Interview

Redaktionsgespräch mit Hermann Remsperger - "Die Bundesbank ist sowohl gefragt als auch gefordert."

Herr Remsperger, wie fühlt sich die Deutsche Bundesbank in diesen bewegten Zeiten?

In bewegten Zeiten kommt es darauf an, etwas zu bewegen, wenn die Probleme es erfordern. Unsere Erfahrung in der Bankenaufsicht, aber auch in der Geldmarktsteuerung, waren in den letzten Wochen ganz besonders hilfreich. Darüber hinaus gehört es ja zu den Hauptaufgaben der Deutschen Bundesbank, sich der globalen Finanzstabilität zu widmen.

Auch im Blick zurück zeigen sich überdeutlich die globalen Konsequenzen von Entwicklungen, die zunächst nur lokal begrenzt erschienen. In diesem Falle waren das die USA - genauer die Turbulenzen auf einem Teilsegment des amerikanischen Hypothekenmarktes, die auf die globalen Märkte übergriffen.

Das heißt, die Deutsche Bundesbank wird gebraucht und gefordert?

Sie haben Recht. Die Bundesbank ist sowohl gefragt als auch gefordert. In den letzten Wochen war das freilich besonders ausgeprägt. Denn die Bundesbank konnte aus ihren unterschiedlichen Perspektiven heraus zu den aktuellen Herausforderungen wichtige Beiträge leisten. Eine sehr große Rolle spielt dabei unsere Erfahrung aus der Umsetzung der europäischen Geldpolitik sowie aus unseren laufenden Kontakten zu den Banken und Finanzmärkten. Gerade das hat bei der Einschätzung der aktuellen Lage sehr viel geholfen.

In welchen Gremien berät man sich? Und welche Rolle kommt Ihnen dabei zu?

Der Austausch erfolgt auf den verschiedensten europäischen und internationalen Ebenen. Am zweiten Septemberwochenende fanden beispielsweise die Sitzungen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) statt. Wir haben uns mit den internationalen Gesprächspartnern intensiv über die globalen Finanzmarktentwicklungen ausgetauscht. Das gilt auch für das Committee on the Global Financial System. Dort ist es einerseits meine Aufgabe, die Situation in Deutschland darzustellen. Andererseits beeinflussen wir aber auch die internationale Diskussion. Ich darf wohl sagen, dass die Stimme der Bundesbank auch wegen ihrer stabilitätspolitischen Reputation und wegen des Gewichts der deutschen Volkswirtschaft von erheblicher Bedeutung ist. Unser Präsident gibt dieser Stimme einen besonderen Nachdruck.

Das klingt nach einem ordentlichen Maß an Verantwortung?

Das stimmt, der Druck und die Verantwortung in den internationalen Gremien sind groß. Deswegen legen wir auch so viel Wert auf die akribische Vorbereitung für solche Sitzungen durch unsere Experten in der Bank.

Wie schaffen Sie den Spagat, einerseits die deutschen Interessen zu vertreten und andererseits den Anforderungen der globalen Entwicklung gerecht zu werden?

Indem ich mich vor dem Spagat erst einmal in das jeweilige Thema hineinknie. Wird beispielsweise über die Reform der IWF-Quoten diskutiert, ist es klar meine Aufgabe, deutsche Interessen zu vertreten, denn Mitglieder des Internationalen Währungsfonds sind bekanntlich Länder. Die Diskussion in diesen Gremien, so politisch sie auch geprägt sein mag, hat aber auch eine starke analytische Komponente. Es gehen also gleichermaßen politische und wissenschaftliche Argumente ein. Sie schließen sich ja auch nicht unbedingt gegenseitig aus.

Das heißt, Sie können analytisch auch eine Position gegenüber der Politik aufbauen?

Wenn es notwendig ist, ja. Aber bitte keine Missverständnisse. Die Zusammenarbeit mit Staatssekretär Mirow zum Beispiel gehört zu den erfreulichen Aspekten meines Alltags in der unendlichen Vielfalt der internationalen Gremien. Aufgabe der Politik ist es letztlich, Entscheidungen auf einer analytisch fundierten Basis zu treffen.

