Aufsätze

EMIR-Gesetz: ein Beitrag zu mehr Vertrauen und Transparenz?

Der Deutsche Bundestag hat am 13. Dezember 2012 das EMIR-Ausführungsgesetz verabschiedet und damit einen weiteren wichtigen Baustein in die neue Architektur der Finanzmärkte eingefügt. Das Gesetz flankiert die seit 16. August 2012 geltende europäische Verordnung über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (European Market Infrastructure Regulation, EMIR). Im Fokus der Verordnung und des Gesetzes stehen Geschäfte mit Derivaten, die sich außerhalb von Börsen abspielen. Die Finanzkrise hat deutlich vor Augen geführt, welche gravierenden Folgen der Ausfall eines Marktteilnehmers - wie die US-amerikanische Investmentbank Lehman Brothers - im außerbörslichen Handel mit Derivaten haben kann. Ursächlich dafür waren zum einen die unzureichende Besicherung der überwiegend bilateral abgewickelten Geschäfte und die damit einhergehende starke Vernetzung zwischen der Vielzahl an Akteuren auf diesem Markt. Zum anderen konnten weder die Finanzaufsicht noch die Marktteilnehmer untereinander den Umfang der mit Derivaten abgewickelten Geschäfte und die damit eingegangenen Risiken richtig einschätzen.

Ein Resultat des Pittsburgh-Gipfels

Um diese Defizite zu beheben, haben sich die G20-Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel im September 2009 in Pittsburgh darauf verständigt, dass außerbörsliche Derivate zukünftig an Börsen gehandelt und über zentrale Verrechnungsstellen (sogenannte Clearingstellen) abgewickelt werden müssen. Außerbörsliche Derivategeschäfte sollen zudem an zentrale Register gemeldet werden. Die beiden letztgenannten Vorgaben (Meldung an zentrale Register und Verpflichtung, standardisierte außerbörsliche Derivategeschäfte künftig über eine zentrale Verrechnungsstelle abzuwickeln), wurden in der Europäischen Union nun über die EMIR-Verordnung umgesetzt. Die Verpflichtung zum Handel standardisierter außerbörslicher Derivategeschäfte an zentralen Handelsplätzen wird Teil der europäischen Finanzmarktverordnung MiFIR werden. Diese ergänzt

zukünftig die bisherige Finanzmarktrichtlinie MiFID, die derzeit überarbeitet und gemeinsam mit der MiFIR auf europäischer Ebene verhandelt wird. Ergänzt wird die neue Derivateregulierung zudem durch das europäische Umsetzungspaket zu Basel III (CRD IV und CRR). Es enthält neue Kapitalvorgaben für OTC-Derivate und gestaltet die Behandlung von Risiken aus Transaktionen mit zentralen Clearingstellen neu aus.

Einheitliche Rahmenbedingungen

Die EMIR-Verordnung schafft EU-weit einheitliche Rahmenbedingungen für die Regulierung von außerbörslich (Over-the-Counter - OTC) gehandelten Derivaten. Die bislang weitgehend unregulierten und teilweise unbesicherten Derivategeschäfte, die jeweils direkt zwischen zwei Finanzmarktakteuren vereinbart wurden, müssen künftig zu großen Teilen über zentrale Verrechnungsstellen, sogenannte zentrale Gegenparteien (Central Counterparties, CCP) abgewickelt oder angemessen besichert werden.

Zudem sind künftig sämtliche Derivategeschäfte an zentrale Transaktionsregister zu melden. Bei einer Abwicklung über eine zentrale Gegenpartei fungiert die zentrale Gegenpartei als Vertragspartner der Käufer- und der Verkäuferseite. Das Ausfallrisiko besteht dann nicht mehr gegenüber den verschiedenen Finanzmarktakteuren, sondern nur noch gegenüber der zentralen Gegenpartei. Die zentrale Gegenpartei wiederum sichert sich durch die Hereinnahme von Sicherheiten ihrer Nutzer und durch andere Maßnahmen gegen Verluste ab. Die Geschäfte der verschiedenen Nutzer werden gegeneinander aufgerechnet. Dadurch sinkt sowohl das Volumen der zu übertragenden Positionen als auch das Risiko, dass ein einzelnes Geschäft nicht erfüllt wird.

Von der Pflicht zum zentralen Clearing betroffen sind OTC-Derivate zwischen Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten, Versicherungen und Fonds. Aber auch Derivategeschäfte von realwirtschaftlichen Unternehmen werden erfasst, wenn die Positionen des Unternehmens in Derivatekontrakten einen Schwellenwert (die sogenannte Clearingschwelle) übersteigen. Einzelheiten werden in den technischen Ausführungsbestimmungen zur EMIR-Verordnung festgelegt.

