Risikomanagement

Eigenverwaltung von Problemkrediten

Das Volumen an Bankverbindlichkeiten, das aufgrund der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise mit erhöhten Ausfallrisiken behaftet ist, hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen. Die Frage, welche Größe der Markt für leistungsgestörte Finanzierungen, sogenannte Distressed oder Nonperforming Loans (NPL) in Deutschland hat, ist in der Vergangenheit stets kontrovers beantwortet worden. Während einige anglo-amerikanische Hedgefondsgesellschaften1) das potenzielle Verkaufsvolumen in einer Schätzung aus dem Jahre 2004 bereits auf einen Betrag in Höhe von bis zu 300 Milliarden Euro bezifferten, weist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in ihrem Jahresbericht für das Jahr 2008 "lediglich" einen Wertberichtigungsbedarf der Kreditwirtschaft in Höhe von insgesamt 136 Milliarden Euro aus. Auch wenn hinsichtlich der Einschätzung des Gesamtvolumens Divergenzen bestehen mögen, so herrscht zwischen sämtlichen Beteiligten jedoch dahingehend Einvernehmen, dass sich die negative wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre zunehmend in den Kreditbüchern der einzelnen Kreditinstitute widerspiegelt. Aus der Sicht des betroffenen Kreditinstituts stellt sich insoweit die zentrale Frage, wie mit einer leistungsgestörten Finanzierung in der zukünftigen Geschäftsbeziehung mit dem Kreditnehmer weiter zu verfahren ist. Der Beitrag stellt zunächst die beiden grundlegenden Handlungsoptionen des betroffenen Kreditinstituts - Verkauf beziehungsweise Eigenverwaltung des NPL - gegenüber. Im Anschluss daran werden die für das betreffende Kreditinstitut in der Eigenverwaltung des NPL liegenden Chancen und Risiken analysiert sowie Lösungswege aufgezeigt, etwaig bestehende rechtliche Risiken bestmöglich zu begrenzen. Verkauf versus Eigenverwaltung von Problemkrediten Werden Kredite notleidend, steht das Kreditinstitut zunächst vor der richtungsweisenden Entscheidung, ob die entsprechenden Forderungen veräußert oder im Portfolio behalten und eigenständig verwaltet werden sollen. 1. Verbesserung der Eigenkapitalquote und des Ratings: Unterzieht man beide Handlungsoptionen einer wertenden Betrachtung, so scheinen vordergründig die stichhaltigeren Argumente für eine kurzfristige Veräußerung der notleidenden Kreditforderungen zu streiten. Ein wesentlicher Vorteil der kurzfristigen Veräußerung gegenüber der Eigenverwaltung einer notleidenden Kreditforderung ist in der Verkürzung der Bilanz und der hiermit einhergehenden Verbesserung der Eigenkapitalquote des Kreditinstituts zu erblicken. Darüber hinaus wird durch die Veräußerung das Rating des betreffenden Kreditinstituts angehoben, was diesem wiederum attraktivere Refinanzierungsmöglichkeiten eröffnet.2) Die vorgenannten Argumente fallen umso mehr ins Gewicht, als den Kreditinstituten in jüngerer Zeit durch diverse aufsichtsrechtliche Regelungen, wie die Umsetzung von Basel II sowie die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk), im Rahmen der ordnungsgemäßen Geschäftsabwicklung zahlreiche Verpflichtungen auferlegt werden, die insbesondere auch Risikoengagements betreffen.3) Nach den aufsichtsrechtlichen Vorgaben sind die Eigenkapitalanforderungen insoweit von der Bonität des Kreditnehmers abhängig. Vor diesem Hintergrund kann aus den veränderten Vorgaben eine Eigenkapitalunterlegung bei risikointensiven Krediten in Höhe von 150 Prozent resultieren.4) 2. Entlastung personeller Ressourcen: Ein weiteres Argument, das für einen alsbaldigen Forderungsverkauf ins Felde geführt werden kann, ist der Umstand, dass hierdurch personelle Ressourcen in den zumeist begrenzten Kapazitäten der bankinternen Restrukturierungsabteilungen frei werden.5) 3. Realisierung von Buchverlusten: Neben den geschilderten Vorzügen sind dem Verkauf von NPL auf der anderen Seite jedoch auch gewichtige Nachteile immanent. An erster Stelle ist in diesem Zusammenhang die Realisierung der entsprechenden Buchverluste zu nennen. Gerade im Hinblick auf das im aktuellen Marktumfeld eher niedrige Preisniveau für Distressed Debt scheuen sich viele Kreditinstitute, bestehende Buchverluste zu realisieren. Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die Kreditinstitute oft nicht in der Lage sind, den entsprechenden Abschreibungsbedarf hinzunehmen beziehungsweise bilanziell zu stemmen.6) 4. Negative Publizität: Darüber hinaus muss das betreffende Kreditinstitut grundsätzlich immer befürchten, dass die Veräußerung von NPL - speziell wenn sich auf Käuferseite eine sogenannte "Heuschrecke" wiederfindet - mit einer negativen Publizität einhergeht. Dies gilt in besonderem Maße für Kreditinstitute, die sich verstärkt in regional eng begrenzten Geschäftsbereichen engagieren. 5. Neuregelungen des Risikobegrenzungsgesetzes (RisikoBegrG) beziehungsweise des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie (VerbKredRLUG): Im Hinblick auf Verbraucherimmobilienfinanzierungen haben die Regelungen des am 19. August 2008 in Kraft getretenen Risikobegrenzungsgesetzes beziehungsweise des am 11. Juni 2010 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie die Anforderungen an eine Veräußerung notleidender Forderungen zudem nochmals verschärft. So wurde im Zuge dieser Gesetzesnovellen der gängigen Praxis, im Rahmen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüber Verbrauchern die Zustimmung zur Vertragsübernahme durch einen anderen Kreditgeber im vorhinein zu vereinbaren, nunmehr abschließend eine Absage erteilt. Die vorbezeichneten Gesetzesnovellen haben ferner eine Erschwerung der Kündbarkeit von Verbraucherimmobilienkrediten mit sich gebracht. Nach der insoweit angepassten Regelung des § 498 S. 1 BGB kann der Kreditgeber den Kredit nur kündigen, wenn der Kreditnehmer mit mindestens zwei aufeinander folgenden Teilzahlungen ganz oder teilweise und mit mindestens zehn Prozent, bei einer Laufzeit des Verbraucherkreditvertrages von mehr als drei Jahren mit mindestens fünf Prozent des Nennbetrags des Kredits in Verzug ist und der Kreditgeber dem Kreditnehmer erfolglos eine zweiwöchige Frist zur Zahlung des rückständigen Betrages verbunden mit der Erklärung gesetzt hat, dass er bei Nichtzahlung innerhalb der Frist die gesamte Restschuld verlangt. 6. Chance auf Teilhabe an Wertzuwachs durch gelungene Sanierung/Abwicklung: Das stärkste Argument, sich als Kreditinstitut gegen die Veräußerung einer notleidenden Finanzierung zugunsten der Eigenverwaltung des entsprechenden Engagements zu entscheiden, ist jedoch darin zu erblicken, dass sich für das Kreditinstitut nur im Rahmen der Eigenverwaltung die Chance bietet, an einer gelungenen Sanierung beziehungsweise Abwicklung zu partizipieren und entsprechende Wertzuwächse zu generieren. Soweit es dem betreffenden Kreditinstitut unter Hinzuziehung eines geeigneten Sanierungsberaters sowie im Schulterschluss mit sämtlichen weiteren Stakeholdern des in der Krise befindlichen Unternehmens gelingt, das notleidende Kreditengagement - gegebenenfalls zu angepassten Konditionen - fortzuführen, ist der wirtschaftliche Schaden für das Kreditinstitut bedeutend geringer als derjenige, der bei einem kurzfristigen "Notverkauf" der Forderungen droht. Handlungsoptionen Nachfolgend sollen daher zunächst die typischen Handlungsoptionen eines Kreditinstituts bei Eigenverwaltung des NPL sowie die damit jeweils verbundenen rechtlichen Haftungsrisiken dargestellt werden. - "Stillhalten": Wenn das Kreditinstitut von der Krise des Kunden Kenntnis erlangt, wird es in den seltensten Fällen unmittelbar die Kündigung des Engagements aussprechen. Als erste Reaktion kommt vielmehr zumeist das "Stillhalten" des Kreditgebers im Sinne der Bewahrung des Status Quo in Betracht, um eine fundierte Beurteilung der Krisensituation sowie der etwaigen Erfolgsaussichten einer Sanierung vornehmen zu können.7) Das "Stillhalten" bedeutet im Ergebnis folglich das Unterlassen von zulässigen Rechtshandlungen, die die Krise verschärfen würden, seitens des Kreditinstituts. 