Start-ups im Retailbanking

Gefährlicher Glaube an die Bank

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Die Rufe der Finanzindustrie nach einer Regulierung für Fintechs erinnern stark an die Bemühungen der Musikindustrie, so die Autoren. Sie spiegeln die Hilflosigkeit einer Branche wider, die ihr Geschäftsmodell infrage gestellt sieht. Denn bislang haben Kreditinstitute vielfach zu schleppend auf die kommunikativen Herausforderungen des Web 2.0 reagiert. Eine Transformation des Geschäftsmodells hin zu mehr "Direktheit" ist jedoch angesichts des Trends zur Digitalisierung unabdingbar, will man den Fintechs nicht das Feld überlassen. Die PSD Banken sind nach Einschätzung ihres Verbands hier in einer vergleichsweise guten Ausgangsposition. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass das Filialgeschäft weiter unter Druck gerät, ist eher hoch. Red.

Der deutsche Kaiser Wilhelm II. hatte einen unerschütterlichen Glauben: "Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist nur eine vorübergehende Erscheinung!" Wie man weiß, kam alles anders. Ein unerschütterlicher Glaube existiert prinzipiell auch in Bezug auf das Bankgewerbe. Zur Jahrtausendwende sorgte der Gründer von Microsoft, Bill Gates, mit einem kurzen Satz für Furore: "Banking is necessary, banks are not". Niemand weiß, ob sich dieser Satz in Zukunft bewahrheiten wird. Allerdings tauchen nahezu täglich neue technische Lösungen auf, die Teile des Bankgeschäfts substituieren - ohne Bank.

Dafür gibt es jetzt viele neue englische Begriffe, die dies umschreiben: Mobile Payment, Near-Field-Communication oder Crowdinvesting. Bis heute sind in den USA über 3,4 Milliarden US-Dollar in die Finanzierung von Start-ups geflossen, die als sogenannte Fintechs definiert werden.

Fintech ist ein Kofferwort und vereint die Begriffe "financial services" und "technology". Wikipedia beschreibt dies wie folgt: "Die Anwendungen beziehungsweise Produkte dieser Fintechs ermöglichen es Verbrauchern, ohne Mittelsmann direkt über das Internet Geld anzulegen, Kredite aufzunehmen, Bezahlvorgänge abzuschließen oder eine Finanzberatung in Anspruch zu nehmen. Begünstigt werden die Angebote dieser Unternehmen durch die rasante Verbreitung von Smartphones, Laptops und Tablets in Verbindung mit nahezu ständigem Zugriff auf das Internet."

Und dieser Trend wird ohne Zweifel anhalten: Nicht nur die Jugendlichen von heute - und somit die Bankkunden von morgen - sind schon jetzt stärker auf mobile Endgeräte konditioniert als auf den Besuch in einer Bankfiliale. Große Unternehmen wie Google, Facebook und sogar eine deutsche Otto-Group steuern mit dv-technischen bankwirtschaftlichen Angeboten und Volldampf ebenfalls in diese Richtung und befeuern einen Wandel, der von der genossenschaftlichen Finanzgruppe viel stärker als bisher beachtet werden sollte.

Bisher nur die Spitze des Eisbergs im Blick

Wenn ein Unternehmen wie Apple ankündigt, eine Bezahlfunktion in sein neues Smartphone einzubauen, sieht plötzlich jeder den Eisberg der neuen technologischen Möglichkeiten und die Bedrohungen, die daraus für das Geschäftsmodell der klassischen Bank entstehen können. Allerdings befinden sich 90 Prozent eines Eisberges bekanntlich unter Wasser.

- Seit Oktober 2014 können Twitter-Nutzer in Frankreich Kleinstbeträge kostenlos über den Zwitscherdienst verschicken.

- Google hält eine Lizenz für elektronisches Banking und hat mit Google Wallet bereits 2011 in den USA ein eigenes Zahlungssystem gestartet.

- Im Quellcode des neuen Messenger von Facebook ist nach Medienberichten eine Bezahlfunktion schon einprogrammiert.

- Und die Tochtergesellschaft des US-Unternehmens Ebay, Paypal, verfügt über 230 Millionen Kunden in 193 Ländern und 25 Währungen.

