Gastkommentar

Flache Aussichten - zur Zinsentwicklung an den internationalen Kapitalmärkten

Mittlerweile hat man sich schon fast daran gewöhnt: Langfristige sichere Kapitalanlagen, etwa 10-jährige Staatsanleihen, rentieren in Euroland um vier Prozent oder darunter, die Hypothekenzinssätze liegen für die gleiche Laufzeit bei knapp 4,5 Prozent. Damit ist das Zinsniveau im 10-Jahresvergleich um über 250 Basispunkte gefallen. Verständlich, dass sich die Frage aufdrängt, ob die Zinsen nicht einmal die Gegenrichtung einschlagen, wie weit dies führen kann und wann der Zeitpunkt hierfür sein könnte.

Dreh- und Angelpunkt für diese Bewegung bei den Kapitalmarktrenditen war und bleibt die Inflationsentwicklung. Im längerfristigen Rückblick betrachtet, leben wir gegenwärtig in einer Niedriginflationswelt: Zum ersten Mal in der Geschichte der freien Papierwährungen ist es den Zentralbanken gelungen, an den Kapitalmärkten Inflationserwartungen von zwei bis drei Prozent für die lange Frist zu verankern. Nach den Inflationsexperimenten der Siebziger- und Achtzigerjahre stellt dies ein neues Koordinatensystem für die Finanzmärkte dar: Diese Low Inflation Economy, in die wir gerade eingetreten sind, bringt neue Gesetzmäßigkeiten mit sich. Sie ist etwa auch ein wesentlicher Grund dafür, dass die langfristigen Zinssätze gegenwärtig so niedrig sind wie zuletzt zu Zeiten des Goldstandards vor hundert Jahren.

Ihre hart erarbeitete Glaubwürdigkeit müssen die Notenbanken stets bereit sein zu verteidigen. Und das wird in den kommenden beiden Jahren notwendig werden. Denn die Märkte wittern Inflationsgeruch: Die Zentralbanken haben weltweit den Zusammenbruch der New Economy in den vergangenen Jahren mit massiven geldpolitischen Impulsen begleitet. Dies war richtig. Begleiterscheinung war jedoch eine Aufblähung der globalen Liquidität, die noch verstärkt wurde durch die anhaltende künstliche Unterbewertung mehrerer asiatischer Währungen. Im Jahr 2006 ist es lediglich gelungen, die Schaffung neuer, zusätzlicher Liquidität einzudämmen. Die aufgelaufenen Bestände jedoch lauern nach wie vor in den Depots von institutionellen und privaten Anlegern und suchen nach immer neuen Anlagefeldern; dort werden dann die Preise jeweils so weit in die Höhe getrieben, dass die Renditen sinken. Der Niedergang der Renditen hat sich so durch immer weitere Segmente der Kapital- und auch der Immobilienmärkte fortgepflanzt.

Neben einem relativ niedrigen nominalen Zinsniveau hat eine Niedriginflationswelt noch andere Eigenschaften. So zeigen sich geldpolitische Impulse nicht so sehr in Güter- und Dienstleistungspreisen als vielmehr in den Assetpreisen. Expansive Geldpolitik transformiert sich über niedrige Zinsen und hohe Liquidität in schwankende und teilweise überhöhte Assetpreise. So sind gegenwärtig Unternehmensanleihen immer noch ambitioniert bewertet, auch bei Immobilien haben sich stellenweise Übertreibungen gebildet. Gleichzeitig kann die Liquidität von Markt zu Markt schwappen und so erhebliche Volatilität auslösen, wie im Frühjahr 2006 spürbar.

Ferner können Konjunkturschwankungen geringer ausfallen. In Zukunft können es sich die Notenbanken leisten, behutsamer mit der Zinskeule umzugehen. Bislang konnten sie Inflation nur in Schach halten, wenn sie die Konjunktur in Zeiten der Überhitzung sofort und energisch abwürgten. Dies wird künftig so nicht mehr notwendig sein. Aufschwünge können so länger und gleichmäßiger verlaufen, gleichsam als eine Art Friedensdividende aus dem Kampf mit der Inflation. Und schließlich wird die Zinsstrukturkurve langfristig flacher bleiben als in einer Welt mit hohen Inflationsraten.

Die Niedriginflationswelt will aber stets aufs Neue erarbeitet werden. Inflation ist niemals tot, sondern gegenwärtig allenfalls eingesperrt und gut bewacht. Inflation kann immer wieder neu entstehen durch eine Mischung von zwei Zutaten: Zum einen überausgelastete Produktionskapazitäten und zum anderen überreichliche Geldversorgung. Letzteres war in den vergangenen Jahren ausgiebig der Fall und die Auslastung der weltweiten Kapazitäten klettert mittlerweile munter nach oben. Als Funke in diesem explosiven Cocktail reicht dann ein Auslöser - Rohstoffpreise, Lohnerhöhungen, Währungsabwertung um eine Kettenreaktion von Preiserhöhungen und steigenden Inflationserwartungen auszulösen. Zwar begrenzt im Zeitalter der Globalisierung der internationale Wettbewerb den Anstieg von Löhnen und Preisen; im Dienstleistungsbereich ist dieser Wettbewerb jedoch weniger ausgeprägt. Man muss sich daher bewusst sein, dass es stets Inflationsgefahren gibt, und gerade die gegenwärtigen ernst nehmen.

