ALTERSVORSORGE

"Auch in Zukunft wird kein Weg an den Lebensversicherungen vorbei führen" / Interview mit Thorsten Wittmann

Dr. Thorsten Wittmann, Foto: SV Versicherung

Bereits vor zehn Jahren wurde die Lebensversicherung vielfach für tot erklärt, trotzdem schreiben die Versicherer auch heute noch gutes Neugeschäft. Darin sieht Thorsten Wittmann ein Zeichen dafür, dass für die langfristige Altersvorsorge auch künftig kein Weg an den Produkten der Versicherer vorbei führen wird. Wittmann sagt auch: Die Kunden wollen trotz niedrigster Garantiezinsen weiterhin Garantieprodukte. Die Angst vor Verlusten gelte es ernst zu nehmen. Deshalb will sich die SV anders als manche Marktteilnehmer auch nicht aus Riester zurückziehen, fordert jedoch die Entbürokratisierung bei den Zulagen. Red.

Lange schon drückt sich die Politik um Weichenstellungen in Sachen Alterssicherung - gesetzliche Rente, aber auch Förderung der privaten Vorsorge herum. Wie sehr hat die Ungewissheit bezüglich künftiger Rahmenbedingungen der Vorsorge in Deutschland geschadet?

Grundsätzlich möchte ich zunächst betonen, dass ich es begrüße, dass die Politik schon vor einigen Jahren erkannt hat, dass in Bezug auf die Alterssicherung dringender Handlungsbedarf besteht. So wurden in der Vergangenheit auch zahlreiche gute Entscheidungen getroffen, um dem Thema Zug zu verleihen. Zum Beispiel wurden Basisrente und Riester-Rente eingeführt und die Förderquoten in der betrieblichen Altersvorsorge erhöht. Zugegeben: Schwächen haben die staatlich geförderten Produkte in ihrer inhaltlichen Komplexität und bei der Verwaltung.

Wir stellen fest, dass die Bürger Deutschlands durchaus ein Bewusstsein für die eigene Vorsorge haben. Parallel dazu vertrauen sie in die soliden und sicheren Angebote der Lebensversicherer und in unsere Beratung. Egal, wie künftige Rahmenbedingungen aussehen, es braucht immer jemanden, der dabei hilft, die individuell beste Lösung aus der Vielzahl an Möglichkeiten zu finden.

Welche Erwartungen haben Sie an die neue Bundesregierung?

Ich würde mir wünschen, dass die neue Bundesregierung die staatlich geförderten Produkte zur Alterssicherung auf den Prüfstand stellt, neu bewertet und stellenweise Korrekturen vornimmt.

Was würde es aus Sicht der Lebensversicherer bedeuten, wenn die neue Bundesregierung ein mehr oder weniger staatlich organisiertes Vorsorgeprodukt auf den Weg bringen würde?

Der Ruf nach rein staatlichen Lösungen ist derzeit wieder en vogue. Ich frage mich, ob das tatsächlich die beste Lösung ist. So lehrt uns die Vergangenheit, dass rein staatliche Lösungen häufig mit einer hohen Komplexität und dazu wenig Flexibilität aufwarten. Unabhängig vom Weg wäre es mir persönlich zunächst wichtiger, das Ziel klar zu formulieren: Ziel muss es sein, der breiten Bevölkerung ein attraktives, flexibles Altersvorsorgeprodukt anzubieten, das in schlanken Vertriebsprozessen hilft, die Rentenlücke der zukünftigen Generationen zu schließen.

Dafür reicht es meines Erachtens nicht aus, nur nach dem Staat zu rufen, sondern da ist die Gesellschaft zwingend auf gute Ideen und Expertise der Privatwirtschaft angewiesen. Ich glaube, die Versicherungswirtschaft befindet sich hierbei auch in einem guten Austausch mit der Politik, um mögliche Lösungen gemeinschaftlich zu diskutieren und gegebenenfalls umzusetzen.

Ist der Abschied von klassischen Garantiemodellen in der Altersvorsorge alternativlos?

Ich hoffe doch sehr, dass mit der neuen Bundesregierung das Wort "alternativlos" nicht mehr den Sprachfundus der Politik prägt. Eine Denkweise in Schwarz-Weiß-Mustern ist mir jedenfalls eher fremd.

