Stadtentwicklung

Wohntrends der Zukunft: Auf welche Entwicklungen sich die Immobilienwirtschaft einstellen muss

Markus Selinger

Ende des 19. Jahrhunderts gingen Prognosen davon aus, dass die größeren Städte demnächst in Pferdeäpfeln ersticken würden. Sie haben die Rechnung ohne die Erfindung des Autos gemacht. Bei aller Unsicherheit von Prognosen stellt sich natürlich die Frage, wie die Immobilienwirtschaft den Herausforderungen der Zukunft begegnen kann. Städte beispielsweise werden weniger in die Breite als vielmehr in die Höhe wachsen, glaubt der Autor. Das schränkt die Quadratmeterzahl ein, statt auf das Maximum für Einzelne müssen Wohnlösungen künftig auf Komfort für alle setzen. Durch die steigende Flexibilität wird es zudem einen Trend zum "Teilen" geben, heute Berlin, morgen Hamburg. Schließfächer oder Container sorgen da für den Schutz persönlicher Dinge. Der Schutz natürlicher Ressourcen und die zunehmende Technisierung der Behausungen sind dabei schon fast selbstverständlich. Red.

Stillstand heißt Rückschritt. Die Branchen forschen und entwickeln schneller als jemals zuvor. Milliarden fließen in das Geschäft mit der Zukunft. Bei Mercedes beispielsweise beschäftigt sich eine eigene Forschungsgruppe damit, wie wir in ein paar Jahren leben könnten. Wenn also selbst Autohersteller fragen, wie unsere Städte morgen aussehen - warum passiert hier in der Immobilienbranche nicht noch viel mehr?

Während in den fünfziger Jahren noch etwa 70 Prozent der Weltbevölkerung auf dem Land lebten, wohnt inzwischen über die Hälfte der Menschen in Städten. Prognosen der Vereinten Nationen (UNO) zufolge, soll der weltweite Anteil der städtischen Bevölkerung bis 2030 auf über 60 Prozent und bis 2050 auf 70 Prozent steigen. Vor allem in den Metropolen wächst die Anzahl der Menschen rapide. Die Folgen sind: knapper Wohnraum, überlastete Straßen und in Schwellen- und Entwicklungsländern eine unzureichende Versorgung mit Wasser und Strom. Zugleich beeinflusst das Wachstum das Ökosystem - durch Umweltverschmutzung, Reduktion der Artenvielfalt und die Erschöpfung natürlicher Ressourcen. Aber Städte sind auch Wachstumsmotoren und Zentren der Produktivität. Sie können Güter und Dienstleistungen effizient bereitstellen und bieten ein großes Potenzial zur Eindämmung des Verkehrs durch öffentliche Verkehrssysteme.

Vertikale Verdichtung

Die Grundflächen der Metropolen sind begrenzt und ein teures Gut. Statt sich weiter in die Breite auszudehnen, werden die Städte der Zukunft verdichtet in die Höhe wachsen. Auf wenig Grundfläche kann so viel Raum geschaffen werden. Die Herausforderung wird darin bestehen, auf dieser kompakten Fläche viele Funktionen zu vereinen. Dazu gehören neben Wohnraum auch Arbeitsräume und Tiefgaragen genauso wie Einkaufsmöglichkeiten oder die Erzeugung von Energie. Wie die Grundrisse im Großen müssen künftig auch die Grundrisse der Wohnungen deutlich kleiner werden.

Lösungen sind zum Beispiel der konsequente Einsatz von Bodenheizungen statt Heizkörpern, Stauraum durch Einbauschränke, kleine, aber funktionale Bäder und Küchen sowie eine optimale Raumausnutzung durch intelligente Lösungen für Wohn- und Schlafzimmer. Trotzdem wird sich das soziale Leben künftig nicht auf 40 oder 60 Quadratmetern abspielen, dafür sorgt ein weiterer Trend: Share Economy.

Teilen statt besitzen

Schon heute gibt es erfolgreiche Konzepte für Sharing wie beispielsweise Car-Sharing oder verschiedenste Tauschplattformen im Internet. Es wird auch künftig immer weniger darum gehen, Dinge wie Werkzeuge, Medien oder Fortbewegungsmittel zu kaufen und zu besitzen. Auch die Stadt der Zukunft wird von dem ökologisch und ökonomisch sinnvollen Prinzip "Teilen statt Besitzen" geprägt sein. Deshalb werden Wohnanlagen mit großzügigen Gemeinschaftsflächen wie Dachgärten, Schwimmbäder oder Fitnessstudios, Küchenstudios oder Co-Working-Spaces immer relevanter.

