Aufsätze

Die Agrar- und Ernährungswirtschaft: eine Branche mit einer hohen gesellschaftlichen Verantwortung

Seit nunmehr 60 Jahren refinanziert die Landwirtschaftliche Rentenbank vor allem mittel- und langfristige Kredite für die Agrar- und Ernährungswirtschaft (Agribusiness). Hierbei handelt es sich um eine Branche mit hoher gesellschaftlicher Bedeutung und ökonomischer Leistungsfähigkeit. Das Agribusiness* in Deutschland gehört mit rund 20 Prozent am Verbraucherbudget zu den bedeutendsten und umsatzstärksten Branchen der Volkswirtschaft. Mit einem Umsatz von 147 Milliarden Euro im Jahr 2007 ist allein die Ernährungsindustrie der viertgrößte deutsche Gewerbezweig nach der Automobilindustrie, dem Maschinenbau und der chemischen Industrie. Das Agribusiness bietet insgesamt über 4,5 Millionen Menschen Arbeit, dies sind 11,5 Prozent aller Erwerbstätigen. Daher steht etwa jeder 9. Arbeitsplatz mit dem Agribusiness in Verbindung.

Zunehmende Internationalisierung

Die Entwicklungen im Agribusiness sind durch eine permanente Steigerung der Produktivität und des Innovationsgrads bei tief greifenden strukturellen Veränderungen sowie eine zunehmende Internationalisierung gekennzeichnet. Gleichzeitig nehmen die gesellschaftlichen Anforderungen an diese Branche zu. Hierzu gehören eine verstärkte Qualitätsorientierung sowie höhere Anforderungen von Seiten des Um-welt-, Tierschutz- und Verbraucherrechts. Eine weitere Besonderheit dieser Branche ist, dass der Teilbereich der Landwirtschaft wie kein anderer Wirtschaftsbereich seit jeher durch die jeweiligen Wetterbedingungen, Naturkatastrophen oder Tierseuchen betroffen ist. Daher kann die Landwirtschaft auch als "Werkbank unter freiem Himmel" bezeichnet werden.

Deshalb ist auch nicht verwunderlich, dass das Nachhaltigkeitsprinzip ursprünglich aus der Landwirtschaft stammt. Die nachhaltige Denkweise in der Landwirtschaft hat zur Folge, dass die Investitions- und Finanzierungserfordernisse eher mittel- bis langfristiger Natur sind.

Die Landwirtschaft produziert auf über 80 Prozent des Grund und Bodens in Deutschland nicht nur Agrarrohstoffe, sondern auch öffentliche Güter wie die regionaltypische Kulturlandschaft sowie Erholungs- und Freizeiträume. Im Folgenden werden die Chancen und Herausforderungen dieses oft unterschätzten Sektors näher betrachtet.

Die weltweiten Agrarmärkte haben eine turbulente Entwicklung hinter sich. Im ersten Halbjahr 2008 hat sich die Preishausse aus dem Jahr 2007 weiter fortgesetzt und viele Nahrungsmittelpreise sind noch einmal kräftig gestiegen. Für die enorme Preissteigerung auf den Agrarmärkten sind insbesondere folgende Faktoren verantwortlich:

- Abbau von globalen Lagerbeständen bei Getreide und Milch,

- dürrebedingte Missernten,

- Veränderung der Ernährungsgewohnheiten in Schwellenländern,

- zunehmender Rohstoffbedarf durch den Bioenergiesektor,

- Verteuerung der fossilen Energie.

In den letzten zehn Jahren nahmen die Weltvorräte an Getreide im Durchschnitt um eine Tonne pro Sekunde ab. Während weltweit gesehen die Missernten zunahmen, stieg die Getreidenachfrage insbesondere durch die veränderten Ernährungsgewohnheiten in den Schwellenländern, vor allem in Asien. Dort wurde besonders der Fleischkonsum durch die höheren Einkommen erhöht. Außerdem führte der steigende Ölpreis zu einer Ausdehnung der Bioenergieproduktion (Ethanolproduktion) und somit zu einer Angebotsverknappung von Rohstoffen für die Nahrungsmittelproduktion.

Günstiger Standort? Zur Jahresmitte schwächte sich die Preissteigerung für viele Agrarprodukte jedoch

deutlich ab. Der globale Weizenpreis lag beispielsweise im August um rund 40 Prozent niedriger als im Februar dieses Jahres, als die Preisspitze erreicht wurde. Der Grund hierfür lag in erster Linie darin, dass aufgrund der Hausse das Angebot kurzfristig erhöht werden konnte. Neben einer Ausdehnung der weltweiten Anbaufläche und verstärkten Investitionen in die landwirtschaftliche Produktion, Technologie und Züchtung erlaubte der Witterungsverlauf zudem global eher gute Ernten.

