Leitartikel

Parallelen über dem Atlantik

sb - Seit Jahren ist das Thema "litigation" auf der Mastercard-Website eine eigene Rubrik. Allein schon daran wird ersichtlich, wie brisant die andauernde wettbewerbsrechtliche Auseinandersetzung für die Kartenorganisation und ihre Kunden, Emittenten wie Akzeptanten, ist. Nicht umsonst haben sich die Europäer seinerzeit bei der Fusion von Europay mit Mastercard ausbedungen, für hieraus zu befürchtende Bußgeldzahlungen, die nach geübter US-Praxis schwindelerregende Höhen erreichen könnten, nicht zur Kasse gebeten zu werden.

Mit der am 4. Oktober erzielten Einigung zwischen Mastercard und Visa einerseits und dem US-Justizministerium andererseits geht nun eine Ära der Unsicherheit ihrem Ende entgegen, die sich in mancher Hinsicht den Auseinandersetzungen der Kartenbranche mit der EU-Kommission vergleichen lässt. Ähnlich wie Visa Europe im Interchange-Streit mit der Kommission haben nun in den USA Visa und Mastercard eingelenkt, vermutlich um Schlimmeres zu verhüten. Nolens volens werden sie es Händlern künftig freistellen, die Kunden zur Nutzung der für den Akzeptanten preisgünstigsten Zahlungsmethoden zu bewegen, etwa durch Hinweise auf die bevorzugte Zahlungsform, aber auch durch Rabatte oder Gratiszugaben bei Wahl derselben. Im Gegenzug lässt das Justizministerium die Klage gegen die beiden Kartenorganisationen fallen. Einzig American Express hält für die bislang geübte Praxis, solche Maßnahmen zu verbieten (von Ausnahmeregelungen beziehungsweise -vereinbarungen abgesehen) die Fahne hoch und will die Sache gerichtlich durchfechten.

Auf den ersten Blick übernimmt Amex damit die gleiche Rolle, die in Europa Mastercard spielt. Und doch liegen die Dinge etwas anders. In Europa darf sich Mastercard mit einigem Recht als Vorkämpfer der Branche in einer Prinzipienfrage positionieren. Schließlich liegen die Disagien der beiden großen Wettbewerber nicht allzu weit auseinander und wird die Entscheidung des EuGH Relevanz für Visa wie Mastercard gleichermaßen haben. Jenseits des Atlantiks geht es American Express dagegen in der Auseinandersetzung mit dem US-Justizministerium deutlich mehr um die eigenen, unternehmensspezifischen Belange. Denn aus der umfangreichen Kommunikation zum Thema geht eindeutig hervor, dass man bei Amex die eigenen Felle davonschwimmen sieht. Da die Disagien für die Akzeptanz von American-Express-Karten deutlich höher sind als die des Wettbewerbs, stellt ein Recht des Akzeptanten, den Kunden nach anderen Karten oder gar Barzahlung zu fragen, das Amex-Geschäftsmodell in Frage - sei es nun, dass die Kunden entnervt die Karte zurückgeben oder dass Händler den Akzeptanzvertrag lösen, wenn ihnen diese Steuerungsversuche nicht gestattet werden. Die Aufnahme des Fehde-Handschuhs riecht somit mehr nach einer Verzweiflungs- denn nach einer Überzeugungstat.

Auch der Ausgang des Rechtsstreits - wie immer er letztlich aussehen mag - hat in den USA eine andere Dimension. In Europa geht es wirklich ums Prinzip. Wenngleich Visa Europe in der Auseinandersetzung mit der Kommission eine andere Strategie verfolgt als Mastercard, ist man sich doch in der Sache einig: Ohne Interchange geht es nicht. Und so hat das bisherige Einlenken von Visa Europe nurmehr eine Atempause ver schafft, aber keine wirklich neuen Fakten geschaffen. Genau das aber geschieht jetzt in den USA. Wenn Mastercard und Visa nunmehr den Bemühungen von Händlern und Dienstleistern zustimmen, den Kunden bei der Wahl des Zahlungsmittels zu beeinflussen, wird damit ein grundlegend verändertes Wettbewerbsumfeld geschaffen, in dem ein Wettbewerb um die günstigste Interchange in Gang kommen wird beziehungsweise die Sätze sich immer mehr annähern. Die Schere zu American Express mit den (wie man selbst einräumt) hohen Disagien einer Premium-Marke wird sich beim Festhalten des Unternehmens an der bisherigen Strategie somit vermutlich immer weiter öffnen. Selbst wenn American Express den Rechtsstreit schließlich gewinnen und den Ausschluss solcher Praktiken in den Akzeptanzverträgen gerichtlich bestätigt bekommen sollte, müsste man sich mit dieser Tatsache auseinandersetzen. Eine Rückkehr von Visa und Mastercard zu den alten Bedingungen in ihren Regularien wäre kaum vorstellbar. Selbst ein Triumph in der gerichtlichen Auseinandersetzung wäre für American Express also wenig mehr als ein Pyrrhussieg. Man dürfte dann zwar weiterhin unbehelligt den Verzicht auf die Steuerung des Zahlungsverhaltens in die Akzeptanzverträge hineinschreiben - müsste dabei aber stets auf die Einsicht der Händler hoffen, dass die über durchschnittlichen Umsätze der Amex-Karteninhaber vielleicht doch die hohen Disagien rechtfertigen. Für die Wettbewerber dagegen hat der Ausgang des Wettstreits wenig Bedeutung.