Begründete Ausnahmen unter Auflagen zugelassen

Allerdings eignen sich nicht alle Derivategeschäfte zum zentralen Clearing. Dazu gehören insbesondere bestimmte außerbörsliche Derivate, die von Industrieunternehmen genutzt werden, um sich vor Preisänderungen auf den Energie- und Rohstoffmärkten zu schützen. Die EMIR-Verordnung lässt es auch zukünftig zu, dass solche - oftmals genau auf den Absicherungsbedarf von Industrieunternehmen zugeschnittenen - Absicherungsgeschäfte ohne die Einschaltung zentraler Gegenparteien abgewickelt werden. Die Vertragsparteien müssen aber auch in diesen Fällen bestimmte Anforderungen an das Risikomanagement erfüllen. Dazu gehören unter anderem die zügige Bestätigung der abgeschlossenen Geschäfte und ein Abgleich der Geschäfte. Finanzinstitute und Unternehmen, die die Clearingschwelle überschreiten, müssen auch eine tägliche Bewertung der offenen Positionen vornehmen. Bei Unternehmen der Finanzbranche kommen zusätzlich noch Kapitalanforderungen hinzu. So sieht die CRD IV beispielsweise vor, dass das Risiko einer Bonitätsverschlechterung des Kontrahenten bei bilateralen Derivategeschäften mit zusätzlichem Eigenkapital zu unterlegen ist (Credit Value Adjustment).

Durch die Zwischenschaltung der zentralen Gegenparteien verringert sich die gefährliche Vernetzung zwischen den Akteuren auf dem Derivatemarkt. Für die Abwicklung der Derivategeschäfte über zentrale Gegenparteien werden europaweit einheitlich hohe Sicherheitsanforderungen gelten. So müssen die über die Abwicklungsstellen geleiteten Geschäfte umfassend und über alle Marktteilnehmer einheitlich abgesichert werden. Ferner werden die Regeln für die Zulassung und Kontrolle der zentralen Gegenparteien europaweit harmonisiert. Kriterien hierfür sind unter anderem bestimmte Anforderungen an die Geschäftsleitung, die Risikokontrolle, die Höhe von Sicherheitsleistungen der angeschlossenen Nutzer und das Eigenkapital.

Alle - börslich wie außerbörslich gehandelte - Derivategeschäfte müssen an Transaktionsregister gemeldet werden. Die Transaktionsregister werden ihrerseits direkt von der europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA beaufsichtigt oder werden von der ESMA anerkannt, soweit sich ihr Sitz außerhalb der EU befindet.

Auf Basis der Transaktionsregister bekommen Aufsichtsbehörden schnelle und umfassende Informationen über die Verteilung der Risikopositionen unter den Handelsteilnehmern und über die Marktlage. Die Aufsicht kann so drohende Gefahren früher erkennen und schneller eingreifen. Gleichzeitig kann die Öffentlichkeit auf aussagekräftige zusammengefasste Zahlen zurückgreifen, was die Transparenz der Märkte maßgeblich erhöht.

Mehr Sicherheit und Transparenz

Insgesamt schafft das EMIR-Regelwerk mehr Sicherheit und Transparenz bei der Abwicklung von Derivategeschäften und fördert somit die Stabilität der Finanzmärkte. Mit dem EMIR-Ausführungsgesetz werden die deutschen Gesetze an die EMIR-Verordnung angepasst. Es werden die zuständigen Behörden für die Beaufsichtigung und die Regelung von Zugangsrechten für zentrale Gegenparteien bestimmt, nicht mehr passende Vorschriften im Kreditwesengesetz geändert und die Bußgeldtatbestände erweitert, um Verstöße gegen die Pflichten aus der EMIR-Verordnung sanktionieren zu können.

Zudem wird mit dem Gesetz in der Insolvenzordnung klargestellt, dass bei einer Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bei einem Clearingnutzer seine aus Kundengeschäften resultierenden Clearingpositionen auf einen anderen Clearingnutzer übertragen werden können. Ergänzend dazu wird die Insolvenzanfechtung dieser Übertragung ausgeschlossen. Die nach der EMIR-Verordnung im Insolvenzfall vorgesehene Übertragungsmöglichkeit von Clearingpositionen ermöglicht eine reibungslose Weiterführung der Derivategeschäfte von Kunden des insolventen Clearingnutzers und trägt dazu bei, Ansteckungseffekte zu vermeiden.

Ermächtigung für die BaFin

Die Wahlmöglichkeiten der EMIR-Verordnung nutzend enthält das Gesetz eine Ermächtigung für die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), über die EMIR-Verordnung hinausgehende Anforderungen an die Finanzmittel- und Liquiditätsausstattung der zentralen Gegenparteien zu stellen. Damit kann die BaFin das erhöhte systemische Risiko der durch die Verordnung aufgewerteten zentralen Gegenparteien angemessen adressieren.

