Aufsätze

Derivate in der kommunalen Praxis

Im kommunalen Schuldenmanagement spielen Derivate und insbesondere Swaps eine große Rolle. Spätestens seit der Finanzkrise sind Derivate als "Massenvernichtungswaffen der Finanzmärkte" (Warren Buffett) in aller Munde. In der Krise hat sich gezeigt, dass die fehlende Transparenz und unzureichende Regulierung von OTC-Derivaten zu nicht beherrschbaren Risiken mit globalen Auswirkungen führt.

Derivate im kommunalen Schuldenmanagement sind überwiegend aufgrund hoher Schäden in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt. Diese Schäden resultieren aus einer ständigen Weiterentwicklung der Derivate durch die Banken.

Von der Risikoabsicherung zur Spekulation

Ende der neunziger Jahre versuchten viele Kommunen und kommunale Unternehmen in Deutschland ihre Zinslast aus bestehenden Darlehen durch Swap-Geschäfte zu senken. Sie folgten damit vielfach der Aufforderung ihrer Aufsichtsbehörden, den steigenden Zinsen durch ein aktives Zinsmanagement zu begegnen. Zunächst unterstützten die Banken die Kommunen und boten Produkte zur reinen Zinssicherung an. Einfach gestaltete Swaps, die ausschließlich zur Zinssicherung dienten und - mit dem entsprechenden Verständnis der Kämmerer - kalkulierbar waren, wurden als sinnvolles Instrument in das kommunale Zinsmanagement implementiert.

Bald allerdings verkauften die Banken, teilweise unter Ausnutzung des aus der finanziellen Notlage der Kommunen resultierenden Drucks und unter Ausnutzung eines geschaffenen Vertrauens, auch sogenannte toxische Produkte. Diese Produkte waren häufig spekulative Optionsgeschäfte. Mit der Bezeichnung als Swap waren sie für Kunden nicht erkennbar - falsch etikettiert.

Nach und nach wurden den Kommunen immer häufiger unter dem Deckmantel einer sinnvollen "Zinsoptimierung" spekulative Zinsderivate empfohlen. Der Charakter der Produkte und die Gefahren daraus waren nur für die diese Produkte strukturierenden Banken, nicht für die Kunden erkennbar. Eine Aufklärung über veränderte Funktionsweisen und die neuen Risikostrukturen unterblieb nicht nur, sie wurde regelrecht verschleiert. Diese Produkte waren ausschließlich für Banken interessant, denn mit dem Handel dieser von den Banken geschaffenen Risiken ließen sich für die Banken risikofreie Gewinne erwirtschaften.

Schäden in Milliardenhöhe

Während bei Privatkunden in der Regel nur ein begrenztes Gesellschafts- oder Privatvermögen existiert und damit für die Bank im Falle eines Schadens der Kunden ein Ausfallrisiko darstellt, besteht bei einer Kommune dieses Risiko nicht. Hinter einer Kommune steht der Steuerzahler. Ein Ausfall galt praktisch als unmöglich. Deswegen war das Geschäft mit Kommunen besonders interessant.

In den Jahren nach der Jahrtausendwende wurde Hunderten Kommunen und kommunalen Unternehmen in Deutschland der Abschluss von Swaps empfohlen. Dabei nutzten insbesondere die Landesbanken die Empfehlung der Ministerien, Derivate zur Risikoabsicherung anzubieten. Diese Empfehlungen der Ministerien waren häufig der "Türöffner", um den Kommunen spekulative Swaps im Rahmen eines "Aktives Zins- und Währungsmanagements" zu empfehlen.

Wie viele Kommunen genau betroffen sind, ist nicht bekannt. Nach Aussage des Zentralen Kreditausschusses (heute: Die Deutsche Kreditwirtschaft) wurden deutschlandweit 1 556 Rahmenverträge mit Kommunen und weitere 1 104 Rahmenverträge mit kommunalen Unternehmen abgeschlossen. Der Abschluss eines Rahmenvertrages ist Voraussetzung für den Abschluss von Swaps.

