Digitalisierung und Globalisierung als politische Herausforderungen

Quelle: Michael Altenburg

Michael Altenburg, Luzern - Sind Nationalstaat und Demokratie trotz oder in Verbindung mit Globalisierung machbar? Dieses vonseiten des türkischen Ökonomen Dani Rodrik aufgegriffene Trilemma hat aus Sicht des Autors längst noch nicht zu einem offenen Diskurs geführt wie er ihn für notwendig hält. Erklärungsansätze für diese Ausklammerung dieses wichtigen Themas sieht er beispielsweise in den Gegensätzen zur legitimen Aufgabe der Eroberung und Verteidigung der politischen Macht, und/oder massiver wirtschaftlicher Interessen der inzwischen weniger als ein Dutzend weltweiter digitaler Monopolisten, die um globale Vorherrschaft ringen. Vor diesem Hintergrund wirft er die Frage auf, ob sich unter den obwaltenden Umständen überhaupt eine politische Kultur entwickeln und durchsetzen kann, die sich als kraftvoll, überzeugend und verbindlich genug erweisen wird, um private Machtansprüche einem wie auch immer definierten Allgemeinwohl unterzuordnen. (Red.)

In einer Welt der technologischen Beschleunigung gleicht das Phänomen Digitalisierung dem der Globalisierung an Vieldeutigkeit und löst in gleichem Maße Hoffnungen wie Ängste aus. Das eine hat viel mit dem anderen zu tun, und wer in dem Rennen nicht ganz vorne mitspielen kann, soviel ahnt man, der könnte bald gänzlich ausgespielt haben. Es sind beides weltweite und sehr dynamische Phänomene und beide stehen vollkommen quer zu dem tradierten Weltbild, in dem es souveräne Staaten gibt, die sich in jeweils eigener Regie um das Wohl ihrer Bürger kümmern. Man stößt hier also auf mehrere ungelöste praktische wie logische Schnittstellen, worauf der türkische Harvard Ökonom Dani Rodrik als einer der Ersten mit seinem Hinweis auf das Trilemma von Nationalstaat, Demokratie und Globalisierung aufmerksam gemacht hat.

Praktische Unlösbarkeit des Trilemmas

Rodriks Einsicht wird zwar beachtet und auch intensiv diskutiert, aber die relevanten Akteure machen angesichts der praktischen Unlösbarkeit des Trilemmas erstmal so weiter wie bisher, also so, als ob Nationalstaat und Demokratie trotz oder in Verbindung mit Globalisierung machbar seien. Auch eine Verlangsamung der Globalisierungstendenzen oder gar eine Rückkehr zu wieder mehr nationalstaatlichen Lösungsansätzen scheint daher zumindest in Teilbereichen nicht ausgeschlossen.

Angesichts der insbesondere seit der Weltfinanzkrise vor zehn Jahren massiv zugenommenen Ungleichheiten, gerade in den entwickelten Volkswirtschaften des Westens, hat sich ein diffuses politisches Unbehagen zusammengebraut, das vielfach im nationalen Kontrollverlust die Ursache für die Zunahme dieser Ungleichheiten sehen möchte - sei es als Folge eines nur angeblich freien, in Wirklichkeit aber unfairen, ungleichen Welthandels, sei es als Auswirkung asymmetrischer Folgen des zentralen Brüsseler EU-Regimes.

Beides dürfte zumindest teilweise zutreffen, hat aber unterm Strich sicher mehr mit dem Fortfall von Arbeitsplätzen als Folge der Digitalisierung, also mit dem technologischen Fortschritt zu tun, wie durch OECD-Chefsvolkswirtin Catherine Mann kürzlich immerhin für die Zeit bis 2008 in den wesentlichen Proportionen wieder belegt wurde.1)

