Schwerpunkt: Neue Bewertungsstandards

Ein alternativer Weg wird gangbar das standardisierte DCF-Verfahren

Im Juni 2006 hat der Vorstand der gif Gesellschaft für
immobilienwirtschaftliche Forschung ein Standardschema für die
Immobilienbewertung nach dem Discounted-Cash-Flow-Verfahren (DCF)
verabschiedet. Immobilienwerte über den Discounted Cash-Flow zu
ermitteln, ist als Alternative zu den gängigen Bewertungsverfahren
bereits seit einiger Zeit in aller Munde. Doch erst die
Standardisierung erlaubt es, das Verfahren einheitlich anzuwenden -
und macht es damit zu einer echten, weil verlässlichen Alternative in
der Immobilienbewertung.
\
Ursprünge der Methode
\
Das DCF-Verfahren wurde erstmals 1877 in den USA beschrieben. Zu
Beginn des 20. Jahrhunderts setzte man es dort vor allem ein, um große
industrielle Investitionsentscheidungen zu bewerten. Zentrales Merkmal
ist die periodische Betrachtung der Zahlungsströme innerhalb eines
definierten Zeitraumes. Positive und negative Periodenüberschüsse
werden dabei ebenso wie der am Ende verbleibende Restwert mit einem
Diskontierungsfaktor abgezinst und zum aktuellen Barwert summiert: zum
Marktwert der Immobilie.
\
Klarer Vorteil dieser Methode gegenüber dem deutschen
Ertragswertverfahren: Die periodengenaue Betrachtung der Einnahmen und
Ausgaben sorgt für eine direkte Orientierung des ermittelten Wertes am
aktuellen Markt und verleiht der Bewertung ein starkes dynamisches
Moment. In Deutschland war das DCF-Verfahren bisher zwar bekannt, auch
und gerade den Immobilien-Sachverständigen. Es fristete indes eher ein
Nischendasein und wurde hauptsächlich zur Unternehmensbewertung und
zur Kontrolle von Investitionsentscheidungen genutzt. Die Nachfrage
aus der Immobilienbranche war gering. Das hat sich geändert. Bislang
existierte keine Standardisierung des Verfahrens, so dass die
Handhabung und auch die Ergebnisse oft - gelinde gesagt - recht
unterschiedlich ausfielen.
\
Ausgelöst wurde die Renaissance des DCF-Verfahrens durch zwei
Faktoren. Als Wirtschaftsprüfer Ende 2004 die Bestände Offener
Immobilienfonds bewerteten, unterschritten ihre Ergebnisse die Werte,
die deutsche Gutachter mit ihren Verfahren ermittelt hatten. Das trat
eine Diskussionslawine um Bewertungsmethoden los. Die ganzen
Auseinandersetzungen um Sinn und Unsinn von nachhaltiger Miete und
Liegenschaftszinssatz zu rekapitulieren, würde hier zu weit führen -
zumal sich hinter dem Streit letztlich doch nur die Frage verbarg, für
wie unabhängig man die unabhängigen Sachverständigen eigentlich
erachtete.
\
Ausländer wollen DCF
\
Langfristig bedeutsamer scheint der zweite Faktor: Angelsächsische
Investoren, die in jüngster Zeit verstärkt auf den deutschen
Immobilienmarkt drängen, tun sich mit dem deutschen
Ertragswertverfahren schwer und bevorzugen das in den USA gängige
DCF-Verfahren.
\
Die Mitglieder der Sachverständigenausschüsse Offener Immobilienfonds
sahen sich in den letzten Jahren mehr als einmal in der Situation,
ihre Bewertungen gegenüber Wirtschaftsprüfern und Journalisten zu
erläutern, um dem Vorwurf einer vermeintlichen Überbewertung zu
begegnen. Dabei entstand der Gedanke, eine Standardisierung für das
DCF-Verfahren zu erarbeiten und so die Diskussion zu versachlichen.
Das sollte nicht im stillen Kämmerlein unter Ausschluss der
Öffentlichkeit geschehen. Daher gründete die gif Gesellschaft für
immobilienwirtschaftliche Forschung einen Unterarbeitskreis, dem
renommierte Persönlichkeiten aus allen Bereichen der
Immobilienwirtschaft angehörten. In mehreren Sitzungen erarbeitete
dieser Kreis das Papier, das der Vorstand der gif nun am 23. Juni 2006
zur Veröffentlichung freigegeben hat.
\
Das standardisierte gif-Verfahren
\
Wie das DCF-Verfahren nach dem bei der gif entwickelten Standard
aussieht, zeigt das abgebildete Ablaufschema. Als Betrachtungszeitraum
scheint - je nach Objekt - eine Zeitspanne von zehn bis 15 Jahren
ratsam. So lassen sich wichtige Einflüsse wie die Kosten für
Mieterwechsel und Instandsetzung/Modernisierung angemessen
berücksichtigen. Ist die Nutzungsdauer des Objekts indes nur
unwesentlich länger als der Betrachtungszeitraum selbst, kann eine
Verlängerung (bis zum Abriss) sinnvoll sein.
\
- Die positiven Einnahmen werden aus den tatsächlichen Mieten
errechnet periodengenau bis zum Ende der einzelnen Mietverträge. Dabei
sind Optionen und andere vertragliche Regelungen wie Staffelmiete oder
Mietanpassungsklauseln zu beachten. Leer stehende Flächen werden in
der ersten Periode mit der aktuellen Marktmiete angehalten, also mit
der zum Stichtag der Bewertung rechtlich zulässigen und erzielbaren
Miete. Für die folgenden Perioden muss die Marktmiete vor dem
Hintergrund des örtlichen Marktes sachverständig prognostiziert und
entsprechend angepasst werden. Eine solche Mietsimulation ist für eine
fachgerechte Anwendung und realistische Ergebnisse unumgänglich.
