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Mittelstand: Finanzoptimierung ohne Bankkredit

Marcus Laube, Geschäftsführer, crossinx GmbH, Frankfurt am Main

Die Rolle von Fintechs bei der Finanzierung des Mittelstands gewinnt immer mehr an Bedeutung, konstatiert Marcus Laube. Auch er sieht die Potenziale besonders bei kleineren Unternehmen, für die die Bankfinanzierung immer schwieriger wird. Die Crux dabei: Kleine und mittelständische Unternehmen hadern oft noch mit der Digitalisierung, aus Angst vor langwierigen Projekten, übergroßer Komplexität und den Kosten. Die Umstellung auf E-Invoicing ist aber die Voraussetzung dafür, Lösungen im Rahmen der "Supply Chain Finance" nutzen zu können. Und die wiederum machen Banken als Intermediäre für die Zwischenfinanzierung von Lieferantenforderungen überflüssig. Red.

Fintech ist mehr als ein Hype, die Branche boomt. Und der Mittelstand? Der ist Deutschlands wirtschaftliches Rückgrat, gilt als innovativ, hadert aber mit der Digitalisierung. Für jedes Unternehmen kommt der Tag, an dem es finanzielle Mittel beschaffen muss. Im Ernstfall sichert eine Finanzierung die Existenz des Unternehmens. Die Vorbehalte des Mittelstands gegenüber der Fintech-Branche sind jedoch groß. Dabei profitieren kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) wie kaum eine andere Gruppe von den modernen Finanzdienstleistungen der Branche, die eine klassische Finanzierung über Banken oft sogar überflüssig machen.

Als Deutschlands wirtschaftliches Erfolgsmodell sind KMU unverzichtbar für Wachstum, Beschäftigung und Innovation. 99 Prozent der deutschen Unternehmen zählen zum Mittelstand, 60 Prozent aller Arbeitsplätze werden hier gestellt und 56 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung wird in kleinen und mittelständischen Unternehmen erarbeitet.

Der Weg zur passenden Finanzierungsvariante

Noch vor einigen Jahren waren Bankkredite das Mittel der Wahl. Im Zuge der Digitalisierung haben sich aber auch die Finanzprodukte weiterentwickelt. Mittlerweile gibt es ein zunehmend umfangreiches Angebot an Finanzierungsmöglichkeiten auf dem Markt. Dieses reicht von Bankkrediten über verschiedene Typen von Eigenkapitalgebern bis hin zu unterschiedlichen Crowdfunding-Ansätzen. Viele dieser Angebote kommen von Fintech-Unternehmen. Mal sind das Start-ups, mal bereits etablierte Player am Markt, von denen einige sogar bereits eine eigene Bank lizenz haben. Ihre Rolle in der Finanzierung des Mittelstands gewinnt immer mehr an Bedeutung.

Welche Art der Finanzierung für ein KMU die richtige ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wie groß ist das Unternehmen? Wofür wird das Kapital benötigt? Welche Sicherheiten kann das Unternehmen bieten? Die Antworten auf Fragen wie diese geben vor, ob das Unternehmen mit einem klassischen Bankkredit oder einer alternativen Finanzierungsform am besten bedient ist.

Ein guter Ansprechpartner zur Klärung dieser Fragen ist der Steuerberater. Er kennt das Unternehmen und seine Finanzlage, kann die Situation fundiert einschätzen.

In Europa sind trotz zahlreicher Alternativen immer noch Banken die Hauptfinanzierungsquelle für kleine und mittelständische Unternehmen. Unternehmen, die sich für einen Bankkredit interessieren, müssen einem breiten Anforderungsprofil gerecht werden, das sich von Finanzinstitut zu Finanzinstitut unterscheidet. Grundsätzlich gilt es für eine erfolgreiche Finanzierung einige Punkte zu beachten:

- Für die meisten Geldgeber gilt: Kredite werden eher an etablierte Unternehmen mit einer stabilen und positiven Finanzlage vergeben.

