Aufsätze

Schutzmechanismen für Stabilität im Börsenhandel

Straßenverkehr ist gefährlich. Bei der Masse von Autos und Lkws, insbesondere bei schlechten Wetterverhältnissen, kann es schnell zu schweren Unfällen kommen. Keine Frage, dass hier für Sicherheit gesorgt werden muss. Deshalb wurden Verkehrsregeln eingeführt, Gehwege getrennt von der Straße gebaut oder es wurden Konstruktionen wie der Kreisverkehr oder die Ampel erfunden. Ältere Menschen erinnern sich: Ampeln wurden in den Großstädten überwiegend erst in den fünfziger Jahren installiert. Davor regelten nur Schilder den Verkehr. Die stetig wachsende Zahl von Autos machte es nötig: Mitte der fünfziger Jahre gab es in Deutschland knapp fünf Millionen Autos, heute sind es mehr als 50 Millionen.

Mit den Anforderungen wachsen

Die Infrastruktur muss den Anforderungen genügen. Diese Prämisse gilt im Börsenhandel genau wie im Straßenverkehr. So wie die technischen Anforderungen sich ändern, verändert sich auch die Infrastruktur. Im 17. Jahrhundert reichte den Händlern ein festes Dach über dem Kopf. Im 18. Jahrhundert mussten es schon feste Maklerschranken mit Kurstafeln sein. Im 19. Jahrhundert sausten bereits Börsennachrichten per Telegrafenleitung durch die Welt. Im 20. Jahrhundert hielten die Computer Einzug. Und heute rufen Anleger wie selbstverständlich Echtzeitkurse per Internet ab und Händler bewegen auf Knopfdruck Millionenbeträge.

Eine Börse ist vom Grundprinzip ein sehr einfaches Geschäft: Angebot und Nachfrage werden zusammengeführt, daraus ergibt sich der aktuelle Preis für ein Wertpapier. Jeder Geschäftsabschluss wird dabei von der Handelsüberwachung erfasst. Da es inzwischen sehr viele verschiedene Arten von Wertpapieren gibt, Händler auf der ganzen Welt miteinander vernetzt sind und sich Nachrichten blitzschnell verbreiten können, ist die Börsenlandschaft deutlich komplexer geworden. Daher müssen Börsenbetreiber technisch gesehen auf dem neuesten Stand sein, um den Anforderungen des Marktes gerecht zu werden.

Angesichts der jüngsten Entwicklungen darf man sich diese Frage stellen, ob die Börsen der Welt auf einem angemessenen technischen Stand sind. Wir haben alle noch den Mai 2010 vor Augen, als es an der New Yorker Börse zum legendären Flash Crash kam. Der Dow Jones sackte innerhalb von Minuten um knapp 1000 Punkte in den Keller und erholte sich dann genauso schnell wieder. Im Frühjahr 2012 endete der Börsengang des Börsenbetreibers Bats im Desaster, weil der Preis der Aktie praktisch auf null sank - wohlgemerkt auf der eigenen Plattform. Im August 2013 stand die Technologiebörse Nasdaq für drei Stunden still. Als Grund wurde ein Problem mit der Software angegeben. Und immer wieder hört man von Tippfehlern, bei denen zum Beispiel Volumen und Preis vertauscht werden und zig Millionen sich in Luft auflösen.

Diese Pannen haben zwei Dinge gemeinsam: Sie sorgen nicht gerade für Vertrauen in die technische Infrastruktur der Börsen - und sie fanden alle in den USA statt. Vertrauen ist in diesem Geschäft das höchste Gut. Doch die Öffentlichkeit ist verunsichert und hat schnell einen Schuldigen gefunden: den sogenannten Hochfrequenzhandel, kurz HFT.

Hochfrequenzhändler unter der Lupe

Wie stellt sich das Problem aus Sicht der Börse, also des Marktplatzes, des Infrastrukturbetreibers dar? Zunächst ist festzuhalten: HFT ist keine Handelsstrategie, sondern lediglich der Einsatz von Technologie bei der Auftragsausführung. Börsenteilnehmer wollen mit HFT Vorteile durch Geschwindigkeit erzielen. Somit basiert dieses Phänomen auf dem evolutionären Prinzip, dass die schnellsten und innovativsten Spieler langfristig im Wettbewerb bestehen. Auf diesem Prinzip basieren seit jeher die Erfolgsregeln auf allen Märkten, Finanzmärkte bilden da keine Ausnahme.

Im Grunde können zwei Arten von HFT unterschieden werden. Liquiditätsspender bieten Investoren stets handelbare Preise an. Sie stehen miteinander im offenen Orderbuch der Börse im Wettbewerb. Dies garantiert enge Geld-Brief-Spannen und damit niedrige Handelskosten - sowohl für institutionelle als auch für private Anleger. Arbitrageure hingegen nutzen kurzzeitig auftretende Preisunterschiede zwischen Märkten aus. Dies führt zu einer Angleichung der Preise auf verschiedenen Plattformen und reduziert somit die negativen Auswirkungen, die sich ergeben wenn der Handel an mehreren Handelsplätzen stattfindet (Fragmentierung). Somit können HFT-Händler auch als Dienstleister verstanden werden, die die Effizienz des Handels verbessern. Indirekt profitieren davon auch die gelisteten Unternehmen in Form von niedrigeren Kapitalkosten. Denn deren Kapitalgeber (also die Anleger) können ihre Investition bei Bedarf schnell und zu geringen Kosten zu fairen und effizienten Preisen an der Börse verkaufen. Der positive Effekt von HFT wurde auch in zahlreichen wissenschaftlichen Studien belegt.