Um geldpolitisch wieder handlungsfähig zu sein, haben die Zentralbanken in den vergangenen Quartalen den Liquiditätshahn behutsam, aber nachdrücklich zugedreht. Dafür war es höchste Zeit. Wahrscheinlich reicht das geldpolitische Bremsmanöver aus, um die Inflationsraten im Griff zu halten. In den USA dürfte die Inflationsrate auf 2,4 Prozent im Jahr 2007 zurückgehen. Die FED erhält dadurch die Gelegenheit, ihre Zinspolitik auf "neutral" zu stellen. Das wäre ein Notenbankzinssatz von 4,75 Prozent. In Euroland dagegen hat die Notenbank ihre Hausaufgaben noch nicht ganz erledigt. Hier wird es auch im kommenden Jahr weitere Zinssteigerungen geben auf etwa vier Prozent, der allenfalls dadurch etwas eingebremst werden kann, dass etwa der Euro weiter deutlich aufwerten würde. Auch das konjunkturelle Schlagloch im ersten Quartal 2007 wird die EZB nicht von einer weiteren Straffung der Geldpolitik abhalten: Zu groß ist im Zentralbankrat das Unbehagen über die monetäre Entwicklung und den hohen Auslastungsgrad in Euroland. Und schließlich sind ebenfalls in Japan Leitzinssteigerungen angesagt: Hier wird die Notenbank behutsam den Leitzins an die langsam steigenden Inflationsraten anpassen, durch insgesamt mehrere Zinserhöhungen in 2007.

Für die Kapitalmarktrenditen wird wesentlich sein, dass die Low Inflation Economy intakt bleibt. Die Kapitalmärkte sind weiterhin geprägt von einer noch hohen Liquidität, einem guten fundamentalen Umfeld und einer geringen Bewertung der Risiken an vielen Vermögensmärkten. Entsprechend sind die Zinsdifferenzen zwischen lang- und kurzlaufenden Anleihen sowie die Spreads von Corporate- und Emerging-Market-Bonds gegenüber risikolosen Staatsschuldtiteln noch weiter zurückgegangen, als dies bereits im letzten Jahr der Fall gewesen war. Prinzipiell sollte unter diesen Umständen das strukturelle Niedrigzinsumfeld anhalten. Übertrieben ist allerdings, dass nennenswerte Risikoprämien gegenwärtig weder für Ausfall- noch für Laufzeitrisiken gezahlt werden. Dies gilt allerdings nur für festverzinsliche Anlagen und Immobilien.

Am Aktienmarkt wiederum sind die Risikoprämien nach wie vor hoch, was sich in den im historischen Vergleich niedrigen Kurs-Gewinn-Verhältnissen manifestiert. Zu erklären ist dies zwar mit den negativen Erfahrungen vieler Anleger mit der geplatzten New Economy Aktienmarktblase Anfang dieses Jahrzehnts. Es stellt jedoch angesichts der vollständig gewandelten Konstitution der Weltwirtschaft ein Missverhältnis dar. Mittelfristig sollten sich die Risikoprämien auf den verschiedenen Vermögensmärkten wieder annähern. Bei Aktien wäre dies durch weiter steigende Kurse möglich, was angesichts der weiterhin soliden Konjunktur in den meisten Regionen auch realistisch erscheint. Am Rentenmarkt wären höhere Risikoprämien durch einen niedrigeren risikolosen Zins oder steigende Renditen am langen Ende erreichbar. Rechnet man dazu noch die Effekte der langsam austrocknenden Liquidität hinzu, so sollte sich das Renditeniveau schleichend ein wenig nach oben bewegen. Zehnjährige Bundesanleihen könnten daher bald wieder dauerhaft ein Renditeniveau von knapp über vier Prozent erreichen. Die Zinsstrukturkurve bleibt jedoch sowohl in Euroland als auch in den Vereinigten Staaten in den kommenden zwei Jahren flach. Wir halten dies für eine strukturelle Eigenschaft der Low Inflation Economy: Bei glaubwürdig verankerten Inflationserwartungen müssen langfristige Renditen keine hohen Risikoprämien für starke Inflationsänderungen und volatile Zinsen
enthalten.

Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt, Deka-Bank Deutsche Girozentrale, Frankfurt am Main

Noch keine Bewertungen vorhanden


X