Sollten nach Ihrer Erfahrung bei der Bundesbank und früher bei der BHF-Bank politische Entscheidungen noch stärker analytisch fundiert sein?

Eine stärkere analytische Durchdringung ist sicherlich immer sinnvoll und durchaus auch zu beobachten, beispielsweise bei der Debatte über die Turbulenzen an den Finanzmärkten. Freilich kann man auch hier auf unterschiedliche Ansätze zurückgreifen. So gibt es immer noch eine gewisse Konkurrenz zwischen einem bankbasierten und einem eher finanzmarktorientierten Analyse-Modell. Da die Finanzmärkte immer komplexer werden, kommt es umso mehr darauf an, die Stabilitätsanalyse auf realitätsnahen Annahmen aufzubauen.

Muss es immer erst Krisen geben, bis solche Einsichten reifen?

Nein, die Turbulenzen in den letzten Wochen haben aber dazu geführt, bestimmte Fragen neu aufzurollen. Die Bundesbank hat bereits seit einiger Zeit auf mögliche Probleme auf dem amerikanischen Hypothekenmarkt hingewiesen - womit nicht behauptet werden soll, wir hätten alles genau vorausgesehen. Es wurde auch viel über die Suche nach Rendite und die erhöhten Anforderungen an das Risikomanagement geschrieben. Neu an der aktuellen Entwicklung waren vor allem die erheblichen Auswirkungen auf dem Interbankenmarkt. Eine entscheidende Frage für uns ist nun, ob die Probleme zwangsläufig mit dem Verbriefungsprozess für komplex strukturierte Produkte verbunden sind, oder ob sie aus Übertreibungen in bestimmten Marktsegmenten herrühren.

Und wie ist Ihr Urteil aus heutiger Sicht?

Vor allzu schnellen Bewertungen ist zu warnen. Gleichwohl möchte ich festhalten, dass die Verwerfungen am Subprime-Segment des amerikanischen Hypothekenmarktes unmittelbar mit dem Auslaufen des Immobilienbooms in den USA zusammenhängen.

Es ist auch nicht zu bestreiten, dass spezielle Finanzierungsformen in den USA und anderswo zu Übertreibungen am Immobilienmarkt beigetragen haben. Ein Problem lag schon am Beginn der langen Wertschöpfungskette bei der Kreditvergabe. Oft wurde nicht genügend auf die Bonität des Kreditnehmers geachtet, denn die Maxime hieß: "originate to distribute". Statt also die Kredite in den eigenen Büchern zu halten, werden diese oder zumindest die Kreditrisiken direkt an Investoren weitergereicht. Kurzum, die Risiken stecken nicht mehr unbedingt dort, wo man sie vermutet. Das macht die Einschätzung von Stabilitätsrisiken sowohl auf nationaler Ebene als auch für das internationale Finanzsystem schwieriger. Bei mangelnden Informationen fällt es aber auch den Marktteilnehmern schwer, Risiken richtig zu bewerten. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die Forderungen nach mehr Transparenz im Verbriefungsprozess lauter werden, und zwar länderübergreifend.

Darüber hinaus möchte ich gerade aus deutscher Sicht betonen, dass sich die Probleme am amerikanischen Hypothekenmarkt im Bereich der Finanzierung zu variablen Zinsen ballen. Und schließlich kommt hinzu, dass der überwiegende Teil der US-Problemkredite in Form von sogenannten "Asset Backed Securities" am Markt platziert worden sind. Angesichts der verschlechterten Risikoeinschätzung führte dies zu erheblichen Refinanzierungsschwierigkeiten und Belastungen für die hinter den Zweckgesellschaften stehenden Finanzinstitute.

Darunter leiden nun auch deutsche Banken: Sieht man die Probleme auf amerikanischer Seite auch so dezidiert?

Keiner meiner amerikanischen Kollegen käme auf die Idee zu sagen: Das sind zwar unsere Hypotheken, aber eure Probleme. Es muss gemeinsam nach Möglichkeiten für eine höhere Transparenz im Verbriefungsprozess und dem Transfer von Risiken gesucht werden, um mehr über die Verteilung von Risiken zu erfahren. Das gilt natürlich auch für sogenannte "Conduits", also Zweckgesellschaften, die "aus kurz lang machten", ohne die Liquiditätsrisiken aus der Fristentransformation ausreichend zu berücksichtigen.