Der Gesamtwert der daraus resultierenden Einzelgeschäfte lag nach Angaben des Zentralen Kreditausschusses Ende 2010 bei 63,7 Milliarden Euro. Eine Differenzierung zwischen sinnvoll eingesetzten und toxischen Derivaten liegt nicht vor. Angesichts der Vielzahl der toxischen Produkte ist allerdings mit Schäden in Milliardenhöhe zu rechnen.

Swap-Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH)

Ab 2007 waren die Gerichte quer durch die Republik mit der Falschberatung im Zusammenhang mit Swaps beschäftigt. Nachdem das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart bereits 2010 die Deutsche Bank wegen Falschberatung bei Swaps zu Schadensersatz verurteilt hatte, kam es 2011 zu einer richtungsweisenden Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof, die am 8. Februar in eine Verurteilung der Deutschen Bank mündete.

Dieses sogenannte Swap-Urteil des BGH vom 22. März 2011 (Az. XI ZR 33/10) erregte Aufsehen. Gegenstand des Verfahrens war ein CMS Spread Ladder Swap der Deutschen Bank. Trotz des Einwands der Anwälte der Deutschen Bank, eine Verurteilung der Deutschen Bank werde eine zweite Finanzkrise auslösen, verurteilte der 11. Senat die Bank vollumfänglich zum Schadensersatz wegen Falschberatung.

Der BGH statuierte konkret eine Pflicht zur Aufklärung über den sogenannten anfänglichen negativen Marktwert. Bei der Beratung hinsichtlich von ihr selbst zulasten des Kunden strukturierter Produkte befinde sich die Bank in einem schwerwiegenden Interessenkonflikt, so der BGH. Aufgrund des Wettcharakters des Swaps könne sie nur dann gewinnen, wenn der Kunde verliere. Das Gewinninteresse der Bank stehe im Konflikt mit dem von der Bank zu wahrenden Kundeninteresse. Der von der Bank einstrukturierte anfängliche negative Marktwert sei als Ausdruck ihres schwerwiegenden Interessenkonflikts aufklärungspflichtig.

Dabei führt zur Auf klärungspflicht laut BGH, dass der Kunde zwar wisse, dass eine Bank mit dem Vertrieb eines Eigenprodukts Gewinn erzielen wolle. Dass und in welchem Umfang die Bank das Produkt bewusst zu seinem Nachteil gestaltet hat, könne er aber nicht erkennen. Obwohl die Banken stets von einer Einzelfallentscheidung des BGH sprechen, wurde diese Rechtsprechung in der Folgezeit vielfach von anderen Gerichten auf andere Swap-Produkte übertragen. Zahlreiche Fälle endeten mit einem für den Kunden sehr guten Vergleichsabschluss.

Als erste Kommune in Nordrhein-Westfalen hat die Stadt Ennepetal am 11. Mai 2012 ein positives Urteil (Az.: 8 O 77/11) vor dem Landgericht Düsseldorf gegen die WestLB erstritten, das noch nicht rechtskräftig ist. Die Stadt Ennepetal hatte mehrere Swaps mit der ehemaligen WestLB (jetzt Erste Allgemeine Abwicklungsanstalt) abgeschlossen und machte Schadensersatz wegen Falschberatung geltend. Das Landgericht stützte sich bei der Verurteilung im Wesentlichen auf die fehlende Aufklärung über den anfänglichen negativen Marktwert.

In vielen Verfahren berufen sich die Kommunen zudem auf den - für sie ursprünglich nicht erkennbaren - spekulativen Charakter der Swaps. Sie begründen ihre Klage damit, dass Spekulationsgeschäfte nicht mehr im Rahmen der Finanzhoheit einer Gemeinde liegen. Damit lägen diese Geschäfte außerhalb des gesetzlichen Wirkungskreises (damit "ultra vires") einer Gemeinde. Derartige Geschäfte sind nichtig, also unwirksam und deswegen rückabzuwickeln. Auf eine Falschberatung - die die Kommune beweisen müsste - kommt es nicht mehr an.