Nachhaltiger Hochertrag

Viele der bereits genannten globalen Gründe sprechen jedoch langfristig für steigende Preise für landwirtschaftliche Rohstoffe und Nahrungsmittel. Sie bilden somit eine hervorragende Ausgangsbasis für eine dynamische Entwicklung der Agrarwirtschaft in Deutschland. Zu berücksichtigen ist hierbei auch die oft unterschätzte Tatsache, dass zunehmend fruchtbares Agrarland unwiederbringlich verloren geht. Allein in Deutschland beträgt der tägliche Flächenverbrauch durch Siedlungs- und Verkehrsmaßnahmen über 100 Hektar pro Tag.

Außerdem gehören die hiesigen Agrarstandorte - im globalen Vergleich - zu den nachhaltigen Hochertragsstandorten und werden nur sehr bedingt vom Klimawandel betroffen werden. Dies alles spricht für eine sichere und qualitativ hochwertige Bezugsbasis für Agrarrohstoffe verarbeitende Unternehmen. Hierdurch wird daher auch in Zukunft ein gesellschaftlich bedeutender Beitrag der Agrar- und Ernährungswirtschaft für die Nahrungsmittelsicherheit geleistet. Außerdem können die hohen Anforderungen der Verbraucher sowohl an die Nahrungsmittelqualität als auch an nachhaltige Produktionsmethoden auch weiterhin gewährleistet werden.

Internationale Exportchancen bei Lebensmitteln

Die Auslandsmärkte sind für die deutsche Agrar- und Ernährungsindustrie bei gesättigten Märkten und intensivem Wettbewerb im Inland von besonderer Bedeutung. So setzte die Ernährungswirtschaft 2007 mit 130,5 Milliarden Euro 6,7 Prozent mehr ab als im Vorjahr. Insbesondere das Auslandsgeschäft trug dabei zum Wachstum bei. Die Exporterlöse legten um 13,3 Prozent auf 22,7 Milliarden Euro zu, damit stieg die Exportquote von 15,7 auf 17,4 Prozent. Der überwiegende Anteil der Exporte wird im europäischen Binnenmarkt realisiert. Wesentlich für den Erfolg deutscher Lebensmittel im Ausland ist das positive Image bei den Verbrauchern, welches vor allem aus der hohen Produktqualität, dem guten Preis-Leistungsverhältnis sowie der ansprechenden Aufmachung und Verpackung resultiert.

In der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft war in den letzten Jahren ein starker Strukturwandel zu beobachten. Bei den landwirtschaftlichen Betrieben gaben beispielsweise zwischen 2005 und 2007 etwa fünf Prozent auf. Für die verbleibenden, zukunftsfähigen Betriebe wirkt sich dies positiv aus, da ihnen somit dringend benötigtes Wachstumspotenzial durch freiwerdende Pachtflächen eröffnet wird. Doch auch innerhalb der eher mittelständisch strukturierten Ernährungswirtschaft schreitet der Strukturwandel voran. Trotz der höheren Umsätze ging die Anzahl der Betriebe mit 50 oder mehr Beschäftigten im vergangenen Jahr um 2,6 Prozent auf 2 576 Betriebe zurück.

Im Vergleich zur Ernährungswirtschaft ist die Konzentration im deutschen Lebensmitteleinzelhandel (LEH) enorm hoch. Die zehn größten Unternehmen im LEH erreichen derzeit einen Marktanteil von über 87 Prozent. Innerhalb des LEH haben die Discounter in den letzten Jahren ihren Marktanteil auf deutlich über 40 Prozent steigern können. Der Ernährungswirtschaft stehen bei den meisten Lebensmitteln somit nur sehr wenige Handelspartner auf der Abnehmerseite gegenüber. Deshalb gelingt es den überwiegend kleinen und mittelständischen Unternehmen in der deutschen Ernährungsindustrie nur teilweise, Kostensteigerungen bei Rohstoffen, Energie und Verpackung auf die Verkaufspreise zu überwälzen. Die Agrar- und Ernährungswirtschaft kann daher nur durch eine stärkere Bündelung des Angebots zu einer Verbesserung ihrer Marktposition beitragen.

Hoher Innovationsgrad

Durch den hohen Wettbewerbsdruck innerhalb der Wertschöpfungskette müssen permanent Innovationen finanziert werden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Wenig bekannt ist in diesem Zusammenhang, dass der Kapitalbedarf in der Landwirtschaft aufgrund der Produktivitätssteigerung und Mechanisierung sehr hoch ist und auch die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in der Agrar- und Ernährungsindustrie auf einem vergleichsweise hohen Niveau liegen.

Hierzu zwei Beispiele: Entfällt beispielsweise im Produzierenden Gewerbe auf einen Erwerbstätigen ein Anlagevermögen in Höhe von rund 147 000 Euro, liegt dieser Wert in der Landwirtschaft bei durchschnittlich 303 700 Euro je Erwerbstätigen. Der hohe Kapitalbedarf in der Landwirtschaft resultiert unter anderem aus dem hohen Innovationstempo bei Maschinen und Anlagen.