Steht Deutschland im Brennpunkt der Diskussionen oder wird das Ganze eher als globales Problem gesehen?

Die Diskussionen haben sich keineswegs allein auf Deutschland konzentriert. Das gilt gerade auch für die "Conduits".

Ich habe dabei immer wieder darauf aufmerksam gemacht, wie unterschiedlich die heimische Kreditentwicklung von Land zu Land gewesen ist. In den letzten Jahren gab es im Euroraum und darüber hinaus eine Reihe von Ländern mit einer sehr starken Kreditexpansion, während in Deutschland die Kreditvergabe über Jahre mehr oder minder stagnierte. Dieser makroökonomische Hintergrund hat mit dazu beigetragen, dass Institute verstärkt geschaut haben, was man im Ausland kaufen kann, um bessere Margen zu erzielen.

Aber per se ist doch nichts gegen Kreditverbriefung zu sagen, schließlich kann dadurch das Risiko verteilt und vermindert werden.

Das ist sicher richtig, aber die Antwort auf die Frage nach der Bedeutung des Kreditrisikotransfers und der Verbriefungen für die Stabilität des Finanzsystems bleibt schwierig. Einerseits spricht vieles dafür, dass Verbriefung und Handelbarkeit von Kreditrisiken eine breitere Risikostreuung zur Folge haben und so die Stabilität des Finanzsystems verbessern. Dieser positive Effekt hängt andererseits aber ganz entscheidend von einem umsichtigen Risikomanagement ab, das auch der wechselseitigen Abhängigkeit von Risiken, etwa von Liquiditäts- und Geschäftspartnerrisiken, Rechnung trägt. Denn mit dem Transfer von Kreditrisiken sinkt die Transparenz über die Verteilung der Kreditrisiken - und auch der damit verbundenen anderen finanziellen Risiken.

Wie bringt man die verkaufenden Institute dazu, bei der Kreditwürdigkeit sorgfältiger zu prüfen?

Mir scheint, die Probleme sind erkannt. Die Institute werden das Risikomanagement verbessern.

Auch in den USA ist eine Diskussion in Gang gekommen, wie man bei der Kreditvergabe und bei Verbriefungen zu mehr Sorgfalt beitragen kann. Beispielsweise wird überlegt, diesen Bereich schon früh einer Aufsicht zu unterstellen. Für konkrete Ergebnisse ist es aber noch zu früh.

Wie arbeiten die Notenbanken, die EZB, zusammen? Wer ist auf dieser Ebene gefordert?

Als Gremium mit Schwerpunkt Finanzstabilität gibt es auf europäischer Ebene den sogenannten Financial Stability Table, der beim Wirtschafts- und Finanzausschuss angesiedelt ist. An diesem Tisch sitzen nicht nur Notenbankvertreter, sondern auch Ministerien und die verschiedenen EU-Gremien der Finanzaufsicht. Die Notenbanken beraten sich zudem bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Als übergeordnete Stelle gibt es das Financial-Stability-Forum, das von Hans Tietmeyer im Auftrag der G7 konzipiert wurde, und das Committee on the Global Financial System. In diesen Gremien wird gemeinsam und konkret zu überlegen sein, welche Lehren aus der derzeitigen Entwicklung zu ziehen sind und insbesondere wie Verbriefungsprozesse transparenter gestaltet werden können. Es gibt also genügend Foren, die sich ganz intensiv mit den Finanzproblemen beschäftigen und nach Lösungen suchen. Die institutionelle Infrastruktur ist da und bedarf keiner Ergänzung.

Die Entstehung der Krise in den USA hing mit dem Liquiditätsüberschuss zusammen, mit dem das Wirtschaftswachstum gefüttert wurde. Hätte man aus heutiger Sicht etwas anders machen müssen?

