Von der Filiale zur Plattform

Swantje Benkelberg, Chefredakteurin, Foto: Fritz Knapp Verlag GmbH

Früher war die Welt noch einfach. Damals stand der Begriff "Infrastruktur" aus Sicht von Banken und Sparkassen in erster Linie für Filialen und Geldautomaten und - ja, auch das - für ein bisschen Technik, die man für Kontoführung, Einlagenverwaltung und Kreditgeschäft schon brauchte. Aus diesen glücklichen Zeiten stammt auch der Begriff "Rechenzentrum" als Bezeichnung für den Dienstleister, der im Hintergrund die Transaktionen abwickelte. Dann kamen, wie der Sündenfall im Paradies, die Direktbanken, die dieses schöne Gefüge durcheinanderbrachten. Zur Infrastruktur zählten seitdem mindestens auch die Callcenter für die Betreuung der Kunden, denen keine Filiale mehr zur Verfügung stand. Und mit dem Aufkommen des Internets als Basis für die Digitalisierung, wie wir sie heute kennen, war die schöne alte Welt endgültig passé.

Natürlich stellt das Filial- und das Geldautomatennetz noch immer einen wesentlichen Bestandteil der Infrastruktur von Filialbanken dar. Es verliert jedoch zunehmend an Bedeutung. Längst sind auch die Filialbanken sehr viel breiter aufgestellt und beantworten die Infrastrukturfrage neu. Das betrifft zum einen das Geschäftsstellennetz, das sich seit Jahren im Rück-,und Umbau befindet. Dass im September 2021 bei einer Civey-Umfrage noch 52,2 Prozent der Befragten, die Frage danach, ob sie sich wegen der Corona-Pandemie den Wechsel zu einer Online-Bank ohne Filialnetz vorstellen könnten, mit "Nein" beantworten, ändert daran nichts. Seit mindestens zwei Jahrzehnten experimentiert die Branche daran herum, wie sich die Filialen mit Leben (und Geschäft) füllen lassen - von der Integration von Postshops, Cafés und Filialen über "Flaggschiff-Filialen" bis hin zur gemeinschaftlichen Nutzung kleiner Standorte durch regionale Wettbewerber. Inzwischen gibt es keine Tabus mehr, alles ist denkbar, solange es sich rechnet. In welchem Ausmaß jegliche physische Infrastruktur infrage gestellt wird, lässt sich auch daran ablesen, dass es inzwischen sogar Dienstleister gibt, an die das Angebot von Bankschließfächern ausgelagert werden kann, um die Nachfrage auch dann weiter bedienen zu können, wenn Filialen geschlossen wurden.

Bei den Rechenzentren passt der alte Name im Grunde schon lange nicht mehr. Vom Hilfsdienstleister im Hintergrund sind sie längst zum strategischen Partner geworden - ganz unabhängig davon, ob sie sich im Eigentum der jeweiligen Bankengruppe befinden oder "nur" Vertragspartner sind. In Zeiten, in denen "Nähe" zunehmend digital definiert wird, sind das Onlinebanking, die App oder - im Idealfall - das digitale Ökosystem einer Bank zentraler Bestandteil der Bankeninfrastruktur. Auf dem Mobiltelefon des Kunden wandert die Bank gewissermaßen in die Hosentasche - und will zugleich größer sein als je zuvor. Das Wunschbild fast aller Anbieter ist die digitale Plattform, auf der nicht nur alle Bedürfnisse des Kunden in finanziellen Angelegenheiten befriedigt werden können - sei es nun durch das eigene Angebot, sei es durch Partner, die an der Plattform andocken - sondern auch möglichst viele Bedürfnisse darüber hinaus. Immer mehr Fintechs und Banken wollen sich als "Alltagsbegleiter" ihrer Kunden positionieren und dazu Partner aus möglichst vielen Bereichen auf die eigene Plattform bringen. Wenngleich die Branche auf die Bigtechs nicht allzu gut zu sprechen ist, dürfte vielen eine Position vorschweben, wie sie Amazon im Leben vieler Verbraucher einnimmt. Mehrwertkontomodelle mit einer Reihe von Zusatzservices werden als Einstieg dazu gesehen.

Bei dieser digitalen Infrastruktur stellt sich indessen die Frage, ob der Kunde das wirklich will - oder ob er nicht lieber zwischen Finanzen und Sonstigem trennt und von seiner Bank erwartet, dass sie sich aufs Kerngeschäft konzentriert. Die genossenschaftlichen Gruppen der PSD-Banken und der Sparda-Banken bieten gutes Anschauungsmaterial, um die Entwicklung zu beobachten: Während die PSD-Banken sich bei ihrer Plattform auf Dienste rund um das Kerngeschäft Baufinanzierung konzentrieren, setzen einige Spardas mit Teo auf einen sehr viel breiteren Ansatz. Beides hat seine Berechtigung und vermutlich wird es für beide Arten von Plattform Kunden geben, die die eine oder andere favorisieren. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Wahl des Modells vermutlich gar nicht so entscheidend. Wichtiger ist die richtige technische Infrastruktur, um überhaupt zur Plattform zu werden. Die Feineinstellung des Konzepts lässt sich dann immer noch vornehmen.

Swantje Benkelberg , Chefredaktion, bank und markt, Cards Karten Cartes , Fritz Knapp Verlag
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