Aufsätze

Qualifikationsanforderungen in der Finanzbranche im Wandel der Zeit

In der Finanzwirtschaft spielt die Qualifikation der Mitarbeiter eine ganz besondere Rolle, da die Produkte der Finanzbranche anders als die der Realwirtschaft "intangibel" sind. Zur Beurteilung der Eigenschaften solcher intangiblen Produkte sind spezifische Methodenkenntnisse und analytische Fähigkeiten notwendig. Diese müssen durch entsprechende Fachqualifikationen erworben werden, wobei klassische Universitätsausbildungen die Grundlage legen, aber in der Regel nicht die gesamte notwendige Spezialisierung und Anwendungsorientierung vermitteln können und dies auch nicht sollen.

Ausbildungsbedarf für Finanzspezialisten

Bis Ende der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts war die Finanzbranche in Deutsch land und in Kontinentaleuropa stark am klassischen Bankgeschäft orientiert. Das Universalbankensystem dominierte und die Banken waren vorwiegend hierarchisch organisiert, wie das vor allem im Kreditgeschäft üblich war. Als Ausbildung hatte man einen Abschluss wie etwa einen Bankkaufmann oder -kauffrau auf der Arbeitsebene, oder für Führungsebenen akademische Abschlüsse wie Volkswirt, Betriebswirt oder in Jura erworben. Nach Eintritt in eine Bank ist man in der jeweiligen Funktion angelernt worden und hat im Zeitablauf Erfahrungen gewonnen und mehr Verantwortung erhalten. Weitere Spezialisierung durch den Erwerb besonderer Fachqualifikationen wurde nicht als notwendig erachtet.

Der Finanzmarkt wie man ihn heute kennt entwickelte sich erst in den letzten 25 Jahren. In dieser Zeit gewannen viele der heute zentralen Geschäftsbereiche stark an Bedeutung: Verbriefungen aller Formen, Derivate und auch das Wachstum im M & A-Geschäft veränderten das Investment Banking. Ebenso entstand Asset Management in spezialisierten Kapitalanlagegesellschaften in größerem Umfang. Viele Modelle zur Bewertung von Derivaten oder auch von Aktien verbreiteten sich erst in diesen Jahren, wobei auch die Entwicklung der Computer-Technologie eine große Rolle spielte. Daraus ergab sich ein neuer Ausbildungsbedarf für Finanzspezialisten, vor allem für Analysten, Investmentbanker und Asset Manager. Solche Ausbildungen wurden dann von spezialisierten Business Schools und vor allem von den Berufsverbänden der Branche angeboten.

Heute stellt der Finanzmarkt wieder neue und besondere Anforderungen an die Qualifizierung von Fach- und von Führungskräften. Zwei Beobachtungen haben sich nämlich aus den Entwicklungen der letzten Jahre ergeben. Zum einen haben sich die Produktzyklen stark verkürzt. Ob dies eine wünschenswerte Entwicklung ist, sei dahin gestellt, auch oder gerade in der Finanzbranche sollte Innovation kein Selbstzweck sein. Aber die rasante Entwicklung der Informationstechnologie führt besonders im Bereich intangibler Produkte oder Dienstleistungen zu schnelleren Veränderungen, da hier ja anders als in der Realwirtschaft keine aufwendigen Produktionsanlagen umgestellt werden müssen. Für die Mitarbeiterqualifikation in der Finanzbranche bedeutet dies, dass Detailwissen über Produkte zwar kurzfristig unabdingbar ist, aber im Zeitablauf aufgrund der sich schnell ändernden Rahmenbedingungen seine Relevanz verliert. Mit fundiertem Konzeptwissen über Verfahren und Modelle hingegen werden die Mitarbeiter in die Lage versetzt, trotz sich ändernder Ausgestaltungen neue Produkte zu entwickeln und vor allem diese auch zu beurteilen.

