Girokonto

"Es muss ein kostenloses Konto geben" / Interview mit Michael Mandel

Michael Mandel, Mitglied des Vorstands, Commerzbank AG, Frankfurt am Main

Das Girokonto bleibt Anker der Kundenbeziehung, ist sich Michael Mandel sicher. Genau deshalb hält er es für falsch, dass die Bankenbranche darüber nachzudenken scheine, wie Angebote und Kundenzufriedenheit verschlechtert werden können. Schwächen des Wettbewerbs oder unpopuläre Preismaßnahmen helfen der Commerzbank. Im Fokus stehen jedoch andere Maßnahmen. Neben der Verbesserung und Digitalisierung des Angebots gehört dazu ein besseres Marketing, mit dem auch Interessenten automatisiert angesprochen werden können. Red.

Wie bewerten Sie die aktuellen Diskussionen rund um das Thema Konto?

Die Diskussionen zeigen zwei Dinge: Zum einen verliert das Girokonto in der digitalen Welt keineswegs an Bedeutung. Im Gegenteil: Die größte Interaktion mit den Kunden findet nach wie vor über das Girokonto statt. Wenn in unserer Bank-App pro Tag über 400 000 Kontostandsabfragen erfolgen, dann zeigt das, wie ein Zahlungsverkehrsprodukt und die Digitalisierung ineinander greifen. Das Konto bleibt der Anker der Kundenbeziehung. Zum anderen gibt es die Diskussion um Kosten, um Einsatzmöglichkeiten, um Ausstattungsmerkmale eines Kontos. Dieser Teil der Diskussion ist sehr viel unerfreulicher. Denn hier droht eine ganze Branche Schaden zu nehmen. Ich halte diese Debatte für überflüssig und teils sogar absurd. Es muss ein kostenloses Konto für die Menschen geben. Die Commerzbank wird das auch weiterhin anbieten.

Gehören dazu alle wesentlichen Grundfunktionen?

Wir werden weiterhin ein voll funktionsfähiges kostenloses Girokonto anbieten. Dazu gehört auch, dass wir von unseren Kunden kein Entgelt für die Bargeldversorgung an unseren Automaten verlangen.

Wir wollen mit dem Girokonto weiter wachsen. In der Commerzbank diskutieren wir deshalb intensiv darüber, wie sich die Konten noch attraktiver machen lassen, um damit noch mehr Neukunden anzuziehen.

Die Diskussion darüber, wie sich das Girokonto so verändern lässt, dass es letztlich nicht mehr kostenlos ist, überlassen wir gern anderen. Das sorgt eher für Unzufriedenheit, wie die Kundenreaktionen deutlich zeigen.

Die kostenlose Bargeldversorgung muss aber nicht zwingend am Geldautomaten stattfinden ...

Das ist richtig. Auch die Commerzbank arbeitet deshalb mit Kooperationspartnern zusammen, beispielsweise mit Rewe. Damit können sich die Kunden in 3 000 Supermärkten kostenlos mit Bargeld versorgen.

Was mich an den aktuellen Debatten insgesamt stört, ist die Tatsache, dass die gesamte Branche in Deutschland darüber nachzudenken scheint, wie Angebote und Kundenzufriedenheit verschlechtert werden können.

Wer davon überzeugt ist, dass das Girokonto eine wichtige Ankerfunktion hat, darf es nicht verschlechtern. Und die Kunden sind nun einmal der Meinung, dass auch die Bargeldversorgung ein wichtiger Teil des Girokontos ist.

Wie wollen Sie Ihre Wachstumsziele erreichen?

Die Mehrheit der Menschen in Deutschland recherchiert Bankdienstleistungen inzwischen im Internet. Offensichtlich gibt es also eine hohe Transparenz bei gleichzeitig abnehmender Loyalität. Kunden gehen zu der Bank, die aus ihrer Sicht das beste Angebot am Markt hat. Das ist die Aufgabe der Commerzbank: für die Kunden das beste Angebot einer Filialbank bereit zu stellen und ein Geschäftsmodell zu bauen, das in Deutschland mehr Kunden begeistert und nicht weniger. Denn der Wettbewerb nimmt zu. Und wenn der Wettbewerb zunimmt, muss unsere Leistung besser sein als die der anderen.