Ihre Frage ist schon deshalb wichtig, weil man jetzt die unterschiedlichen Ursachen überprüfen muss, die zu den Veränderungen und Verwerfungen an den Finanzmärkten geführt haben. Aus meiner Sicht stehen die globalen Ungleichgewichte durchaus in einem Zusammenhang mit den heutigen Problemen. Ersparnisüberschüsse in einem Teil der Welt wurden in einem anderen Teil der Welt, nicht zuletzt in den USA, angelegt und haben dort den Kapitalmarktzins niedrig gehalten. Damit ging eine niedrige Risikoaversion einher. Die Erfahrung lehrt uns jetzt, dass ein Ersparnisüberschuss (Savings-Glut) nicht unbedingt vor einer Liquiditätsklemme schützt.

Ein weiterer Punkt betrifft den Zusammenhang zwischen Marktliquidität einerseits und der monetären Liquidität andererseits. Es war zu beobachten, dass in Zeiten einer relativ akkommodierenden Geldpolitik, sprich reichlich vorhandener monetärer Liquidität, die Marktliquidität überproportional gestiegen ist. Als dann die monetäre Liquidität in den USA allmählich zurückgeführt wurde, hat sich das wiederum überproportional bei der Marktliquidität gezeigt - und zwar in der entgegengesetzten Richtung. Ich sehe also durchaus einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Entwicklungen.

Gibt es weitere Lehren?

Auf jeden Fall. So ist zu betonen, dass mit den raschen und manchmal abrupten Veränderungen auf den Finanzmärkten die geldpolitische Kommunikation noch schwieriger wird. Zudem müssen wir uns analytisch stärker als früher mit dem Kreditangebotsprozess beschäftigen. Es gibt weltweit, nicht nur für den Euroraum, sehr viele Studien über die Stabilität der Geldnachfrage. Aber was all die Veränderungen auf den Finanzmärkten für das Geld- und Kreditangebot bedeuten, letztlich für den Kreditschöpfungsmultiplikator, ist noch nicht gut genug durchdrungen. Kurzfristig ging es freilich darum, den Geldmarkt zu normalisieren und funktionsfähig zu halten.

Sehen Sie die Ratingagenturen in der Verantwortung?

Auch hier rate ich vor Schnellschüssen in der Antwort ab. Ratingagenturen beurteilen die Ausfallwahrscheinlichkeit von Forderungen (und Emittenten) und verdichten diese Einschätzung in einem Ratingurteil. Sie sollen mit dieser Komplexitätsreduktion einen Beitrag zur Transparenz und damit für das Funktionieren der Märkte leisten. Die traditionelle Ratingskala für Bonds wurde jedoch auf immer kompliziertere, strukturierte Finanzinstrumente angewandt. Für diese Papiere beschreiben die eindimensionalen Ausfallratings jedoch nur einen Ausschnitt aus dem Gesamtrisiko. Daher dürfte es sinnvoll sein, nicht nur die Ratingmethodik für strukturierte Finanzierungen weiterzuentwickeln, sondern die Ergebnisse auch auf einer eigenen Ratingskala darzustellen. Das würde mehr Klarheit schaffen und verhindern, dass Investoren und Finanzinstitute bei formaler Beachtung von Anlagevorschriften materiell größere Risiken eingehen als beabsichtigt.

Greifen die aktuellen Verwerfungen auf die Realwirtschaft über?

Die Bundesbank ist der Auffassung, dass der Aufschwung trägt. Sie hat ihr positives Gesamtbild für die Konjunktur 2007 nicht verändert. Aber je weiter man dann in die Zukunft blickt, umso stärker nehmen die Unsicherheiten zu. Wie groß die Rückwirkungen auf die Realwirtschaft am Ende sein werden, dürfte ganz entscheidend davon abhängen, wie lange die Probleme im Finanzsystem anhalten. Derzeit kann noch nicht genau abgeschätzt werden, was die finanziellen Entwicklungen für die USA und Europa realwirtschaftlich bedeuten.