Nun bieten wir unseren Kunden bereits seit langer Zeit sowohl Produkte mit als auch ohne Garantie an. Dabei stellen wir fest, dass ein erheblicher Teil unserer Kunden - trotz niedrigster Garantiezinsen - weiterhin Garantieprodukte will. Die Angst vor möglichen Verlusten ist nach wie vor ein Thema, das es ernst zu nehmen gilt - gerade bei einem sensiblen Thema wie der Altersvorsorge. Bieten wir den Kunden die Auswahl an, so erfolgt die Wahl durch die Kunden und nicht umgekehrt durch uns als Versicherer.

Ich würde auch aus einem anderen Grund gegen das Wort "alternativlos" argumentieren: Gehen wir davon aus, dass es kurz- bis mittelfristig keine Zinserhöhung am Kapitalmarkt gibt, so lässt sich die klassische Lebens- und Rentenversicherung mit Garantie nur mit Niedrig- oder Nullzinsen darstellen. Bei einer nach wie vor positiven Deklaration ist dies allerdings mehr, als die meisten Alternativprodukte mit Beitragsgarantie anbieten.

Welchen Stellenwert hat vor dem Hintergrund der Umstellung auf neue Garantiemodelle noch der Höchstrechnungszins?

Blickt man zurück in die Vergangenheit, so haben sich die Lebensversicherer in der Tarifierung in aller Regel exakt am Höchstrechnungszins orientiert. In der letzten Zeit sehen wir jedoch die Tendenz, dass Marktteilnehmer ihren Rechnungszins proaktiv unterhalb des vom Regulator definierten Höchstrechnungszinses positionieren.

Der Stellenwert des Höchstrechnungszinses als Obergrenze ist somit nach wie vor gegeben. Eine Bindung - wie sie de facto in den vergangenen Jahren für die Lebensversicherer implizit Gültigkeit hatte - geht hiervon jedoch nicht mehr aus.

Früher hat jede Absenkung des "Garantiezinses" Vorzieheffekte im Jahr davor ausgelöst. Ist das auch in diesem Jahr noch zu erwarten? Oder ist dafür das Zinsniveau schon viel zu gering und der Wechsel zu neuen Produktgenerationen zu weit vorangeschritten?

Das Auftreten des Vorzieheffekts vor dem Jahreswechsel ist uns auch in der SV wohlbekannt. Und auch in diesem Jahr gehen wir davon aus, dass dieser Effekt auftritt. Allerdings in deutlich geringerem Umfang als in den Vorjahren.

Sind die neueren Produktgenerationen erklärungsbedürftiger und damit schwerer zu verkaufen?

Die Frage ist zunächst, was man unter neuen Produktgenerationen versteht. Grundsätzlich unterliegen wir als Lebensversicherer wie alle Marktteilnehmer den Gesetzen des Geld- und Kapitalmarkts: Mehr Rendite können wir den Kunden auch in einer neuen Produktgeneration nur dann versprechen, wenn dieser damit bewusst höhere Risiken eingeht. Höhere Risiken bedeuten, dass der Gegenwert der Versicherungspolice schwanken kann und die Versicherungsunternehmen keine Garantie aussprechen können. Allein dieser Sachverhalt bedeutet einen höheren Erläuterungsaufwand.

Ob Produktgenerationen mit wenig oder keiner Garantie schwerer zu verkaufen sind, würde ich eher mit nein beantworten. Kunden, die zu uns kommen, haben in aller Regel ein klares Bedürfnis, nämlich beispielsweise fürs Alter vorzusorgen. Passt das Bedürfnis zu einem Produkt ohne Garantie, so halte ich den Vertriebsabschluss nicht für schwerer.

Brauchen die Sparkassen dafür mehr oder andere Unterstützung als bisher?

Die Sparkassen tun beispielsweise beim Vertrieb von fondsbasierten Versicherungsprodukten genau das, was sie als Kerngeschäftsfeld seit Jahren bereits erfolgreich praktizieren. Wir machen daher die Beobachtung, dass die inhaltliche Unterstützung nicht ausgeprägter notwendig ist als bei den etablierten Produkten mit Garantie.

Unser Fokus liegt auf einer optimalen technischen Unterstützung, um den Kollegen in den Sparkassen den Verkaufsprozess so schlank wie möglich zu gestalten.

Wie tot ist die Riester-Rente, sofern nicht rasch Anpassungen vorgenommen werden?