Eines ist sicher: Nachdem die jüngste "Kartengesetzgebung" in den USA die Möglichkeiten, Einnahmen aus dem Kartenkredit zu generieren, deutlich eingeschränkt hat, nimmt durch die Entwicklung im "Merchant Lawsuit" der Druck auf die Margen im US-Kartengeschäft weiter zu. Damit nähert sich die Ausgangslage der US-Emittenten derjenigen ihrer europäischen Kollegen weiter an. Was aber heißt das alles, was sich jenseits des Atlantiks abspielt, für das Geschäft hierzulande?

Unmittelbare Auswirkungen gibt es erst einmal nicht. Anzunehmen, dass die Entwicklungen im Mutterland des Kreditkartenwesens gar nicht auf Europa ausstrahlen werden, wäre aber sicher naiv. Zweifellos beobachten europäische wie nationale Wettbewerbshüter das Geschehen in anderen Märkten intensiv. Und wenn sich die Waage einem großen Markt wie den USA in eine Richtung neigt, die den eigenen Intentionen entspricht, werden sie dies in ihre eigenen Strategien mit einbeziehen. Mit anderen Worten: Dem Druck auf die Interchange und die Forderung nach mehr Flexibilität für den Handel wird durch den Kompromiss vom 4. Oktober vermutlich neuer Nachdruck verliehen. Denkbar, dass die Aufhebung nationaler Surcharging-Verbote (die die EU-Mitgliedsstaaten bisher individuell regeln dürfen) wieder auf den Tisch kommt. Und auch die Honour-all-Cards-Regelungen wird vermutlich noch kritischer betrachtet werden als bisher. Auch wenn der Europäische Gerichtshof in der Interchange-Frage letztlich im Sinne der Emittenten entscheiden sollte, zeigt die Entwicklung in den USA, dass damit letztlich nicht alles vorbei ist: Die Wettbewerbshüter könnten sich dann in eine ähnliche Richtung orientieren wie die Kollegen in den USA und statt für Preisobergrenzen auf mehr Wettbewerb bei der Interchange dringen.

Ob das alles den Zahlungsverkehr für den Kunden erfreulicher machen wird, ist eine ganz andere Frage. Wenn der American-Express-CEO Ken Chenault ankündigt, die Rechte der Karteninhaber am Point of Sale verteidigen zu wollen, ist dies nicht ganz von der Hand zu weisen. Mag sein, dass sich der eine oder andere Kunde freut, wenn seine Karte oder sein Bargeld (so er denn genug davon in der Tasche hat) als so preisgünstig bewertet wird, dass er dafür einen Preisnachlass erhält. Hat er aber die "falsche" Karte und wird zu häufig nach einem anderen Stück Plastik gefragt, könnte er leicht unwillig werden. Und der Spontankäufer, der feststellt, dass sein vermeintliches Schnäppchen allein deshalb teurer wird, weil er versäumt hat, sich zuvor mit Bargeld zu versorgen, nimmt dann vielleicht von seinem Kauf doch lieber Abstand. Zumindest in Deutschland könnte die entstehende Verwirrung dem Medium Karte an sich nur schaden. Bargeld wäre wieder Trumpf - mehr denn je. Manchem Einzelhändler wäre das vielleicht nicht unlieb - wenngleich auch Bargeld bald an Attraktivität einbüßen könnte, wie die Diskussion auf Seite 14 zeigt. Ob solche Konsequenzen auch im Interesse der Politik und der Verbraucherschützer wäre, steht auf einem anderen Blatt. Und mit "any card at any ter minal", wie es die Politiker als Sepa-Maxime formuliert haben, hätte es schon gar nichts zu tun.

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