Kommunales Spekulationsverbot in Sachsen

Als erstes Bundesland hat Sachsen mit klaren Schutzmechanismen auf die hohen Schäden aus dem Abschluss spekulativer Zinsderivate im kommunalen Bereich reagiert. Spekulative Finanzgeschäfte sind nach § 72 Abs. 2 S. 2 der Sächsischen Gemeindeordnung verboten. Ein Verstoß gegen dieses Verbot wird mit der Folge der Nichtigkeit sanktioniert (§ 120 Abs. 2 SächsGemO).

Durch die Rechtsfolge der Nichtigkeit findet eine Risikoverschiebung statt. Verkauft die Bank spekulative Derivate an kommunale Kunden, trägt sie im Schadensfalle das Risiko einer Rückabwicklung. Bei einem funktionierenden Risikomanagement einer Bank wird damit bereits bankintern darauf geachtet werden, dass keine spekulativen Produkte im kommunalen Bereich angeboten werden.

EMIR-Verordnung: Für sichere Zinssicherungsgeschäfte wird es auch zukünftig bei öffentlichen/kommunalen Kreditaufnahmen ein berechtigtes Interesse geben. Aktuell sind die Zinsen außergewöhnlich niedrig, zum Teil werden Kassenkredite mit einem Zinssatz von unter 0,2 Prozent aufgenommen. Das wird nicht immer so bleiben. In einem Anstieg der Zinsen liegt damit ein erhebliches öffentliches Finanzierungsrisiko.

Derivate werden auch zukünftig gehandelt werden, auch wenn Kommunen als "gebrannte Kinder" aktuell Scheu davor haben. Vor dem Hintergrund enormer finanzieller Schäden werden im Moment gesetzliche Verbote für den Abschluss von Spekulationsgeschäften durch die öffentliche Hand diskutiert - so zum Beispiel in Österreich zwischen dem Bund und den Ländern.

Sicherheit und Solidität

Auf internationaler und europäischer Ebene wurde als Reaktion auf die Krise an den Finanzmärkten der außerbörsliche Derivatehandel (sogenannter OTC-Derivatehandel) regulatorisch mit dem Ziel aufgegriffen, diesen transparenter und sicherer zu gestalten. Dies soll erreicht werden, indem standardisierte OTC-Derivate über zentrale Gegenparteien abgewickelt und an Transaktionsregister gemeldet werden müssen.

Die einschlägigen Beschlüsse der G20-Staa ten wurden in der Europäischen Union durch die Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (ABl. L 201 vom 27. Juli 2012, S. 1) (auch: European Market Infrastructure Regulation, EMIR) umgesetzt. Diese Verordnung ist in allen EU-Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht.

In Deutschland beschloss das Bundeskabinett den Entwurf eines Umsetzungsgesetzes (sogenanntes EMIR-Ausführungsgesetz, BTDrs. 17/11289 vom 5. November 2012). Der Bundesrat hat in einem Beschluss vom 23. November 2012, BRDrs. 606/12, verschiedene Aspekte beschlossen, die im weiteren Gesetzgebungsverfahren Berücksichtigung finden sollen.

