Paradigmenwechsel im Zahlungsverkehr?

sb - So manchem Marktteilnehmer der Kartenbranche dürfte Bundesbank-Vorstand Carl-Ludwig Thiele mit seiner Rede zur Eröffnung der Euro Finance Week aus der Seele gesprochen haben, als er den immer deutlicher werdenden Widerspruch zwischen der rasanten technologischen Entwicklung und den langwierigen politischen Abstimmungsprozessen zu neuen Regelungen in Europa thematisierte. Dadurch, so Thiele, droht Europa und drohen vor allem die Banken den Anschluss im Wettbewerb des Marktes für Zahlungsdienste zu verlieren. Denn die großen Unternehmen aus dem Internet-Universum, wie Apple oder Alibaba, können bei der Einführung von Zahlungsdiensten "im Nu eine hohe Abdeckung auf der Zahlerseite erreichen, der sich der Handel kaum verweigern würde" - und das ohne über europäische Standards nachzudenken.

Der Marktdruck baut sich auf

Tatsächlich sollte die bisherige Entwicklung seit dem Start von Apple Pay am 20. Oktober allen Marktteilnehmern im Zahlungsverkehr zu denken geben. Über 500 Banken in den USA haben laut Apple bereits eine Kooperation unterzeichnet. Und die offizielle Liste der Händler, mit denen die Apple-Gemeinde auf diesem Weg bereits zahlen kann, ist ellenlang. Der Marktdruck, dem sich Händler irgendwann nicht mehr werden entziehen können, baut sich anscheinend bereits auf.

Wie sehr der Markt in Aufruhr ist, zeigen die Diskussionen um Händler wie die US-Drogerie-/Apothekenketten Rite Aid und CVS sowie Walmart, die die NFC-Funktionalität ihrer Terminals bald nach dem Start von Apple Pay abgeschaltet haben. Sie gehören dem Konsortium MCX an, das im kommenden Jahr eine eigene Mobile-Payment-Lösung des Einzelhandels unter dem Namen "CurrentC" an den Markt bringen und deren Marktchancen nicht vorab dadurch zunichtemachen will, dass sich Kunden bis dahin an Apple Pay gewöhnen.

Eine Exklusivität der Verträge gibt es - entgegen anders lautenden Behauptungen - laut MCX nicht, es ist eine Entscheidung der einzelnen Händler, welche Bezahlverfahren sie akzeptieren oder eben auch nicht. Der Machtkampf um die größere Marktmacht ist jedoch in vollem Gang, zumal mittlerweile auch die Zahlung mit Karten der Marke China Union Pay via Apple Pay möglich ist. Selbst die chinesische Handelsplattform Alibaba soll bereits Interesse an einer Kooperation geäußert haben. Es gibt erste Berichte über ein Einknicken des einen oder anderen Unterstützers von Current-C.

Wenn sich aber selbst Handelsriesen wie Walmart offenbar schwer tun, sich einem Dienst wie Apple Pay in den USA zu verweigern, dann kann man sich unschwer ausrechnen, dass über kurz oder lang auch Europa sich mit der Frage wird auseinandersetzen müssen, ob und wie man dem entgegenstemmen will. Das gilt für die traditionelle Kartenbranche ebenso wie für alternative Anbieter.

Denn die Frage, was sich letztlich durchsetzt, ist nicht zuletzt auch eine Frage der Technologie. Current-C etwa wird eine App-basierte Lösung sein, bei der sich erst noch erweisen muss, ob sie sich in Sachen Nutzerfreundlichkeit mit Apple Pay wird vergleichen lassen. Für Mobile-Payment-Verfahren, bei denen man an der Kasse erst noch eine App öffnen muss, wird die Luft in Zukunft somit vermutlich dünner werden, wenn sich einfachere Verfahren erst einmal durchsetzen.

Biometrie auf dem Vormarsch

Auch die Kartengesellschaften haben das Thema Nutzerfreundlichkeit mittlerweile hoch aufgehängt. So hat Mastercard Mitte November "Pläne zur Ära nach der Passwortpflicht" bei Online-Zahlungen" vorgestellt. 3-D-Secure, so sicher das Verfahren auch sein mag, scheint damit zum Auslaufmodell zu werden. Geplant sind Praxistests von Gesichts- und Stimmerkennungs-Apps zur Authentifizierung von Karteninhabern oder sogar Versuche, dieselben mithilfe eines Armbands anhand ihres individuellen Pulses zu erkennen.

Das alles ist sicher noch Zukunftsmusik, aber es zeigt, wohin die Reise gehen wird. Biometrie - seitens der Kreditwirtschaft lange als nicht realistisch abgetan - wird künftig eine wachsende Rolle spielen. Apple Pay ist somit nicht zuletzt ein Katalysator für einen (vielleicht überfälligen) Paradigmenwechsel bei der Betrachtung der Sicherheitsverfahren.

Wenn man das alles zusammennimmt, kann der Appell von Carl-Ludwig Thiele nur nachdrücklich betont werden: Die Kreditwirtschaft in Europa muss das verbleibende Zeitfenster nutzen, um baldmöglichst europaweite innovative Angebote an den Markt zu bringen. Der für 2015 angekündigte Pilot der DK zu Girogo Debit ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Er reicht aber bei Weitem nicht aus.

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