Aufsätze

Europäische Bankenaufsicht die Perspektive der Europäischen Kommission

Mit dem Zusammenwachsen der europäischen Banken- und Finanzdienstleistungsindustrie rückt die Frage der europäischen Bankenaufsicht immer weiter ins Zentrum des Interesses. Von primärer Bedeutung ist es, europäische Bankenaufsicht aus einer funktionalen Perspektive zu betrachten. Es geht nicht in erster Linie um institutionelle Probleme, also die Frage, ob und wie die Bankenaufsicht für die Töchter und Filialen einer Bankengruppe auf europäischer Ebene zentralisiert werden soll. Aus Sicht der Europäischen Kommission ist diese Fragestellung sowohl in ihrer Bedeutung sekundär als auch in zeitlicher Hinsicht verfrüht. Vielmehr müssen sich die vorhandenen Strukturen und jede denkbare Weiterentwicklung an den Kriterien Effizienz und Effektivität messen lassen.

Weiterentwicklung unter den Kriterien Effizienz und Effektivität

Mit dem ersten Kriterium, Effizienz, sollen dabei die direkten und indirekten Kosten angesprochen sein, die die Aufsicht den Banken und damit letztlich auch ihren Kunden auferlegt - also neben den Kosten der Aufsichtsbehörde selbst in erster Linie die Verwaltungskosten für die Einhaltung aufsichtlicher Anforderungen. Daneben können nicht risikosensitive oder auch duplikative aufsichtliche Anforderungen die Kosten von Bankprodukten oder gar ihre Verfügbarkeit am Markt negativ beeinflussen. Das zweite Kriterium, Effektivität, zielt dagegen auf wirksame Vorbeugung gegen Bankenkrisen ab. Zugleich ist es entscheidend, dass die Kosten von Bankenkrisen, so sie trotzdem eintreten, für alle Seiten begrenzt werden. Gemeint sind damit Kosten für die Einleger, für die Einlagensicherung und für die Kreditnehmer, die auf die laufende Kreditvergabe ihrer Hausbank angewiesen sind. Und in letzter Instanz geht es auch um Kosten, die auf den Steuerzahler zukommen können.

Effizienz: Angesichts der Tendenz zur Konsolidierung, Konzentration und Zentralisierung von Funktionen in großen, meistens auch grenzüberschreitenden Bankengruppen scheint die Frage nach dem ersten der beiden Kriterien, der Effizienz, leicht zu beantworten zu sein.

So beklagen die grenzüberschreitenden Bankengruppen, dass die Zuständigkeit der jeweiligen örtlichen Aufsichtsbehörden für ihre Töchter - und in geringerem Umfang auch für ihre Filialen - sie mit vermeidbaren Kosten belaste. In der Konsequenz würden sie eine Aufsichtsarchitektur bevorzugen, die vergleichbar ihrer eigenen Organisation aufgebaut ist. Sie argumentieren, dass so duplikative Berichts- und sonstige Erfordernisse mit erheblichen Unterschieden zwischen den nationalen Aufsehern vermieden und Redundanzen durch eine bessere Koordination der Aufsichtsaktivitäten beseitigt werden können.

Welches nationale Recht?

Hieraus aber den Schluss zu ziehen, dass eine Zentralisierung der Aufsichtszuständigkeit die einzig mögliche und zwingende Konsequenz aus der Forderung nach einer kosteneffizienteren Aufsichtstätigkeit sei, wäre voreilig. So richtig es ist, dass hinsichtlich Konvergenz aufsichtlicher Anforderungen und Koordination der laufenden Aufsicht manches verbesserungsfähig ist, so sehr ist aber auch zu bedenken, dass diese Unterschiede nicht nur durch die Zuständigkeit unterschiedlicher Behörden bestimmt sind: nicht weniger entscheidend ist, welches nationale Recht in der Beaufsichtigung zumal eines Tochterunternehmens zu beachten ist - und hieran würde eine Veränderung der institutionellen Aufsichtszuständigkeit per se nichts ändern.