8) Schlagwortartig zusammengefasst beinhaltet ein "Stillhalten" des betreffenden Kreditinstituts somit den Verzicht auf: - die aktive Mitwirkung an Sanierungsmaßnahmen, - die aktive Beendigung der Kreditbeziehung sowie - die gerichtliche Beitreibung fällig gewordener Kredite. Ein bloßes "Stillhalten" des Kreditinstituts ist grundsätzlich uneingeschränkt zulässig.9) Das Kreditinstitut ist in einer Krisensituation seines Kunden weder verpflichtet, bestehende Kredite zu kündigen10), noch muss es die Ausschöpfung bestehender Kreditlinien oder Kreditrahmen verhindern11). Dieser Grundsatz wird jedoch dann durchbrochen, wenn das "Stillhalten" lediglich zum Zeitgewinn erfolgt, um eigennützig bereits gewährte Sicherheiten zu verbessern (zum Beispiel durch Verarbeitung/Werterhöhung) beziehungsweise neue Sicherheiten hereinzunehmen, oder das "Stillhalten" nur dem Zweck dient, maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung des in der Krise befindlichen Kunden zu nehmen.12) In diesen Fällen kann ein "Stillhalten" den Vorwurf einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung im Sinne des § 826 BGB zulasten der übrigen Gläubiger begründen.13) Aus Sicht des betroffenen Kreditinstituts kann die Handlungsoption des "Stillhaltens" dann vorzugswürdig sein, wenn die eigene Sicherheitenposition als gut eingeschätzt wird und die Sanierungsbemühungen der weiteren involvierten Gläubiger Erfolg versprechen. - Abwicklung: Als weitere Handlungsoption steht dem Kreditinstitut die Abwicklung des notleidenden Kreditengagements zur Verfügung. Hier hat in einem ersten Schritt zunächst die Kündigung des betreffenden Engagements zu erfolgen, wobei rechtlich zwischen der ordentlichen und der außerordentlichen Kündigung differenziert werden muss. Soweit für die Rückzahlung des betreffenden Kredits eine Zeit nicht bestimmt ist, kann der Kreditgeber den Kredit gemäß § 488 Abs. 3 BGB grundsätzlich unter Einhaltung der dreimonatigen Kündigungsfrist ordentlich kündigen. Die gesetzliche Kündigungsfrist des § 488 Abs. 3 BGB ist jedoch dispositiv.14) Die Frist für die ordentliche Kündigung von Krediten ohne Laufzeitvereinbarung, insbesondere Kontokorrentkredite, die von dem Kreditinstitut "bis auf Weiteres" gewährt werden, kann insoweit verkürzt oder sogar gänzlich abbedungen werden.15) Von dieser Möglichkeit haben die Kreditinstitute in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (Nr. 19 Abs. 2 AGB-Banken beziehungsweise Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen) Gebrauch gemacht. Nach diesen Vorschriften können die Institute sämtliche Kredite, für die weder eine Laufzeit noch eine abweichende Kündigungsregelung vereinbart ist, jederzeit ohne Einhaltung einer Frist kündigen.16) Die ordentliche Kündigung stellt daher faktisch ein Recht zur fristlosen Kündigung dar. Das Kündigungsrecht unterliegt seinerseits jedoch gewissen Einschränkungen. Ein Kündigungsverbot kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Kündigung - zur Unzeit erfolgt17), - als rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 242 BGB anzusehen ist 18) oder - ein stillschweigender Kündigungsausschluss vorliegt. Daher sind vor dem Ausspruch der Kündigung stets alle Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der berechtigten Belange des Kreditnehmers abzuwägen. Das außerordentliche Kündigungsrecht ist in Nr. 19 Abs. 3 AGB-Banken beziehungsweise Nr. 26 Abs. 2 AGB-Sparkassen niedergelegt und geht insoweit konform mit den Vorgaben der §§ 314, 490 Abs. 1 BGB19). Dem betroffenen Kreditinstitut steht hiernach ein außerordentliches Kündigungsrecht zu, wenn eine