Gespräch des Tages

Finanzstabilitätsbericht 2011 - Das Dilemma der Bundesbank

Die Deutsche Bundesbank ist in der Eurokrise in einem echten Dilemma. Einerseits muss sie sich im Sinne ihres gesetzlichen Auftrags zur Wahrung der Preisstabilität klar und eindeutig gegen alle Bestrebungen wehren, fiskalpolitische Fehlentwicklungen durch geldpolitische Mittel zu bekämpfen. Und andererseits kann sie sichtbare Gefährdungen der Finanzstabilität auch nicht einfach ignorieren, sondern muss sie offensiv benennen. Derzeit tut die Notenbank beides, und das passt einfach nicht so recht zusammen. So spricht sich Bundesbankpräsident Jens Weidmann, wo immer er kann, tapfer gegen einen weiteren Einsatz der Europäischen Zentralbank beim Aufkauf von europäischen Staatsanleihen und die Auflage von Eurobonds aus. In der Sache unterstützt wird er dabei von seinen Vorstandskollegen. Aber bei der aktuellen Lageeinschätzung kommt die Bundesbank natürlich nicht umhin, von der europäischen Staatsschuldenkrise als dem größten Risiko für das deutsche Finanzsystem zu sprechen.

Mitte November 2011 haben Sabine Lautenschläger und Andreas Dombret genau das bei der turnusmäßigen Vorstellung des Finanzstabilitätsberichtes 2011 getan. Und auch gleich im ersten Satz des Vorwortes dieser Bestandsaufnahme wird dies als das derzeit wichtigste Problemfeld aufgegriffen. Mehr noch: Als ob die Berichterstatter geahnt hätten, wie schnell die Turbulenzen an den Märkten fortschreiten, weisen sie bereits im Prolog darauf hin, die aktuellen Entwicklungen nur bis zum Anfang der zweiten Novemberwoche berücksichtigt zu haben.

Im Übrigen enthält der Bericht sowohl mit Blick auf Italien und Spanien als auch auf die unkalkulierbare Ansteckungsgefahr für die Banken Klartext: "Die Risiken für das deutsche Finanzsystem haben mit der Ausweitung der Staatsschuldenkrise im Sommer 2011 merklich zugenommen. Neben den Programmländern Griechenland, Irland und Portugal sehen sich mit Italien und Spanien nun auch zwei große Euro-Länder von einem Vertrauensverlust der Kapitalmärkte bedroht. Zugleich verstärken sich die Staatsschuldenkrise und die Vertrauenskrise im Bankensystem wechselseitig."

Kaum eine Woche später ist dieses Szenario an den Märkten in aller Schärfe eingetreten. Niemand weiß so recht, wie sich Italien, Spanien und selbst Frankreich bei den zuletzt aufgerufenen Konditionen in den kommenden Monaten refinanzieren sollen. Sogar Deutschland hat spüren müssen, dass seine Platzierungfähigkeit zu den aufgerufenen Bedingungen kein Selbstläufer ist. Und dass es in puncto Staatsverschuldung anderswo in der Welt auch nicht besser aussieht als in Europa, wird zur Beruhigung der Märkte nicht helfen.

Was nutzt es vor diesem Hintergrund der deutschen (Finanz-)Wirtschaft, dass es ihr vergleichsweise gut geht? Zwar darf die Deutsche Bundesbank in ihrem Finanzstabilitätsbericht noch den anhaltenden konjunkturellen Rückenwind aus einem überraschend langen intakten Aufschwung loben. Sie bescheinigt der hiesigen Kreditwirtschaft brav die Beherrschung ihrer Kreditrisiken sowie eine spürbare Rückführung der Wertberichtigungen. Und selbst für die Haushaltslage des Bundes hat sie im Vergleich zu anderen Ländern ein positives Wort übrig. Doch mit Blick auf die Gesamtlage in Europa klingen die Erwartungen der Notenbank eher skeptisch. Denn viele Indikatoren für die Entwicklung der kommenden Monate haben sich ins Negative gewendet.

Beobachter fühlen sich an den Herbst 2008 erinnert. Aber ganz genauso wie damals kann sich das Szenario nicht wiederholen. Denn seinerzeit waren es die Staaten, die mit ihrer expansiven Ausgabenpolitik den nach unten weisenden Märkten das notwendige Vertrauen geben konnten. Heute kann das nur die EZB. Eurobonds und/oder ein ungebremster Ankauf von Staatsanleihen bleiben als mögliche Instrumente weiter akut auf der Agenda. Die EZB steht faktisch im Wettbewerb mit anderen Zentralbanken um die expansivste Krisenpolitik. Letztlich geht die weltweit überbordende Staatsverschuldung zulasten kommender Generationen.

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