Leitartikel

Kein Preis ohne Risiko

Es ist eigentlich nur konsequent. Wer nach draußen in den meist grau-tristen Himmel blickt, sieht keinen Sommer. Warum soll also dann ein Sommerloch vorhanden sein? Ist es ja auch nicht. Statt dem Ungeheuer von Loch Ness, dem deutschen "See"-Krokodil oder dem entlaufenen Känguruh sorgt ausnahmsweise einmal die deutsche Finanzdienstleistungsbranche für negative Schlagzeilen. Es rumpelt in Düsseldorf: Die WestLB entließ zwei Vorstände als Folge unglücklicher und zu riskanter Spekulationen im Handel und einer offensichtlich zu zurückhaltenden Informationspolitik nach drinnen wie draußen. Doch es blieb kaum Zeit, dieses Thema vollwertig aufzuarbeiten, als bereits der zweite Düsseldorfer Sommerknaller explodierte: Die Mittelstandsbank IKB steht am Abgrund und muss von ihrer Mutter KfW und den übrigen Banken aufgefangen werden. Weil, ja weil man sich in hochrentierlichen, aber damit auch hochgefährlichen Kredittranchen amerikanischer Hypothekenschuldner schlechtester Bonität ("Subprimes") allzu sicher aufgehoben gefühlt und sich über Gebühr damit eingedeckt hat. Auch hier wurden bislang - vorbehaltlich weiterer Erkenntnisse - zwei Vorstände entlassen.

Also: "Vorstände aufgepasst! " Es wird zweifelsfrei schneller gefeuert. Auch und vor allem auf Bestreben der BaFin hin. Ihr Drängen, fehlerhaftem Verhalten doch bitte schön das Quittieren des Dienstes folgen zu lassen (bevor die Bankleiterlizenz eingezogen wird! ), ist dringlicher geworden. In eindeutigen Fällen schuldhaften Verhaltens ist diese Konsequenz sicherlich richtig. Für das betroffene Haus ist aber keineswegs erwiesen, dass neue Besen immer besser kehren, genauso wie eine Fußballmannschaft unter einem neuen Trainer nicht zwangsläufig schöner und erfolgreicher spielt. Nur vielleicht etwas unbelasteter. Schwappt hier neben Subprime noch mehr aus Amerika hinüber, nämlich die Verbreitung der Hire-and-Fire-Mentalität? Wird die Welt hier wie auch am Kapitalmarkt schnell- und damit kurzlebiger? Offensichtlich ja. Dieses Risiko ist natürlich in den ordentlichen Vorstandsgehältern eingepreist. Aber wäre es nicht zu überlegen, den Betroffenen stattdessen selber aufräumen zu lassen? Fehler würde er wohl tunlichst zu vermeiden suchen, Nachsicht wäre sicherlich keine seiner bevorzugten Qualitäten, und das Vertrauen von Kunden, Aufsichtsräten, Mitarbeitern und auch den Märkten könnte er sich so wohl wieder verdienen. Oder?

WestLB und IKB - der ehemals so stolze Bankenplatz Düsseldorf, an dessen Kö einst alle Großbanken mit Doppelsitzen residierten, muss tiefe Trauer tragen - sind auch Konsequenz schrecklicher "Renditenot" deutscher Banken. Sowohl die Landesbank als auch die IKB wollten mehr als nur mit dem angestammten Geschäft die gewünschte und eingeforderte Verzinsung des Eigenkapitals der Anteilseigner erfüllen. Dass das angesichts wieder einmal geschrumpfter Margen sowohl im klassischen Retail als auch im Mittelstandsgeschäft immer schwieriger wird, ist folgerichtig. Auf der Einlagenseite erreichen die Margen für täglich Fälliges wie auch für kurz Befristetes beinahe täglich neue Höchststände. Auf der Kreditseite ist es genau andersherum, hier wird kaum noch risikoadäquat bepreist. Dass dafür Verantwortliche nicht beim ersten Anzeichen von Problemen aufspringen und laut um Hilfe rufen, sondern hoffen, die Verluste schnellstens wieder wettmachen zu können, ist sicherlich nur menschlich.

