Aufsätze

Intragruppenforderungen im Lichte der kommenden Europäischen Bankenaufsicht

"EU nimmt nationale Bankenaufsichten an die Leine" titelte Anfang Februar das Wall Street Journal. Thematisiert wurde in dem Artikel ein Brief der Europäischen Kommission an die Bankenaufsichtsbehörden der 27 EU-Mitgliedstaaten, ihre Maßnahmen für eine mögliche Begrenzung des freien Kapitalflusses bei grenzüberschreitend tätigen Banken zu beschreiben. Damit wurde ein Thema aufgegriffen, das eigentlich bereits seit Jahren schwelt. Es lässt sich aber insbesondere an einigen Insolvenzen im Zuge der Finanzkrise seit 2007 festmachen, als die Liquidität nicht mehr im Hoheitsgebiet der jeweiligen Zweigstelle oder Filiale vorhanden, sondern im Konzern an die Mutter oder eine andere Einheit als Kredit weitergeleitet worden war. Aufgrund der Insolvenz der Konzernmutter konnten unter anderem die Einlagen der jeweiligen Filiale nicht aus den noch vorhandenen Mitteln an die Einleger zurückerstattet werden; die Einlagensicherungssysteme mussten (zunächst) einspringen, wie etwa im Rahmen der Insolvenz des Bankhauses Lehman.

Behandlung grenzüberschreitender Liquiditätsflüsse

Auch in anderen Mitgliedstaaten der EU gab es ähnliche Fälle, und zahlreiche Aufsichtsbehörden in Europa schränken vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit die grenzüberschreitenden Liquiditätsflüsse teilweise erheblich ein. In Deutschland wird das Thema aktuell im Kontext der Überarbeitung der Großkreditund Millionenkreditverordnung (GroMiKV) diskutiert, die nach aktueller Gesetzeslage unter bestimmten Voraussetzungen eine Nullgewichtung bei Krediten innerhalb eines Konzerns grundsätzlich zulässt und somit keine Begrenzungen vorsieht.

Der Entwurf des Bundesfinanzministeriums für einen neuen § 1 GroMiKV, der den heutigen § 9 GroMiKV ablösen soll, hat die künftige Behandlung von Intragruppenforderungen noch offen gelassen. Insoweit sollen begrüßenswerterweise die Ergebnisse der eben beschriebenen Diskussion auf europäischer Ebene abgewartet werden. Grund sätzlich beinhaltet Art. 389 Absatz 2 (c) der kommenden Rechtsverordnung zur Umsetzung der 4. Eigenkapitalrichtlinie (CRD IV), die sogenannte CRR, wie die der CRD IV vorangegangenen Regelwerke weiterhin ein Wahlrecht für die Mitgliedstaaten, eine Nullgewichtung vorzusehen, sprich, Deutschland könnte an sich beim Status quo bleiben.

Es sind jedoch zahlreiche Stimmen dafür zu vernehmen, auch in Deutschland Einschränkungen der gruppeninternen Forderungen auf beispielsweise 50 oder 100 Prozent des haftenden Eigenkapitals vorzunehmen. Damit würde ein zusätzliches quantitatives Kriterium eingefügt, das zu der bisherigen qualitativen Aufsicht hinzukäme. Denn auch heute ist die Nullgewichtung bei Intragruppenforderungen bei Weitem nicht so unreglementiert, wie gelegentlich der Eindruck erweckt wird. § 9 Abs. 2 GroMiKV sieht aktuell nur unter strengen Voraussetzungen eine Nullanrechnung von gruppeninternen Forderungen für Zwecke der Großkreditobergrenzen vor. Insbesondere fordert § 9 Abs. 2 Nr. 3, dass der Kreditnehmer den gleichen Risikobewertungs-, Risikomess- und Risikokontrollverfahren wie das Institut unterliegt. Nach § 9 Abs. 2 Nr. 4 wird zudem verlangt, dass keine rechtlichen oder bedeutenden tatsächlichen Hindernisse für die Rückzahlung von Verbindlichkeiten vorhanden oder absehbar sein dürfen.

Umfassende Risikomanagementprozesse

Was heißt das? Erforderlich ist schon heute ein konsequentes Risikomanagement des Tochterinstituts gegenüber Kreditnehmern im eigenen Konzern. Nur wenn ein Ausfall der Kredite nicht absehbar ist, kommt eine Nullanrechnung in Betracht. Hinzu kommen die seit Beginn der Finanzkrise immer wieder verschärften Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk). In der Praxis führt all dies dazu, dass die betroffenen Banken in einem fortlaufenden Monitoring die Bonität beziehungsweise Ausfallwahrscheinlichkeit des Mutterkonzerns prüfen, um im Ernstfall in der Lage zu sein, reagieren zu können. Deutsche Tochterinstitute, die Liquiditätsüberschüsse bei ihren Mutterkonzernen anlegen, müssen somit entsprechend den Vorgaben der Aufsicht umfassende Risikomanagementprozesse einrichten und überwachen so ihre Konzernbonität.