Festzuhalten ist aus meiner Sicht, dass die Riester-Rente generell ein gutes Produkt ist. Die Einbindung von staatlicher Förderung in die private Altersvorsorge war zum Zeitpunkt der Einführung überfällig. Das Problem ist doch eigentlich die komplizierte Ausgestaltung des Produktes vonseiten des Gesetzgebers auch im Hinblick auf die Zulagen. Hinzu kommt, dass die beschlossene Absenkung des Höchstrechnungszinses ohne Lockerung in der Beitragsgarantie eine Herausforderung für die sinnvolle Konzeption des Produkts ist.

Was wir sehen ist, dass das Produkt auch unter den verschärften Rahmenbedingungen weiterhin marktfähig ist - die SV wird die Riester-Rente auch im Jahr 2022 weiterhin anbieten. Zur Wahrheit gehört aber auch dazu, dass der niedrige Rechnungszins den Kunden bessere Renditenchancen verwehrt. Dies mag auch der Grund sein, weshalb sich manche Lebensversicherer - im Gegensatz zur SV - in Teilen bereits dagegen entschieden haben, Riester ab 2022 flächendeckend anzubieten.

Wie hat sich Corona auf die private Altersvorsorge mit Lebensbeziehungsweise Rentenversicherungen ausgewirkt - etwa bei Abschlusszahlen, Stornoquoten oder auch Beitragsfreistellungen?

In der privaten Altersvorsorge waren die Auswirkungen kaum spürbar. Zwar hatten wir eine leicht erhöhte Stornoquote sowie ein leicht niedrigeres Neugeschäft im Vergleich zu den Vorjahren festgestellt - dies allerdings nur das Jahr 2020 betreffend. Im Jahr 2021 ist die Stornoquote im Mehrjahresvergleich bisher deutlich unterdurchschnittlich und das Neugeschäft aktuell deutlich überdurchschnittlich.

Wie sah das bei der bAV aus?

In der betrieblichen Altersvorsorge mussten wir zu Beginn der Pandemie das Auftreten hoher Beitragsfreistellungen feststellen. Bereits ab Ende des Jahres 2020 wurden jedoch viele der freigestellten Verträge wieder in Kraft gesetzt.

Im Neugeschäft mussten wir im Jahr 2020 ebenfalls einen Rückgang hinnehmen. Im aktuellen Jahr sind wir wieder auf einem guten "Vor-Corona-Niveau". Wir verzeichnen eine deutliche Steigerung in der Produktion im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, die Beitragsfreistellungen haben deutlich abgenommen und die Wiederinkraftsetzungen beitragsfreier Verträge gewinnt zunehmend an Bedeutung.

Vor allem Fintechs bieten zunehmend flexible Vorsorgeprodukte an, bei denen jederzeit Beiträge ausgesetzt, erhöht oder gesenkt werden können und auch eine vorzeitige Kapitalentnahme möglich ist. Wie stehen Sie dazu? Konterkarieren solche Produkte den Langfristgedanken der Altersvorsorge? Oder erhöhen sie die Vorsorgebereitschaft, weil sie den Kunden die Angst vor einer langfristigen Bindung nehmen?

Auch wir bieten beispielsweise in unseren fondsgebundenen Produkten hohe Flexibilitäten - alle, die Sie in der Frage genannt haben, sind dabei. Nach unserer Beobachtung wird davon allerdings bisher wenig Gebrauch gemacht. Möglicherweise liegt das daran, dass der Kunde sich bewusst für ein Sparen für die Altersvorsorge entschieden hat und daher nur im Notfall auf eine vorzeitige Kapitalentnahme zurückgreift.

Welchen Stellenwert kann und wird die Lebensversicherung künftig noch in der privaten Altersvorsorge der Bundesbürger haben? Ist die Dominanz des Produkts, wie wir sie in Deutschland früher hatten, endgültig vorbei?

Ich sehe den Stellenwert der Lebensversicherer in der privaten Altersvorsorge nach wie vor als hoch an. Seit über zehn Jahren werden in den Medien Nachrufe auf die Lebensversicherung geschrieben - und dennoch können wir weiterhin eine hohe Nachfrage nach unseren Produkten verzeichnen. Auf der Suche nach einer langfristigen, breit gestreuten Anlage zum Aufbau einer Altersvorsorge, die auch biometrische Risiken wie Langlebigkeit, Sterblichkeit, Berufsunfähigkeit berücksichtigt, gibt es eben keine Alternativen. So wird auch in Zukunft kein Weg an den Lebensversicherungen vorbeiführen.

Dr. Thorsten Wittmann , Mitglied des Vorstands , SV SparkassenVersicherung Holding AG, Stuttgart

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