- Zwar gibt es Banken, die auch an Gründer oder Unternehmen mit unsicherem oder negativem Cashflow Kredite vergeben. Eigenkapitalgeber aus dem privaten Umfeld, Business Angels, Crowdfunding, Risikokapital- oder Private-Equity-Fonds sind allerdings oft die bessere Wahl. Besonders junge Unternehmen profitieren davon, dass Eigenkapital nicht zurückgezahlt werden muss und die Kapitalgeber oft zusätzlich ihre Geschäftsexpertise mit einbringen.

- Gute Beratung ist das A und O. Der Steuerberater oder andere professionelle, unabhängige Berater sind kompetente Ansprechpartner. Sie verfügen über Erfahrungen aus verschiedenen Unternehmen, die für die Wahl der richtigen Finanzierung wertvoll sind.

- Die Preisgestaltung und sonstige Kreditbedingungen einzelner Banken können sehr unterschiedlich sein. Einfluss darauf nehmen auch Branche und Geschäftsmodell des Unternehmens, etwaige Sicherheiten, die Rechtsform des Unternehmens und die Eigenkapitalsituation.

- Geldgeber nutzen zur Einschätzung der Kreditwürdigkeit häufig von verschiedenen Seiten bereitgestellte Bonitätsauskünfte. Wird ein Kreditgesuch abgelehnt, sollten KMU bei der Suche nach einer alternativen Finanzierungsquelle besonnen vorgehen. Jede weitere Ablehnung kann die Bonitätsbewertung weiter verschlechtern.

Kreditangebot der Banken verknappt

Insgesamt haben Banken das Kreditangebot verknappt. Hintergrund ist die Notwendigkeit einer hohen Eigenkapitaldeckung aufseiten der Banken. Die Bedingungen, zu denen Banken überhaupt Kredite vergeben, sind oft besonders für kleinere Unternehmen kaum zu stemmen.

Daran ändern auch die aktuellen Niedrigzinsen nichts, die die Kredite im Unterhalt günstiger machen. Kleine und mittelständische Unternehmen müssten dazu eine solche Finanzierung überhaupt erst von den Banken erhalten. Außerdem sind vergleichsweise kleine Kredite für Banken bei höherem Risiko deutlich weniger rentabel und deshalb eher uninteressant. Hier treten Fintech-Unternehmen mit alternativen Möglichkeiten zur Optimierung der Unternehmensfinanzen auf den Plan.

Supply Chain Finance - Finanzierung entlang der digitalisierten Lieferkette

Um Unternehmen alternative Finanzierungsmöglichkeiten anzubieten und auch als Reaktion auf die Finanzkrise haben immer neue Finanzprodukte und Ansätze ihren Weg in den Finanzmarkt gefunden. Supply Chain Finance (SCF) ist eines der Konzepte, die sich nachhaltig etablieren konnten und zunehmende Beliebtheit erfahren. Hierbei dreht sich alles um die Optimierung von Finanzstrukturen eines oder mehrerer Unternehmen entlang der Lieferkette.

Bei ihren Optimierungsbemühungen nehmen große Unternehmen und Konzerne keine Rücksicht auf die Situation ihrer Zulieferer - oft kleine und mittelständische Unternehmen. Zahlungsziele werden im Rahmen des rechtlich Möglichen zum eigenen Vorteil verlängert, auf den entstehenden Finanzierungskosten bleiben die Lieferanten sitzen. Die Folgen: Liquiditätsengpässe, ein erhöhtes Risiko für Lieferantenausfälle und eine verschlechterte Beziehung zwischen Unternehmen und Lieferant. Supply Chain Finance kann ungleiche Markt- und somit Machtverhältnisse zwischen Unternehmen und Zulieferern ausgleichen, in der Lieferkette gebundene Liquidität freisetzen sowie Finanzierungskosten reduzieren. Von dieser laufenden Optimierung des Working Capital profitieren alle Beteiligten, sei es das Unternehmen selbst oder seine Zulieferer.