Wie sehen konkrete Maßnahmen aus?

Beim Kundenwachstum setzen wir auf drei Maßnahmenpakete.

- Erstens die Intensivierung der Marketingaktivitäten. Unsere neue Kampagne zur Fußball-Europameisterschaft der Frauen wird demnächst vorgestellt.

- Zweitens die digitale Neukundenansprache. Dabei nutzen wir unter anderem Interessentendaten intelligent und automatisch.

- Drittens tragen Partnerschaften zum Wachstum bei, wie beispielweise mit Tchibo, Lufthansa, Amazon oder Hipp.

Mit diesen Maßnahmen wollen wir bis 2020 um zwei Millionen Kunden netto wachsen. Um die Dimension dieses Vorhabens zu verdeutlichen: Wir verdoppeln damit das Wachstum der vergangenen vier Jahre, in denen wir eine Million neue Kunden gewonnen haben.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Markt verteilt ist. Wer in Deutschland im Privatkundengeschäft wachsen will, muss Wettbewerbern Marktanteile abnehmen. Aber das gelingt der Commerzbank ja in letzter Zeit ganz gut.

Wie stark profitieren Sie dabei von Schwächen der Wettbewerber?

In erster Linie profitieren wir von der Qualität unserer Leistung und der Transparenz des Angebots.

Wir haben die vergangenen fünf Jahre lang hart daran gearbeitet, unsere Leistungsfähigkeit zu verbessern: im Wertpapier- und Online-Geschäft, in der Kreditzusage, mit cleveren Apps und dem kostenlosen Girokonto. Wir haben neue Filialen pilotiert und nun mit dem Roll-out begonnen. Wir haben in die Beratung investiert, Mitarbeiter geschult und Qualität zum Maßstab gemacht. Das zahlt sich heute aus. Unsere Beratung und Produkte werden in Tests vielfach ausgezeichnet. Wir haben es geschafft, Menschen zu überzeugen und nachhaltig Kundenzufriedenheit zu schaffen. Und wer zufriedene Kunden hat, der wächst.

Zweitens greift unsere Marketingstrategie. Hier kommt wie gesagt bald die nächste Kampagne.

Und natürlich partizipieren wir - drittens - auch davon, dass sich andere Institute aus dem Markt zurückziehen, sei es "physisch" oder über neue Preisgestaltung. Der Aufwand für einen Bankwechsel ist heute mit fortschreitender Technologisierung nicht mehr so groß, wie noch vor einigen Jahren.

Auf der einen Seite heißt es immer, die Banken müssen profitabler werden. Wenn Banken aber Preise anheben, ist der Aufschrei groß. Wird hier nicht eine unfaire Debatte geführt?

Ich halte beide Diskussionen für berechtigt. Es ist legitim zu fragen, ob die gesetzten Preise fair, nachvollziehbar und transparent sind. Auf der anderen Seite darf darüber diskutiert werden, ob Banken in Deutschland genug Geld verdienen. Beiden Themen muss sich die Branche stellen.

Beim Thema Preise und Gebühren muss man feststellen, dass die Kreditwirtschaft in Sachen Transparenz immer noch ein bisschen besser werden kann. Und zwar aus eigenem Antrieb, unabhängig von Gesetzesvorgaben wie Produktinformationsblättern oder ähnlichem. Die Branche selbst liefert immer noch die Grundlagen für die Debatten. Das muss nicht sein. Wir jedenfalls schauen unsere Preismodelle immer wieder genau an und bieten Kunden Alternativen. So wurden die Ausgabeaufschläge für Fonds bei einigen Depotmodellen inzwischen abgeschafft.

Beim Thema Profitabilität ist klar: Die Bankbranche hat ein Problem. Das ist zum Teil hausgemacht, da Umstellungen und Veränderungen auf die lange Bank geschoben wurden. Die Commerzbank musste sich manchen Themen gezwungenermaßen früher stellen als manch anderer, davon profitiert sie heute. Die mangelnde Profitabilität hat aber auch externe Gründe, in erster Linie die anhaltende Niedrigzinspolitik und den hohen regulatorischen und bürokratischen Aufwand. Bei einem normalen Zinsniveau wäre die Commerzbank deutlich profitabler, trotz eines umfassenden Angebots und des attraktiven Pricings für die Kunden. Auch würden wir uns bei einem Zinsniveau von wenigstens Null bei Wachstumsinvestitionen deutlich leichter tun.

