Aufsätze

Das Modell Raiffeisen Schweiz - ein Vorbild für andere Banken?

Wenn man auf die Entwicklung von Umsatz und Gewinn, von Mitgliederzahlen und Marktstellung sowie auf die Medienberichterstattung abstützt, kommt man zum Schluss, dass die Raiffeisen-Gruppe in der Schweiz das Erfolgsrezept gefunden hat. Obwohl in den vergangenen Jahren vieles - andere würden sagen (fast) alles richtig gemacht wurde, stehen noch einige neue Herausforderungen an, damit der Erfolgskurs fortgesetzt werden kann.

Marke als zentraler Wert

Die Raiffeisen-Gruppe der Schweiz - darin sind die 367 rechtlich selbstständigen Raiffeisenbanken sowie das Dienstleistungszentrum Raiffeisen Schweiz zusammengefasst - werden gestärkt aus der Finanzmarktkrise hervorgehen. Während international tätige Institute mit Finanzierungsproblemen und mangelndem Vertrauen durch Partner und Kunden konfrontiert sind, profitieren neben den Staatsinstituten insbesondere die genossenschaftlich organisierten Raiffeisenbanken von einem deutlichen Zufluss an Kundengeldern. Nur die gegenwärtige Schwäche der Großbanken für diesen Erfolg verantwortlich zu machen, würde die großen Anstrengungen von Raiffeisen in der Vergangenheit geringschätzen.

Grundlage des Erfolgs ist die Attraktivität der Marke Raiffeisen. Die von Raiffeisen verkörperten Werte wurden daher systematisch in einem genetischen Code erarbeitet. Hohe Qualitätsansprüche, gut ausgebildete Arbeitskräfte, intensiver Arbeitseinsatz, überdurchschnittliche Produktivität und große Kundennähe - auf diesen Faktoren basiert ganz wesentlich der wirtschaftliche Erfolg der Schweiz. Gleich und eben typisch schweizerisch sind auch die Qualitätsmerkmale der Raiffeisenbanken: nahe bei den Kunden, sowohl geografisch als auch emotional, verlässlich, kompetent und verständlich.

Emotionale Nähe

Die Raiffeisenbanken sind klassische Retailbanken, die sich möglichst nahe beim Kunden bewegen und seine Bedürfnisse und Befindlichkeiten meist persönlich kennen. Das zeichnet Raiffeisen aus. Dafür stehen über 1150 Bankstellen - mithin das dichteste Netz in der ganzen Schweiz, das ein Drittel aller Bankstellen in der Schweiz umfasst. Diese geografische Nähe zum Kunden allein reicht indes noch nicht aus, um im hart umkämpften Bankenmarkt erfolgreich zu sein.

Beziehungen im Bankengeschäft funktionieren nicht anonym; das Bankengeschäft baut auf persönliche Beziehungen und auf Vertrauen. Einst und heute schon wichtig, wird es in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen, die Bedürfnisse des Kunden zu kennen. Und danach zu handeln. Eine Umfrage des Instituts für Markt- und Sozialforschung Link kommt zum Schluss, dass für ein Drittel der Kunden die geografische Nähe das entscheidende Kriterium bei der Wahl ihrer Hausbank ist.

Weitere 17 Prozent gaben an, dass persönliche Beziehungen den Ausschlag gaben. Nebst der geographischen Nähe spielt auch die emotionale Nähe eine wichtige Rolle. Eine Bankenmarke wird nicht nur durch das Logo, durch Produkte oder über eine Werbekampagne wahrgenommen. Vielmehr ist es entscheidend, wie die Kunden ihre Berater, die Prozesse und die Verkaufsräume erleben.

Fassbare Dienstleistungen

Dienstleistungen sind keine greifbaren Produkte, sondern sie entstehen in Interaktion mit dem Kunden. Diese beurteilen die Qualität über sogenannte Ersatzindikatoren, welche die abstrakte Natur der Dienstleistungen fassbar machen und den Nutzen verdeutlichen. Beispiele dafür sind Einfühlungsvermögen, Verständnis oder Kompetenz der Mitarbeitenden, Zuverlässigkeit, Transparenz, Betreuung, Wertigkeit von Materialien, Aussagekraft von Unterlagen und Einrichtungen. Das macht Raiffeisen zur sympathischsten Bank in der Schweiz.