Die Wirksamkeit der neuen Derivateregulierung hängt in starkem Maße davon ab, wie die technischen Durchführungsbestimmungen zur EMIR-Verordnung letztendlich konkret ausgestaltet sein werden. Entwürfe von sechs technischen Regulierungsstandards wurden von der ESMA und der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA erarbeitet und der Europäischen Kommission fristgemäß zum 30. September 2012 vorgelegt. Die Europäische Kommission hat sie nach eigener Prüfung am 19. Dezember 2012 an das Europäische Parlament und den Europäischen Rat übersandt. Beide haben höchstens zwei Monate Zeit, Einwände zu erheben. In den Ausführungsbestimmungen wird beispielsweise festgelegt, nach welchen Kriterien die ESMA die Derivateklassen bestimmt, die der Verpflichtung zum zentralen Clearing unterliegen. Sobald Derivatekontrakte von einer zentralen Gegenpartei abgewickelt werden, ist künftig zu prüfen, ob eine generelle Clearingverpflichtung für diese Derivateklasse vorgesehen wird. Prüfkriterien sind dabei beispielsweise die Liquidität dieser Kontrakte und das gehandelte Volumen.

Enormer Bedeutungsgewinn zentraler Gegenparteien

Die künftige Verpflichtung zum zentralen Clearing führt zu einem enormen Bedeutungsgewinn zentraler Gegenparteien für die Finanzmarktstabilität. Bei ihnen entstehen neue Vernetzungen im Finanzsystem, für die geeignete Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden müssen. Die EMIR-Verordnung sieht zur Begrenzung der Risiken bei zentralen Kontrahenten Kapital- und Liquiditätsanforderungen, bestimmte organisatorische Pflichten, Regeln für die Durchführung von Geschäften sowie aufsichtliche Anforderungen rund um die Stellung von ausreichenden Sicherheiten, Nachschussverpflichtungen, die Errichtung von Clearingfonds und Verfahren für den Ausfall von Clearingmitgliedern vor.

Auch diese in der Verordnung angelegten Sicherheitsvorkehrungen werden in den technischen Ausführungsbestimmungen konkretisiert. Dies zeigt, dass die Wirksamkeit der in der EMIR-Verordnung angelegten Regelungen entscheidend von der Ausgestaltung der technischen Ausführungsbestimmungen abhängt. Die sich abzeichnenden Regelungen werden dazu beitragen, die systemischen Risiken, die sich aus der neuen herausgehobenen Stellung von zentralen Gegenparteien ergeben, effektiv zu begrenzen.

Nicht zu unterschätzen sind die praktischen Anforderungen, die die Umsetzung und Anwendung der neuen Derivatevorschriften an Marktteilnehmer und Aufsichtsbehörden stellen. Zentrale Gegenparteien müssen ihre Systeme zum einen an die neuen aufsichtlichen Vorschriften anpassen. Zum anderen müssen sie Vorkehrungen für die zu erwartende höhere Anzahl von Clearingteilnehmern und abzuwickelnden Geschäften treffen. Die Aufsichtsbehörden müsssen sich auf ihre neuen Aufgaben bei der Beaufsichtigung von zentralen Gegenparteien sowie finanziellen und nicht-finanziellen Nutzern von Derivaten einstellen und lernen, die neu verfügbaren Datenmengen effektiv für aufsichtliche Zwecke zu verwenden. Transparenz ist im Rahmen der gesamten Regulierungsbemühungen um den OTC-Derivatemarkt ein zentrales Ziel. Nicht nur werden Aufseher und Marktteilnehmer bei der Beurteilung des Risikos im Markt in hohem Maße von verlässlichen und schnell verfügbaren Daten profitieren. Die Erkenntnisse aus den gesammelten Daten ermöglichen es auch, die eingeleiteten Reformen zu überprüfen und gegebenenfalls weiteren Reformbedarf zu identifizieren.

Ankündigungseffekte

Bereits das Nahen weltweit strengerer Regulierungsvorschriften führt offenbar dazu, dass die Aktivitäten am außerbörslichen Derivatemarkt allmählich zurückgehen. Das Nominalvolumen außerbörslich gehandelter Derivate fiel laut Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich per Ende Juni 2012 gegenüber Mitte 2011 um zehn Prozent auf 639 Billionen Dollar (494 Billionen Euro). Marktbeobachter gehen davon aus, dass das Derivatevolumen wegen der strengeren Vorschriften weiter schrumpfen wird, weil außerbörsliche Derivategeschäfte für Banken teurer und damit weniger profitabel werden.

Für die Fertigstellung der neuen Architektur der Derivatemärkte kommt es nun darauf an, dass die Clearingverpflichtung der EMIR-Verordnung zügig und möglichst umfassend in Kraft tritt und dass der zweite Teil der G20-Beschlüsse - die Verlagerung des Derivatehandels möglichst auf Börsen oder andere Handelsplätze mit transparenter Preisbildung - mit der Überarbeitung der MiFID so schnell wie möglich umgesetzt wird. Wegen der globalen Vernetzung der Finanzmärkte muss aber insbesondere auch dafür gesorgt werden, dass die von den G20 vereinbarten Regeln weltweit kompatibel umgesetzt und angewendet werden.

Trotz der zweifellos noch vorhandenen Baustellen und der großen Herausforderungen, vor die die neuen Regeln Marktteilnehmer und Aufsichtsbehörden stellen, ist Zuversicht angebracht, dass die unternommenen Anstrengungen zu transparenteren und stabileren Finanzmarktinfrastrukturen zum Nutzen aller Marktteilnehmer führen werden.

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