Zum Zweiten ist noch in Erinnerung, wie führende Bankmanager im Verlauf der Bankenkrise gesagt haben, dass sie ihre eigenen Produkte nicht mehr verstehen. Dies ist zunächst auch auf die veränderten Produktzyklen und die hohe Komplexität vieler Produkte zurückzuführen. Es wirft aber auch die Frage auf, ob nicht durch die Technisierung der letzten Jahre das Grundverständnis über die Sinnhaftigkeit bestimmter Produkte und von Finanzgeschäften überhaupt verloren gegangen ist. Das Geschäftsmodell einer Bank oder auch eines anderen Finanzdienstleisters sollte nicht nur auf der Fähigkeit zur Entwicklung immer neuer komplexer Produkte aufgebaut sein, sondern auf der Definition und Steuerung ganzer Geschäftsbereiche zum Nutzen der Kunden. Deshalb verlangt die Steuerung der Unternehmen das Verständnis für Geschäfte und Märkte in der Breite. Ein besonders gutes Beispiel für die aktuellen Veränderungen der Qualifikationsanforderungen an Fach- wie auch an Führungskräfte ist in diesem Zusammenhang das Risikomanagement in Banken.

Neue Kompetenzen im Risikomanagement

In der Finanzbranche werden Fachkenntnisse oft zur Entwicklung neuer Produkte eingesetzt, und im dynamischen Umfeld der letzten 25 Jahre wurde Risikomanagement nicht als ertragssteigernd angesehen. Eine Qualifikation, Berufsausübung und Karriere als Risikomanager erschien deshalb auch nicht besonders attraktiv. In der MaRisk wurden dann aber bereits 2005 Anforderungen an das Risikomanagement der Banken neu definiert. Dabei wurde explizit ein hohes Qualifikationsniveau der Bankmitarbeiter in diesem Bereich verlangt: "Die Mitarbeiter sowie deren Vertreter müssen abhängig von ihren Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten über die erforderlichen Kennt nisse und Erfahrungen verfügen. Durch geeignete Maßnahmen ist zu gewährleisten, dass das Qualifikationsniveau der Mitarbeiter angemessen ist." Wie so oft stellte sich aber bei solch grundsätzlichen Formulierungen die Frage nach der Umsetzung.

Inzwischen hat die Finanzkrise gezeigt, dass es in keiner Weise ausreichend ist, wenn den einzelnen Risiken in mathematischtechnischer Art einfache Kennzahlen zugeordnet werden, sei es über Valueat-Risk-Berechnungen oder mit Hilfe von externen oder internen Ratings. Deshalb muss bei Markt- und Kontrahentenrisiken die Methodik der Risikomessung neu entwickelt werden, der Konditionierung der Risiken mit Szenarien und der Kalibrierung von Stresstests kommen dabei große Bedeutung zu. Ebenso stellen sich konzeptionelle Fragen im Bereich der Messung und Steuerung von Liquiditätsrisiken, von operationellen Risiken und auch von Reputa tionsrisiken.

Sachkunde in der Anlageberatung

Ausgehend von den neuen regulatorischen Anforderungen, aber natürlich auch aus rein betriebswirtschaftlicher Notwendigkeit, ergibt sich vor allem Handlungsbedarf im Hinblick auf die Weiterentwicklung von Prozessen und Systemen der Gesamtbanksteuerung. Dabei stecken die regulatorischen und bilanziellen Anforderungen zunächst die Rahmenbedingungen ab. Das Risikomanagement einer Bank muss dann eine ganzheitliche Grundlage haben, auf der alle wesentlichen Risiken analysiert und aggregiert werden. Im Zusammenwirken mit dem übergeordneten Geschäftsmodell resultiert daraus die integrierte Steuerung und somit das Management der Bank. Ganz wesentlich ist deshalb, dass Qualifizierung nicht nur in methodischen Kenntnissen in einzelnen Themengebieten besteht, sondern insbesondere auch einhergeht mit einem grundlegenden Verständnis für das Gesamtsystem "Bank". Damit wird die Qualifizierung im Risikomanagement mehr als anderswo von einer Fachqualifizierung zu einer Führungsqualifizierung.

Während die Änderungen im Risikomanagement von Banken im Hintergrund stattfinden, stehen die neuen Regulierungsmaßnahmen bei der Anlageberatung und -vermittlung stark im Fokus der Politik und der Öffentlichkeit. Dabei handelt es sich zunächst im Schwerpunkt um organisatorische Vorgaben wie die Pflicht zur Erstellung von Beratungsprotokollen und zur Offenlegung von Provisionen. Dann findet aber derzeit auf einem Gebiet am Rande des Finanzmarktes ein Paradigmenwechsel bei den gesetzlichen Vorgaben zur Qualifizierung statt: Ab dem nächsten Jahr wird für die Vermittlung von Finanzanlagen - also im Wesentlichen von offenen und geschlossenen Fonds - außerhalb von Kreditinstituten und Finanzdienstleistungsunternehmen die Vorlage eines Sachkundenachweises vorgeschrieben. Ein solcher expliziter Nachweis von Sachkunde wurde bisher lediglich bei bestimmten Börsenhändlerzulassungen verlangt, aber ansonsten für keine Tätigkeit in der deutschen Finanzbranche.