ins Gewicht fallende Kreditausfallgefahr besteht.20) Ein außerordentliches Kündigungsrecht zugunsten des Kreditgebers besteht mithin immer dann, wenn, - in den Vermögensverhältnissen des Kreditnehmers oder - in der Werthaltigkeit einer gestellten Sicherheit eine wesentliche Verschlechterung eintritt oder deren Eintritt droht und hierdurch die Rückerstattung des Kredits unter Verwertung der vorhandenen Sicherheiten ausfallgefährdet ist. Die außerordentliche Kündigung stellt in der Bankpraxis jedoch die Ausnahme dar, da die vorgenannten Voraussetzungen zumeist nicht zweifelsfrei durch das betreffende Kreditinstitut festgestellt werden können und der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung vor diesem Hintergrund äußerst streitanfällig ist. In der Regel machen die Kreditinstitute daher von ihrem ordentlichen Kündigungsrecht Gebrauch. Aus Sicht der Bank ist die Kündigung stets dann die vorzugswürdige Handlungsoption, wenn die eigene Sicherheitenposition gut ist, für das in der Krise befindliche Unternehmen jedoch keine hinreichende Sanierungsperspektive besteht und eine Fortführung des Kreditengagements insoweit nicht erfolgversprechend erscheint. Freihändige Abwicklung oder Insolvenzverfahren Hat das Kreditinstitut die Handlungsoption der Abwicklung gewählt, kann diese grundsätzlich sowohl im Wege eines geordneten Insolvenzverfahrens als auch im Rahmen einer freihändigen Abwicklung erfolgen. Eine entsprechende Wahlmöglichkeit des Kreditinstituts besteht natürlich nur insoweit, als der Schuldner selbst oder dritte Gläubiger nicht bereits den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Kreditnehmers gestellt haben. Ein geordnetes Insolvenzverfahren eröffnet dem betroffenen Kreditinstitut zunächst den Vorteil, dass es Schutz vor Vollstreckungsmaßnahmen einzelner dritter Gläubiger des Kunden bietet. Maßnahmen zur Verwertung des Schuldnervermögens können fortan nur noch durch Mehrheitsentscheidungen aller involvierten Gläubiger beschlossen werden. Andererseits bringt ein formelles Insolvenzverfahren nahezu ausnahmslos einen Wertverfall der gestellten Sicherheiten mit sich, die zur Begrenzung des wirtschaftlichen Schadens des Kreditinstituts dringend benötigt werden. Darüber hinaus erfolgt eine Ausschüttung der Quotenzahlungen in aller Regel erst nach einer Verfahrensdauer von fünf bis zehn Jahren, wobei die durchschnittliche Quotenerwartung aktuell zwischen null und drei Prozent des angemeldeten Forderungsbetrages liegt. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass für die Durchführung des Insolvenzverfahrens als solches nicht unbeträchtliche Kosten (Gerichtskosten, Vergütung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters) anfallen, die nicht mehr zur Verteilung an die Gläubiger zur Verfügung stehen. Insoweit bietet die freihändige Abwicklung dem Kreditinstitut nicht nur die Chance, die bestehenden Sicherheiten möglichst zeitnah am Markt zu verwerten. Durch die Vermeidung eines förmlichen Insolvenzverfahrens wird darüber hinaus gewährleistet, dass die noch bestehenden Vermögenswerte des Kreditnehmers bestmöglich in ihrem Wert erhalten werden. Aktive Sanierungsbegleitung Die wirtschaftlich interessanteste, für das Kreditinstitut gleichsam jedoch haftungsträchtigste Handlungsoption stellt die aktive Sanierungsbegleitung des notleidenden Kreditengagements dar. Dem betroffenen Kreditinstitut steht eine Vielzahl von potenziellen Sanierungsmaßnahmen im Rahmen der aktiven Sanierungsbegleitung des in der Krise befindlichen Kunden offen. Als klassische Sanierungsmaßnahmen seien an dieser Stelle exemplarisch die Stundung, die Tilgungsaussetzung, der Verzicht beziehungsweise der Rangrücktritt gegen Besserungsschein sowie die Bereitstellung von "frischem" Geld in Form eines Überbrückungs- respektive Sanierungskredits genannt. Entscheidet sich das Kreditinstitut, die Sanierung