Aufsätze

Neue Geschäftsstrategie der Sparkassen - Anmerkungen aus der Provinz

Verbände haben es eigentlich immer schwer und können es im Grunde niemandem recht machen: in guten Zeiten bedarf man ihrer nicht und regt sich auf über die per Lastschrift eingezogene, als viel zu hoch empfundene Verbandsumlage - in schlechten Zeiten wie diesen erwartet man von seinem Verband, dass er "in time" Problemlösungen für alle Fälle und für jedes Mitglied maßgeschneidert bereithält. Letzteres ist dem DSGV mit seinem im Dezember 2008 vom Verbandsvorstand beschlossenen und auf der Strategietagung im Januar 2009 auf den Weg gebrachten Papier nicht nur vom timing her gelungen. Dazu in erster Linie und erst in zweiter auch zum Geburtstag (125 Jahre) gilt dem DSGV ein herzliches Glückauf aus Münster. Dass die westfälischen Altvorderen im Jahre 1884 als bescheiden bezahlte Sparkassenrendanten ohne Verband schon 55 Jahre zugange waren und, wie die Historie zeigt, ihre Sache nicht schlecht gemacht haben, sei nur am Rande erwähnt.

Der Maßnahmenkatalog des Strategiepapiers enthält eine Fülle von Vorschlägen. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf fünf Themen, die in Münster für besonders wichtig gehalten werden. Auf diesen Feldern ist die Sparkasse Münsterland Ost teils schon seit geraumer Zeit unterwegs und wird jetzt durch die neue Strategie angespornt.

Alte Zielgröße nicht vorschnell aufgeben

Der Kennzahlenkatalog hat bislang nur die beiden Kennziffern Eigenkapitalrentabilität (RoE) mindestens 15 Prozent und Auf-wands-Ertragsrelation (CIR), maximal 60 Prozent umfasst. Die Sparkasse Münsterland Ost hat diese Zielgrößen bereits 2003 in ihre Fokusstrategie übernommen und um eine dritte - die Risikokennzahl (Bewertungsergebnis in Relation zur DBS; aktueller Wert: 0,33 Prozent) ergänzt. In der neuen Strategie wird der Katalog nicht nur um Risiko-, sondern auch um Vertriebskennzahlen erweitert, was positiv zu bewerten ist. Da der bisherige Orientierungswert des DSGV für den RoE von 15 Prozent aber von nicht allzu vielen Sparkassen erreicht wurde, hat man diese Vorgabe durch eine dynamische Mindestverzinsung ersetzt. Danach soll eine angemessene Eigenkapitalrentabilität künftig schon gegeben sein, wenn der Kapitalmarktzins sowie ein Risikoaufschlag von zwei Prozent erwirtschaftet werden. Es ist zweifelhaft, ob sich die Sparkassenorganisation mit diesem Schritt, die Messlatte tiefer zu hängen, wirklich einen Gefallen tut. Es besteht eher Sorge, dass unmittelbar der Unternehmenswert gefährdet und mittelbar der Verbund (Haftungsverbund) belastet wird.

Wenn die Erwartung zutrifft, dass die regulatorischen Anforderungen an die künftige Eigenkapitalausstattung der Kreditinstitute mit Beendigung der Finanzkrise steigen werden und die kommunalen Gewährträger von der absehbaren Entwicklung der öffentlichen Finanzen nicht verschont bleiben, dann könnte sich der Schritt schnell als kontraproduktiv erweisen. Es ist offensichtlich, dass speziell mit Blick auf den Haftungsverbund das Prinzip "Ritter der Tafelrunde" gilt: Der Verbund steht für jeden Einzelnen ein, aber zugleich trägt jeder Einzelne Verantwortung für die Gruppe und eben auch dafür, dass sein Haus der Gruppe nicht zur Last fällt. Im Übrigen ändern geringere Erwartungen an die Wirtschaftlichkeit nichts an den bekannten Notwendigkeiten, generell wirtschaftlicher (schneller, besser, kostengünstiger) zu arbeiten.

Aus diesen und anderen Gründen will die Sparkasse Münsterland Ost die alte RoE-Zielgröße nicht vorschnell aufgeben, zumal die CIR als Ziel unverändert aufrechterhalten wurde. Wie - so ist zu fragen - soll die CIR erwirtschaftet werden, wenn nicht weiter an effizienteren Strukturen gearbeitet wird? Wo solche Potenziale bisher nicht genutzt, Kostenstrukturen nicht auf den Prüfstand gestellt, ein nachhaltiges Steuerungsinstrument nicht angewandt und die Suche nach den besten Ideen nicht ernsthaft verfolgt wurde, da könnte all dies jetzt - so ist zu befürchten - noch weniger der Fall sein. Wohlgemerkt: Es geht nicht um eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent, wie von einer großen deutschen Bank vor Kurzem erneut proklamiert.