\
- Mietausfälle (fehlende Einnahmen) ergeben sich aus durch Leerstände
entgangene Mieten und aus nicht einnehmbaren Mieten
(Mietausfallwagnis). Beides kann die Ertragsbasis spürbar schmälern.
Um die Mietausfälle zu ermitteln, sind konjunkturelle und strukturelle
Leerstände ebenso wie die Leerstandsphasen bei Mieterwechseln zu
prognostizieren. (Die teilweise erheblichen Einnahmeausfälle bei
Mieterwechseln wurden bereits im Artikel "Weniger Kreditausfallrisiko
durch Quantifizierung der Leerstandskosten" in Immobilien &
Finanzierung Heft 10/2006 beschrieben.)
\
- Die Ausgaben resultieren aus den Kosten der Bewirtschaftung der
Immobilie. Zum größten Teil werden sie durch Instandsetzungs- und
Modernisierungsmaßnahmen und durch den bei Mieterwechseln anfallenden
Umbau- und Vermarktungsaufwand verursacht. Eine nachgeordnete Rolle
spielen die Verwaltungs- und die vom Vermieter zu tragenden
Betriebskosten. All diese Ausgaben müssen indes objektspezifisch in
\
Ansatz gebracht werden. Der periodische Aufbau des DCF-Verfahrens
bietet dabei den großen Vorteil, dass diese Ansätze variabel gewählt
werden können, um die tatsächliche Ausgabenentwicklung realitätsnah
wiederzugeben. Denn gerade die Instandhaltungskosten steigen in aller
Regel mit zunehmendem Gebäudealter.
\
- Schließlich muss auch der Restwert der Immobilie am Ende des
Betrachtungszeitraumes ermittelt werden. Dabei gilt es, zwischen dem
Regelfall einer längeren und dem Sonderfall einer sehr kurzen
verbleibenden Restnutzungsdauer zu unterscheiden. Im Regelfall kann
der Restwert aus dem Rohertrag der letzten betrachteten Periode
abgeleitet werden. Eine solche Ableitung des Restwertes über den
Rohertragsfaktor macht eine vollständige methodische Trennung von
DCF-Verfahren und Ertragswertverfahren möglich.
\
Bei Immobilien mit einer sehr kurzen verbleibenden Restnutzungsdauer
bietet es sich (wie oben beschrieben) an, den Betrachtungszeitraum bis
zum Ende der erwarteten Nutzungsdauer zu verlängern. Als Restwert wird
dann der Bodenwert abzüglich der kalkulierten Abrisskosten angesetzt.
Dieser Sonderfall findet besonders bei Objekten Anwendung, bei denen
sich eine Modernisierung wirtschaftlich nicht darstellen lässt.
\
Aus Einnahmen und Ausgaben ergeben sich die Periodenergebnisse. Sie
werden mittels des Diskontierungszinssatzes auf den zum
Bewertungsstichtag geltenden Kapitalwert abgezinst. Die
Berücksichtigung von Mieterwechselkosten und
\
Leerständen quantifiziert einen Großteil der immobilienspezifischen
Risiken. Das wirkt sich auf die Höhe und Streuung der
Diskontierungssätze aus. Da bislang Erfahrungswerte fehlen, muss der
Diskontierungssatz als interner Zinsfuß aus Kauffällen abgeleitet
werden. Das sollte - unabhängig von Gutachterausschüssen - durch ein
Netzwerk von Sachverständigen geschehen.
\
Das standardisierte DCF-Verfahren bietet einen völlig unabhängigen
Weg, den Marktwert von Immobilien abzuleiten. Methodische
Verquickungen mit den normierten Wertermittlungsverfahren sind bewusst
nicht vorhanden, um eine Plausibilisierung der Marktwerte zu
ermöglichen. Der systematische Aufbau bietet den Vorteil, dass alle
Ansätze transparent dargelegt und geprüft werden können.
\
Doch das Verfahren kann auch in anderer Hinsicht mit überzeugenden
Vorteilen aufwarten - durch Synergien mit anderen Aufgaben. So lassen
sich die Daten und Ergebnisse exzellent für das operative und
strategische Immobilienmanagement nutzen. Zudem erlaubt es die
Systematik, mit den Ergebnissen Investitionsentscheidungen zu belegen.
\
Verlorenes Vertrauen zurückgewinnen
\
Gerade im Zuge von Basel II wird es ohnehin immer häufiger nötig
werden, prognostizierte periodische Zahlungsflüsse gegenüber
finanzierenden Banken auszuweisen. Und schließlich bietet sich auch
die Verknüpfung mit vollständigen Finanzplänen an - gleich ob die
Zahlungsströme aus einem existierenden Vofigeneriert oder als Basis
für einen solchen aus dem DCF-Schema übernommen werden.
\
Was vor zwei Jahren als Krise um die Offenen Immobilienfonds begann,
könnte sich dank der Standardisierung des DCF-Verfahrens so am Ende
gar zum Gewinn für die Immobilienbewertung entwickeln. Die Ermittlung
der Marktwerte über das standardisierte DCF-Verfahren ist jedenfalls
bestens geeignet, die immer wieder propagierte Forderung nach größerer
Transparenz zu befriedigen und zugleich das - ob nun zu Recht oder zu
Unrecht - verlorene Vertrauen zurückzugewinnen.
\
Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob das Verfahren als Alternative
oder zur Plausibilisierung der Ergebnisse aus einem
Ertragswertverfahren eingesetzt wird. Denn am Ende gibt es trotz aller
Diskussion doch nur einen Marktwert einer Immobilie - egal mit welcher
Methode man ihn ermittelt.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X