des Unternehmens unter Gewährung neuer Kredite aktiv zu begleiten, kann dies grundsätzlich im Wege eines Überbrückungskredits und/oder eines Sanierungskredits erfolgen. Die vorbezeichneten Kreditarten unterscheiden sich hierbei nicht nur im Hinblick auf den jeweils verfolgten Zweck, sondern vor allem in ihren jeweiligen Rechtsfolgen für das die neuen Mittel ausreichende Kreditinstitut, sofern die Sanierung des Kunden nachträglich scheitert. - Überbrückungskredit: Der Überbrückungskredit unterscheidet sich von einem Sanierungskredit dadurch, dass dem Kunden lediglich für den Zeitraum der Prüfung, ob eine Sanierung überhaupt tragfähig ist, kurzzeitig neue Mittel durch das Kreditinstitut zur Verfügung gestellt werden.21) Der Überbrückungskredit dient somit nicht der Sanierung des Unternehmens im engeren Sinne, sondern soll dem betreffenden Unternehmen für den Zeitraum der Sanierungsprüfung Liquidität geben, um etwaige Insolvenzantragsgründe zu beseitigen. In der Praxis werden entsprechende Überbrückungskredite in der Regel für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten gewährt, sofern ein umfangreiches Sanierungsgutachten zu erstellen ist. Die Gewährung eines Überbrückungskredits einschließlich Bestellung angemessener Sicherheiten wird von der herrschenden Meinung auch dann nicht als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB angesehen, wenn das Sanierungsgutachten nachträglich negativ ausfällt.22) Das Haftungsrisiko des Kreditinstituts bei der Vergabe eines Überbrückungskredits ist insoweit als gering zu bezeichnen. - Sanierungskredit: Unter einem Sanierungskredit versteht man die darlehensweise Zuführung von finanziellen Mitteln durch ein Kreditinstitut an ein sanierungsbedürftiges Unternehmen mit dem Ziel, eine Insolvenz abzuwenden beziehungsweise die Insolvenzantragsgründe zu beseitigen und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens nachhaltig wiederherzustellen.23) Scheitert der Sanierungsversuch, kann das den Sanierungskredit gewährende Kreditinstitut einer Vielzahl von Haftungsrisiken ausgesetzt sein, sofern die Kreditvergabe aus eigennützigen Motiven erfolgte. Auf Rechtsfolgenseite ist daher streng zwischen der Gewährung eines uneigennützigen respektive eines eigennützigen Sanierungskredits zu differenzieren. Ein ausgereichter Sanierungskredit ist dann als uneigennützig anzusehen, wenn das Kreditinstitut gegen das Schuldnerunternehmen keine offenen Forderungen mehr aus Altkrediten hat und für den neuen Kredit keine Sicherheiten aus dem Vermögen des Schuldners gestellt werden24). In diesem Fall wird davon ausgegangen, dass durch die Kreditgewährung keine Gläubigergefährdung verursacht wird, da das Kreditinstitut über die Zins- und Tilgungsleistung hinaus keine besonderen Vorteile zu Lasten der weiteren involvierten Gläubiger erlangt.25) Derartige Konstellationen sind in der Sanierungspraxis jedoch eher selten anzutreffen. Zumeist wird das die Sanierung begleitende Kreditinstitut noch Altforderungen gegen den in der Krise befindlichen Kunden haben und insoweit befürchten, ohne Stützungsmaßnahmen den alten Kredit zu verlieren. In dieser Konstellation wird die Ausreichung des Sanierungskredits daher stets von eigennützigen Motiven geleitet sein. Wenn das Kreditinstitut in dieser Situation einen Sanierungskredit gewährt, kann es schnell den Tatbestand der Insolvenzverschleppung erfüllen und sich somit erheblichen Haftungsrisiken aussetzen, da dritte Gläubiger insoweit Schadensersatzsprüche gegen das Kreditinstitut herleiten können, sofern es vorsätzlich gehandelt hat.26) Die Abgrenzung zwischen einem zulässigen (eigennützigen) Sanierungskredit und sittenwidriger Insolvenzverschleppung wird nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) vor diesem Hintergrund danach getroffen, ob das Kreditinstitut den Zusammenbruch des Schuldners durch eine ersichtlich