Es wäre zu bedauern, wenn - was sicher nicht beabsichtigt war - notwendige Entscheidungen in Richtung "mehr Wirtschaftlichkeit" durch weiche Kriterien unterblieben. Wer in der Branche Risiken und Nebenwirkungen weit reichender Beschlüsse nicht bedenkt oder unterschätzt, kann sich, wenn es schief geht, eben nicht an den Arzt oder Apotheker wenden. Das Argument, Kundenvertrauen sei wichtiger als hohe Renditen, kann man, weil es Äpfel mit Birnen vergleicht, nicht gelten lassen; und: das eine haben die Sparkassen sich schon verdient, das andere müssen sie sich noch und immer wieder erarbeiten.

Industrialisierung: das Gebot der Stunde

Dienstleistungen, die "produziert" werden, sind nicht lagerfähig. Von daher ist keine Produktion im Voraus möglich, denn die Zeiten, da jede Sparkasse jedes Produkt in eigener Regie herstellt, sind lange vorbei. Die Kunden sind heute weniger denn je bereit, für kostenintensive Prozesse im Backoffice zu zahlen. Wollen die Sparkassen sie also behalten und die Position als Nummer eins im Markt nicht aufs Spiel setzen - sie nur zu halten ist schon schwer genug -, müssen sie das Kosteneinsparungspotenzial endlich voll und ganz ausschöpfen. Persönliche Eitelkeiten und Hoheitsdenken sind da fehl am Platz. Deshalb liegt ein vielversprechender Ansatz in einer stärkeren Massenproduktion von Bankdienstleistungen, vor allem im Bereich der Kreditsachbearbeitung; hier können die dringend benötigten "Economies of Scale"-Vorteile in der Gruppe wirksam und in beachtlichem Umfang realisiert werden.

Wenn der Grundgedanke der Industrialisierung - die Verbesserung der Leistungserstellung im Hinblick auf Schnelligkeit, Effizienz, Qualität und Kosten - stimmt, schafft er parallel Raum für die Konzentration auf Kernkompetenzen und das Kerngeschäft. Das Projekt "Zukunftsmodell Sparkasse" der Institute in Westfalen- Lippe, im Jahre 2007 gestartet, mag als Beispiel für die erfolgreiche Entwicklung und Implementierung entsprechender Konzepte für Produktionsprozesse (Marktfolge) oder auch Produkte (Fairzins-Konto) dienen. Der Weg ist jedenfalls gefunden und geebnet; jetzt muss er nur noch entschlossen gegangen werden. Gängelung ist nicht zu befürchten.

Benchmarking als zentraler Werttreiber

Daneben gilt es, verstärkt und gemeinsam mandantenfähige Angebote zu verwirklichen; auch hier gehören die Sparkassen in Westfalen-Lippe zu den Pionieren. Notwendig ist ferner eine Fokussierung auf das Retailgeschäft (Kerngeschäftsfeld) mit dem Leitgedanken, eine Verkaufswelt rund um das Thema Geld zu schaffen und dem Ziel, mehr Ertrag mit mehr Kunden zu generieren. Den dazu passenden Slogan gibt es schon: "Wenn's um Geld geht, Sparkasse! ". Schließlich ist auch für eine interne Umsetzung des Industrialisierungsansatzes in Vertrieb und Steuerung zu sorgen, zum Beispiel durch eine stärkere Standardisierung der Beratung sowie die Etablierung eines ganzheitlichen Managementinformationssystems.

Wer nicht zu den Besten aufschaut und sich mit ihnen nicht regelmäßig vergleicht, kann schwerlich an die Spitze gelangen es sei denn, er wäre schon ganz vorne. Da die Sparkassenorganisation dies, bei allem Respekt vor einzelnen Spitzenleistungen, in der Breite jedenfalls noch nicht ist, es aber will, muss alles getan werden, um entsprechende Vorkehrungen in allen Unternehmensbereichen zu treffen. In diesem Zusammenhang sei mit Blick auf das Kos-ten-Benchmarking auf das DSGV-Sachkostenmanagement verwiesen. Was das Ver-triebs-Benchmarking betrifft, ist der von den 75 Instituten im WLSGV gegangenen Weg der Nominierung von Vertriebsstars ein interessanter Ansatz - interessant nicht zuletzt deshalb, weil auf diese Weise für die Akzeptanz von "Betriebsvergleichen" auf einem strategisch entscheidenden Geschäftsfeld geworben wird.

Freie Bahn für Unternehmertum

Sparkassen müssen ihre Mitarbeiter danach auswählen, ob sie die Grundeinstellung mitbringen, sich in ihrem Berufsleben immer wieder mit den Besten messen zu lassen. Soweit es daran mangelt, ist für Abhilfe zu sorgen - sei es durch entsprechende Förderprogramme, sei es durch die Übertragung anderer, weniger anspruchsvoller und für den Erfolg der Sparkasse weniger bedeutsamer Aufgaben. Der Einfluss, den Sparkassen beim Personal auf die Gaußsche Normalverteilung nehmen können, ist - richtig angepackt - größer als man denkt. Die Erfahrungswerte aus Münster stimmen jedenfalls zuversichtlich.

