Leitartikel

Das große Zinsrätsel 2007 vor der Auflösung

Mit einem Zinsrätsel eine Zinsprognose 2007 zu liefern, ist keine faule Ausrede, das haben uns die großen Zinspropheten vorgemacht. (Ob die Zinspolitiker der Weltfinanz gelegentlich ratlos sind oder mit ihren Erkenntnissen in der Kommunikation mit Märkten und Medien bewusst vorsichtig und deshalb rätselhaft umgehen, lassen wir einmal offen, wir unterstellen aber vertrauensvoll die zweite Version). Wir denken an den legendären orakelhaften Ex-Fed-Chef Alan Greenspan, der schon 2005 mit Blick auf die flache bis inverse Zinsstrukturkurve vom "Zinsrätsel" (interest-rate conundrum) orakelt hatte; und an seinen Nachfolger Ben Bernanke, der auch 2005 - noch vor seiner Berufung zum Fed-Chairman - als Lösung den globalen Sparüberschuss (global saving glut) angeboten hatte, dem 2006 EZB-Präsident Jean-Claude Trichet im globalen Zusammenhang vorsichtig begründend gefolgt war. Aber diese Erklärungsversuche lösten das Zinsrätsel bis heute nicht. Worum geht es?

Es geht um die Prognosekraft der Marktzinsen selbst, konkret um die der Zinsstrukturkurve. Als Greenspan und Bernanke geheimnisvoll von Zinsrätsel und vagen Erklärungsversuchen sprachen, war die Fed mitten in der Zinsstraffung - vom Zinstief 1,00 Prozent in vielen Trippelschritten auf 5,25 Prozent (Fed Funds Rate) Mitte 2006 und bis heute unverändert - in einer starken US-Wirtschaft. Aber die Renditen im Bondmarkt verharrten deutlich unter dem Geldmarktleitzins. Eine so inverse Zinsstruktur gilt nach alter Lehre als Wegweiser für eine Rezession, was Greenspan und Bernanke damals als klare Fehlprognose sahen und als Zinsrätsel zur Aufklärung frei gaben. Auch Mitte 2007 liegt die Zehn-Jahre-Treasury-Rendite immer noch leicht unter dem Fed-Geldmarktleitzins von 5,25 Prozent. Das US-Rezessionsszenario ist heute nicht mehr ganz unrealistisch, Ex-Fed-Chef Greenspan sprach im Februar 2007 von einer Ein-Drittel-Wahrscheinlichkeit.

Noch rätselhafter war - und ist das bis heute zum Teil noch die flache Zinsstruktur 2006 im Euroraum, wo die EZB mitten im noch nicht beendeten Straffungskurs den Leitzins auf heute 4,00 Prozent verdoppelt hatte - mitten im robusten Wachstum mit Inflationsrisiken. Und die EZB bleibt offen und bekennend wachsam und hat in ihren jüngst zur Jahresmitte vorgelegten Projektionen für 2008 (im Vergleich dazu 2007) Marktzinserwartungen für den Drei-Monats-Euribor von 4,5 (4,2) Prozent und für zehnjährige Staatsanleihen von unverändert zum Vorjahr 4,3 Prozent beim aktuellen EZB-Leitzins mit Aufwärtsblick von 4,0 Prozent unterstellt - also mit einer weiter relativ flachen Zinsstruktur. Alles verstanden? Diese Zinsbotschaft aus dem Euro-Tower lesen die Märkte heute so: Die EZB erhöht den Geld-markt-Leitzins weiter auf 4,25 Prozent im September und nochmals auf 4,50 Prozent im Dezember 2007, wenn die Wirtschaft weiter robust wächst, und die Weltwirtschaft nicht enttäuscht.

