Kapitalanlage

Grenzen für rückwirkende Steueränderungen

Der Gesetzgeber hat in den vergangenen Jahren zunehmend Steuergesetze rückwirkend geändert. Prominentes Beispiel bildete die Ausweitung der Spekulationsfrist der im Privatvermögen gehaltenen fremdvermieteten Immobilien von ursprünglich zwei auf zehn Jahre. Nach dem Regierungswechsel im Jahre 1998 wurde die Veräußerungsfrist durch das am 31. März 1999 verkündete Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 entsprechend verlängert, § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Nach der gleichfalls verabschiedeten Übergangsfrist galt die neue Frist erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 1999, bezog aber - rückwirkend - auch bereits erworbene Grundstücke ein, sofern der Vertrag über die Veräußerung erst im Jahr 1999 oder später geschlossen wurde.

Im Ergebnis verschärfte der Gesetzgeber somit die Spekulationsfrist derart, dass auch Grundstücke, die aufgrund des Ablaufs der 2-jährigen Spekulationsfrist schon nicht mehr der Steuerverstrickung unterlagen, erneut bei Veräußerung einer Ertragsbesteuerung unterworfen werden sollten. Der Gesetzgeber argumentierte, dass erst mit Veräußerung eines Wirtschaftsgutes der steuerrelevante Tatbestand abgeschlossen sei und insofern eine zulässige unechte Rückwirkung der steuerverschärfenden Regelung vorläge.

Auch unechte Rückwirkung verfassungswidrig

Nachdem bereits der Bundesfinanzhof Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser steuerlichen Verschärfung angemeldet hatte und dies dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegte, hat nun auch das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass es verfassungswidrig sei, die Verschärfung der Spekulationsfrist ohne Übergangsregelung einzuführen. Die Neuregelung an sich sei zwar unproblematisch, jedoch hätte der Gesetzgeber diejenigen Immobilien, bei denen die 2-jährige Spekulationsfrist abgelaufen war, davon ausnehmen müssen. Mindestens jedoch, so die Karlsruher Richter, hätte man die Wertzuwächse nur insoweit besteuern dürfen, als diese nach dem Tag des Inkrafttretens des Gesetzes eingetreten sind.

Aufgrund der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht über den anwendbaren Fall hinaus allgemeine Vorgaben zur rückwirkenden Verschärfung von Steuergesetzen postuliert, ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 7. Juli 2010 von erheblicher Bedeutung. Sind echte Rückwirkungen, das heißt rückwirkende Änderungen der Besteuerung bereits abgeschlossener Tatbestände, regelmäßig verfassungsrechtlich unzulässig, wird zumindest in der Berliner Politik die unechte Rückwirkung, also die rückwirkende Änderung von Rechtslagen bei noch nicht abgeschlossenen Sachverhalten, als zulässig angesehen. Karlsruhe hat nun jedoch bestätigt, dass die sogenannte unechte Rückwirkung ebenfalls klaren Grenzen und Güterabwägungen unterliegt. Wie diese Güterabwägung auszusehen hat, wird im aktuellen Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes ausgeführt: Soweit die Neuregelung der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen allgemein damit begründet werde, dass die dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und damit auch dem Gebot der Steuergerechtigkeit besser entspräche, habe dies nur Bedeutung für die Grundsatzentscheidung, private Veräußerungsgewinne stärker als zuvor bei der Bemessung der finanziellen Leistungsfähigkeit heranzuziehen. Dieses Ziel, die Rechtslage zu "verbessern", bezeichne jedoch nur das allgemeine Änderungsinteresse, sei aber kein spezifischer Grund, der geeignet sei, den rückwirkenden Zugriff auf bereits steuerfrei erworbene Wertsteigerungen zu legitimieren.

Gleiches gelte, so die Karlsruher Richter, auch für das vom Gesetzgeber benannte Ziel einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zur Gegenfinanzierung. Die bloße Absicht, staatliche Mehreinkünfte zu erzielen, sei für sich genommen grundsätzlich kein den Vertrauensschutz überwindendes Gemeinwohlinteresse. Denn dies würde bedeuten, dass der Vertrauensschutz gegenüber rückwirkenden Verschärfungen bei entsprechendem fiskalischen Interesse praktisch immer leer liefe. Auch das Bedürfnis mit Mehreinnahmen an anderer Stelle gewährte Steuererleichterungen zu finanzieren, bezeichne nur einen allgemeinen Änderungsbedarf, der es rechtfertige, Wertsteigerungen ab der Verkündung steuerlich zu erfassen, aber nicht gerade auch die rückwirkende Einbeziehung bereits steuerfrei erworbener Vermögenszuwächse zu legitimieren.

Licht und Schatten

Für die Immobilienwirtschaft bedeutet diese Karlsruher Entscheidung Licht und Schatten. Einerseits wird deutlich, dass bereits steuerfreie Vermögenszuwächse nicht rückwirkend in die Besteuerung gezwungen werden können. Andererseits macht Karlsruhe auch deutlich, dass die Verlängerung der Spekulationsfrist dann möglich ist, wenn eine steuerliche Entstrickung des Wirtschaftsgutes noch nicht erfolgt ist. Denn die bloße Möglichkeit, Gewinne später steuerfrei vereinnahmen zu können, begründe keine vertrauensrechtlich geschützte Position. Mit Wertsteigerungen könne im Zeitpunkt des Erwerbs nicht sicher gerechnet werden, sodass auch die Enttäuschung der Hoffnung auf künftige steuerfreie Vermögenszuwächse nicht als Beeinträchtigung greifbarer Vermögenswerte zu werten sei.

Dass diese Aussage der Karlsruher Richter problematisch ist, kann am Beispiel der Strukturierung der Fremdfinanzierung im Erwerbszeitpunkt nachvollzogen werden. Denn die Ablösung der Fremdfinanzierung geht bei entsprechenden im Privatvermögen gehaltenen Immobilien stets davon aus, dass die Differenz zwischen (abgeschriebenem) Buchwert und Veräußerungspreis steuerfrei vereinnahmt werden kann und folglich vollständig zur Tilgung der Fremdfinanzierung zur Verfügung steht. Ist dies zukünftig aufgrund entsprechender rückwirkender Änderung nicht der Fall, scheitert unter Umständen die Vermögensanlage in seiner finanziellen Grundausrichtung.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Haushaltsnöte und der immer wieder aufkeimenden Diskussion um die Änderung des § 23 EStG steht deshalb zu befürchten, dass der Gesetzgeber grundsätzlich und analog der Einführung der Abgeltungssteuer im Jahre 2009 eine generelle steuerliche Verstrickung von im Privatvermögen gehaltenen Immobilienvermögen anstrebt. Sofern bei Umsetzung eines solchen gesetzgeberischen Vorhabens die Immobilien noch nicht zehn Jahre oder länger im Privatvermögen gehalten werden, würden entsprechende Steuerverschärfungen verfassungsrechtlich legitimiert sein.

Es bleibt somit den Immobilienverbänden vorbehalten, den Gesetzgeber vor entsprechenden Schritten zu warnen und auf die negativen Folgen für die private Vermögensbildung sowie die Immobilienwirtschaft hinzuweisen. Insofern ist die Kraftanstrengung aller Verbände und aller Beteiligten der Immobilienwirtschaft erforderlich.

Dr. Hans Volkert Volckens , Partner und Head of Real Estate, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, München
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