Noch vor zehn Jahren galten Schalter im Bankbusiness als altmodisch, trendig waren Internetportale. Raiffeisen hat damals wie heute an einem dichten physischen Vertriebsnetz festgehalten und die Betreuung vor Ort und den persönlichen Kontakt gestärkt - notabene ohne die elektronischen Kanäle zu vernachlässigen. Die Kunden schätzen dies, gerade in oft anspruchsvollen Finanzfragen. Sie sind der Bank loyal, bei der sie sich verstanden und kompetent betreut fühlen. Eine Retailbank wie Raiffeisen muss sich nicht nur dauernd fragen, ob sie nahe genug beim Kunden ist, sondern auch welche Bedürfnisse dieser Kunde hat, welche Leistungen die Bank anbietet und welche sie selbst produziert.

Mitarbeiter als Botschafter

Basis des Erfolgs sind die Mitarbeitenden: Aus der Studie Managing tomorrow's people: The future of work to 2020 von Price-waterhouse-Coopers geht hervor, dass qualifizierte Berufseinsteiger sehr klare Vorstellungen von ihrem künftigen Arbeitgeber haben. Dieser muss glaubwürdig sein, soziales Verantwortungsbewusstsein aufweisen sowie Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Gesucht wird ein Arbeitgeber, der eine hohe Identifikation ermöglicht. In der Schweiz spielen nebst der Wahrnehmung eines Unternehmens in der Öffentlichkeit auch eine ausgewogene Work-Life-Balance, also die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, eine zentrale Rolle. Individuelle, flexible Arbeitszeitgestaltung wird wichtiger.

Neben den zahlreichen Entwicklungsmöglichkeiten für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter legt Raiffeisen besonderen Wert auf eine wertorientierte Führungskultur und setzt personalpolitisch auf familienfreundliche Unternehmenspolitik. Das Thema Gleichstellung und damit die Förderung der Chancengleichheit genießt oberste Priorität. Eine familienfreundliche Unternehmenspolitik betrachtet Raiffeisen ebenso als unternehmerische Aufgabe wie die Schaffung von Arbeitsbedingungen, die eine ausgewogene Work-Life-Balance ermöglichen. Gesunde und zufriedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind motivierte Mitarbeitende und damit der Schlüssel zu zukünftigem Erfolg.

Einzigartige Mitgliedschaft

Die Identifikation spielt aber auch auf der anderen Seite eine entscheidende Rolle. Was macht die Raiffeisen-Mitgliedschaft so einzigartig, dass sogar andere Banken zu diesem Alleinstellungsmerkmal gratulieren? Das Besondere ist, dass Raiffeisen-Mitglieder Miteigentümer der Bank sind. Mitglieder übernehmen einen Anteilschein ihrer Raiffeisenbank im Wert zwischen 200 und 500 Franken, der attraktiv verzinst wird, und entscheiden mit über die Geschicke ihrer Raiffeisenbank. Sie üben ihr Stimmrecht an den Generalversammlungen der Raiffeisenbanken aus, die fester Bestandteil und Highlight im gesellschaftlichen Leben der Raiffeisen-Gemeinden sind. Mitgliedschaft sorgt für echtes Zusammengehörigkeitsgefühl.

Eigentum stiftet aber auch Sinn und erzeugt emotionale Verbundenheit zwischen Mensch und Bank. Mitglieder sind aktiver Teil der Raiffeisen-Gemeinschaft und ihres Wertesystems. Gerade im Bankbereich, wo diese persönliche Bindung zum Institut nicht unbedingt selbstverständlich ist, schafft die Möglichkeit, Teil eines grossen Ganzen zu sein, einen für alle Beteiligten unschätzbaren Mehrwert: Vertrauen in das Gegenüber.

