Gespräch des Tages

Europäische Union - Überwindung der Schuldenkrise durch Wachstum?

Zur Überwindung der europäischen Schuldenkrise ist besonders nach den Wahlen in Frankreich und vor dem erneuten Wahlgang in Griechenland immer wieder kontrovers über die Möglichkeiten und Grenzen von Wachstumsimpulsen diskutiert worden. Wie kann es zu einem derart offensichtlichen Lösungsansatz überhaupt Meinungsverschiedenheiten geben? Das liegt wohl daran, dass klassische Rezepte der Stimulierung von Wirtschaftswachstum die Erhöhung öffentlicher Ausgaben nahelegen, auch wenn das zu Haushaltsdefiziten führt. Für Anhänger von Keynes ist das probat und gerechtfertigt, da mit Wiederanstieg des Wirtschaftswachstums ja auch wieder die staatlichen Einnahmen steigen und Haushaltsdefizite auf diese Weise wieder sinken sollten.

Der Haken an dieser Sichtweise ist, dass erhöhte Haushaltsdefizite keineswegs unter allen Umständen zu nachhaltig höheren Investitionen in der Realwirtschaft führen müssen, was auch Keynes bereits klar erkannt hat. Vielmehr ist eine schon eingangs hohe Staatsverschuldung häufig eigentlicher Auslöser einer Verunsicherung bei den Unternehmen. Diese investieren deswegen weniger, sodass zusätzliche monetäre Stimuli nur vorübergehende Beschäftigungseffekte haben können - bei steigenden inflationären Erwartungen und damit weiter zunehmender Verunsicherung. Genau da scheint die EU gegenwärtig zu stehen.

Eine hohe Staatsverschuldung ist derzeitig nicht nur kennzeichnend für die meisten Mitgliedstaaten der EU, sondern auch für die USA. Nahezu alle entwickelten Volkswirtschaften des Westens zeigen seit Einsetzen der Finanzkrise zunehmend einander ähnelnde Symptome: Eine auf Dauer untragbar hohe Staatsverschuldung ist gekoppelt mit einer sich abschwächenden demografischen Entwicklung und einer etwa in Irland und Spanien - auch überhöhten Privatverschuldung bei tendenziell rückläufiger Investitionsneigung der Unternehmen. Im Gegensatz hierzu weisen zahlreiche aufstrebende Volkswirtschaften in Asien, in Lateinamerika und selbst in Afrika bereits seit Jahren deutlich höhere Wirtschaftswachstumsraten auf, in deren Folge sich eine radikale Neugewichtung des auch politischen Einflusses dieser erfolgreichen Regionen gegenüber dem zunehmend schwächelnden Westen abzuzeichnen beginnt.

Die sich hieraus ergebenden Fragen, Herausforderungen und Bedrohungen waren bereits Gegenstand des Jackson Hole Economic Policy Symposiums vom August 2011, das unter dem Motto stand: Achieving Maximum Long-Term Growth.1)

In Jackson Hole wurden verschiedene Aspekte des Themas adressiert und diskutiert, unter anderem wie Wachstumspolitik bei Staatsverschuldung aussehen kann und welche Konvergenztrends im Wirtschaftswachstum weltweit zu erwarten sind. Auf die beiden besonders einschlägigen Papers von Stephen Cecchetti "The real effects of debt" und von Dani Rodrik "The future of economic convergence" kann an dieser Stelle nur verwiesen werden.2) Dagegen soll der Frage nachgegangen werden, wie eine Anwendung der primär auf China und die USA bezogenen Überlegungen des Harvard Ökonomen Dani Rodrik auf die EU aussähe.

Die Länder an der EU-Peripherie mit dem niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen bei Einführung des Euro im Jahre 1999 haben über lange Jahre weit kräftigere Wirtschaftswachstumsraten als das technologisch höher entwickelte Deutschland erzielt3). Das Land war im Anschluss an die deutsche Wiedervereinigung durch hohe Transfers an die neuen Bundesländer geschwächt und galt als Schlusslicht im Bemühen der EU um kräftigeres Wirtschaftswachstum.

Die neuere, konsequent exportorientierte Wachstumsstärke Deutschlands hat nicht nur die Rest-EU, sondern weltweit überrascht. Angesichts Deutschlands rückläufiger demografischer Entwicklung liegt die Verteidigung dieser neuen Wettbewerbsstärke durchaus im Interesse nicht nur Deutschlands, sondern der gesamten EU. Das Zurückfallen der EU-Peripherieländer im Wirtschaftswachstum ist dagegen weitgehend dem Umstand geschuldet, dass anfängliche Wettbewerbspositionen nicht verteidigt, neue nicht auf- und ausgebaut wurden und Wirtschaftswachstum über Konsum und Schuldenmachen "gekauft" wurde.

Die Eroberung und Verteidigung der Technologiefront im Wege staatlicher Wachstumspolitik statt unternehmerischer Innovationsinvestitionen gelingt nach den Untersuchungen von Rodrik nur selten, nur vorübergehend und wenn überhaupt, meist nur in Volkswirtschaften mit starkem Nachholbedarf in der Nachfrage aufgrund eines vergleichsweise niedrigen Pro-Kopf-Einkommens. In entwickelteren Volkswirtschaften, die an der technology frontier unternehmerisch führen müssen und nicht kopieren können, sind erfolgreiche staatliche Wachstumsimpulse eher die Ausnahme.

Das liegt an einem Informationsproblem und einem politischen Problem. Erstens ist der Staat zu schlecht in der Identifikation zukunftsweisender Technologietrends. Und zweitens - das ist überwiegend eine Konsequenz des Informationsproblems - lässt er sich zu leicht von interessierter Seite zu grandiosen Projekten, "weißen Elefanten", also angeblichen Zukunftstechnologien verleiten, die enorme öffentliche Ressourcen absorbieren, während der erhoffte technologische Durchbruch eher blockiert wird oder an einer ganz anderen Front stattfindet.4) Aus den neuen Bundesländern grüßt manche Investitionsruine dieser Art und auch die europaweite Diskussion um die "Energiewende", in der sich Deutschland sehr weit vorgewagt hat, gemahnt an die Warnungen von Rodrik.

Michael AltenburgP
Fußnoten

1)http://www.kc.frb.org/publications/research/escp/escp-2011.cfm

2) Download auch aller übrigen Papers und Diskussionsbeiträge per Website gemäß Fussnote 1.

3) Vgl. Details bei Angus Maddison: Historical Statistics of the World Economy. www.ggdc.net/maddison/Historical_Statistics/hori-zontal-file_02-2010.xls

4)vgl. Dani Rodrik aaO S. 38.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X