Aufsätze

Ratingagenturen: Verstaatlichen statt beaufsichtigen

Wer prüft die Prüfer? Spätestens seit der Eskalation der Finanzmarktkrise nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im Herbst 2008 gewinnt diese Frage zunehmend an Brisanz und wird von den Regierungen und Aufsichtsbehörden der führenden Wirtschaftsnationen intensiv diskutiert. Schließlich dürfte kein unabhängiger Beobachter des globalen Finanzsystems bestreiten, dass die großen, weltweit agierenden Ratingagenturen ein erhebliches Maß an Mitverantwortung für die gegenwärtige Krise tragen. Eigentlich verwunderlich, denn mit ihren Bonitätsurteilen sollten diese Agenturen doch dazu beitragen, Risiken transparenter und damit für Investoren kalkulierbarer zu machen.

Einfachheit und Orientierung

Die Schuldner wiederum haben ein nachvollziehbares Eigeninteresse an einem möglichst guten Rating, weil sich mit einer hervorragenden Bonitäts-Einschätzung günstiger Fremdkapital akquirieren lässt. Dank einer denkbar einfachen Benotungsskala vom exzellenten "Aaa" bis hin zum hochspekulativen "C" erschließen sich Ratings vermeintlich sehr schnell auch den finanzwirtschaftlich nicht vorgebildeten Zeitgenossen. In einer Welt mit zahlreichen komplexen Finanzkonstruktionen versprechen Ratings daher Einfachheit und Orientierung. Soweit die Theorie. Doch wie stellt sich die Praxis dar?

Vor wenigen Wochen meldete sich der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Jochen Sanio, mit einem bemerkenswerten Statement zu Wort. Nach seiner Einschätzung sind vor allem die Ratingagenturen schuld an der Krise. Viel zu lange hätten sie Fonds zu gut eingeschätzt, die letztlich Müll gewesen seien. Die potenziellen Gefahren der Wirkung von Ratings waren lange vor dem Ausbruch der Finanzkrise offenkundig. Immerhin hatte BaFin-Chef Sanio schon vor mehreren Jahren erklärt, die Ratingagenturen seien "die größte unkontrollierte Machtstruktur im Weltfinanzsystem". Jüngst äußerte er, diese hätten das Rating strukturierter Produkte als "Profitmaschine" betrieben und dabei ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Und hier soll jetzt bessere Aufsicht ansetzen? Glückwunsch zu dieser Herkulesaufgabe! Es darf bestritten werden, dass diese gelingen kann.

Mutige Konsequenzen oder nur Placebos?

Sogar in den USA, wo die drei einflussreichsten und marktbeherrschenden Ratingagenturen Standard & Poor's, Moody's und Fitch ihre Hauptsitze haben, wird inzwischen eingeräumt, das Geschäftsmodell sei gescheitert. "Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass wir sie nicht brauchen. Aber in der jetzigen Form können die Ratingagenturen nicht weiter existieren", sagte Anfang des Jahres die neue Leiterin der US-Börsenaufsicht SEC, Mary Schapiro. Konkret konzentrieren sich die Überlegungen in den Vereinigten Staaten und Europa darauf, die Ratingagenturen stärker zu regulieren und sie durch die nationalen Aufsichtsbehörden strenger zu kontrollieren. Aber handelt es sich dabei wirklich um eine stringente und zukunftsweisende Lösung? Oder doch nicht eher um eine Art Placebo, weil die Regierungen vor der an und für sich logischen Konsequenz aus dem gescheiterten Geschäftsmodell und Marktversagen zurückschrecken?

Und diese Konsequenz kann eigentlich nur lauten: Wir brauchen staatliche Ratingagenturen! Verfechter absolut freier Märkte mit möglichst geringem Staatseinfluss mögen derlei Ansinnen mit Verve zurückweisen, aber bei einer pragmatischen Betrachtung der Thematik spricht viel für eine solche Lösung, auch wenn sie sich kurzfristig nicht umsetzen lässt.

Woran ist das bisherige Geschäftsmodell der Ratingagenturen gescheitert? Zum einen an einem geradezu systemimmanenten Widerspruch: Wie aussagekräftig ist eine Bonitätsnote, wenn sie vom Schuldner selbst in Auftrag gegeben und bezahlt wird? Wie aussagekräftig sind Bonitätsnoten, wenn die Auftraggeber sich in den Techniken der Kosmetik von Ratings von den Agenturen schulen lassen? Genau dies ist gängige Praxis. Der Prüfling finanziert sozusagen seine eigenen Prüfer. Man mag an dieser Stelle einwenden, dass ein Rating grundsätzlich unverbindlich sei. Das trifft zweifellos zu, doch stellt sich dann sogleich die Sinnfrage: Wozu bedarf es Agenturen, wenn deren Bonitätseinschätzungen ohnehin nur unverbindlichen Charakter haben? Zwar werden die Urteile der Agenturen nicht gleichsam unbesehen übernommen und sollten generell nur eine Entscheidungshilfe, keinesfalls aber einen

Entscheidungsersatz darstellen. Die Verwendung externer Bonitätseinschätzungen enthebt keine Bank von der Verpflichtung zum eigenen Urteil. Realistisch betrachtet, lässt es sich indessen kaum bestreiten, dass den Ratings ein sehr hohes Gewicht zukommt. Sie können, wie die aktuellen Beispiele drastisch belegen, im Extremfall sogar wesentlich dazu beitragen, eine weltweite Finanzkrise auszulösen. Prof. Otmar Issing, ein Mann, der seine Worte mit Bedacht wählt, hat die Ratingagenturen immerhin "Brandbeschleuniger" genannt.