Eine Struktur für gelebte Werte

Ein weiteres markantes Merkmal der Raiff-eisen-Gruppe ist die Struktur. Die 367 rechtlich autonomen Raiffeisenbanken sind in Raiffeisen Schweiz, dem Dienstleistungszentrum der gesamten Gruppe, zusammengeschlossen. Die Raiffeisen-Strukturen zeichnen sich durch Subsidiarität und dezentrale Verantwortung aus. Dieses Prinzip bedeutet, dass Aufgaben in einem mehrstufigen System immer auf der tiefstmöglichen Stufe wahrgenommen werden.

Die Kernaufgabe der einzelnen Banken liegt in der Wahrnehmung der unternehmerischen Verantwortung. Sie pflegen den Kontakt zum Kunden. Dezentrale Strukturen erlauben ein hohes Maß an Flexibilität. Raiffeisenbanken können in einem überschaubaren Geschäftskreis sehr rasch handeln. Dabei haben sie sich jedoch innerhalb eines Rahmens zu bewegen, der ihnen durch statutarische und geschäftspolitische Regeln abgesteckt ist.

Raiffeisen Schweiz ihrerseits nimmt übergeordnete Interessen der Gesamtorganisation wahr. Dabei geht es beispielsweise um die gruppenweite Strategieentwicklung, die Gesamtkoordination der Bankengruppe, die unternehmensweite Risikosteuerung, die Wahrung und Vertretung der Interessen bei Behörden, Verbänden und in der Öffentlichkeit. Ebenso wird das Mar-ken-Management zentral gepflegt. Raiffeisen Schweiz führt eine eigene Zentralbank, die gruppenweit den Geldausgleich sichert, die Liquiditätshaltung und den Risikotransfer optimiert sowie direkt mit Institutionellen und Firmenkunden zusammenarbeitet.

Es werden insbesondere jene Prozesse und Aufgaben zentral von Raiffeisen Schweiz gesteuert oder erstellt, bei denen es ökonomisch oder rechtlich sinnvoll ist. Die ausgewogene Mischung von zentraler Steuerung und dezentraler Marktverantwortung hat die Erfolge der vergangenen Jahre überhaupt erst möglich gemacht.

Sicherung der Marktfähigkeit durch Kooperationen

Immer wichtiger wird die Zusammenarbeit mit externen Kooperationspartnern. Raiffeisen arbeitet im Wertschriftenbereich mit der Vontobel-Gruppe zusammen, im Versicherungsbereich mit Helvetia. Mit (nur einseitig möglichen) finanziellen Beteiligungen wird die Langfristigkeit dieser Kooperationen gesichert. Die Aufbrechung der Wertschöpfungskette und die Konzentration der Partner auf ihre spezifischen Kernkompetenzen wird als wichtiger Trend bezeichnet.

Es wird Aufgabe sein, das Wachstum im Kerngeschäft aufrechtzuerhalten. Dazu gehört es selbstverständlich, die Aufwandseite im Griff zu behalten, was gerade im Hinblick auf die Expansionsstrategie - Wachstum in den Städten, Bearbeitung des Firmenkundengeschäfts - eine spannende Herausforderung darstellt. Auch auf der IT-Infrastrukturseite sind derzeit große Anstrengungen im Gange, eine einheitliche Plattform mit effizienten Prozessen zu schaffen.

Das Geschäftsmodell der Raiffeisen-Gruppe basiert auf einer stabilen Balance von genossenschaftlichen Werten und betriebswirtschaftlichen Zielen. Es wird auch in Zukunft Herausforderung sein, damit den Erfolg auf dem Finanzplatz sicherzustellen. Denn eines ist sicher: Kunden werden anspruchsvoller und die Konkurrenz schläft nicht. Es wird weiterhin entscheidend sein, die relevanten Entwicklungen und Trends von den weniger wichtigen zu unterscheiden und die richtigen Schwerpunkte zu setzen.

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