Leitartikel

Verrechnet

Mal ehrlich, dass die neue grün-rote Mehrheit im baden-württembergischen Parlament vieles anders zu machen wünscht als ihre fünf Jahrzehnte regierenden christdemokratischen Vorgänger, ist zu erwarten gewesen. Daran ließ das Wahlprogramm der siegreichen Grünen keine Zweifel. Unmissverständlich sind die Prioritäten gesetzt: Bildung und ökologischer Umbau der Wirtschaft stehen im Vordergrund. Sogar die von wahlkämpfenden Parteien gewöhnlich gerne gemiedene Frage, wie das finanziert werden soll, hat die mitunter erstaunlich konservative Partei bereits im Wahlkampf bemerkenswert klar beantwortet: "Für uns Grüne sind Steuersenkungen ... bis auf Weiteres nicht diskutabel." Stattdessen, so kündigten sie an, würden die Steuern erhöht werden. Selbstverständlich muss die Partei dabei einen gewissen sozialen Habitus wahren, weil alles andere weniger populär ist. Da klingt es doch vermeintlich gerechter, die öffentlichen Finger nur nach den großen Vermögen und großen Erbschaften ausstrecken zu wollen. Doch was ist "groß"? Dass die Spannweite recht großzügig gesehen wird, offenbaren die im Koalitionsvertrag angekündigten Vorhaben. Das zeigt beispielsweise die geplante Anhebung der Grunderwerbsteuer. War schon kurz nach der Wahl von einer Erhöhung um 100 Basispunkte auf 4,5 Prozent die Rede, werden jetzt sogar 5,0 Prozent aufgerufen. Das sind mal locker über 40 Prozent mehr, die Käufer von Grundstücken und Häusern künftig berappen müssen. Damit würde Baden-Württemberg zu den Ländern mit der höchsten Besteuerung aufschließen. Brandenburg und Thüringen haben bereits auf dieses Steuerniveau hochgezogen. Ab 2012 wird auch Schleswig-Holstein dazugehören. Allerdings sind in allen drei Bundesländern die Grundstückspreise - von punktuellen Ausnahmen abgesehen - einiges von dem entfernt, was im Südwesten der Republik für den eigenen Quadratmeter bezahlt werden muss. Auch Nordrhein-Westfalen will künftig bei jedem Immobilienerwerb fünf Prozent mitverdienen. Berlin, Hamburg, Sachsen-Anhalt, Bremen und Niedersachsen haben die Grunderwerbsteuer ebenfalls angehoben, doch sind sie mit 4,5 Prozent etwas weniger gierig. Im Saarland bescheidet sich der Fiskus mit "nur" vier Prozent. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass die Grunderwerbsteuer einst 2,0 Prozent betragen hatte. Dieser Satz war nicht willkürlich gesetzt, sondern sollte die mit der Immobilientransaktion verbundenen Aufwands- und Verwaltungskosten der öffentlichen Hand decken. Davon ist heute keine Rede mehr. Nachdem die Grunderwerbsteuer schon einmal um stolze 75 Prozent auf 3,5 Prozent gestiegen war, bemühen sich die Fiskalpolitiker in Bund und Ländern bei der neuerlichen Anhebung gar nicht erst um sachbezogene Begründungen. Der Hinweis auf Haushaltsdefizite, die es abzubauen gilt, und Bildungsangebote, die es auszubauen gilt, hat dem Steuerbürger als Rechtfertigung zu reichen. Auch im Ländle müssen diese Argumente als naheliegende Erklärung herhalten. Aber warum muss oder sollte dies mit der Grunderwerbsteuer finanziert werden? Mit sozialer Gerechtigkeit ist das nur mühsam zu begründen. Zwar sollen mit den 300 Millionen Euro Mehreinnahmen, die sich die neuen Regierenden im Stuttgarter Landtag von der Steuererhöhung versprechen, vor allem Kinderbetreuung und Ganztagsschulen ausgebaut werden, doch ist nicht auszuschließen, dass ganzheitlich betrachtet unterm Strich der Schaden größer und nachhaltiger als der Nutzen sein wird. Denn eine höhere Grunderwerbsteuer trifft vor allem die Erwerber von selbst genutztem Wohneigentum. Deren Gros sind junge Familien mit Kindern. Sie suchen Wohnungen, die den Heranwachsenden genügend Raum und Geborgenheit bieten. Allerdings stellt der zunehmend auf Singlehaushalte fokussierte Mietwohnungsmarkt immer weniger großzügige und trotzdem bezahlbare Wohnungen mit kinderfreundlichem Umfeld bereit. Da Familien ohnehin meist nur ein knapp kalkuliertes Budget zur Verfügung steht, bedeutet eine vierstellige Verteuerung eine erhebliche Restriktion. Dadurch wären sie gezwungen, länger in Mietwohnungen zu verbleiben, wodurch weniger Mietwohnungen für neue Haushalte frei werden und Mieten tendenziell steigen. Gleichzeitig werden junge Paare ihren Kinderwunsch zurückstellen. Beides - Mietanstieg und sinkende Geburtenrate - ist mitnichten sozial und kann politisch nicht gewollt sein. Auch bei gewerblichen Investoren droht die Steuererhöhung teilweise ins Leere zu laufen. Denn sie verstärkt den Drang des Ausweichens auf Konstruktionen, die Grunderwerbsteuer vermeiden. Auch wenn es für staatliche Kassenwarte reizvoll sein mag, den Grunderwerb wie beispielsweise in Portugal mit bis zu acht Prozent zu besteuern, die politischen Entscheider - nicht nur in Stuttgart - sollten gründlich abwägen, ob unterm Strich tatsächlich Mehreinnahmen für den Staat bleiben, wenn private Investitionen verteuert werden.

Rüdiger Wiechers , Vorsitzender, Stiftung "Städte für Menschen"
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