Hilflosigkeit im Finanzgewerbe

Diese Spitze des Eisberges beziehungsweise Aufzählung könnte immer weiter fortgeführt werden. Jeder der jetzt denkt, dass doch die persönliche Kundennähe der Bank nicht von technischen Anwendungen ausgetauscht werden kann, übersieht, dass Unternehmen wie Apple, Amazon oder Ebay dank ihrer in Datenfarmen gesammelten Nutzerdaten die Kunden teilweise besser kennen als jeder andere.

Diese jetzt im Finanzgewerbe immer deutlicher anlandenden Digitalisierungswellen haben schon andere Branchen erlebt - mit teilweise umwälzenden Folgen. Vor allem große Musiklabels haben sich zu Beginn der Digitalisierung im Musikgeschäft nur darauf konzentriert, Onlinetauschbörsen und deren Nutzer zu verklagen, anstatt ihr Geschäftsmodell zu hinterfragen. Versandhändler mussten ihr katalogbasiertes Geschäftsmodell an die veränderten Bedürfnisse der Kunden anpassen. Die weiteren Auswirkungen für diese beiden Branchen dürften bekannt sein.

Vor allem die zuletzt aufkommenden Forderungen, dass Fintechs genauso hart und unbarmherzig wie jede Bank oder Sparkasse reguliert werden sollen, erinnern leider frappant an die Hilflosigkeit der Musikindustrie vor einigen Jahren. Weder diese Forderungen noch die Umsetzung derselben wird das Angebot der Fintechs und damit die aufkommende Konkurrenz zur klassischen Bank beseitigen.

Die Mitbewerber aus der Finanzbranche schlafen auch nicht. Die Commerzbank AG werkelt mit dem Unternehmen Main Incubator an neuen Lösungen für das Banking von morgen. Andere Großbanken wie HSBC, BBVA oder Sberbank haben in diesem Jahr Wagniskapitalfonds in Höhe von 1,1 Milliarden Euro aufgelegt, um gezielt in Fintechs zu investieren. Wer den teilweise kurz- bis mittelfristigen Anlagehorizont dieses Kapitals kennt, weiß, dass in jedem Fall eine Vielzahl von neuen Produkten beziehungsweise Anwendungen es innerhalb der nächsten fünf Jahre bis zur Marktreife schaffen werden. Und dann?

Transformation des Geschäftsmodells

Aktuelle Studien zur "Zukunft des Bankings" sind sich in vielen Dingen einig: Die Digitalisierung führt zu einer Transformation des Geschäftsmodells von Banken (A.T. Kearney, 2014). Das wichtigste Projekt für Banken ist die Verknüpfung digitaler und physischer Kanäle (Bain & Company, 2014). Banken sollen von den Fintechs lernen und den Online-Auftritt kundenorientierter gestalten und die Kundenkommunikation verbessern (Horváth & Partners, 2014). Weniger als 50 Prozent aller Besucheranfragen werden von Bankhomepages direkt beantwortet (Transversal, 2013). 70 Prozent der 10 000 befragten Personen, geboren zwischen 1981 und 2000, sind der Meinung, dass in fünf Jahren komplett anders bezahlt wird als heute (Scratch Viacom Media Networks, 2013).

Weitere Studien prognostizieren sogar eine Gefährdung der Erträge von Banken (Roland Berger, 2014). Es gibt Akteure im Finanzgewerbe, die diese Trends für sich aufgenommen haben und öffentlich darüber berichten. Laut Medienberichten entwickelt sich die Targobank von einer Multikanalbank zu einer "Omnikanalbank". Die Hypovereinsbank hat angekündigt, knapp 240 ihrer Filialen zu schließen, investiert aber stark in Videoberatung und ein verbessertes Internet- und Mobile-Banking-Angebot. Auch die Sparkassen Finanz-Informatik oder der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken nehmen Millionenbeträge für die Entwicklung zukunftsfähiger Webstrategien in die Hand. Aber was nützen die besten Strategien, wenn die Umsetzung in der breiten Fläche nicht zügig und effektiv beim Kunden ankommt? Die Antwort auf diese Frage wird sich wohl erst in den nächsten Jahren einstellen.

