Aufsätze

Krisenbekämpfung mit Zentralbankliquidität als Ursache für Blasenbildungen in Anlagemärkten

Investoren, Politiker und Ökonomen haben seit Monaten gebannt den kräftigen Anstieg der Aktienkurse beobachtet, obwohl die Wachstumsaussichten der Realwirtschaft sich nach wie vor bescheiden ausnehmen. Bescheidenheit bis Zurückhaltung kennzeichnet auch weiterhin die Kreditvergabebereitschaft der Banken, sodass mancherorts sogar schon eine Kreditklemme im Laufe der nächsten sechs Monate für möglich gehalten wird. Dazu kommen seit Jahresbeginn Sorgen um eine von Griechenland ausstrahlende Krise der Europäischen Währungsunion und neuerdings von den USA ausstrahlende Unsicherheiten zu den möglichen Auswirkungen einer am 21. Januar dieses Jahres angekündigten "Volcker Rule".

Also fürchten sich die Anleger zunehmend vor einer ernsthaften Kurskorrektur, während die Politiker weiterhin darauf setzen, dass Niedrigzinsen, reichlich Liquidität und anhaltende Fiskalstimuli die Realwirtschaft und den Kreditkreislauf stärker beleben werden. Dabei erhalten sie von den Zentralbanken entsprechende Unterstützung, die keine Gefahr für die Geldwertstabilität sehen, solange sich die Inflationsrate nach wie vor weit unter der Komfortmarke von plus zwei Prozent per annum bewegt.

Wette auf einen Konjunkturaufschwung

Eine Hausse im Aktienmarkt bei anhaltend deprimierter Realwirtschaft ist natürlich ein Widerspruch, wenn man nicht davon überzeugt ist, dass der Markt einen in der Zukunft liegenden Aufschwung bereits im Wege von Kurssteigerungen vorwegnimmt. In jedem Fall hatte die Aktienhausse sehr viel mit der Niedrigzinspolitik der Zentralbanken und der reichlich zugeführten und weiter in Aussicht gestellten Liquidität zu tun, denn die Liquidität findet angesichts niedriger Zinsen attraktivere Renditen im Aktienmarkt, die durch Leverage weiter gesteigert werden können. Das findet zurzeit in großem Umfang statt. Dabei wird der Leverage vielfach in abwertungsverdächtigen Währungen gesucht, bis zum vierten Quartal 2009 also im Dollar, aufgrund der Griechenlandkrise neuerdings im Euro.

Wenn nun aber die Wette auf einen kräftigen und anhaltenden Konjunkturaufschwung nicht aufgehen sollte, könnte es ein ebenso heftiges wie hässliches Platzen der Blase am Aktienmarkt geben mit erneut erheblichen Rückschlägen für die Realwirtschaft.

Haussen am Aktienmarkt gehören für die Zentralbanken nicht direkt zum Thema Geldwertstabilität, da dies nur die individuellen Lebenshaltungskosten meint und die liegen weiter flach. Gleichwohl ist nicht nur Ökonomen, sondern auch jedem Laien der starke Wirkungszusammenhang zwischen Immobilien- und Aktienmarkt auf der einen und dem persönlichen Budget auf der anderen Seite bewusst, auch wenn die Preise in diesen beiden Märkten nicht direkt in die Lebenshaltungskosten eingehen. Aber niedrige Hypothekenzinsen entlasten das Konsumbudget. Und von Dividendeneinkünften und von realisierten Kurssteigerungsgewinnen gehen ebenfalls stimulierende Wirkungen aus.

Ein bemerkenswerter Vorschlag aus der Wissenschaft

Jedoch anders als beim Thema Geldwertstabilität, wo sich eine Zielmarke des Lebenshaltungsindexes um plus zwei Prozent per annum als zuträgliche Konvention eingespielt hat, geht es beim Immobilien- und beim Aktienmarkt um Preisentwicklungen, zu deren spezifischer Bewertung sich die Zentralbanken und Politiker eigentlich lieber bewusst heraushalten.