Hinzu kommt, dass seit Ausbruch der Verwerfungen auf den Finanzmärkten und
den verschiedenen Bankinsolvenzen weitere Instrumente geschaffen wurden, die ein wesentlich früheres Eingreifen der Aufsicht zulassen als dies vor 2007 der Fall war. Genannt seien nur die in den §§ 45 und 45b KWG vorgesehenen Möglichkeiten der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die Verbesserung der Eigenmittelausstattung und der Liquidität anzuordnen. Zudem ist es nun der Aufsicht möglich, einen Sonderbeauftragten zu bestellen, der mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet anstelle der Geschäftsleiter die Bankgeschäfte weiterführen kann.

Es bleibt nun abzuwarten, zu welchen Ergebnissen die Kommission im Rahmen ihrer Befragung kommen wird. Gute Argumente haben sicherlich die Befürworter eines freien, in Europa grenzüberschreitenden Kapitalflusses, was aber nicht heißen soll, dass die genannten Bedenken aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit unberechtigt wären. Aber gerade dies zeigt das aktuelle Dilemma: Zwar wurden in Europa in den letzten Jahrzehnten im Finanzmarktbereich einerseits viele Regelwerke harmonisiert, aber andererseits ist Europa auf Seiten der Beaufsichtigung der Märkte und ihrer Marktteilnehmer weitgehend national geblieben. Oder mehr noch: Es wird wieder lokaler gedacht als vor Ausbruch der Finanzkrise im Jahre 2007. Von einem Misstrauen der Aufsichtsbehörden untereinander hört man nicht nur von Seiten der beaufsichtigten Institute, sondern auch von ein zelnen Aufsichtsbehörden und anderen öffentlichen Stellen in den einzelnen Mitgliedstaaten.

Auswirkungen einer Europäischen Bankenaufsicht

Vielfach wird nun die Frage aufgeworfen, ob die Übertragung der Bankenaufsicht auf die Europäische Zentralbank künftig eine andere Betrachtung des beschriebenen Sachverhalts mit sich bringen würde. Könnte eine europäische Aufsichtsbehörde bei Einhaltung aller Regularien Liquiditätstransfers von einer Filiale an die Konzernmutter oder eine andere Filiale in einem anderen Mitgliedstaat versagen? Die politische Antwort dürfte knapp ausfallen: Dies wäre nur schwerlich vorstellbar. Es würde nicht nur dem Gedanken des Binnenmarkts und des freien Kapitalverkehrs widersprechen, sondern es würde damit inzidenter auch eingeräumt, dass es ein Risikogefälle zwischen den jeweiligen Mitgliedstaaten geben würde. Rein rechtlich betrachtet wird es darauf ankommen, wie die Befugnisse der Europäischen Bankenaufsicht künftig ausgestaltet werden und welche Rechte den nationalen Aufsichtsbehörden verbleiben. Da hier die Grund lagen noch kontrovers diskutiert werden, ist eine abschließende Einschätzung schwierig.

Ein Dreiklang von Maßnahmen

Wie ist aber generell der seit Mitte 2012 auf dem Tisch liegende und durch einen - inzwischen schon mehrfach überarbeiteten - Verordnungsentwurf der EU-Kommission konkretisierte Vorschlag zu bewerten, einen Großteil der Banken aus den Euro-Staaten der Aufsicht der EZB zu unterstellen? Auf jeden Fall ist die Idee aus Sicht international tätiger und auf harmonisierte Regelwerke ausgerichtete Konzerne ein weiterer wichtiger Bau- und auch Meilenstein für den Binnenmarkt. Klar ist: Es sind noch viele technische und recht liche Fragen zu klären; der ursprüngliche beabsichtigte Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Regimes zum 1. Januar 2013 war eine Absurdität. Davon abgesehen müssen aber auch politische und strukturelle Fragen beantwortet werden. Geklärt werden müssen unter anderem der Status der Aufsichtseinheit in der EZB als oberster "Währungshüterin" des Euroraums, das Verhältnis zwischen EZB und den weiterhin - richtigerweise - in die Vor-Ort-Aufsicht eingebundenen nationalen Aufsichtsbehörden und das Verhältnis von EZB und der European Banking Authority, die seit Anfang 2011 an sich die zuständige Stelle für eine Vereinheitlichung der Bankenaufsicht in Europa sein soll(te).

Aber auch das Verhältnis von Euro- und Nicht-Eurostaaten spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle. Nicht wenige befürchten oder hoffen je nach Sichtweise, dass mit dieser Errichtung auch ein weiterer Schritt hin zu einem Auseinander driften von Euro- und Nicht-Eurostaaten vollzogen wird. Ein solches Ergebnis sollte verhindert werden. Gerade für die europäische Finanzindustrie darf insbesondere London bei einer derartigen Fortentwicklung des Binnenmarkts nicht außen vor bleiben. Letztlich sind dies politische Entscheidungen. Hier sei nur auf die Tragweite hingewiesen, verbunden mit dem Appell an alle Beteiligten, weiterhin die gemeinsame Europäische Union als Leitbild zu verfolgen.