Diese neuen Regelungen sollen ein Mehr an Sicherheit und Solidität bei den Derivategeschäften bringen. Bei entsprechenden Abschlüssen im kommunalen Bereich sind sie zu berücksichtigen. Die Neuregelungen und der damit verbundene Mehraufwand werden weniger die Kommunen betreffen, als die Verkäufer und Händler. Allerdings werden die Finanzprodukte mit den neuen Maßgaben teurer werden. Banken werden diese Mehrkosten an die Kommunen weitergeben. Für die Kommunen ist es bedeutsam, diese Neuregelungen zu kennen. Sie bekommen so zusätzliche Schutzmöglichkeiten gegen den Abschluss hochriskanter Geschäfte. Die EMIR-Verordnung selbst enthält vor allem folgende Neu-Regelungen:

1. In der Verordnung werden Clearingund Risikomanagementvorschriften für außerbörsliche OTC-Derivateverträge, Meldepflichten für Derivate sowie einheitliche Vorschriften für die Ausübung der Tätigkeiten von zentralen Gegenparteien (central counterparties, CCPs) und Transaktionsregistern festgelegt.

Die erfassten OTC-Derivategeschäfte müssen über eine "zentrale Gegenpartei" abgewickelt werden. Das bedeutet für eine Kommune, dass sich der Abschluss eines Derivategeschäfts verkompliziert, weil mit der "zentralen Gegenpartei" ein weiterer Akteur und damit eine weitere Schnittstelle zwischen sie und ihren Geschäftskunden tritt.

Clearingpflicht

Die zentrale Gegenpartei ist an Börsen bereits üblich. Sie ist ein Rechtssubjekt, das als Vertragspartei zwischen den Verkäufer und den Käufer tritt. Sie fungiert als Käufer für jeden Verkäufer, und als Verkäufer für jeden Käufer. Ein kompliziertes System, das aber auch Vorteile bringt. Aus Sicht der Kommune als Kundin bringt es vor allem eine verbesserte Risikoabsicherung. Denn die zentralen Gegenparteien verlangen zur Abmilderung des Erfüllungsrisikos die Hinterlegung von Sicherheiten, die sich an der Volatilität (Standardabweichung oder -schwankung) des gehandelten Wertpapiers orientieren. Mit der Einschaltung der "zentralen Gegenpartei" kommt damit ein dritter Part ins Derivategeschäft, der selbst ein hohes Interesse hat, Risiken bei Derivategeschäften genau zu ermitteln und zu beherrschen.

2. Für die OTC-Derivate wird eine Clearingpflicht eingeführt. "Clearing" bezeichnet den Prozess der Erstellung von Positionen. Darunter ist auch die Berechnung von Nettoverbindlichkeiten gefasst und die Gewährleistung, dass zur Absicherung des Risikos ausreichend Finanzmittel zur Verfügung stehen.

Die Clearingpflicht gilt für Handelsteilnehmer aus dem Finanzbereich, die der Finanzaufsicht unterliegen, also vor allem für Kreditinstitute, Wertpapierhändler, Versicherungen oder Investment- oder Pensionsfonds. Das Clearing führt die zentrale Gegenpartei durch. Dies ist aus der Sicht der Kunden, also auch der Kommunen eine sinnvolle Regelung, da Nettoverbindlichkeiten und Risiken dargestellt werden und eine entsprechende Besicherung stattfinden soll.

Kontrakte mit Kommunen auch erfasst

Die clearing- und registerpflichtigen Derivategeschäfte (Optionen, Terminkontrakte, Swaps, Zinsausgleichsvereinbarungen und alle anderen Derivatekontrakte) ergeben sich aus dem Verweis auf die Finanzmarktprodukte und deren Legaldefinition in der Richtlinie 2004/39/EG (MiFID I). Erfasst sind vor allem Derivategeschäfte in Bezug auf Wertpapiere, Währungen, Zinssätze oder -erträge. Auch andere Derivate-Instrumente, finanzielle Indizes oder Messgrößen, die effektiv geliefert oder bar abgerechnet werden können, sowie Derivategeschäfte in Bezug auf Waren und den Transfer von Kreditrisiken und finanzielle Differenzgeschäfte. Vom Anwendungsbereich der EMIR-Verordnung sind also generell die Derivatekontrakte erfasst, die auch mit Kommunen abgeschlossen wurden.