Diese Zurückhaltung ergibt sich daraus, dass nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen in den Preisbildungsprozess (funktionierender! ) Märkte nicht interveniert werden sollte und es problematisch scheint, oberhalb eines bestimmten Preisniveaus zu behaupten, dass es sich um eine gefährliche Blasenbildung handelt, die zur Verhütung schlimmerer Folgen gebremst werden sollte.

Wenn aber die Blase dann mal geplatzt ist, gibt es in Bezug auf Interventionen kaum noch ein Halten und die dann plötzlich auch auf politisch breite Akzeptanz treffen, da sich Stimuli als geeignet zur Rettung von Arbeitsplätzen et cetera darstellen und rechtfertigen lassen. Wenn der Stimulus allerdings seinerzeit zur Blasenbildung beiträgt, wie es derzeit nicht nur im Aktienmarkt, sondern insbesondere beim Neuemissionsvolumen von Junk Bonds (mit hohen Renditen, aber schlechten Ratings) der Fall ist, verliert die Asymmetrie der Interventionslogik ihre Plausibilität.

In dieser Situation macht ein bemerkenswerter Vorschlag auf sich aufmerksam: Andrew Smithers, ein englischer Ökonom und erfolgreicher Anlageberater hat schon 2000 gegen die Orthodoxie der Theorie vom effizienten Markt (im englischen Jargon: EMH für Efficient Market Hypothesis) Front gemacht (she. Valuing Wall Street: Protecting Wealth in Turbulent Markets).

Der "korrekte" Wert

Im Jahre 2009 hat er ein paar bemerkenswerte Empfehlungen für die Zentralbanken nachgeliefert (Wall Street Revalued; Imperfect Markets and Inept Central Bankers; John Wiley & Sons, Chichester). Sein Vorwurf lautet, dass sich die Zentralbanken zu Unrecht zu ausschließlich auf das Ziel der Geldwertstabilität fokussieren, anstatt sich um die depressiven und anschließend auch inflationären Risiken von Blasenbildungen schon vor deren Platzen zu kümmern. Inflationär sind die Risiken von Blasen und ihrem Platzen in der zweiten Stufe deswegen, weil in der ersten Stufe, wie es gerade zu erleben ist, zur Abwehr von Deflation über hohe staatliche Defizite die Banken gerettet und die Realwirtschaft wieder angekurbelt werden. Und einmal überhöhte Staatverschuldung ist kaum anders als über Inflationierung wieder zurückzuführen.

Mit Hilfe einer Kombination des von Prof. Robert J. Shiller - der im Herbst vergangenen Jahres in Frankfurt mit dem Deutsche Bank Prize in Financial Economics 2009 geehrt wurde - entwickelten CAPE Wertes (für: Cyclically Adjusted Price Earnings Ratio, also ein zyklisch bereinigtes Kurs-Ge-winn-Verhältnis) und des Quotienten q (Verhältnis der Marktkapitalisierung sämtlicher Nichtfinanzwerte zur Summe ihres Nettoeigenkapitals zum Wiederanschaffungswert) identifiziert Smithers einen empirischen, intrinsisch "korrekten" Wert für den Aktienmarkt, von dem die aktuellen Kurse allerdings auch über längere Zeiträume extrem abweichen können, untereinander übrigens in diesen jeweiligen Abweichungsphasen vom "korrekten" Wert hochkorreliert.

Diese Abweichungen sind der Indikator für den langfristig orientierten Investor zum Einstieg beziehungsweise Ausstieg. Den Ausstieg aus der Internet Bubble haben Smithers und sein Co-Autor Stephen Wright in 2000 punktgenau ex ante empfohlen. Per Ende Oktober 2009 hielt Smithers den US S&P 500 Index für bereits zu 40 Prozent überbewertet. Als Mitglied des Investment Committee des Clare College, Cambridge, hatte er für einen Wiedereinstieg in den Aktienmarkt bereits Ende des Jahres 2008 gesorgt.