Beispiele hierfür sind leistungsstarke und energiesparende Schlepper und Erntemaschinen, der Präzisionsackerbau mit satellitengesteuerten Maschinen und automatische Melksysteme. Das zweite Beispiel bezieht sich auf die der Landwirtschaft vorgelagerte Saatgutwirtschaft. Hier betrugen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Jahr 2002/03 rund 130 Millionen Euro, dies sind knapp 17 Prozent des Nettoumsatzes dieser Branche.

Gentechnik als Herausforderung

Im Bereich der Forschung ist die Gen- und Biotechnologie eine Schlüsseltechnologie für die Agrar- und Ernährungswirtschaft. Innerhalb der Gesellschaft wird die Gentechnik äußerst kontrovers diskutiert. Den Möglichkeiten dieser Technologie, zum Beispiel durch gentechnisch verändertes Saatgut Erträge zu steigern und gleichzeitig den Betriebsmitteleinsatz zu senken, stehen nach wie vor Risiken gegenüber. Auf dem äußerst sensiblen Lebensmittelmarkt hat sich bisher keine ausreichende Akzeptanz der Marktbeteiligten, insbesondere der Verbraucher, entwickelt.

In der Futtermittelindustrie stellt sich die Politik der Nulltoleranz in Europa als Problem dar. In vielen Anbaugebieten Südamerikas wird mittlerweile verstärkt gentechnisch verändertes Soja angebaut, welches als wichtiger Proteinträger in der Tierernährung gilt. Lieferungen, die nur Spuren von gentechnisch veränderten Futtermitteln, zum Beispiel durch Verunreinigungen, enthalten, dürfen bisher nicht eingeführt werden. Da in Zukunft von einer Steigerung der Anbaufläche für gentechnisch veränderte Futtermittel auszugehen ist, muss in dieser Frage eine politisch und gesamtgesellschaftlich tragfähige Lösung herbeigeführt werden.

Das Vertrauen der Verbraucher in die europäische Lebensmittelwirtschaft wurde in der Vergangenheit durch verschiedene Lebensmittelskandale, die BSE-Krise und die Vogelgrippe auf eine Probe gestellt. Die Branche investierte daraufhin verstärkt in die Qualität und Sicherheit des Produktionsprozesses. Dies gilt insbesondere für die Futtermittelwirtschaft. Diese hat durch Teilnahme am Qualitäts- und Sicherheitssystem (QS) im Jahr 2003 und Aufbau eines Rückverfolgbarkeitssystems auf Basis der EU-Lebensmittelverordnung im Jahr 2005 reagiert.

Hierzu gehören die eindeutige Kennzeichnung der Waren, die Dokumentation der Warenströme sowie die Aufbewahrung von Rückstellmustern. Außerdem werden hohe Aufwendungen für Forschung und Entwicklung für Fütterungsarzneimittel und Zusatzstoffe für die Tierernährung getätigt. Seit Anfang Januar 2008 arbeitet die Branche an einer effizienteren Nutzung der Vorteile sowie der Beseitigung von Schwachstellen im System. Ziel ist es, insbesondere das Futtermittelmonitoring weiter zu verbessern.

Die Landwirtschaftliche Rentenbank als geschätzter Begleiter

Die Landwirtschaftliche Rentenbank begleitet die Agrar- und Ernährungsindustrie mit Angeboten der Investitions- und Innovationsförderung sowie mit besonderen Liquiditätshilfen. Die Fördertätigkeit der Rentenbank umfasst neben der Landwirtschaft auch die vor- und nachgelagerten Unternehmen innerhalb der Wertschöpfungskette. Hierzu gehören insbesondere agrargewerbliche Betriebe und Unternehmen der Ernährungsindustrie, sofern es sich um kleine und mittelständische Unternehmen im Sinne der EU handelt.

Die Rentenbank hat im vergangenen Jahr alleine aus den vier Förderkreditprogrammen für Landwirtschaft, Bioenergieinvestitionen, Kommunalfinanzierungen und investive Maßnahmen in ländlichen Gebieten neue Darlehen in Höhe von 2,7 Milliarden Euro vergeben. Diese Förderdarlehen dienen in erster Linie dem Ziel, das Wachstum der Unternehmen zu ermöglichen sowie deren Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.

Innerhalb des Innovationsprogramms, welches aus den Mitteln des Zweckvermögens des Bundes gespeist wird, fördert die Rentenbank zudem die Markt- und Praxiseinführung von innovativen Investitionen und Projekten.

Fußnote

* In diesem Fall inklusive Landwirtschaft, Produzierendes Ernährungsgewerbe einschließlich Handwerk, Lebensmittelgroß- und Einzelhandel, Gastgewerbe, Vorleistungsindustrie und Dienstleister.

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