Für andere, nicht geclearte OTC-Derivatekontrakte, sind Risikoschutzbestimmungen zugunsten ihrer Kunden eingeführt worden. Sie sind dazu verpflichtet, das Risiko des Derivategeschäfts zu ermessen, zu beobachten und zu mindern. Unter anderem müssen sie gemäß Art. 10 der EMIR-Verordnung täglich auf der Basis der aktuellen Kurse den Wert ausstehender Kontrakte ermitteln.

Transaktionsregister 3. Um die Transparenz zu erhöhen, sind Derivategeschäfte an ein Transaktionsregister zu melden. Das Transaktionsregister ist eine juristische Person, die die Aufzeichnungen zu Derivaten zentral sammelt und verwahrt. In Deutschland soll diese Aufgabe die Bundesanstalt für die Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesbank übernehmen. Der Europäischen Wertpapier- und Markt aufsichtsbehörde (ESMA) wird die Aufsicht über die Transaktionsregister europaweit übertragen.

MiFID-II-Richtlinie: Neben der bereits gültigen EMIR-Verordnung ist aktuell noch eine weitere EU-Legislativmaßnahme mit Bedeutung für Derivategeschäfte in der Diskussion. Die Europäische Kommission hat bereits am 20. Oktober 2011 einen Vorschlag zur Überarbeitung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (RL 2004/39/EG vom 21. April 2004, Markets in Financial Instruments Directive - "MiFID") vorgelegt, KOM(2011) 656 endgültig, 2011/0298 (COD). Der Vorschlag sieht eine weitergehende Regulierung von Finanzmärkten und Wertpapierdienstleistungen vor, deren Ziel es ist, die Finanzmärkte transparenter und stabiler zu machen und den Schutz der Verbraucher und Anleger auszubauen. Diese sogenannte MiFID-II-Richtlinie der EU befand sich zum Jahreswechsel 2012/2013 noch in der legislativen Phase des Trilogverfahrens (EU-Praxis im Gesetzgebungsverfahren).

Diskussion über ein europarechtliches kommunales Spekulationsverbot

Durch MiFID II würde auch die Sicherheit bei Derivategeschäften erhöht. Es ist eine Verbesserung des Anlegerschutzes durch strengere Regeln bei der Beratung durch Banken vorgesehen. Dem Kunden sollen künftig vor Abschluss des Geschäfts alle Informationen über die Risiken eines Produkts mitgeteilt werden müssen. Provisionen sollen erlaubt bleiben, soweit die EU-Mitgliedstaaten im nationalen Recht sicherstellen, dass die Provisionen transparent sind, an den Kunden weitergegeben werden oder wenn die Gebühren für die Bereitstellung eines Produkts notwendig sind.

Den Aufsichtsbehörden soll die Befugnis zum Verbot von Finanzprodukten gegeben werden, wenn diese die Verbraucher/Anleger oder Finanzstabilität gefährden. Dieses Verbot kann greifen bei riskanten Derivateprodukten, bei denen mit geringen Anlagesummen über einen sogenannten Hebel große Schäden generiert werden können.

Für die Kommunen ist vor allem wichtig, dass im Gesetzgebungsverfahren eine Regelung diskutiert wird, ob Kommunale Gebietskörperschaften im Grundsatz keine geeigneten Gegenparteien mehr sind. Damit würde erstmalig ein "europarechtliches Spekulationsverbot" greifen. Der Ansatz eines solchen europarechtlichen kommunalen Spekulationsverbots würde Folge fragen erzeugen. Zum Beispiel, für welche Derivategeschäfte konkret ein solches Verbot gilt.