Jedenfalls macht sich eine Zunahme populistischer politischer Strömungen bemerkbar, denen sich auch die demokratischen Regime des Westens anzupassen gezwungen sehen. Die Verblüffung war vermutlich am stärksten bei den politischen Eliten, denen durch das Brexit Referendum im Juni 2016 und durch die Wahl von Donald Trump bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen im November 2016 die Macht entzogen wurde. Ihnen hilft nicht, dass sich die populistische Zielvorstellung einer Zurückgewinnung nationaler souveräner Kontrolle angesichts der komplexen interdependenten Wertschöpfungsketten, die sich im Gefolge der Digitalisierung wachstums- und effizienzsteigernd entwickelt haben, immer deutlicher als Illusion herausstellt. Denn politischer Populismus nährt sich nicht von Lösungskonzepten, sondern von emotionalen, irrational überzeichneten Schuldzuweisungen. Dafür bietet sich die Migrationsproblematik, die ihren Höhepunkt noch längst nicht erreicht haben dürfte, ersatzhalber leider nur zu bequem an und lädt ein zur schleichenden, aber nichtsdestoweniger radikalen Aushöhlung universaler, humanistischer Grundwerte.

Vertrauensverlust in das politische System

Das zunehmende politische Unbehagen fokussiert sich aber nicht nur auf die Flüchtlinge, sondern manifestiert sich auch als Vertrauensverlust in das politische System als solches, was als das Resultat der massiven Umverteilungswirkungen des unorthodoxen Quantitative Easing in der Geldpolitik bei Niedrigstzinsen angesehen werden kann und so auch objektiv im Raume steht, ohne dass man diesen oder jenen einzelnen Politiker dafür verantwortlich machen könnte, die sich ihrerseits ja durchaus im Rahmen der bisherigen Spielregeln bewegt haben. Die krasse Niederlage des Parti Socialiste bei den französischen Präsidentschaftswahlen ist hierfür ein Indiz. Das tradierte demokratische System als solches wird bei dieser Sicht als Massenbetrug einer winzigen herrschenden Elite denunziert, weshalb man es, wenn nötig auch mit Gewalt, bekämpfen dürfe.

Hier überschneidet sich die Kritik von radikalen Vertretern der Linken in Europa wie Jean-Luc Mélonchon von La France Insoumise mit dem rechtsradikalen Angriff der altright Bewegung unter Vorreiter Stephen Bannon auf den "deep state", von dem er die USA und vorgeblich Präsident Trump befreien will.

Wie schwierig es ist, sich lediglich mit opernhaften Selbstinszenierungen von Überparteilichkeit verspieltes politisches Vertrauen zurückzuerobern, muss gerade der neue französische Präsident Emmanuel Macron erfahren, während Präsident Trump die USA an den Rand des Bürgerkrieges driften zu lassen droht, der aufgrund seiner populistischen Grundüberzeugungen weder geneigt noch objektiv dazu in der Lage scheint, der zunehmenden Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft versöhnend und ausgleichend entgegenzuwirken.

Macht Angela Merkel etwa alles richtig und verdient schon deswegen Wiederwahl in eine vierte Amtszeit als Bundeskanzlerin? Dass das deutsche Grundgesetz nicht wie die amerikanische Verfassung Wiederwahlen für das Bundeskanzleramt nach dem zweiten Durchgang ausschliesst, ist nicht ihre Schuld, aber trotzdem ein gravierender Umstand, da lebendige Demokratie auch vom automatischen Machtwechsel lebt. Das Erwachen nach der Schönfärberei des gut und gerne in Deutschland Lebens wird unangenehm werden, wenn man etwa nur an die Aufarbeitung der Abgasmogelei in der Automobilindustrie, die Infrastrukturmisere oder den Rückstand im Bildungssystem denkt. Und obwohl Angela Merkel der Polarisierungsfalle der Populisten klug und verantwortlich aus dem Wege geht, scheut sie dann doch letztlich den offenen Diskurs zu den schwierigen Abwägungen zur Gestaltung von Digitalisierung und Globalisierung.

Begrenzte Chancen für eine politische Kultur

Ein offener Diskurs steht leider in der Tat in einem Gegensatz zur legitimen Aufgabe der Eroberung und Verteidigung der politischen Macht, die für die Bundeskanzlerin zwölf Jahre lang im Vordergrund stand. Ein offensiver, öffentlicher, verantwortlicher Diskurs steht aber auch, und das ist noch prekärer, im Gegensatz zu den massiven wirtschaftlichen Interessen der inzwischen etwa nur noch einem halben Dutzend digitaler Monopolisten weltweit, die um globale Vorherrschaft ringen.