Auch die Übertragung der Aufsicht auf die Europäische Zentralbank ist aber nur ein Element eines Dreiklangs von Maßnahmen, um einen Sachverhalt wie den eingangs geschilderten künftig sinnvoll in einem Binnenmarkt zu handhaben. Eng verknüpft sind die Überlegungen zur europäischen Aufsicht mit einer weiteren Europäisierung der Einlagensicherung und der mit einem europäischen Abwicklungsfonds verbundenen Möglichkeiten für eine grenzüberschreitende Sanierung und Abwicklung von Finanzinstituten.

Thema Einlagensicherung, deren Fortentwicklung in Form der überarbeiteten Einlagensicherungsrichtlinie sich auf europäischer Ebene leider immer wieder verzögert: Zunächst ist die Einlagensicherung eng mit dem gesamten Themenkomplex Intragruppenforderungen verknüpft, wenn es zu einem Ausfall kommt. Letztlich mussten in der Vergangenheit wegen der entsprechenden Kapitaltransfers meist die nationalen Einlagensicherungen - zumindest zunächst - eingreifen, um die Einlagen der Kunden entsprechend den Fristen zu entschädigen. Zudem konnte in der Vergangenheit auch beobachtet werden, dass die Einleger in Europa ihre Einlagen je nach wirtschaftlicher Situation im eigenen Land immer wieder in andere Länder der EU transferierten, was im Falle eines Falles die nationalen Sicherungssysteme unterschiedlich belastet hätte. Hier wird zwar idealerweise mittel- bis langfristig nur ein europäischer Sicherungstopf entsprechende Arbitragen und Doppelbelastungen verhindern können. Der Weg dorthin ist aber noch weit, müssten doch auch in Deutschland die verschiedenen Sicherungssysteme angepasst werden, ohne dass es zu Beeinträchtigungen des Wettbewerbs kommt.

Thema Sanierung, Abwicklung und Einrichtung eines europäischen Sicherungsfonds: Die Diskussion wird oft auch unter dem Oberbegriff "Bankenunion" geführt und steht in vielen Bereichen noch am Anfang. Ausgehend von der deutschen Gesetzeslage mit dem Gesetz zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung von Kreditinstituten und der Errichtung eines Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute wurden Anfang 2011 Maßnahmen ergriffen, um im Insolvenzfall den Marktaustritt eines systemrelevanten Instituts zu ermöglichen, ohne dass es zu einer Systemansteckung kommt. Ergänzend wurde ein Finanzmarktstabilisierungsfonds eingerichtet, der seit zwei Jahren aus der Bankenabgabe gespeist wird. Ohne an dieser Stelle auf Details und Schwächen des Gesetzes einzugehen, ein Manko des Gesetzes ist auf jeden Fall der rein nationale Anwendungsbereich. Sämtliche Maßnahmen enden an den deutschen Landesgrenzen - im Gegensatz zu der Geschäftstätigkeit vieler Kreditinstitute, die grenzüberschreitend tätig sind. Daher ist es folgerichtig, den Themenkomplex insgesamt auf EU-Ebene zu heben und hier insbesondere einen europäischen Abwicklungsfonds einzurichten, der den deutschen Fonds ersetzen würde, der aktuell bei vielen international tätigen Banken zu Doppelbelastungen führt, da sie in verschiedenen Mitgliedstaaten der EU auf unterschiedliche Art und Weise zu einer Abgabe verpflichtet sind.

Binnenmarkt weiterentwickeln

Der eben vollzogene Exkurs zeigt: Mit der Übertragung der Bankenaufsicht auf die EZB kann also nur ein erster, aber sehr wichtiger Schritt vollzogen werden. Flankiert werden muss dieser mit zahlreichen anderen Regelwerken auf europäischer Ebene. Dies sollte aber nicht zu einem übereilten und handwerklich nachbesserungsbedürftigen Handeln führen. Gerade im Bereich der Bankenaufsicht konnte man schon das eine oder andere Mal die Folgen übereilten Handelns betrachten.

Um auf das Ausgangsthema zurückzukommen: Es stellt sich aktuell mehr denn je die Frage, wie das Thema "Binnenmarkt" weiterentwickelt wird. Wird Europa wieder nationaler beziehungsweise lokaler oder werden weitere Hürden abgebaut? Leider kann man nicht bei null und am berühmten Reißbrett anfangen. Jede Maßnahme, jedes Handeln muss sich in den bestehenden europäischen Rahmen einpassen, was aber nicht heißen sollte, dass die Aufgabe nationaler Befugnisse und Kompetenzen ausgeschlossen ist. Will man den Binnenmarkt als Basis für eine im globalen Wettbewerb stehende Volkswirtschaft Europa fortentwickeln, wird man um einschneidende Schritte nicht umhinkommen.

Die Errichtung einer Europäischen Bankenaufsicht bei der EZB dürfte bereits ein schwerer, aber bei Weitem nicht der schwerste sein. Die ausländische Finanzindustrie in Deutschland ist der Ansicht, dass jedes der anstehenden Projekte lohnenswert ist, da die gesamte deutsche Volkswirtschaft in den letzten Jahren von der Europäisierung profitiert hat.

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