unzureichende Kapitalzufuhr nur hinausschieben wollte, um sich unter Billigung der Schädigung Dritter während des verlängerten wirtschaftlichen Todeskampfs des Kunden weitere Vorteile zu verschaffen oder ob es mit der Vergabe des Neukredits bezweckte, den Schuldner wirklich zu sanieren und der Kredit hierfür auch geeignet war.27) Das betreffende Kreditinstitut kann sich von dem Vorwurf eines sittenwidrigen Verhaltens folglich dann entlasten, wenn es aufgrund einer sachkundigen sorgfältigen Prüfung der wirtschaftlichen Lage des Kunden überzeugt sein durfte, das Sanierungsvorhaben werde Erfolg haben und eine Schädigung Dritter daher letztlich nicht eintreten.28) Um den Nachweis eines solchen ernsthaften Sanierungsversuchs führen zu können, ist nach der Rechtsprechung des BGH zwingend die Vorlage eines schlüssigen Sanierungskonzepts notwendig, das von den erkannten und erkennbaren tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht und nicht offensichtlich undurchführbar ist.29) Auf der Grundlage dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung wird mittlerweile auch seitens der BaFin im Rahmen ihrer Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk)30) gefordert, dass vor Ausreichung eines Sanierungskredits durch das Kreditinstitut ein entsprechendes Sanierungskonzept eingeholt wird.31) Hinsichtlich des notwendigen Inhalts eines derartigen Sanierungskonzepts trifft der BGH lediglich die Aussage, dass dieses sowohl die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage des Unternehmens zu analysieren als auch die jeweiligen Krisenursachen zu erfassen habe.32) In der Sanierungspraxis haben sich in den vergangenen Jahren im Wesentlichen zwei Standards herausgebildet, auf deren Grundlage entsprechende Sanierungskonzepte erstellt werden. Hierbei handelt es sich in erster Linie um den von dem Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) herausgegebenen Standard IDW S 6 sowie den von dem Institut für die Standardisierung von Unternehmenssanierungen erarbeiteten Standard ISU-MaS (Mindestanforderungen an Sanierungskonzepte). Neben einer Inanspruchnahme wegen Insolvenzverschleppung kann sich das Kreditinstitut weiteren Haftungsrisiken ausgesetzt sehen, wenn es einen Sanierungskredit gewährt hat, ohne zuvor die Sanierungsaussichten des Kunden hinreichend auf der Basis eines entsprechenden Sanierungskonzepts zu überprüfen, und der Sanierungsversuch misslingt. So bestehen unter anderem die Risiken, dass der Insolvenzverwalter die in der Krise gewährten Sicherheiten im Wege der Insolvenzanfechtung nachträglich herausverlangt oder das Kreditinstitut aufgrund einer "faktischen Geschäftsführung" auf Schadensersatz in Anspruch nimmt. Strategien zur Begrenzung des Haftungsrisikos Wie vorstehend ausgeführt, kann die Gewährung eines Sanierungskredits mit nicht unbeträchtlichen rechtlichen Risiken für das betreffende Kreditinstitut einhergehen, wenn der Sanierungsversuch letztlich scheitert. Um diese Risiken für das Kreditinstitut beherrschbar zu machen, sollten folgende Maßnahmen im Rahmen einer aktiven Sanierungsbegleitung stets getroffen werden: 1. Prüfung der Sanierungsfähigkeit des Kreditnehmers im Rahmen eines tragfähigen Sanierungskonzepts durch fachkundigen externen Berater. 2. Beseitigung der Insolvenzantragsgründe spätestens mit Ausreichung des Sanierungskredits. 3. Keine nachträgliche Besicherung von Altkrediten während der Sanierungsphase. 4. Vermeidung von unzulässiger Einflussnahme auf Geschäftsführer des Kreditnehmers. 