Soll Amazon, Google, Facebook oder Microsoft oder gar Alibaba oder Tencent am Ende die Kontrolle in der globalen Datenherrschaft zufallen? Oder soll ein oder mehrere Staaten oder eine internationale Regulierungsvereinbarung aller Staaten hierauf Einfluss nehmen? Kann sich unter den obwaltenden Umständen überhaupt eine politische Kultur entwickeln und durchsetzen, die sich als kraftvoll, überzeugend und verbindlich genug erweisen wird, um private Machtansprüche einem Allgemeinwohl unterzuordnen, um dessen Definition doch auch erst noch gerungen, zu dem ein Konsens erst noch gefunden werden müsste?

Zur Zukunft der Digitalisierung zeichnen sich praktisch wie logisch also ebenfalls ungelöste Schnittstellen ab: erstens die Aufrechterhaltung weltweit offener, dynamischer Strukturen für weiteres Wirtschaftswachstum, Innovations- und Effizienzgewinne, zweitens der Schutz der individuellen Privatsphäre und Meinungsfreiheit als demokratische Kernwerte und Menschenrechte sowie drittens die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit gegenüber terroristischen, kriminellen und anderen subversiven Bedrohungen.

Von basisdemokratischen Initiativen sind in diesem Zusammenhang keine nachhaltigen Lösungsvorschläge zu erwarten, da es um komplexe internationale Abwägungen und Abstimmungen geht. Umso anspruchsvoller sind die Anforderungen an die Transparenz und Verantwortlichkeit des Diskurses der politischen und technokratischen Akteure nicht nur miteinander, sondern vor allem hinsichtlich einer kontinuierlichen Legitimierung dieses Diskurses vor der breiten Öffentlichkeit.

Die schrumpfenden Demografien des Westens und das immer drückendere Gewicht eines immer aggressiver expansiv agierenden Chinas fügen den Problemdimensionen Digitalisierung und Globalisierung zwei weitere hinzu. Auch sie kamen im deutschen Bundestagswahlkampf so gut wie überhaupt nicht vor.

Einen zu den gegenwärtigen politischen Herausforderungen sehr deutlichen und anspruchsvollen Diskurs lieferte indessen das diesjährige Jackson Hole Economic Policy Symposium2) vom 24. bis 26. August, dessen Proceedings auch umgehend online verfügbar gemacht wurden,3) es aber nur ansatzweise in die Presseberichterstattung schafften.

Fed-Chefin Janet Yellen warb dort dringend für Beibehaltung strenger Kapitalvorschriften und Aufsicht über die global systemrelevanten Großbanken anstatt erneuter Deregulierung. Und EZB-Präsident Mario Draghi beschwor die Fortsetzung der Bemühungen um internationale Abstimmung und Harmonisierungen in Fiskal- und Steuerpolitik, um nicht nur stärkeres, sondern auch um weniger ungleich verteiltes Wirtschaftswachstum zu erzielen, wozu Geldpolitik allein nicht beitragen könne. Beide Appelle könnten ungehört verhallen, falls Janet Yellen im Februar 2018 von Ex-Goldman-Sachs-Banker und Deregulierungsbefürworter Gary Cohn abgelöst wird, während eine fortgesetzte innereuropäische Fragmentierung die Korrektur ungleicher Verteilungswirkungen der EZB Massnahmen weiter blockieren würde.

Machtkämpfe in den Gesellschaften

Diese Tendenzen sind die Folgen von Machtkämpfen in Gesellschaften, denen der innere Zusammenhalt abhanden zu kommen droht. Es wird nicht um einen Kompromiss gerungen, sondern um Sieg. Die sozialen Medien verstärken die damit einhergehende Segmentierung und ziehen auch die Printmedien und das Fernsehen in ihren Sog. Das ist ein weiterer Grund dafür, dass zukunftsfähige Governance im Zeitalter von Globalisierung und Digitalisierung weniger von der Stärke plebiszitärer Elemente abhängen wird als von Institutionen und Prozessen, die Gewaltenteilung, Transparenz und die Rotation von Macht sicherstellen.

Fußnoten

1) The Changing Landscape of Global Trade and some implications for employment and inequality. Handout von Catherine Mann's Ausführungen auf dem Jackson Hole Economic Policy Symposium am 24. August 2017 unter www.kansascityfed.org

2) Teilnehmer: www.kansascityfed.org

3) www.kansascityfed.org/publications/

Michael Altenburg , Luzern, Schweiz
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