Das heißt: Während sich das amerikanische Zinsrätsel mit der möglichen Wachstumsschwäche - mit dem Risiko einer Immobilienkrise - lehrbuchhaft selbst aufzulösen scheint, harrt dieses im Euroraum trotz jüngstem Anleihen-Renditenanstieg noch einer überzeugenden Erklärung, wie die unterlegten Marktzinserwartungen bei den EZB-Projektionen mit dem robusten Wirtschaftswachstum mit Inflationsrisiken Mitte 2007 belegen. Die EZB hat bisher mehrere Begründungen als Aufklärungshilfen geliefert, so der Verweis auf die Globalisierung; die überzeugen aber allein offenbar nicht. Nach der These der globalen "Ersparnisschwemme" lieferte die EZB die Ergänzung nach: "Die Globalisierung verbindet die Zinsstrukturkurven", was im Falle von USA und Euroraum einen Gleichlauf der Konjunkturzyklen mit Annäherung der Risikoaufschläge bedeutete. Beruhigt das?

Wohl kaum. Denn hinter dieser Erklärung steckt das seit Jahren wenig ernst genommene Risiko der gewaltigen Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft und Weltfinanzmärkte mit dem riesigen Leistungsbilanzdefizit der USA auf der einen und den gewaltigen -überschüssen mit aufgehäuften riesigen - meist in Dollar-Titel angelegten - Devisenreserven Chinas auf der anderen Seite. Womit wir mitten in der Verantwortung und Entscheidungskompetenz der Geldpolitiker der USA, Eurolands und Japans angekommen sind, die zwischen 2002 und 2005 diese weltweite Überliquidität haben entstehen lassen. Dazu kam, dass die Zinspolitiker der beschwichtigenden Interpretation, Inflation sei in der Globalisierung gebremst durch den harten Güter- und Dienstleistungswettbewerb, nicht früh genug und klar widersprochen hatten, vor allem haben sie sich nicht deutlicher zum Risiko in die Verantwortung für die Finanzstabilität nehmen lassen, nachdem die Überliquidität von den Güter- zu den Vermögenspreisen (asset price inflation) geflossen ist.

Die Argumentationskette schließt sich, die Auflösung des Zinsrätsels 2007 naht. Die spannende Frage ist nur, wie stimmig und erfreulich wird des Rätsels Auflösung ausfallen. Es wird immer deutlicher, dass die Globalisierung das Inflationsrisiko nicht (auf-)gelöst hat. Vielmehr begründen die Geldpolitiker die seit Jahren in einer stark wachsenden Weltwirtschaft beeindruckend niedrigen Inflationsraten als ihren Erfolg, sie hätten Preisstabilität seit Jahren nachhaltig und fest in den Märkten und in der Wirtschaft verankert. Aber die Frage bleibt: Wie nachhaltig ist dieser Erfolg, diese geldpolitische Preisstabilitätsleistung der Geldpolitik? Die Risiken in den Kredit- und Wertpapiermärkten und weltwirtschaftlich in den Devisenmärkten leben auf - in Gestalt der Inflationsrisiken inklusive Vermögenspreise. Es gibt - wie so oft und auch im wirklichen Leben - zwei Möglichkeiten: Die Weltwirtschaft wächst weiter sehr stark und zehrt die Überliquidität auf oder die Geldpolitiker gehen mit restriktiverem Kurs gegen diese Inflationsrisiken in Güter- und Vermögensmärkten weiter vor, die riskantere Möglichkeit - also weiter aufwärts mit den Zinsen.

Ob die Geldpolitiker das unklar bis orakelhaft beschriebene Zinsrätsel bald selbst und erfreulich auflösen, ist zu hoffen. Nur dann wäre ihre geheimnisvolle Kommunikation als richtig und klug im Sinne der Weisheit des Orakels von Delphi zu rechtfertigen. Nach griechischer Mythologie waren dessen Weisungen sehr wohl von Sachverstand und förderten Rechtssicherheit und Selbsterkenntnis. Die unsicheren Zinsmärkte 2007 bräuchten das. Schön, wenn sich so das Zinsrätsel 2007 auflösen würde. Es geht um die Glaubwürdigkeit des Orakels der modernen Geldpolitik. hu

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