Heißt das, die Commerzbank ist nicht profitabel?

Wir sind insgesamt mit unserer Eigenkapitalrendite sicher nicht zufrieden. Doch die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass sich mehr Profitabilität, mehr Wachstum und ein attraktives Angebot für die Kunden durchaus verbinden lassen. Im Privatkundensegment lag die Eigenkapitalrendite 2016 bei deutlich über 20 Prozent.

Tatsache ist aber auch, dass wir im Privatkundengeschäft künftig lieber zwei als eine Milliarde Euro pro Jahr verdienen möchten. Und das lässt sich nur über Wachstum erreichen. Das Problem des Privatkundengeschäfts der Commerzbank ist nicht, dass es nicht profitabel oder für die Kunden zu teuer wäre, sondern, dass es immer noch zu klein ist.

Wie viel verdienen Sie im Durchschnitt mit einem Privatkunden?

Im Durchschnitt sind neue Kunden für uns heute bereits im zweiten Jahr profitabel. Und mit der digitalen Kundenansprache kostet ein neuer Kunde spürbar weniger, das heißt die Kosten für die Neukundengewinnung sinken deutlich.

Welche Rolle spielen Banken künftig noch in der Kundenwahrnehmung? Laufen Kreditinstitute Gefahr, hier von anderen Dienstleistern abgelöst zu werden?

Wenn Banken ihre Sache richtig machen, haben sie eine große Stärke: Die Zukunft ist nicht digital. Sondern sie ist digital und persönlich. Das gilt insbesondere für Finanzdienstleistungen und hier wiederum vor allem dort, wo es in besonderem Maße auf Vertrauen ankommt: bei der Baufinanzierung, bei der Geldanlage, bei der Vorsorge oder bei der Datensicherheit.

Natürlich wird sich die Wertschöpfungskette in den nächsten zehn Jahren deutlich verändern. Es wird neue Player geben, die Banken jedoch durchaus nutzen können. Beispiele sind unser digitaler Kontoumzugsservice, den wir mit dem Fintech Fino anbieten, oder die Legitimierung über ID-Now. Banken bleiben jedoch der Nukleus im Geschäft. Diese Entwicklung muss sich auch nicht negativ auf die Profit Pools auswirken.

Gehört zur Digitalisierung zwingend Big Data?

Natürlich ist es für eine Bank interessant, vorhandene Daten intelligent zu nutzen. Dazu bauen wir derzeit ein digitales Customer Relationship Management auf. Es beinhaltet drei Elemente: Erstens wollen wir Interessenten zielgenauer ansprechen, zum Beispiel mit einem passenden Angebot, wenn wir anhand der Internetnutzung feststellen, dass jemand an einer Baufinanzierung interessiert ist. Dazu haben wir eine Interessentendatenbank aufgebaut, um potenzielle Kunden systematisch zu gewinnen. In anderen Industrien ist das längst Standard. Kreditinstitute konnten jedoch bisher mit Interessenten nichts anfangen.

Zweitens geht es darum, abgangsgefährdete Kunden frühzeitig zu identifizieren. Ein erster Pilot ist hier vielversprechend gestartet. Durch die aktive Ansprache dieser Kunden konnten wir die Kündigungsrate um ein Viertel senken.

Drittens wollen wir anhand der digitalen Informationen schneller herausfinden, an welcher Stelle Bestandskunden ein Problem oder einen Bedarf haben. So lassen sich Kunden gezielter ansprechen - sei es digital oder persönlich durch den Berater.

Ohne ein solches modernes Datenmanagement lassen sich die Wachstumsziele, die sich die Commerzbank gesetzt hat - Verdoppelung der Kundenzahlen und deutliche Steigerung der Assets - nicht realisieren. Aber klar ist dabei auch: Wir nutzen Daten nur mit expliziter Zustimmung des Kunden.

Wie erfolgreich ist die Commerzbank generell beim Cross-Selling? Welche Unterschiede gibt es hier im Filialvertrieb und bei reinen Online-Kunden im Vergleich? Was versprechen Sie sich hier von der neuen "Marketingmaschine"?