Inwieweit Sachkundenachweise in expliziter Form auch bei der Anlageberatung in Banken und Sparkassen als angebracht oder gar notwendig erachtet werden ist offen, nach der derzeitigen Regelung ist dort ein Nachweis der Sachkunde auch implizit beispielsweise über Arbeitszeugnisse möglich. Es ist aber davon auszugehen, dass zumindest in bestimmten spezialisierten Teilbereichen - zum Beispiel bei der Anlageberatung über komplexe Produkte oder im Private Banking - sich besondere und auch dokumentierte Qualifikationen als sinnvoll erweisen können. Dies kann sich nicht nur durch fachliche Erfordernisse, sondern kann auch aus Sicherheitserwägungen im Rahmen der Compliance ergeben.

Betriebswirtschaftliche Erfordernisse werden im Privatkundengeschäft von Banken und Sparkassen zukünftig dahin führen, dass der Grad der Standardisierung erhöht werden muss. Dennoch werden für ausgewählte Mitarbeiter in der Anlageberatung und im Private Banking sogar in der Breite die fachlichen und persönlichen Anforderungen steigen. Es wird allerdings nicht einfach sein, den Kunden in diesem Land solche besonderen Qualifikationen als Gütesiegel nahezubringen, und vor allem für diese höherwertigen Dienstleistungen eine gesonderte Kompensation zu erhalten. Insofern stellen sich Aufwendungen für besondere Qualifikationen der Mitarbeiter für viele Banken und Finanzdienstleister leider immer noch mehr als Kosten denn als Investition dar.

Sparen oder Investieren in Humankapital

Qualifizierung ist immer auch eine Kostenfrage und derzeit wird gespart, bei Banken hauptsächlich zur Erfüllung von Eigenkapitalanforderungen. Investitionen in die Qualifizierung der Mitarbeiter werden vor allem in den größeren Häusern seit der Krise hinten angestellt oder sogar ganz gestrichen. Zurzeit ist eben der Bedarf an Finanzkapital noch größer als der an Humankapital. Die Branche ist in einem großen Umbruch: Wie sehen zukünftig die Geschäftsmodelle aus, und welche Mitarbeiter benötigt man dafür? Diese Fragen wurden vor 25 Jahren anders beantwortet als vor zehn Jahren, und heute haben viele noch gar keine klaren Antworten. Insbesondere bei hohen Qualifikationen gilt aber: Erst wird das Geschäftsmodell definiert, dann die Funktionen der Mitarbeiter, und danach werden Qualifizierungen geplant und durchgeführt.

In den Erwerb besonderer Fachkenntnisse beziehungsweise die Einstellung entsprechend qualifizierter Mitarbeiter muss jedoch zu einem frühen Zeitpunkt investiert werden. Die Intangibilität der Produkte der Finanzbranche verlangt heute von Beginn an hohe Fachkenntnisse im Umgang mit den Produkten, und diese Kenntnisse müssen dann im Zeitablauf in Verbindung mit Erfahrung auf die praktische Anwendung übertragen werden. Nicht nur wegen der zunehmenden Regulierung, sondern aus Gründen der unternehmerischen Vernunft wird im Finanzmarkt noch mehr Ausbildung gebraucht, noch mehr qualifizierte Mitarbeiter und auch Führungskräfte. Neben dem adäquaten Umgang mit ethischen und regulatorischen Anforderungen ist die Qualifikation vielleicht das wichtigste Element zur Neugestaltung einer starken Finanzbranche.

Die zentralen Bausteine der Finanzbranche sind Finanzkapital, Liquidität, Glaubwürdigkeit und Humankapital. Dabei ist das Humankapital - also Qualifikation, Engagement und Verantwortungsbewusstsein der Mitarbeiter - mittel- und langfristig vielleicht sogar der wichtigste Baustein, da er über die Ausgestaltung der anderen drei mitbestimmt. Deshalb ist die Investition in die Qualifikation der Mitarbeiter im Finanzmarkt von elementarer Bedeutung - für die Mitarbeiter selbst, für das einzelne Unternehmen, und für die Branche insgesamt.

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