Doch dafür ist die Welt der modernen Kapitalmärkte viel zu gnadenlos. Dieser Sommer 2007 zeigt einmal mehr, dass ihre Vielfältigkeit wahrlich nur etwas für Spezialisten ist. Wer sich in diesem oder jenem nicht so gut auskennt, wäre gut beraten, sich einem ebenjener Profis anzuvertrauen und sich leiten zu lassen, wie auch der gewöhnliche Mensch kaum versuchen wird, ohne kundigen Bergführer unwegsames Hochgebirge zu erklimmen. Denn die Märkte sind keineswegs vollkommen. Es gibt erhebliche Transparenzmängel. Unregulierte Kapitalsammelstellen wie Hedgefonds und nicht nachvollziehbare Produktinnovationen verteilen das Risiko zwar. Allerdings tun sie dies so gut, dass niemand mehr weiß, an welcher Stelle es irgendwann hochkommen wird. Mehr Auf- und damit Einsicht würde helfen. Aber von wem? Selbst das vielgerühmte Rating hilft gutgläubigen Banken nur bedingt. Denn Subprime 2007 zeigt, dass auch die besten Analysten irren können. Die Einkommen steigen nicht so schnell wie erwartet, die Zinsen legen zu, die Wohnungspreise fallen und schon ist das Unglück passiert und ehemals als "C" oder vielleicht sogar "B" eingestufte Kredite werden faul. Auf wen soll man sich da noch verlassen können?

Jochen Sanio, Präsident der deutschen Allfinanzaufsicht, sprach im Falle IKB von der größten drohenden deutschen Bankenkrise seit 1931. Das mag man als übertrieben werten. Aber muss der BaFin-Chef mitunter nicht zu Übertreibungen greifen, um eben auch den Letzten aufzurütteln, wenn es nach BaFin-Ansicht Anlass zur Sorge gibt? Auch dass der stets um Stabilität bemühte Bundesbankpräsident die BaFin-Drohung umgehend relativierte, ist verständlich. In Zeiten zukunftsweisender Aufsichtsstrukturmodernisierungen ist die unumstrittene Bundesbank-Expertise in der Bankenaufsicht darzustellen. Zudem tut ein wenig Beruhigung gut, denn die Märkte sind übernervös und verunsichert.

Wie nervös, zeigen die Kursreaktionen auf die durchaus respektablen Ergebnisse deutscher Banken: Die Deutsche Bank beispielsweise erzielte das beste zweite Quartal ihrer Geschichte. Der Gewinn im ersten Halbjahr erreichte stolze 3,9 Milliarden Euro nach Steuern und der Kurs - fiel nochmals um fast vier Prozent, nachdem er schon im gesamten Juli rund zehn Prozent eingebüßt hatte. Die Frankfurter Großbank konnte noch so oft beteuern, sie habe keine nennenswerten Bestände an Subprimes. Das hatte die IKB aber kurz vor ihrem Quasi-Zusammenbruch auch behauptet. An den DB-Zahlen gab es sonst wenig auszusetzen: Erträge plus 27 Prozent auf 8,8 Milliarden Euro allein in den Monaten April bis Juni, Eigenkapitalrendite vor Steuern trotz einer um 22 Prozent höheren Kapitalbasis plus drei Prozentpunkte auf 36 Prozent. Die Deutsche Bank nutzte einmal mehr ihre ganze Klasse und Erfahrung an den Märkten. Der Konzernbereich Corporate and Investment Bank erzielte ein Rekordquartal und steuerte mit 6,0 Milliarden Euro mehr als zwei Drittel aller Erträge bei.

Ähnlich wie der Deutschen Bank erging es auch der Postbank. Ihr Kurs verlor trotz eines im Rahmen der Erwartungen liegenden Ergebnisses fast acht Prozent - im gesamten Juli mehr als 15 Prozent. Allerdings weisen die Zahlen auch erste kleine Schönheitsfehler auf. Der Zinsüberschuss stagnierte im ersten Halbjahr bei gut eine Milliarde Euro und der Provisionsüberschuss ging leicht auf knapp unter 700 Millionen Euro zurück. Ergebnisstütze, vor allem im zweiten Quartal, war ein deutlich ausgeweitetes Handelsergebnis. Und das bei Deutschlands größter Retailbank. Hinzu kommen eine Abschwächung der Kundenzuwächse sowie nach wie vor unbefriedigende Cross-Selling-Quoten.

Die Dresdner Bank erzielte ebenfalls ein deutliches Ergebnisplus. Der Gewinn der Allianz-Tochter erhöhte sich auf über eine Milliarde Euro. Allerdings deutet die Zusammensetzung des Ergebnisses sowie verschiedener Bilanzpositionen auf eine leicht höhere Volatilität hin. Die täglich fälligen Gelder beispielsweise machen mittlerweile über 50 Prozent der gesamten Kundenverbindlichkeiten aus. Im Handelsbestand sank die Position der festverzinslichen Wertpapiere um rund 13 Milliarden Euro, im Gegenzug legten Aktien um 16 Milliarden Euro und Derivate um vier Milliarden Euro zu. Vom Zinsüberschuss stammen mit 827 Millionen Euro nur noch etwa 50 Prozent aus dem Retailgeschäft. Schon 582 Millionen Euro steuern das Investmentbanking und das Großkundengeschäft zu, weitere 241 Millionen Euro Einmaleffekte. Und schließlich ist beim Provisionsüberschuss ein Rückgang in der Sparte Private and Corporate Clients um mehr als zwei Prozent zu beobachten und eine Stagnation in der Sparte Investmentbanking. Die Zuwächse stammen wiederum aus Einmaleffekten. Die Aktie der Mutter Allianz rutschte ab: Große Töchter beeinflussen auch große Konzerne.

