Verhaltensökonomie

Der Wahlsieg

Donald Trump

Am 8. November gewann Donald Trump die amerikanischen Präsidentschaftswahlen. Seitdem stellt sich die ganze Welt die Frage, wie es zu dieser Überraschung kommen konnte. Trumps pauschale Ablehnung sämtlicher Grundaspekte nicht nur des bisherigen inneramerikanischen, sondern auch des globalen Politikkonsenses scheint vielfach nicht nur unverständlich, sondern teilweise auch gänzlich unakzeptabel. Nachdem aber die Indizes der meisten westlichen Aktienmärkte nach momentaner Schreckensstarre in einer robusten Jahresendrallye neue Rekordhöhen erklommen haben, hat, fast genauso schnell, die Zahl derer in Politik und Wirtschaft zugenommen, die diesem Wahlausgang überwiegend positive Seiten abzugewinnen bereit sind. Man müsse den Wahlkämpfer vom zukünftigen Amtsinhaber unterscheiden, Vernunft und Augenmaß würden sich mit der Zeit schon durchsetzen, öffentliche Infrastrukturinvestitionen seien zur Wiederbelebung des Wirtschaftswachstums doch durchaus geeignet. Außerdem sei offen sichtlich das lästige Wahlkampfversprechen, "den Sumpf von Wall Street auszutrocknen" vom Tisch. Es war nicht das einzige. Es verstärkt sich eine Wahrnehmung, dass Trump weniger ein Politiker mit klaren Zielen ist als ein reiner Hasardeur, ein Profiteur unterschwelliger Massenstimmungen, die er mit allerlei Versprechungen auszunutzen verstand, ohne auch nur entfernt daran zu denken, diese einzulösen.

Ausgerechnet Michael Lewis, Autor diverser, teilweise auch verfilmter Bestseller über Gier und Verblendung im Finanzsektor, liefert in einer neuen Biographie über die beiden Verhaltensökonomen Kahnemann und Tversky die theoretische Fundierung nicht nur für das Verhalten seiner früheren Romanschurken und Helden. In einem Gespräch mit Gary Silverman in der Financial Times vom 9. Dezember deutet er auch Donald Trump als Beispiel für jemanden, der sich und andere täuscht anhand der von Kahnemann und Tversky entwickelten Einsichten über kognitive Verzerrungen und ihre Ursachen. Zu diesen gehören vor allem: die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten, Ankerheuristik (stures Festhalten an einer einmal gemachten Aussage, auch wenn die faktisch unrichtig war), Näheverzerrung (weniger vertraute Aspekte eines Problems werden ausgeblendet), falsches Zeitmanagement (zu viel Zeit für kleine, zu wenig Zeit für große Entscheidungen), Dissonanzauflösung (falsche Entscheidungen werden schöngeredet) und semantisches Priming (Entscheidungen werden durch vergangene Erfahrungen und Erwartungen teilweise unbewusst beeinflusst). Das Genie von Donald Trump besteht nach Michael Lewis darin, genau diese kognitiven Verzerrungen aufzuspüren, zu manipulieren und zu instrumentalisieren. Im gegenwärtigen Zeitgeistjargon könnte man das die Apotheose des Postfaktischen nennen.

Das Hauptproblem mit Trump ist allerdings nicht sein Talent zu Manipulation und Ausnutzung kognitiver Verzerrungen anderer, sondern dass er selbst sich diesen mit Wonne ausliefert. In gewissem Umfang geht das zwar allen Menschen so. Wegen dieser Einsicht ist David Kahnemann 2002 sogar mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausge zeichnet worden. Aber er hat auch Empfehlungen entwickelt, wie man den Fallstricken kognitiver Verzerrungen auf die Spur kommen, ihnen ausweichen, sie korrigieren kann. Eine solche Korrektur ist aber nur möglich, wenn man die Selbstdisziplin, die Zeit und die Geduld dafür aufbringt, den faktischen Grundlagen eines Entscheidungsproblems auf den Grund zu gehen, Gegenargumenten zuzuhören und sie vor Entscheidungsfindung auf sich wirken zu lassen.

Die bittere Ironie des Wahlsieges von Trump ist natürlich, dass auch das von seinem Erfolg überrumpelte Establishment sowohl bei Demokraten wie Republikanern offensichtlich kognitiven Verzerrungen aufgesessen war. Diese meinten, es nicht nur genau, sondern sogar mit Abstand deutlich besser zu wissen als die Protestwähler mit ihrem diffusen Unbehagen. Offensichtlich nehmen auch die herrschenden Funktionseliten die Empfehlungen von Kahnemann nicht ernst und verlassen sich zu gerne auf unrealistische, unhinterfragte, aber als wissenschaftlich ausgewiesene Orthodoxien, wenn diese nur den Status quo legitimieren. Das einzig wirksame Antidot ist natürlich radikale intellektuelle Demut auch der "Eliten" angesichts ihrer tatsächlichen Unwissenheit, die erheblich größer ist als die gelehrten Experten es vielfach glauben machen wollen. Mundus vult decipi? Wollen wir uns täuschen und entmündigen lassen? Oder vielleicht doch lieber einen transparenten, demokratisch disziplinierten Diskurs, wenn es komplex wird.

Michael Altenburg, Luzern

Michael Altenburg , Luzern, Schweiz
Noch keine Bewertungen vorhanden


X