Unterschiedliche Ausprägungsformen

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich SCF zu Nutze zu machen. Grundvoraussetzung ist allerdings die Nutzung von E-Invoicing: die elektronische Verarbeitung von Rechnungsdaten und die Digitalisierung von Finanzprozessen macht die Nutzung von Supply Chain Finance überhaupt erst möglich.

Eine Ausprägungsform ist Dynamic Discounting, ein vergleichsweise simples Konzept. Lieferanten räumen Unternehmen hier bei frühzeitiger Zahlung höhere Skonti ein. Anders als beim herkömmlichen Skonto entwickelt sich der Nachlass (= Discount) im Zeitverlauf dynamisch. Je früher also eine Zahlung geleistet wird, desto höher fällt er aus.

Auch mit Factoring lässt sich die Kapitalsituation verbessern. In diesem Fall übernimmt ein Finanzdienstleister die Vorfinanzierung einer Forderung. Weitere Möglichkeiten wie Darlehen von Unternehmen an Lieferant, Purchasing Cards, die wie Kreditkarten eingesetzt werden, oder der Verkauf von Forderungen durch den Lieferanten (Factoring) sind gängige und durchaus bewährte Varianten von Supply Chain Finance.

Banken als Intermediäre zunehmend überflüssig

Für sich genommen ist keine dieser Finanzierungsvarianten neu. Neu ist aber, dass für ihre Realisierung heute technische Lösungen verfügbar sind, die entlang der Wertschöpfungskette zwischen den ERP-Systemen von Lieferanten, Unternehmen und Banken ihren Einsatz finden - sie quasi vernetzen - und so zur flexiblen Umsetzung der unterschiedlichen Methoden von Supply Chain Finance genutzt werden können.

Solche Lösungen machen Banken in ihrer Funktion als Intermediär zur Zwischenfinanzierung von Lieferantenforderungen zunehmend überflüssig. Stattdessen wird, in der Regel mit der Unterstützung eines Finanzdienstleisters, die Liquidität innerhalb der Lieferkette freigesetzt und zwischen Lieferant und Abnehmer nach Bedarf verschoben.

Andere Formen der SCF sind wiederum völlig neu, etwa die Finanzierung einer Rechnung im Auktionsverfahren. Dabei initiiert entweder der Rechnungssteller oder -empfänger eine Auktion. Der Rechnungssteller bietet den Lieferanten ein verkürztes Zahlungsziel an, wenn diese im Gegenzug zusätzlichen Discount auf eine Rechnung einräumen. Startet der Rechnungsempfänger die Auktion, räumt er seinen Kunden für die Zahlung deutlich vor dem vereinbarten Zahlungsziel einen entsprechenden Discount ein.

Auktionsprinzip zur Rechnungsfinanzierung

Anders als bei traditionellen Auktionsverfahren oder bei Auktionsanbietern wie Ebay, können im Fall von auktionsbasierter Rechnungsfinanzierung mehrere Bieter gewinnen. Das liegt am Finanzrahmen, der vor Beginn der Auktion festgelegt wird, egal ob Rechnungssteller oder -empfänger den Prozess starten. Der finanzielle Rahmen muss innerhalb der Auktion ausgeschöpft werden, entweder durch einen oder mehrere Bieter. Voraussetzung für die Teilnahme an der Auktion ist allerdings, dass alle Beteiligten ihre Rechnungen digital über einen Provider austauschen.

Dieses Verfahren ist für kleine und mittelständische Unternehmen besonders attraktiv. Die Seite des Lieferanten besteht häufig aus eher kleinen und mittelständischen Unternehmen, die in aller Regel über eine weniger hohe Liquidität verfügen. Am meisten profitieren also die Rechnungsversender, die sonst eher schwer einen Kredit erhalten und dann finanzieren können.