Von Wettbewerb keine Rede

Bonitätsurteile dürfen vor diesem Hintergrund durchaus als "systemrelevant" bezeichnet werden. Wenn dem so ist, macht es allemal mehr Sinn, die Ratingagenturen zu verstaatlichen und sie direkt zu einem Teil des staatlichen Beurteilungssystems werden zu lassen, als sie unter verfeinerte behördliche Aufsicht zu stellen. Erst dann ist die "Profitmaschine", die die Finanzmärkte an den Abgrund geführt hat, wirklich abgestellt.

Der Ruf nach dem Staat, der dann eine weitere hoheitliche Aufgabe wahrnimmt, erfolgt nicht leichtfertig, aber eine zielführende Alternative durch Perfektionierung der Aufsicht gibt es nicht. Regulierungsziel ist die Interessenkonfliktvermeidung, welches sich im künftigen Geschäftsmodell und in der Organisation niederschlagen soll, gewollt ist mehr Transparenz. Dennoch wird der Anreiz, mit Ratingagenturen Geld verdienen zu wollen nicht unterbunden, ja kann/soll nicht unterbunden werden.

Die Ratingagenturen, deren momentane Lobbystrategie Demut ist, werden auch künftig die Macht des Oligopols ausspielen: Sie werden nicht nur Urteile abgeben, sondern weiter aktiv Strukturpolitik betreiben - wie heute im Landesbankensektor -, eine Rolle, die ihnen nicht zusteht. Wer bezahlt sie dafür, sich gegen das erfolgreiche Geschäftsmodell unabhängiger Sparkassen zu positionieren? Und sie werden weiter mit unbestellten Ratings operieren und den dezenten Fingerzeig geben, dass es doch besser wäre, sie offiziell zu beauftragen. Immerhin: Die neuen Vorschriften sehen ein Verbot von Beratung bei Strukturierung von Produkten und anschließender Bewertung vor - soweit die Theorie. Wird die Realität dem folgen?

Es soll Organisationsvorschriften, operationelle Vorschriften, Transparenz- und Darbietungsvorschriften geben. Mit den Transparenzvorschriften sollen die Ratingagenturen offenlegen, mit welchen Unternehmen sie welche Umsätze machen. Ist es da nicht auch für die Unternehmen charmanter, mit einer staatlichen Ratingbehörde zu arbeiten? Und: Durch die komplizierten und aufwendigen neuen Regelungen wird kein neuer Marktteilnehmer zum Eintritt ermutigt, im Gegenteil: Das Oligopol reibt sich die Hände - wer dieses Mehr an Regulierung bezahlt, ist auch klar.

Haftungsfragen

Das führt schon zu Haftungsfragen: Sollte der Staat es sich wirklich mit einer staatlichen Ratingbehörde als Teil der Aufsicht antun, für die Richtigkeit von Ratings geradezustehen? Gegenfrage: was tut er heute anderes? Für den "Systemfehler Ratingagentur" zahlen alle! Eines sei gerne eingeräumt: Staatliche Ratingurteile sind nicht notwendigerweise qualitativ besser, gleichwohl freier von privaten Gewinninteressen. Auch soll nicht behauptet werden, dass eine Behörde ganz frei von Interessen ist, nur: Der Aufbau einer Flutwelle durch private Interessen, wie sie sich bei der Finanzmarktkrise gezeigt haben, kann wohl ausgeschlossen werden.

Sicher wäre es reichlich naiv zu glauben, eine Verstaatlichung der Ratingagenturen ließe sich in überschaubarer Zeit umsetzen. Schon gegen die bisherigen Pläne einer verschärften Regulierung und Aufsicht laufen die drei führenden Agenturen Sturm. Immerhin haben sie es geschafft, sich auch künftig von Haftungsansprüchen weitgehend freizumachen. Wem es ernst ist mit der viel beschworenen Absicht, alles zu tun, um Finanzkrisen von ähnlicher Dramatik künftig zu vermeiden, sollte keine Denkverbote auferlegen. Wenn ein Mechanismus Schaden verursacht, hilft eine Reparatur oft nicht mehr weiter. Man muss ihn ersetzen, damit die Dinge wieder rund laufen.

Bertram Theilacker , Mitglied des Vorstands , Nassauische Sparkasse (Naspa), Wiesbaden
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