Mit der Einführung des Kundenkompass - der strukturierten Bedarfsanalyse - haben wir die Grundlagen für ein erfolgreiches Cross-Selling im Privatkundengeschäft geschaffen. Indem wir systematisch die finanzielle Situation, die Wünsche und Pläne des Kunden erfassen, können wir ihm individuelle Handlungsempfehlungen aufzeigen, die wirklich zu seinen Bedürfnissen passen. Folge: Die Produktnutzung steigt. Im Filialvertrieb gelingt das schon sehr gut, weil wir regelmäßig persönlich mit unseren Kunden über ihre finanzielle Situation sprechen. Deshalb halten wir auch an den rund 1 000 Filialen in Deutschland fest. Im Online-Banking wird die eben genannte gezielte Ansprache von Bedarfskunden helfen, die Produktnutzungsquote durch bedarfsgerechte Angebote weiter zu erhöhen.

Wie ist die Akzeptanz des automatisierten Marketings? Gibt es schon Zahlen zu Öffnungsraten oder dem Anteil derjenigen Kunden, die sich weitere Mails verbitten?

Der Start war sowohl bei Neukunden als auch bei Bestandskunden vielversprechend. Im ersten Jahr haben wir mehr als 600 000 Interessenten "eingesammelt", die ihre Werbeeinwilligung gegeben haben und die wir damit gezielt auf Commerzbank-Angebote ansprechen durften. Jeden sechsten Interessenten, also insgesamt rund 100 000, haben wir innerhalb der letzten 12 Monate als Neukunden gewonnen. Und die Bestandskunden, denen im Online-Banking statt allgemeiner Werbung ein passendes, bedarfsorientiertes Angebot angezeigt wird, schließen zehn Prozent mehr Produkte ab.

Das heißt: Mit automatisierter Kundenansprache gewinnen wir mehr Neukunden und machen mehr Geschäft mit unseren Bestandskunden. Aber natürlich werden nur jene Kunden automatisiert angesprochen, die vorher ihre Zustimmung dazu geben. Das ist die klare Mehrheit, rund drei Viertel der Interessenten erteilen uns nach ersten Erkenntnissen die Werbeeinwilligung.

Besseres Marketing steigert sicher auch die Kundenzufriedenheit ...

Ganz genau. Kunden schätzen es sehr, wenn sie nicht mit dem Gießkanneprinzip "berieselt", sondern ihnen nur die Produkte angeboten werden, die sie wirklich benötigen. Ein zufriedener Kunde schließt mehr Produkte ab und empfiehlt uns gern weiter. Kundenzufriedenheit und Wachstum gehören zusammen.

In den letzten Jahren ist die Kundenzufriedenheit in der Commerzbank stark gestiegen. Das ist eine sehr gute Voraussetzung für unsere Wachstumsziele. Wir werden uns deshalb auch nicht der Illusion hingeben, Kundenzufriedenheit, Pricing, Kosten und Wachstum ließen sich autark managen.

Apropos Kundenzufriedenheit: Wie oft hat die Commerzbank bisher die "Abschiedsprämie" an unzufriedene Kunden gezahlt?

Die Zufriedenheitsgarantie wird auch nach vier Jahren praktisch nicht in Anspruch genommen.

Wird das Startguthaben im Marketingmix künftig noch eine ähnlich hohe Bedeutung haben wie bisher?

Das Startguthaben der Commerzbank stammt aus dem Jahr 2006. Damals wurde es eingeführt, weil sich damit effizienter Kunden werben ließen. Es stellte einen Anreiz dafür dar, dass ein Kunde sich die Mühe macht, sein Konto zu wechseln - mit all dem "Papierkram", der damals damit verbunden war. Inzwischen ist der Aufwand, ein Konto zu wechseln, deutlich gesunken. Dennoch ist das Startguthaben weiterhin ein wichtiger Bestandteil, um eine Entscheidung beim Kunden herbeizuführen. Durch das Startguthaben bleibt der Marketingaufwand an anderer Stelle geringer.

Unsere Überlegungen konzentrieren sich deshalb aktuell nicht darauf, das Startguthaben abzuschaffen. Sondern es geht eher darum, wie sich das Konto mit digitalen Features besser vermarkten lässt.

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