Optimierung unter der gegebenen Aufsichtsstruktur

Zugleich ist sich die Europäische Kommission sicher, dass auch ohne tief greifende Eingriffe in die institutionelle Gestaltung der europäischen Bankenaufsicht mit Blick auf Konvergenz und Koordination erhebliche Fortschritte möglich sind - und zum Teil auch bereits gemacht wurden. Insoweit hat die Europäische Kommission ihre Sicht der Dinge, bereits im "Weißbuch zur Finanzdienstleistungspolitik 2005 bis 2010" dargelegt: Im Fokus muss jetzt die Optimierung unter der gegebenen Aufsichtsstruktur stehen. Folgende Ziele lassen sich grundsätzlich auch ohne eine Änderung der Aufsichtsarchitektur erreichen:

Bessere Umsetzung und Durchsetzung des europäischen Rechts: hier trifft die Kommission selbst eine besondere Verantwortung - und sie sitzt gewissermaßen bereits an ihren Hausaufgaben: So kann die interessierte Öffentlichkeit über die Website Auslegungs- und Anwendungsfragen zur neuen Eigenkapitalrichtlinie direkt an die Kommission richten - und wir veröffentlichen einheitliche, mit den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten abgestimmte Antworten. Außerdem werden wir in Kürze die Durchführung einer Studie zur Umsetzung der Eigenkapitalrichtlinie in den Mitgliedstaaten ausschreiben. Der Auftragnehmer wird sich dabei nicht darauf beschränken können, Vorschriften "abzuhaken", sondern er wird auch ihre Umsetzung in die aufsichtliche Praxis an zahlreichen neuralgischen Punkten eruieren müssen.

Entwicklung einer gemeinsamen Aufsichtskultur

Verbesserte Kooperation und Koordination der Aufsichtsbehörden: auf diesem Gebiet versprechen wir uns viel von dem mit einem eigenen Sekretariat in London ausgestatteten Ausschuss der europäischen Bankenaufsichtsbehörden (CEBS). Und wir halten dessen Ansatz, operative Aufsehernetzwerke für die einzelnen großen Bankengruppen zu bilden, für vielversprechend.

In diesen Bereich fällt aber auch die Entwicklung einer gemeinsamen Aufsichtskultur, die CEBS durch seine Arbeitsgruppen und durch gemeinsame Schulungen vorantreiben kann. Aber die Europäische Kommission verlässt sich nicht allein auf freiwillige Initiativen. So verpflichtet die neue Eigenkapitalrichtlinie den Aufseher des Mutterunternehmens einer Gruppe zur grenzüberschreitenden Koordination der Aufsichtstätigkeit und erlegt ihm verschiedene Informationspflichten gegenüber seinen Mitaufsehern auf.

Konvergenz der Aufsichtspraxis und einheitlichere Entscheidungsfindung: dies

ist ein Bereich, in dem CEBS in seinem jungen Leben bereits Beachtliches erreicht hat. So sind bisher nach umfangreicher Konsultation mit den betroffenen Banken zehn Leitlinien veröffentlicht worden, die einheitlichere Herangehensweisen in wichtigen Feldern der risikoorientierten Aufsicht definieren. Auch hier hat die Kommission zusätzlich entscheidende rechtliche Rahmenbedingungen gesetzt: Die gruppenweit einsetzbaren fortgeschrittenen Verfahren zur Berechnung des aufsichtlichen Eigenkapitals, zu denen auch die bankinternen Ratingverfahren zählen, verlangen von den Aufsichtsbehörden eine einzige, rechtsverbindliche und grenzüberschreitende Genehmigungsentscheidung.