Liquiditätsprämie

Auch für die Bewertung des Immobilienmarktes lehnt sich Smithers nahe an die Methodologie von Shiller an. Zur Früherkennung volkswirtschaftlich gefährlicher Blasenbildung empfiehlt Smithers den Zentralbanken neben einer kritischen Bewertung des Aktien- und des Immobilienmarktes noch einen dritten Index, nämlich die Liquiditätsprämie (die er von der Zusatzrendite unterscheidet, die zusätzlich zu dem risikofreien Satz für das Risiko eines Zahlungsausfalls - also für das Risiko eines Event of Default - vom Investor verlangt wird) für eingeschränkt liquide Aktiva wie etwa Corporate Bonds. Wenn hier ein langjährig feststellbarer Durchschnittswert unterschritten wird, sollten für die Zentralbanken ebenfalls die Alarmglocken läuten, da dies ein Indiz für zu riskantes Anlageverhalten der Marktteilnehmer ist.

Die Zentralbanken sollten also neben einer Beobachtung der Geldwertstabilität im engeren Sinn auch potenzielle Blasenbildungen in den wesentlichen Anlagemärkten im Auge behalten. Bei substanziellen Abweichungen vom intrinsisch korrekten Durchschnittswert nach oben empfiehlt Smithers, vom Instrument einer Anhebung der Mindestreservesätze für die Geschäftsbanken Gebrauch zu machen. Im EU-Raum müsste das also nicht einmal die EZB zentral verfügen, sondern die Zentralbanken der Mitgliedsländer könnten je nach Marktlage aktiv werden, die in Deutschland sicher anders aussieht als in Griechenland, Spanien oder Irland.

Smithers nennt seinen Ansatz "Imperfectly Efficient Market Hypothesis." Er operiert dabei mit sehr langfristigen und sektorübergreifenden Durchschnittswerten. Das kann und sollte sicher noch weiter getestet und verfeinert werden. Ganz gleich welch kritische Bewertungsmarken dabei im Einzelnen herauskommen, werden Bremsmaßnahmen bei den Banken in jedem Fall unpopulär sein. Aber lieber ein rechtzeitiger Dämpfer als noch eine systemische Krise des Weltfinanzsystems vom Kaliber Ende 2008.

Allerdings sind auch aus dem politischen Bereich Widerstand und Widerspruch zu erwarten, wenn die Zentralbank, wie es so schön bei Walter Bagehot heißt, die Punch Bowle gerade dann abräumen möchte, wenn die Party so richtig in Gang zu kommen verspricht. Es ist auch zu überprüfen, ob nicht eine zur Unzeit verfügte Mindestreserveanhebung zur Abwendung einer Blasenbildung unerwünschte Nebenwirkungen auf die Kreditvergabebereitschaft der Geschäftsbanken haben könnte.

Wenn eine Mindestreserveerhöhung eine drohende Kreditklemme eher verschärfen würde, könnte an alternative Maßnahmen gedacht werden wie an eine Beendigung langfristiger Pensionsgeschäfte oder auch an eine differenzierte Form der sogenannten Tobin-Steuer auf bestimmte Finanzmarkttransaktionen. Auch die auf eine Einschränkung von aus dem Eigenhandel rührenden Risiken zielende "Volcker Rule", deren Details allerdings noch nicht ausdiskutiert sind, zielt in dieselbe Richtung.

Ein diskussionswürdiger Ansatz mit Aussicht auf konzeptionellen Fortschritt

In jedem Fall bedeutet der Ansatz von Smithers einen erheblichen konzeptionellen Fortschritt gegenüber der bisherigen Situation, in der zwar jedermann die Insuffizienz der EMH kennt, ihre ungebrochene Dominanz aber nach wie vor zu Fehleinschätzungen verleitet oder erhebliche Wahrnehmungsdefizite mit sich bringt. So hat insbesondere die EMH dazu beigetragen, dass die US Fed sich zur Entwicklung der amerikanischen Immobilienblase, die 2007 mit weltweiten Folgen platzte, aus Überzeugung agnostisch und sozusagen unzuständig stellte, da die Inflationsrate sich in moderaten Grenzen gehalten hatte.

Neben zahlreichen anderen Stimmen aus dem mehr wissenschaftlichen Lager begrüßt daher etwa auch Andrew Large, ehemals Deputy Governor der Bank of England und Mitglied des Bank of England Monetary Policy Committee, den Vorstoß von Smithers als fruchtbaren Ansatz für eine effektivere stabilitätsorientierte Geldpolitik.

Michael Altenburg , Luzern, Schweiz
Noch keine Bewertungen vorhanden


X