5. Fortlaufende Überwachung der Umsetzung des Sanierungskonzepts. Sofern vorstehende Maßnahmen konsequent umgesetzt werden, kann das Haftungsrisiko des die Sanierung begleitenden Kreditinstituts signifikant reduziert werden. Zusammenfassung Im Falle einer Störung des Kreditverhältnisses hat das Kreditinstitut zunächst jeweils individuell eine Entscheidung zu treffen, ob ein schneller Exit aus dem notleidenden Kreditengagement im Wege des Forderungsverkaufs gesucht wird oder ob es die Sanierung des Kreditnehmers - gegebenenfalls unter Gewährung weiterer Mittel - begleitet. Diese Entscheidung wird sich in erster Linie an den Erfolgsaussichten einer etwaigen Sanierung des Kreditnehmers zu orientieren haben. Sofern eine Sanierung des Kreditnehmers aus Sicht des Kreditinstituts hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, bietet deren aktive Begleitung dem betreffenden Kreditinstitut die Chance, seinen eigenen wirtschaftlichen Schaden durch Weiterführung des Engagements bestmöglich zu begrenzen. Neben den wirtschaftlichen Chancen können in der aktiven Sanierungsbegleitung jedoch auch eine Vielzahl von rechtlichen Risiken begründet liegen, die entsprechende Schadensersatzansprüche dritter Gläubiger gegen das Kreditinstitut zu begründen vermögen. Vor diesem Hintergrund sollte insbesondere eine Gewährung von Fresh Money im Wege eines Sanierungskredits durch das Kreditinstitut nur gegen Vorlage eines entsprechenden Sanierungskonzepts erfolgen, das auf der Grundlage eines anerkannten Standards (zum Beispiel IDW S 6) durch einen qualifizierten Sanierungsberater erstellt worden ist. Schließlich ist die dringende Empfehlung auszusprechen, dass der jeweilige Sanierungsberater nicht nur mit der Erstellung, sondern darüber hinaus auch mit der Überwachung der Umsetzung des erarbeiteten Sanierungskonzepts betraut wird. Nur auf diese Weise kann im Interesse des Kreditinstituts sichergestellt werden, dass der eingeschlagene "Pfad der Tugend" von dem Kreditnehmer auch konsequent zu Ende gegangen wird. Fußnoten 1) Vergleiche unter anderem die Schätzung von Lone Star, FAZ vom 1. Oktober 2004, S. 23. 2) Clemens/ Crenshaw in: Problematische Firmenkundenkredite, S. 575 Rn. 1966. 3) Clemens/ Crenshaw in: Problematische Firmenkundenkredite, S. 577 Rn. 1969. 4) Clemens/ Crenshaw in: Problematische Firmenkundenkredite, S. 577 Rn. 1971 mit Verweis auf die Vorschrift des § 39 SolvV - 150 Prozent Risikogewicht für überfällige Positionen nach dem Kredit-risiko-Standardansatz (KSA). 5) Vogler/ Reinecke in: AG Report 2009, R379. 6) Vogler/ Reinecke in: AG Report 2009, R379. 7) Wittig in: Schmidt/ Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 1265. 8) Cranshaw in: ZInsO 2008, 421 (429). 9) Ahnert in: BKR 2002, 254 (255). 10) BGH WM 1992, 1083. 11)BGH NJW 1970, 657. 12) BGH WM 1961, 1298. 13) BGH WM 2004, 1575. 14) So bereits: RGZ 104, 86. 15) Bruchner/ Krepold in: Schimansky/ Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 79 Rn. 116. 16) Bruchner/ Krepold in: Schimansky/ Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 79 Rn. 116. 17) BGH WM 1985, 1128. 18) BGH WM 1985, 1136. 19) Busch in: ForderungsPraktiker 2010, 57 (59). 20) Bruchner/ Krepold in: Schimansky/ Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 79 Rn. 127. 21) Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, S. 748 Rn. 5.134. 22) Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, S. 749 Rn. 5.134. 23) Häuser in: Schimansky/ Bunte/ Lwowski, Bank-rechts-Handbuch, § 85 Rn. 8. 24) Bachmann/ Veith in: Problematische Firmenkundenkredite, S. 213 Rn. 790. 25) Bachmann/ Veith in: Problematische Firmenkundenkredite, S. 213 Rn. 791. 26) BGH WM 1985, 1136. 27) Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, S. 737 Rn. 5.108 m.w. N. 28) BGH WM 1965, 919. 29) BGH NJW 1998, 1563. 30) Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht: Mindestanforderungen an das Risikomanagement, Rundschreiben 11/ 2010. 31) Vergleiche MaRisk vom 15.12.2010, BTO 1.2.5 Ziffer 2. 32) BGH NJW 1998, 1564. Der Beitrag gibt die gekürzte Fassung eines Vortrags wieder, den der Verfasser am 14. Oktober 2010 auf dem 27. Tag des Risikos in Frankfurt am Main gehalten hat.

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