Die Weltwirtschaft ist in den letzten Jahren mit Raten von rund fünf Prozent gewachsen. Jetzt dürften die Wachstumsraten etwas geringer ausfallen. Insgesamt haben sich die Aussichten in unserem Basisszenario 2008 für die Weltwirtschaft und auch für Europa einschließlich Deutschland nicht grundlegend verändert. Aber die Risiken sind gestiegen, vor allem in den USA. Für die ohnehin kräftig wachsenden Schwellenländer - die nicht Auslöser der Probleme waren, aber mit Blick zum Beispiel auf China Teil der Ungleichgewichte sind - bleibt der insgesamt positive Ausblick erhalten.

Das alles wird auch auf der anste henden IWF-Tagung in Washington zu besprechen sein: Sind Sie mit den Fortschritten hinsichtlich der Ausrichtung von IWF und Weltbank zufrieden? Wie steht es beispielsweise mit einer zukunftsweisenden Regelung der Stimmrechte? Die angemessene Berücksichtigung des dynamisch gewachsenen weltwirtschaftlichen Gewichts einzelner Länder - insbesondere auch der Schwellenländer - ist wichtig, um die Akzeptanz des IWF als zentrales Forum der internationalen monetären Zusammenarbeit zu stärken. Allerdings müssen auch die stark gewachsenen und eng in den internationalen Handel eingebundenen EU-Länder, die zum Teil deutlich unterrepräsentiert sind, angemessen einbezogen werden. Die Quotenverteilung hat mit dieser Entwicklung nicht Schritt gehalten. Insofern halten wir die Anpassung der Quoten und Stimmrechte an die neuen wirtschaftlichen Realitäten für ein zentrales und politisch sehr wichtiges Element der IWF-Reformdiskussion.

Bis wann darf mit Ergebnissen gerechnet werden?

Die Quotenreform soll spätestens bis zur Jahrestagung im Herbst 2008 abgeschlossen werden. Da die Positionen der IWF-Mitglieder weit auseinander liegen, ist derzeit noch nicht absehbar, ob bereits Ende Oktober 2007, also auf der anstehenden Jahrestagung von IWF und Weltbank, eine Entscheidung herbeigeführt werden kann. Nach Ansicht der Bundesbank darf es hier jedoch keine Kompromisse um jeden Preis geben. Zur Erzielung einer tragfähigen Lösung ist es insbesondere wichtig, dass der IWF als monetäre Institution erhalten bleibt und seine grundlegenden Prinzipien wie Gleichbehandlung und faire Lastenteilung zwischen den Mitgliedern beachtet werden.

Welche Gewichtung der Variablen Bruttoinlandsprodukt, Offenheit der Volkswirtschaft, Währungsreserven und/oder Variabilität der Leistungsbilanzeinnahmen hält die Bundesbank in der Quotenformel für sinnvoll?

Nach Auffassung der Bundesbank ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu Marktpreisen ein wichtiger Indikator für das weltwirtschaftliche Gewicht eines Landes und für dessen Fähigkeit, zur Finanzierung des IWF beizutragen. Dabei sollte das in Landeswährung berechnete BIP wie bisher mit dem jeweiligen Wechselkurs umgerechnet werden. Eine Berechnung des BIP in der Quotenformel mit Kaufkraftparitäten, wie insbesondere von vielen Schwellen- und Entwicklungsländern gefordert, wäre dagegen nicht sachgerecht, da der IWF eine monetäre Institution ist und die internationalen Handels- und Finanztransaktionen zu Marktpreisen abgerechnet werden. Wegen der internationalen Orientierung des IWF und seiner Konzentration auf Zahlungsbilanzfragen sollte außerdem die Offenheit eines Landes weiterhin eine große Bedeutung haben.

Halten Sie auf dieser Basis tragbare Kompromisslinien mit den Schwellenländern für möglich?

Ja, die zunehmende weltwirtschaftliche Bedeutung einiger dynamisch wachsender Schwellenländer muss und wird sich ohne Zweifel in der Struktur des IWF widerspiegeln. Indessen muss der zunehmende Einfluss auch mit einer besonderen Verantwortung einhergehen, wozu vor allem die Verantwortung für internationale Finanzstabilität zählt. Dies gilt aber auch im Hinblick auf eine konstruktive Rolle bei der Suche nach Kompromissen und der Lösung globaler Probleme.