Chancen für Genossenschaftsbanken

Die Finanzbranche ist in den vergangenen Jahren durch viele dunkle Täler geschritten. Viel Vertrauen ist seit dem Jahre 2008 - nicht zuletzt durch die Finanzkrise - zerstört worden. Der einst sehr angesehene Beruf des Bankkaufmanns beziehungsweise der Bankkauffrau rangiert heute am unteren Ende der für junge Menschen in Betracht kommenden Berufe. Offensichtlich tut hier Information not - und dies entspricht auch den Ratschlägen der Studien: Banken sollen kundenorientierter agieren, ihre Kundenkommunika tion an das geänderte Kommunikationsverhalten anpassen und sich noch stärker auf die Bedürfnisse ihrer Kunden fokussieren. Vor allem genossenschaftlichen Banken, die sich in der Finanzkrise gut behauptet haben, bieten sich hier große Chancen.

Der Siegeszug von Social-Media-Anwendungen wie Facebook, Twitter und Co. hat in den vergangenen Jahren eindrucksvoll gezeigt, dass sich das Informations- und Kommunikationsverhalten der Menschen und somit der Kunden nachhaltig verändert. Besonders die Finanzbranche hat nur sehr schleppend auf die kommunikativen Herausforderungen von Web 2.0 reagiert. Die Einrichtung eines Facebook-Auftritts reicht nicht aus, um diese Form der direkten Kommunikation zwischen Kunde und Bank zu beherrschen. Diese "Direktheit" muss sich in Zukunft in der Kommunikation und im Produktangebot von Finanzdienstleistern noch stärker als bisher widerspiegeln.

Gute Position

Die PSD Bankengruppe hat diesen Weg behutsam eingeschlagen. So können Interessenten im Internetangebot der PSD Banken schon seit zwei Jahren direkt und ohne Umwege Geld anlegen. Aufgrund der hervorragenden Erfahrungen und wirtschaftlichen Ergebnisse rollen die PSD Banken auch den Produktdirektverkauf Kredit in diesem Jahr noch aus. Denn eigene Untersuchungen haben gezeigt, dass nahezu die Hälfte aller Interessierten eine Online-Antragsstrecke abbrechen, wenn diese "Arbeit" des Nutzers nicht auch zu einem direkten Ergebnis beziehungsweise Abschluss führt.

Der wesentliche Vorteil der Angebote von Fintechs ist doch, dass sie sich in der Regel monothematisch und technisch konzentriert auf eine bestimmte Anwendung beziehungsweise ein Thema fokussieren. Dabei wird die Anwendung vor allem auf den maximalen Komfort des Nutzers getrimmt. Dies betrifft sowohl die Anwenderfreundlichkeit als auch die Kommunikation. Auch dies ist eine Form von Direktheit. Und genau hieran müssen sich auch die Online-Angebote von Banken in Zukunft orientieren und messen lassen.

Filialgeschäft gerät weiter unter (Kosten-)Druck

Erste Vorboten dieser technischen Veränderungen und dieser Richtung sind beispielsweise die Video- und Chatberatung oder innovative Verfahren zur Feststellung der Legitimation. Sollte sich die technisch unterstützte Beratung unter Beachtung aller aktuellen und kommenden aufsichtsrechtlichen Anforderungen (zum Beispiel Aufzeichnungspflichten bei Beratungsgesprächen) durchsetzen, dann könnte dies das primär filialgestützte Bankgeschäft gehörig unter (Kosten-)Druck setzen.

Von daher ist die Ausrichtung beziehungsweise das Geschäftsmodell der PSD Bankengruppe als regionale, genossenschaftliche Direktbankengruppe mit einer ausgesuchten Anzahl an Filialen eine ideale Ausgangsbasis, um auf die kommenden Veränderungen zielgerichtet reagieren zu können. Aber nicht nur das Geschäftsmodell von Banken wird in den nächsten Jahren zunehmend unter Druck geraten.

Es gibt heute schon Angebote von Fintechs oder alternative Ansätze im Internet, die auf das Geschäft von Versicherungen und Bausparkassen abzielen. Alle Akteure des Finanzgewerbes werden also reagieren müssen. Die Frage ist nicht, ob diese reagieren, die Frage ist nur, wann sie reagieren.

Zu den Autoren

Rudolf Conrads, Vorsitzender des Vorstands, und Dr. Karl-Friedrich Walter, Vorstand, Verband der PSD Banken e.V., Bonn.

Rudolf Conrads , Vorstandsvorsitzender des Verbandes , Verband der PSD Banken e.V.
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