Gemeinsames Berichtswesen sowie effizientere Datenerhebung und Austausch:

CEBS hat ein gemeinsames Basisschema für die aufsichtlichen Meldungen gemäß den neuen Eigenkapitalstandards entwickelt. Auch wenn dieses Schema in seiner gegenwärtigen Form das Potenzial möglicher Vereinfachungen noch nicht ausschöpft, kann es, wenn es entsprechend weiterentwickelt wird, einer ganz wesentlichen - und völlig berechtigten - Kritik der Banken an den gegenwärtigen Aufsichtsstrukturen begegnen, indem es den bisher divergierenden und duplikativen Berichtserfordernissen ein Ende setzt. Aber die Kommission ist sicher, dass innerhalb der bestehenden Aufsichtsstrukturen noch mehr erreichbar ist. Zu erwägen wäre zum Beispiel:

Verbesserte Transparenz über Aufsichtsziele und Zielerreichung zwischen den Aufsichtsbehörden: etwa durch gegenseitige Überprüfungen der Aufsichtsbehörden (peer review), die Vertrauen schaffen und Kooperation und Koordination erleichtern; - Übertragung von einzelnen Aufgaben auf Aufsichtsbehörden anderer Mitgliedstaaten innerhalb des bestehenden Rechtsrahmens.

Zeit zur Bewährung lassen

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: viele der oben genannten Neuerungen müssen sich in der Praxis noch bewähren und im Laufe der nächsten Jahre sorgfältig evaluiert werden. Aber sie haben ohne Frage das Potenzial, die Effizienz der gegenwärtigen Strukturen zu steigern und lassen den Ruf nach einer tief greifenden institutionellen Neustrukturierung der europäischen Bankenaufsicht verfrüht erscheinen.

Effektivität: Wenden wir uns also dem zweiten Kriterium, der Effektivität, zu. Auf diesem Gebiet ist die Lage ungleich komplexer und viele der wichtigen Fragestellungen sind gerade erst formuliert, aber noch lange nicht beantwortet worden. Natürlich muss auch Effektivität vor dem Hintergrund der Tendenz zur Konsolidierung, Konzentration und Zentralisierung von Funktionen in großen, grenzüberschreitenden Bankengruppen betrachtet werden.

Aus Finanzstabilitätssicht sind rein nationale, unkoordinierte Lösungen in der Bankenaufsicht bei der Bewältigung grenzüberschreitender Krisen unzureichend. Weil die Zahl und der Marktanteil grenzüberschreitender Gruppen zunimmt, kann Finanzstabilität oft nicht mehr allein auf nationaler Ebene gesichert werden. Mangelnde Kooperation der Aufsichtsbehörden kann Lücken in der grenzüberschreitenden Beaufsichtigung hervorrufen und Aufsichtsarbitrage ermöglichen. Das gilt natürlich nicht nur innerhalb der Grenzen Europas, sondern angesichts der weltweiten Aktivitäten vieler Gruppen zunehmend auch darüber hinaus.

Effektivität in der Bankenaufsicht besitzt aber ganz entscheidende weitere Aspekte, die über eine lückenlose, arbitragefreie grenzüberschreitende Aufsicht hinausgehen. Die Effektivität europäischer Bankenaufsicht muss sich auch und gerade dann beweisen, wenn Probleme bei einer großen Bankengruppe festgestellt werden. Dabei haben die nationalen Gesetzgeber ihren nationalen Behörden jeweils Mandate erteilt, zum Schutz des jeweils nationalen

Finanzsystems, der dortigen Einleger und Kreditnehmer in den Geschäftsbetrieb einer Bank einzugreifen, gleich ob sie ein einzelnes, lokal tätiges Institut ist oder die örtliche Tochter einer grenzüberschreitend tätigen Gruppe.

Vorbehalte gegen Mandate an eine Behörde anderer Mitgliedstaaten

Es ist offensichtlich für die Mitgliedstaaten eine schwerwiegende politische Entscheidung, für einen Teil ihrer Banken, und unter Umständen sogar für einen sehr erheblichen Teil, dieses Mandat einer Behörde eines anderen Mitgliedstaates oder einer europäischen Aufsichtsbehörde anzuvertrauen. Schließlich ist diese der jeweiligen nationalen Politik, das heißt Parlament und Regierung, keine Rechenschaft schuldig.

