RISIKOMANAGEMENT

"DER HANDEL MIT AUSGEFALLENEN KREDITEN IST EIN SEHR SENSIBLES UMFELD FÜR DIE BANKEN"

Timur Peters, Foto: Debitos

Sollte sich das Worst-Case-Szenario der europäischen Bankenaufsicht bewahrheiten, dann könnte das Volumen der Non-Performing Loans (NPL) im Euroraum von zuletzt 500 Milliarden Euro bis Ende 2022 auf 1,4 Billionen Euro ansteigen. "Profitieren" könnte davon beispielsweise das Frankfurter Fintech Debitos, das eine digitale Sekundärmarkt-Plattform für faule Kredite betreibt. Im Interview mit "Immobilien & Finanzierung" diskutiert deren Gründer und CEO Timur Peters die bislang zu beobachtenden Auswirkungen der Corona-Krise auf den europäischen NPL-Markt. Vor allem aufgrund der vielen staatlichen Hilfsmaßnahmen hält sich der Schaden bislang doch merklich in Grenzen. Darüber hinaus erörtert er den richtigen Umgang mit notleidenden Immobilienkrediten, die Implikationen des im Dezember 2020 vorgestellten neuen NPL-Aktionsplans der EU-Kommission sowie die Idee einer staatlichen Bad Bank für den europäischen Währungsraum. Mit Blick auf letzteres Thema ist er skeptisch: Damit seien hohe Kosten verbunden und das grundsätzliche Problem würde lediglich verlagert. Red.

Herr Peters, ziemlich genau ein Jahr liegt der Ausbruch der Corona-Pandemie inzwischen zurück. Wie hat sich in dieser Zeit der NPL-Markt in Deutschland und Europa entwickelt?

Im März und April 2020 waren die Märkte geschockt und viele Transaktionen wurden abgebrochen. Investoren mussten erstmal die möglichen ökonomischen Auswirkungen bewerten, bevor sie wieder Gebote abgeben konnten.

In Deutschland, Österreich sowie Zentral- und Osteuropa hat sich der Markt dann aber schnell erholt, auch wenn das Gebotslevel 10 bis 20 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres lag.

Italien kam erst nach der Sommerpause im September wirklich zurück und in Spanien sind bis zum Jahres ende 2020 und auch jetzt noch kaum Transaktionen am Markt zu sehen.

Was sind Ihre Erwartungen für 2021?

In Deutschland und auch in anderen Ländern gab es bereits die ersten Unternehmenskredite, die aufgrund von Corona verkauft wurden, auf dem Markt.

Dieser Trend wird sich nach unserer Erwartung in 2021 kontinuierlich verstärken, speziell in den Industrien, die direkt betroffen sind wie Einzelhandel, Tourismus und Reiseindustrie. Hier wurden 2020 noch viele Unternehmen durch staatliche Hilfsmaßnahmen unterstützt, die 2021 sukzessive auslaufen.

Stichwort Hilfsmaßnahmen: Gibt es Zahlen, in welchem Umfang europäische Banken bislang Zahlungsmoratorien gewährt haben?

Die Banken in der Europäischen Union haben bis Juni 2020 ins gesamt rund 871 Milliarden Euro an Zahlungsmoratorien gewährt. Die davon betroffenen Kredite waren zu 16 Prozent KMU-Kredite, 12 Prozent gewerbliche Immobilienkredite (CRE) und 7 Prozent Wohnimmobilienkredite.

Lassen sich dabei unter Umständen auch geografische Schwerpunkte feststellen?

Ja, bei den von Zahlungsmoratorien betroffenen Kreditvolumina dominieren französische, spanische und italienische Banken. Zypern, Ungarn und Portugal ver melden den größten Anteil gemessen am Gesamtkreditvolumen im jeweiligen Land.

Ende 2020 sollten bereits rund 85 Prozent der Zahlungsmoratorien auslaufen. Aufgrund der zweiten Welle von Covid-19 wird davon ausgegangen, dass diese Zahlungsmoratorien bereits wieder verlängert wurden.

Wie macht sich all das bislang bei Ihrem Unternehmen Debitos bemerkbar, insbesondere mit Blick auf Transkationen mit Immobilienbezug?

Im Bereich des Einzelhandels wurden beispielsweise bereits im vergangenen Jahr einige Transaktionen losgestoßen von Unternehmenskrediten, die schon vor Corona in der Restrukturierung waren.

In Italien haben wir auch einen signifikanten Anstieg von immobilienbesicherten Privatkrediten auf dem Markt gesehen, da eine Zwangsversteigerung in Italien schon vor Corona sehr zeitintensiv war und durch pandemiebedingte Gerichtsschließungen nochmal verstärkt wurden.

Wer sind dabei die typischen Käufer?

Bei Transaktionen bis zu 10 Millionen Euro haben wir in der Regel lokale Immobilienfirmen, aber auch Family Offices als Käufer. Ab 10 Millionen Euro sind es dann die großen Fonds und Investmentbanken, die als Käufer am Markt agieren.

Trotz aller Bemühungen bleiben die Handelsumsätze auf virtuellen NPL-Marktplätzen wie Debitos bislang hinter den Erwartungen zurück. Woran liegt das eigentlich?

Grundsätzlich ist der Handel mit ausgefallenen Krediten ein sehr sensibles Umfeld für die Banken und es dauert einige Zeit, hier Vertrauen aufzubauen. Des Weiteren sind Banken gerade erst im Umbruch, neue Technologien wie Cloud-Server oder digitale Handelsplätze zu integrieren und die eigenen Sicherheitsanforderungen darauf anzupassen.