Doch droht wirklich eine ernsthafte Krise? Nein. Subprime ist kein Systemrisiko. Die IKB ist solidarisch unter Führung der KfW aufgefangen und damit besichert. Die Engagements der übrigen Institute sind bislang beherrschbar. Bei der Commerzbank beziehungsweise der Dresdner Bank beträgt der Anteil "Subprime" gerade mal 0,2 bis 0,3 Prozent der Bilanzsumme. Auch am CDO-Markt besteht kein Grund zur Panik. Während einer DZ-Bank-Studie zufolge über 13 Prozent sämtlicher ausstehenden Transaktionen in den USA zur Überprüfung und wahrscheinlichen Herabstufung durch die Ratingagenturen anstehen, sind in Europa gerade mal ein Prozent aller öffentlich gerateten CDOs betroffen.

Und schließlich: Kein Preis ist ohne Risiko. Nicht nur Jochen Sanio mag hoffen, dass die allzu laxe Kreditvergabepolitik zu Discounter-Konditionen nun endlich ein Ende haben könnte. Wer aber fürchtet, dass nun ein Credit-Crunch droht und das kreditfinanzierte Übernahmegeschäft zum Erliegen kommt, irrt. Sobald die ersten Wunden sauber geleckt und zart verheilt sind, wird die Maschine gut mit Liquidität geschmiert wieder anspringen. Auf das Kurzzeitgedächtnis und die Profitneurose von Marktteilnehmern ist allemal Verlass.

Was folgen kann, ist jedoch ein Dilemma der Notenbanken. Diese haben in den vergangenen Jahren mit einer expansiven Geldpolitik die Geld- und Kreditmengen erheblich anwachsen lassen. Die Wachstumsraten haben dabei die volkswirtschaftlichen Einkommenszuwächse deutlich überschritten. Wenn sich nun die kreditfinanzierten Investitionen aber als weniger ertragreich als gehofft herausstellen, steigt der Verschuldungsgrad weiter an, sofern es überhaupt noch weitere Mittel gibt. Damit dies so ist, steigt der Druck der verschuldeten Gruppen auf die Notenbanken, die Zinsen doch bitte schön weiter niedrig zu halten beziehungsweise abzusenken. "Die Diagnose, dass die Niedrigzinspolitik der Zentralbanken die häufige Ursache für Kredit- und Wirtschaftskrisen, nicht aber das Heilmittel ist, dürfte sich vermutlich wieder einmal nicht durchsetzen", schreibt Barclays Capital-Volkswirt Thorsten Polleit in der Börsen-Zeitung. Begrenzen die Notenbanken dagegen das Wachstum durch eine Erhöhung der Zinsen, ginge dies vermutlich einher mit einer Verlangsamung der Wirtschaft. Weiter steigende Verschuldungsgrade oder Konjunktureintrübung - das ist hier die Frage.

IKB sei dank, dass endlich, endlich auch die Rolle der KfW stärker in das öffentliche Bewusstsein vor allem der handelnden Politiker rückt, die diese in jüngerer Vergangenheit nur zu häufig wegen ihrer schier unbegrenzten Einsätze als ausgesprochen nützlich empfunden haben. Doch die von der Bankenbranche schon seit langem angeprangerte Verknüpfung einer staatlichen Förderbank mit einer voll im Wettbewerb stehenden Privatbank ist ein Verstoß gegen die Regeln der Ordnungspolitik. Denn die IKB ist weit mehr als das von KfW-Chefin Matthäus-Meier gelobte "Ohr im Markt", sie ist für das "echte" Bankgewerbe eine staatlich beförderte Konkurrenz. Dass nun zur Sanierung öffentliche Gelder bereitgehalten werden müssen, ist unerträglich. Aber vielleicht braucht selbst eine erstklassige Förderbank solche Rückschläge, um einsichtiger zu werden. Denn Bankendeutschland würde ohne eine IKB nicht wirklich etwas fehlen. P. O.

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