Behindern die monatelangen Diskussionen um die Besetzung der Spitzenpositionen die zielführende Sacharbeit?

Nein, der Fluss von Informationen und Dokumenten vom IWF ist ungebremst. Es ist nicht zu sehen, dass irgendetwas stockt. Aber der Prozess der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung ist ohnehin lang gestreckt. Er läuft aber auch in Phasen der Neubesetzung von Spitzenpositionen weiter.

Sinkt der Einfluss des alten Europa im IWF?

Unser Einfluss bleibt dann groß, wenn wir uns substanziell einig sind. So konnten wir gerade durchsetzen, dass die neue Realität der Europäischen Währungsunion in den Analysen des IWF hinsichtlich der externen Stabilität explizit berücksichtigt wird. Natürlich weiß ich auch, dass der Einigung in der Substanz gelegentlich schwierige Verfahrensfragen vorausgehen, die aber lösbar sind.

Wie sehen Sie aktuell die Rolle des IWF bei der Überwachung der Wirtschafts- und Währungspolitik?

Die sogenannte Surveillance ist die zentrale Aufgabe des IWF. Sie soll künftig noch mehr ins Zentrum seiner Aktivitäten gerückt und effizienter gestaltet werden, insbesondere durch eine Konzentration auf Finanzstabilitätsfragen, Wechselkursanalysen und eine stärkere Berücksichtigung der Auswirkungen nationaler oder supranational vereinheitlichter Wirtschafts- und Währungspolitik auf andere Länder und Regionen. Hierbei sollte der IWF nach Auffassung der Bundesbank weiterhin die Rolle eines vertrauenswürdigen Beraters, aber nicht die eines weisungsgebenden Schiedsrichters einnehmen. Hauptansatzpunkt der Surveillance-Aktivitäten des IWF sind die regelmäßigen Artikel IV-Konsultationen sowie der halbjährliche World Economic Outlook und Global Financial Stability Report.

Gibt es über diese allgemeinen Positionsbestimmungen hinaus konkrete Fortschritte bei der Surveillance?

Die gibt es durchaus. Im Juni 2007 wurde nach langen Verhandlungen die alte IWF-Richtlinie zur Überwachung der Wechselkurspolitik aus dem Jahre 1977 durch eine neue ersetzt, die nun im Rahmen der Artikel IV-Konsultationen angewendet wird.

... und mit der sind Sie uneinge schränkt glücklich?

Angesichts des relativ kurzen Erfahrungszeitraums ist es für eine abschließende Bewertung noch zu früh. Die neue Richtlinie stärkt aber die IWF-Überwachungstätigkeit und definiert sie als Kernaufgabe, ohne neue Verpflichtungen für Mitgliedsländer zu begründen. Insbesondere zwei Neuerungen sind hervorzuheben: Erstens erfolgt nun eine stärkere Konzentration auf die externe Stabilität. Dabei ist Einvernehmen erzielt worden, dass die externe Stabilität durch interne Stabilität zu erreichen ist und durch wechselkurspolitische Maßnahmen nicht gefährdet werden darf. Nach Auffassung der Bundesbank gilt es dabei zu beachten, dass der IWF - sofern er sich bei der Analyse der externen Stabilität auf Modelle zur Berechnung von Gleichgewichtswechselkursen stützt - mit wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen sehr vorsichtig sein sollte, da für die Berechnung von Gleichgewichtswechselkursen eine Vielfalt von methodischen Ansätzen herangezogen werden, die durch ein hohes Maß an Unsicherheit gekennzeichnet sind.

Zweitens werden nun die Besonderheiten von Währungsunionen stärker berücksichtigt. Dies war für die Bundesbank - wie schon angedeutet - ein wichtiger Punkt. Es ist nun klargestellt worden, dass für die Europäische Währungsunion der angemessene Ansatzpunkt bei der Beurteilung der externen Stabilität und des Wechselkurses die Währungsunion als Ganzes ist, also nicht einzelne Länder.

Und wie steht es um die diskutier te Kreditfazilität für Schwellenländer? Ist die Skepsis der Bundesbank ungebrochen?