Damit die von allen gewünschten Vertriebserfolge erreicht werden können, genügt es nicht, das Thema Vertrieb so groß wie nie zuvor zu schreiben und es permanent zum Gegenstand von Führungskräftebesprechungen zu machen. Alles, was da unternommen wird, wird nur von Erfolg gekrönt sein, wenn zwei entscheidende Faktoren hinzukommen: Transparenz und Konsequenz. Nur wenn dafür Sorge getragen wird, dass alle Mitarbeiter nach Maßgabe ihrer Verantwortlichkeit über Weg und Ziel der Sparkasse, Arbeitsteilung und Zusammenarbeit untereinander bestens Bescheid wissen, die Spielregeln beherrschen und genügend unternehmerische Freiräume haben, ist die Aussicht auf Erfolg begründet. Zugleich ist zu gewährleisten, dass die nach gründlicher Diskussion getroffenen geschäftspolitischen Entscheidungen nicht immer wieder in Frage gestellt, sondern konsequent umgesetzt werden.

Dadurch, dass es in der Sparkassenorganisation selten ein Erkenntnisproblem gibt, dafür aber immer wieder mal ein Umsetzungsproblem zu beklagen ist, sind die Sparkassen zwar für manche Überraschung gut und - die Konkurrenz freut das nicht schlecht einzuschätzen. Sie könnten aber ohne Zweifel noch sehr viel besser sein, wenn es gelänge, in der Umsetzung deutlich schneller voranzukommen. In dieser Hinsicht gibt das neue Strategiepapier nicht nur zu vagen Hoffnungen, sondern sehr konkreten Erwartungen Anlass.

In vielen Häusern befassen sich die Personalabteilungen primär mit der Personalverwaltung und, wenn überhaupt, viel zu zögerlich mit der Personalentwicklung. Das ist deshalb grob fahrlässig bis sträflich, weil es als erwiesen gilt, dass die unternehmerische Qualität der Mitarbeiter den Wettbewerbsfaktor mit dem größten Gewicht darstellt; mit ihm können sich die Sparkassen am stärksten von ihren Wettbewerbern absetzen. Wie groß auch immer der Einfluss der Technik auf den Unternehmenserfolg sein mag - er ist verschwindend gering gegenüber dem Erleben eines Leistungsträgers, der in seiner Person eine gute Qualifikation mit unternehmerischen Assets (Persönlichkeit, Weitblick, Entscheidungsfreude, Wagemut, Empathiefähigkeit ...) verbindet. Dass dabei die Führungskräfte die entscheidenden "Stellhebel" sind, ist hinlänglich bekannt.

Anregungen für die Gruppe

Zu den (nicht wenigen) Aktiva der neuen Strategie gehört zweifelsohne, dass die für erforderlich gehaltenen Umsetzungsmaßnahmen noch nie so deutlich und konkret formuliert wurden. Wo hätte es das früher gegeben, dass die Sparkassen von den Verbundpartnern neben einer angemessenen Verzinsung des eingesetzten Kapitals öffentlich auch Vertriebserlöse erwarten, die sich stärker am Markt orientieren? Oder dass offen darüber gesprochen, dies sogar schwarz auf weiß festgehalten wird, dass und in welchem Maße stark fragmentierte Strukturen (Verbände, Landesbanken, Versicherer) die Schlagkraft der Sparkassen mindern und die Kosten unnötig in die Höhe treiben?

Diese Offenheit dürfte zum Teil dem Ernst der Lage geschuldet sein. Sie ist aber auch ein ermutigendes Zeichen für einen neuen Umgang miteinander. Deshalb sei an dieser Stelle auch eine Anregung gegeben, die nicht im Strategiepapier 2008/09, vielleicht aber in dem von 2015 steht. In einem Verbund, der auf Freiwilligkeit ausgerichtet ist und davon lebt, muss der Wettbewerb um die besten Ideen die Gruppe beflügeln und voranbringen. Was, wenn man den nachweislich und dauerhaft erfolgreichen Instituten sowohl eine größere Verantwortung wie einen stärkeren Einfluss auf die Weiterentwicklung der S-Finanzgruppe einräumen würde? Was, wenn man den Leitgedanken "Dienst am Verbund durch die Besten" nach spontaner Ablehnung und gehöriger Empörung bei nochmaliger Überlegung gar nicht mehr so abwegig fände? Unwahrscheinlich? Es ist eine unwahrscheinlich interessante Zeit, mit vielen Umbrüchen und unendlich vielen Chancen. Wenn die Sparkassen sie beherzt nutzen, werden sie in Deutschland die Nummer eins bleiben.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X