Mittelstand hadert mit Digitalisierung

KMU bleiben bei der Digitalisierung ihrer Geschäftsmodelle und -prozesse weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Fintechs und die Evolution alternativer, digitaler Finanzdienstleistungen sind keine Spielerei oder ein flüchtiger Trend, sondern eine zukunftsweisende Entwicklung des Finanzmarktes, von der Mittelständler stark profitieren können. Durch das Erschließen von alternativen Finanzierungsquellen können Unternehmen Vorteile am Markt erzielen.

Jedoch sind sich noch nicht alle Finanzverantwortlichen über die Möglichkeiten der boomenden Fintech-Branche im Klaren. Die Skepsis und Unwissenheit der Finanzbeauftragten muss überwunden werden. Während in großen Unternehmen und Konzernen die Modernisierung von Finanzprozessen in vollem Gange ist, hadern KMU überwiegend noch mit den neuen Möglichkeiten des Finanzmarkts.

Der Mittelstand packt die Digitalisierung nur zögerlich an - in der Regel aus Angst vor aufwendigen Projekten, langwierigen Umstellungsprozessen und unkalkulierbaren Kosten. Ein zusätzliches Problem ist die Fehleinschätzung der Finanzverantwortlichen, dass E-Invoicing-Lösungen für das Rechnungsvolumen eines Mittelständlers zu komplex und zu teuer seien. Dabei bietet der Markt längst Lösungen, die speziell auf die Bedürfnisse von KMU zugeschnitten sind.

Der Mehrwert der Digitalisierung entsteht dabei nicht allein durch elektronische Rechnungsverarbeitung, sondern durch die Umstellung von allen vor- und nachgelagerten Prozessen. So lässt sich nicht nur die Liquidität im Unternehmen erhöhen, sondern gleichzeitig werden Kosten reduziert, das Umlaufvermögen optimiert und finanzielle Risiken insgesamt verringert.

Besonders kleine und mittelständische Unternehmen sollten die Zeichen der Zeit richtig deuten und die Entwicklungen in der Fintech-Branche als Chance wahrnehmen. Unter den Geschäftsmodellen der verschiedenen Anbieter auf dem Markt finden sich viele individuell skalierbare und leicht zu implementierende Finanzlösungen. Von diesen neuen Finanzdienstleistungen profitieren KMU in besonderem Maße. Da aber das Wissen um die verschiedenen Optionen des Supply Chain Finance unter Finanzverantwortlichen eher ungenügend ist, gibt es erhebliche Vorbehalte gegenüber dem Nutzen und der Wirksamkeit dieser modernen Finanzprodukte. Die Zweifel lassen sich allerdings recht leicht ausräumen.

Von Vorurteilen frei machen

Zunächst sollten sich Finanzverantwortliche von Vorurteilen gegenüber der Fintech-Branche freimachen und sich mit den verschiedenen Ansätzen vertraut machen. Nur so können im Anschluss daran der passende Ansatz und der Anbieter mit dem entsprechenden Geschäftsmodell ausgewählt werden.

Um moderne Finanzierungslösungen im Unternehmen erfolgreich zu implementieren und den passenden Partner für die technische Realisierung zu finden, empfehlen sich folgende Schritte:

- KMU sollten zunächst feststellen, ob die eigene Liquidität ausreicht, oder ob ein Finanzdienstleister hinzugezogen werden sollte.

- Es muss sichergestellt werden, dass Buchhaltung, Einkauf und Treasury gut miteinander vernetzt sind und Abstimmungsprozesse zügig und reibungslos ablaufen.

- Welche technische Lösung die sinnvollste ist, sollte mit den wichtigsten Geschäftspartnern abgestimmt werden.

Die Umsetzung sollte gezielt mit einem bedeutenden Geschäftspartner starten. Im Anschluss werden alle anderen Partner sukzessive angebunden.

Die Entwicklungen des Finanzmarkts nicht als irrelevant verbuchen, die Vorurteile gegenüber einer neuen "wilden" Branche abbauen und die Digitalisierung als Chance begreifen - so funktioniert Finanzierung im Mittelstand auch in Zukunft.

Zum Autor Marcus Laube, Geschäftsführer, crossinx GmbH, Frankfurt am Main

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