Die Bundesbank bekräftigt, dass Länder mit einem akuten Zahlungsbilanzproblem wie bisher eine angemessene Unterstützung durch den IWF erhalten sollten, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind. Hierfür stehen dem IWF die erforderlichen Instrumente bereits zur Verfügung.

In der Frage einer speziellen vorsorglichen Kreditfazilität für Schwellenländer sind aber nach wie vor viele zentrale Punkte ungeklärt. Angesichts der vorgesehenen Automatik der Ziehungen ist nicht zu erkennen, wie eine hinreichende Konditionalität erreicht werden kann. Diese ist aber unverzichtbar, allein schon um die einheitlich - für alle Länder gleichermaßen niedrigen IWF-Zinsen zu rechtfertigen. Außerdem bestünde für Länder, die keinen Zugang zu dieser Fazilität bekommen beziehungsweise ihn wieder verlieren, das Risiko negativer Signalwirkungen an den Märkten. Im Fall eines vorab garantierten Zugangs zu IWF-Mitteln würde auch das Moral-Hazard-Problem deutlich über das bei normaler IWF-Unterstützung vorhandene Maß hinausgehen. Und schließlich würden in erheblichem Umfang IWF-Mittel gebunden, die anderen Ländern im Krisenfall nicht zur Verfügung stünden.

Der starke Rückgang der regulären Kreditvergabe beschert dem IWF niedrigere Zinseinnahmen und greift die Rücklagen an. Wie positioniert sich die Bundesbank bezüglich der Reform der IWF-Einnahmenbasis?

Die dem IWF-Exekutivdirektorium Anfang 2007 vorgelegten Vorschläge zur langfristigen Finanzierung des IWF werden derzeit eingehend in den internationalen Gremien geprüft. Nach Auffassung der Bundesbank sollte der künftige Einkommensmechanismus eng mit den aus dem Kernmandat des Fonds abgeleiteten Aufgaben verbunden sein. Auch weitere Einsparungen auf der Ausgabenseite müssen unbedingt Teil eines Finanzierungspakets sein.

Spricht aus dieser Antwort eine latente Unzufriedenheit der Bundesbank mit der Aufgabenabgrenzung von Weltbank und IWF?

Die Bundesbank setzt sich seit langem dafür ein, dass der IWF sich stärker auf sein monetäres Mandat konzentrieren sollte. Insofern ist der im Februar 2007 vorgelegte Bericht über die Zusammenarbeit zwischen IWF und Weltbank unter dem Vorsitz des ehemaligen brasilianischen Finanzministers Pedro Malan ausdrücklich zu begrüßen. Aus Sicht der Bundesbank wäre insbesondere ein Rückzug des IWF aus der Armutsbekämpfung, für die die Poverty Reduction and Growth Facility (PRGF) geschaffen wurde, wünschenswert. Dagegen weist die Einführung des im Oktober 2005 eingeführten Policy-Support-Instrument in die richtige Richtung; mit diesem Instrument wird keine finanzielle, sondern allein beratende Unterstützung bei der Gestaltung und Umsetzung der Wirtschaftspolitik von Entwicklungsländern gewährt.

Außerdem muss dort, wo der IWF in Entwicklungsländern im Einklang mit seinem monetären Mandat engagiert bleibt, die effiziente Kooperation mit der Weltbank sichergestellt werden. Letztlich ist die Weltbank und nicht der IWF die entscheidende Institution, um Entwicklungsländern bei der Koordinierung ihrer Politiken mit ihren Gebern zu unterstützen. Der Fonds ist dagegen zuständig für Fragen der inländischen und globalen Stabilität.

Mit welchem Gefühl fährt Hermann Remsperger nach Washington?

Die Antwort auf diese Frage fällt mir besonders schwer, weil sie die Prognose von Gefühlen für einen äußerst nüchternen Sachverhalt impliziert. Dennoch und aus heutiger Sicht: Mit einem positiven Grundgefühl und der Hoffnung, dass bei den Quoten etwas erreicht wird. Aber man kann nicht sicher sein, ob die Quotenregelung tatsächlich schon jetzt gelingt.

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