accounting, FOM Hochschulzentrum Nürnberg
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