Da gibt es einige Vorreiter, die sich mit der digitalen Transformation schon länger auseinandersetzen, aber auch andere, speziell Großbanken, die aufgrund ihrer enormen Komplexität einfach länger für diesen Wandel brauchen.

Beide Themen verändern sich aber immer mehr zu Gunsten von Unternehmen wie Debitos, deshalb sind wir zuversichtlich, hier den richtigen Weg zu folgen.

Angesichts der lang anhaltenden guten Konjunktur in Prä-Corona-Zeiten dürfte die Beschäftigung mit problembehafteten (Immobilien-)Krediten in vielen deutschen Kreditinstituten über die vergangenen Jahre eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben. Sind da überhaupt noch entsprechende Strukturen vorhanden, um ein effizientes NPL-Management gewährleisten zu können?

In der Tat war das in den vergangenen Jahren kein Top-10-Thema im Management der Banken in Deutschland. Verglichen mit Ländern wie Italien oder Spanien ist dementsprechend weniger Infrastruktur und keine ausgeprägte Industrie rund um diese Probleme vorhanden. Wenn das NPL-Volumen nun sprunghaft in Deutschland ansteigen sollte, kann das zu einem Problem werden.

Welche Strategie würden Sie den hiesigen Instituten grundsätzlich im Umgang mit Immobilien-NPLs empfehlen?

Bei Privatimmobilien haben wir in Deutschland ausreichend Liquidität in den Märkten und in der Regel reichen hier die bankeigenen Prozesse und/oder die Zwangsversteigerung aus, um die Probleme zu lösen. Das ist zum Beispiel im südeuropäischen Markt nicht der Fall. Bei Gewerbeimmobilien wiederum ist es zu empfehlen, nicht nur die lokalen Käufergruppen anzusprechen.

Davon gibt es auch einige, die nicht nur an der Immobilie, sondern auch an dem Unternehmen, das die Immobilie nutzt, interessiert sind. Hier würde ich immer empfehlen, über Marktplätze wie Debitos den Kredit zu veräußern, nachdem interne Restrukturierungsaktivitäten gescheitert sind.

Als wichtiger Mechanismus auf dem NPL-Markt gilt das preisliche Zusammenfinden von Käufer- und Verkäuferseite. Wie ist das Ihrem Eindruck nach momentan bei Immobilienkrediten, gibt es da mitunter (noch) erhebliche Diskrepanzen bei der Preisvorstellung?

Im deutschsprachigen Raum treten hier kaum Probleme auf. Hier funktioniert das Pricing sehr gut und der Markt für Immobilien ist sehr liquide. In Südeuropa ist das schon anders. Durch das Überangebot von immobilienbesicherten Krediten, aber auch durch die langen Verwertungszeiten, kalkulieren die Investoren hier hohe Abschläge. Und das führt dann wiederum zu einer erheblichen Diskrepanz zwischen Verkaufserwartung und tatsächlichen Marktpreisen.

Viel tut sich derzeit bekanntlich auch auf europäischer Ebene. Der Mitte Dezember veröffentlichte NPL-Aktionsplan der EU-Kommission sieht unter anderem die (Weiter-)Entwicklung der Sekundärmärkte vor. Was genau ist die Vision der Kommission und was würde es für Anbieter wie Debitos bedeuten?

Insgesamt sollen die Sekundärmärkte liquider werden. Die Kommission hat dort mehrere Punkte identifiziert: einheitliche Datentemplates, Abbau von lokalen Hemmnissen bei der Übertragung von Krediten, Vereinheitlichung/Harmonisierung des Insolvenzrechts, eine europäische Zulassung für Kreditservicer, Best Execution Sales Process, Optimierung von Verbriefungsstrukturen et cetera.

Für uns am relevantesten werden die einheitlichen Datentemplates und der Best Execution Sales Process sein. Auch der Abbau von lokalen Hemmnissen bei der Übertragung von Krediten ist hilfreich.

Insgesamt verfolgt die Kommission die Vision, dass das Kapital über Ländergrenzen hinweg investiert wird und damit die bestmögliche Liquidität geschaffen wird. Unter dem Strich soll somit verhindert werden, dass Banken massive Volumen an NPLs anhäufen und ein Verkauf für sie einfacher wird.

Des Weiteren steht die Forderung einer Bad Bank für die Währungsunion im Raum. Diese würde Banken künftig dann ihre faulen Kredite abkaufen, ähnlich wie Fannie Mae und Freddie Mac in den USA. Wie stehen Sie dazu?

Grundsätzlich ist das eine Möglichkeit kurzfristig ein Problem zu lösen. Man darf aber nicht vergessen, dass der organisatorische Apparat einer Bad Bank viel Geld (im Zweifel Steuergeld) kostet und die Probleme nur verlagert. Insgesamt stehen wir dem kritisch gegenüber.

Kann denn unter Umständen der verstärkte Einsatz von NPL-Verbriefungen einen sinnvollen Beitrag zur Entschärfung der Corona-Krise leisten?

NPL-Verbriefungen sind in jedem Fall eine kapitalmarktnahe Lösung und resultieren auch in einen fairen Marktpreis. Wenn hier jedoch staatliche Garantien zum Einsatz kommen, ist das wieder eine Verzerrung der Preise.

ZUR PERSON TIMUR PETERS CEO, Debitos GmbH, Frankfurt am Main
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