Würde sie im Ernstfall die Interessen des jeweiligen Mitgliedstaates ausreichend berücksichtigen? Tatsächlich können die Mitgliedstaaten in solchen Situationen divergierende Interessen haben, denn der Zeitpunkt und die Gestaltung aufsichtlicher Maßnahmen beeinflussen, wie sich die Kosten einer möglichen Krise im Falle rechtlich selbstständiger Tochterunternehmen auf die Mitgliedstaaten verteilen.

Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu einer Bank, die in anderen Mitgliedstaaten durch Filialen tätig wird und für deren Gläubiger das europäische Recht eine europaweite Gleichbehandlung sicherstellt. Effektivität der Aufsicht mag insoweit mit Blick auf die Töchter von Bankengruppen aus Sicht der einzelnen Mitgliedstaaten durchaus unterschiedliches bedeuten, und die richtigen europäischen Aufsichtsstrukturen müssen zumindest einen angemessenen Interessenausgleich ermöglichen.

Nicht einfacher wird die Problemstellung, wenn man bedenkt, dass Vorbeugung gegen und Management von Bankenkrisen weitere Komponenten umfassen:

- Liquiditätsversorgung im normalen Geschäftsverlauf;

- Vorkehrung zum Krisenmanagement und die Bestimmung eines "Lender of last resort"; - Einlagensicherung und

- Insolvenz beziehungsweise Abwicklung.

Dabei wird nämlich deutlich, dass ein effektiver Rahmen für die europäische Bankenaufsicht nicht nur die Bankenaufseher selbst, sondern auch die Koordination weiterer Akteure beinhaltet - wie Geschäftsbanken, Zentralbanken, Einlagensicherungssysteme und nicht zuletzt die Finanzministerien. Ohne deren Beitrag kann keine noch so effektive europäische Bankenaufsicht eine Bankenkrise erfolgreich bewältigen, denn eine Aufsichtsbehörde kann weder Liquidität zur Verfügung stellen, noch Einleger entschädigen, noch die Sanierung einer Bank anderweitig finanziell flankieren.

Es ist keineswegs evident, dass eine bestimmte Aufsichtsstruktur der erforderlichen Koordination dieser Akteure besonders zuträglich wäre. Es ist im Gegenteil eher so, dass effektive Koordinationsmechanismen für die Zusammenarbeit zwischen diesen Akteuren und der Bankenaufsicht erforderlich sind, ganz gleich welche institutionelle Architektur die Bankenaufsicht selbst aufweist.

Aufsichtsstruktur auf solidem Grund bauen

Die zentralen Kriterien für die europäische Bankenaufsicht sind Effizienz und Effektivität. Um Effizienz und Effektivität der Aufsicht in Europa zu erhöhen, mag es notwendig sein, auch Aufsichtsstrukturen zu überdenken. Dazu muss aber eine klare und nachweisbare Rechtfertigung erbracht werden. Die Kommission analysiert diese Fragen eingehend. Unter anderem wurden zwei Diskussionsrunden zu diesen Themen unter Einbeziehung des European Banking Committee veranstaltet, an denen Finanzministerien, Bankenaufseher, Zentralbanken, Wissenschaftler und die Kreditwirtschaft teilgenommen haben.

Es hat sich gezeigt, dass die europäischen Aufsichtsbehörden und Zentralbanken unsere Sicht der Dinge vollauf unterstützen. Auch den Finanzministerien ist bewusst, dass es keine simplistische, schnelle Lösung geben kann. Jetzt ist es auch an der Kreditwirtschaft, mit uns gemeinsam an einem besseren Verständnis der offenen Fragen zu arbeiten. Nur dann wird eine politische Entscheidung über die Aufsichtsstruktur, falls sie erforderlich wird, auf solidem Grund gebaut sein.

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