Es wird auch weiterhin in Kommunen ein berechtigtes Interesse geben, sichere Zinssicherungsgeschäfte abzuschließen. Kommunale Spekulationsverbote ergeben sich jetzt bereits aus den Landesgemeindeordnungen in Deutschland (siehe Sachsen). Wäre die EU also überhaupt regelungsbefugt, auch in Anbetracht des Subsidiaritätsprinzips? Zudem wären auch die Rechtsfolgen eines "europarechtlichen Spekulationsverbots für Kommunen" zu klären. Wäre das ein "Vertragsabschlussverbot" oder die Rechtsfolge der Nichtigkeit eines solchen Spekulationsgeschäftes (ultra vires-Doktrin)?

Die EMIR-Verordnung ist seit dem 17. August 2012 in der EU gültiges Recht. Dessen ungeachtet läuft die praktische Umsetzung in den Mitgliedstaaten der EU noch, über praktische Erfahrungen liegen noch keine aussagekräftigen Berichte vor. Vor der EMIR-Verordnung war der Handel mit OTC-Derivaten weitgehend nicht reguliert. Die Verpflichtung, diesen nun über die sogenannten "zentralen Gegenparteien" abzuwickeln und dem Clearing-Prozess zu unterwerfen, erhöht die Sicherheit und erschwert den Verkauf "toxischer Finanzprodukte" am Markt. Diesem Ziel dient auch die Meldepflicht an das zentrale Transaktionsregister.

Damit wird das Wissen über geschäftsübliche Derivateprodukte amtlich gesichert werden. Offen bleibt die Frage, ob damit auch neue Formen derivativer Produkte rechtzeitig zur Kenntnis genommen werden, um deren Risiken abschätzen zu können. Welche Produkte müssen gegebenenfalls in den Katalog standardisierter clearing- und meldepflichtiger Geschäfte übernommen werden?

Umkehrung der Beweislast

Kommunen, die nach dem Abschluss von Derivategeschäften Schäden erlitten haben, machen vor allem geltend, dass sie die Komplexität und insbesondere die damit verbundenen hohen Risiken toxischer Finanzprodukte nicht übersehen konnten - dies auch deshalb, weil die Bank falsch oder ungenügend beraten hat. Hier dürfte die Zwischenschaltung der zentralen Gegenpartei bei der Geschäftsabwicklung in der Zukunft eine Verbesserung bringen. Zusätzlich wird das allgemeine Provisionsverbot bei der Vermittlung von Derivategeschäftsabschlüssen die Motivation der Banken am Verkauf von riskanten Derivategeschäften deutlich senken. Der einschlägige Vorschlag der EU-Kommission für ein so formuliertes Provisionsverbot in dem Entwurf der MiFID-II-Richtlinie wurde nach einem Proteststurm der Finanzwirtschaft im Europäischen Parlament von diesem allerdings abgelehnt.

Auch wenn das Clearingverfahren einen deutlichen Beitrag zur Risikokalkulation bei Derivategeschäften bringen wird - eine optimale Lösung ist es nicht. Geschädigte Kommunen die klagen, sind noch immer mit der Beweislast konfrontiert. Sie müssen die schuldhafte Verursachung des Schadens wegen einer Falschberatung und die "Toxizität" des Finanzproduktes beweisen.

Das ist häufig sehr schwer. Im Rahmen einer interessengerechten Verteilung von Risiken und vertraglichen (Neben-)Pflichten wäre es zielführend, eine allgemeinen Umkehr der Beweislast einzuführen. Nicht die Kommunen sollten die Falschberatung und die toxischen, hohen Risiken der Geschäfte beweisen müssen, sondern die Banken. Die Finanzinstitute müssten dann die korrekte Beratung und nichttoxische Solidität der von ihnen verkauften Finanzprodukte beweisen. Diese Herangehensweise korrespondiert mit dem regulatorischen Ansatz, OTC-Derivategeschäfte stärker zu besichern. Denn die Besicherungskalkulation in den Finanzinstituten macht eine reale Risikobewertung des Produkts unverzichtbar.

Uwe Zimmermann , stellvertretender Hauptgeschäftsführer , Deutscher Städte- und Gemeindebund e. V. (DStGB), Berlin
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