Die Häuser der Zukunft müssen also nicht mehr dem Einzelnen ein Maximum an Raum bieten, sondern gezielt auf Komfort für alle setzen. Auch Möbel werden in Hinblick auf Nachhaltigkeit und Ökologie künftig mehrfach verwendet werden. Der Trend zu möbliertem Wohnraum ist jetzt schon bemerkbar. Das Angebot spezieller, hochwertiger Einrichtungslinien, die genau auf den Grundriss der Wohnung angepasst sind - und so erneut für eine optimale Raumausnutzung sorgen - wird künftig noch nachgefragter sein. Über ein Tool im Internet könnten die Möbel je nach Geschmack ausgewählt werden. Die Wohnung kann so bereits vor dem Einzug fertig eingerichtet werden. Bei Auszug werden die Möbel aufgearbeitet an den nächsten Mieter gegeben. Das spart nicht nur Ressourcen, sondern ermöglicht schnelle und unproblematische Umzüge. Auch das entspricht dem künftigen Lebensstil: Living in Transit.

Flexibler und globaler

Wir werden immer flexibler und globaler: im Job, der Familienplanung oder auf Reisen. Der klassische Lebensmittelpunkt mit Eigenheim und Hund verliert vor diesem Hintergrund zunehmend an Bedeutung. Man lebt da, wo man sich gerade befindet, egal ob in Berlin, Frankfurt am Main oder München. Den Anforderungen dieses mobilen Lebensstils müssen auch die Wohnkonzepte der Zukunft entsprechen. Wohnungen werden künftig nicht nur möbliert, sondern auch für kürzere Zeiträume von vielleicht sechs Monaten bis zu zwei Jahren zu mieten sein. Und es wird Wohnkonzepte im Stil der Systemgastronomie geben: standardisierte Wohnungen in allen Metropolen der Welt. So können sich Firmenreisende innerhalb kürzester Zeit orientieren und heimisch fühlen. Und es bringt wirtschaftliche Vorteile, denn durch die zentrale Steuerung aller Wohnungen und die Standardisierung der Ausstattung und Möblierung können die Kosten deutlich minimiert werden.

Für kurzfristige Projekte und die Abwesenheit für ein paar Tage oder wenige Wochen wird es Schließfächer oder Container für persönliche Gegenstände geben. So kann die Wohnung problemlos untervermietet werden - eben bis zur Rückkehr des ursprünglichen Mieters. Daneben wird es eine Reihe von Services geben, die das Leben erleichtern: der Concierge, der den Handwerker in die Wohnung lässt oder Blumen gießt, Einrichtungen für die Kinderbetreuung oder Wäschereien. Damit wird das Wohnhaus zu einer "Stadt in der Stadt". Alle Bedürfnisse des alltäglichen Lebens können innerhalb weniger Meter befriedigt werden.

Für die intelligenten Anwendungen und innovativen Dienste der Zukunft ist die Kompatibilität verschiedener Technologien notwendig. So sorgt künftig die entsprechende Technologie für die Steuerung von Funktionen wie Heizung oder Rollläden über Touchpanel, Tablet oder dem Smartphone der verschiedenster Hersteller. Informationen zu Temperatur, Strom- oder Wasserverbrauch sind transparent und jederzeit auf den verschiedenen Geräten ablesbar. So lassen sich beispielsweise Kosten für Energie und Wasser einfach analysieren, auswerten und das Nutzerverhalten zugunsten eines sparsamen Umgangs mit den Ressourcen beeinflussen. Was zum letzten Punkt führt: Energie und Nachhaltigkeit.

Der wachsenden Weltbevölkerung steht die Begrenztheit natürlicher Ressourcen gegenüber. Schon jetzt sind Themen wie Atomausstieg, Klimaschutz, Energiewende oder Nachhaltigkeit überall präsent. Und diese Fragen werden zunehmend relevanter und dringender. Dem muss sich auch die Wohnbauentwicklung stellen.

Ziel ist es jetzt schon, die ökologischen und gesellschaftlichen Probleme durch den Ausbau erneuerbarer Energien, die Steigerung der Energieeffizienz sowie die Realisierung von Energieeinsparmaßnahmen auf ein Mindestmaß zu verringern. Neue Formen der Wärmedämmung, Wärmerückgewinnung, Solarthermie, Regenwassernutzung oder das Auffangen von Frischwasser sind nur einige der zahlreichen Möglichkeiten, die im Wohnungsbau künftig deutlich konsequenter umgesetzt werden müssen, um zukunftsgerechtes Wohnen zu ermöglichen.

Auf viele der aufgeführten Punkte kann sich die Immobilienwirtschaft heute schon einstellen - zum Teil tut sie das bereits, nur oftmals nicht konsequent und umfänglich genug. Hier Mut für innovative Lösungen zu haben und Bereitschaft zur Entwicklung und Investition zu zeigen, wird sich auszahlen.

Der Autor

Markus Selinger Geschäftsleitung/Sektion Artists Living, CG Immobilien Gruppe, Berlin

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