Fragmentierung des US-Aktienhandels

Doch woher kommen nun Ausfälle und Pannen im Handel? Zunächst ist noch einmal festzuhalten, dass nahezu alle derartigen Ereignisse in den USA stattgefunden haben und auf die dortigen Börsenstrukturen zurückzuführen sind. Diese unterscheiden sich wesentlich von den europäischen. So ist der Grad der Fragmentierung im Aktienhandel in den USA im Unterschied zu Europa wesentlich höher: Während der Marktanteil der kontinentaleuropäischen Heimatmarkt-Börsen bei zirka 66 Prozent liegt, werden im elektronischen Handel der Nyse nur noch 20 Prozent der dort gelisteten Aktien gehandelt. Der Rückgang der Umsätze sorgt für dünneren Handel. Dieser ist anfälliger für starke Preisausschläge.

Zudem sind die Börsen in den USA verpflichtet, einen Auftrag an eine andere Börse weiterzuleiten, wenn dort ein besserer Preis erzielt werden kann ("Trade through rule"). Dieser Mechanismus kann in Situationen mit hohem Verkaufsdruck bewirken, dass sich die Masse an Verkaufsaufträgen "tsunamiartig" über alle US-Börsen ausbreitet. Rapide Kursstürze werden somit begünstigt. Erschwerend kommt hinzu, dass Mechanismen zum Schutz vor Preisausschlägen in den USA bisher nur ansatzweise vorhanden waren. Erst der Flash Crash bewirkte ein Umdenken, so dass nun auch an US-Börsen seit Kurzem Schutzmechanismen etabliert wurden.

Schutzmechanismen als A und O

In Europa sieht es ganz anders aus. Auf der elektronischen Handelsplattform Xetra der Frankfurter Wertpapierbörse existieren solche Sicherheitsmechanismen bereits seit Einführung des Systems in den späten 1990ern. Dabei handelt es sich um einen ganzen Strauß unterschiedlicher Mechanismen, die nacheinander oder kombiniert greifen. Sie sind in der gesamten Wertschöpfungskette verankert und wirken nicht nur am Handelsplatz selbst, sondern auch auf der Ebene der Handelsteilnehmer, Abwicklungsbanken und dem Clearinghaus, dem zentralen Kontrahenten (Central Counterparty, CCP). Sie greifen sowohl vor dem Handel, währenddessen und auch im Nachhandel. Diese Mechanismen wurden geschaffen, um im gesamten Handel faire und ordnungsgemäße Preisfeststellungen zu gewährleisten - die Grundlage für Börsenhandel.

An den Handelsplattformen der Deutschen Börse gibt es insgesamt folgende sieben Schutzmechanismen:

1. Elektronische Auftragsweiterleitung: Sie ermöglicht es indirekten Handelsteilnehmern, auf manuelle Eingaben zu verzichten und elektronisch erzeugte Aufträge über einen direkten Handelsteilnehmer an die Börse zu senden. Jeder so weitergeleitete Auftrag muss elektronische Filter passieren, wobei die Auftragsparameter seitens des direkten Börsenteilnehmers überprüft werden. Außerdem muss die Börse über die Nutzung dieses Zugangskanals informiert werden und kann die elektronische Auftragsweiterleitung im Einzelfall verbieten, wenn diese den ordnungsgemäßen Handel gefährdet.

2. Plausibilitätskontrollen der Börse zur Vermeidung von "Fat Finger Errors": Im Handel verändert ein Schreibfehler einen Auftrag in ungewollter Art und Weise. So können etwa Preis und Volumen bei der Auftragseingabe vertauscht werden. Ein prominentes Beispiel für diesen Fehler ist das Ereignis an der Tokyo Stock Exchange im Jahre 2005, als ein Händler ein Stück der Aktie J-com zum Preis von 610 000 Yen verkaufen wollte, jedoch irrtümlicherweise 610 000 Stück zum Preis von einem Yen ins System eingab. Diese Menge entspricht dem 41-fachen der zu diesem Zeitpunkt ausgegebenen J-com-Aktien. Der Auftrag lief unaufhaltsam durch das System, verursachte einen Kursrutsch und massive Verluste des auftragseingebenden Handelshauses. Mit einem Plausibilitätscheck beim Auftragseingang vermeidet Xetra solche Auswüchse.

3. "Drossel-Mechanismus" zur Begrenzung des maximalen Durchsatzes: Dadurch wird ein Datenstau und somit eine Verlangsamung des Systems vermieden, denn der Durchsatz je Teilnehmer pro Sekunde ist begrenzt. Der Mechanismus funktioniert ähnlich wie eine mehrspurige Autobahn, bei der schrittweise einzelne Spuren gesperrt werden, um das Verkehrsaufkommen zu regulieren. Die Drosselung vermeidet, dass einzelne Teilnehmer ein sehr hohes Datenaufkommen an die Börse senden und so die Systemstabilität und damit die Marktintegrität gefährden. Der maximale Durchsatz kann während des Handelstages angepasst werden, sofern das Marktumfeld dies erfordern sollte. Zusätzlich zu diesen Maßnahmen kann der Datenverkehr durch zusätzliche Entgelte gesteuert werden, die für exzessive Systemnutzung fällig werden.

4. Volatilitätsunterbrechungen zur Gewährleistung von vernünftigen Transaktionspreisen und zum Schutz vor "Flash Crashes": Sie schützen den ordnungsgemäßen Preisfindungsprozess. Bei einer Volatilitätsunterbrechung wird kontinuierlich während des Handelstages geprüft, ob der nächste Kurs stark von vorherigen Kursen abweicht. Diese Prüfung wird durchgeführt, bevor die Transaktion (und damit eine starke Kursänderung) erfolgt ist, und unterbricht den Handelsprozess kurzzeitig. In der darauf folgenden "Atempause" haben die Marktteilnehmer Gelegenheit, ihre Aufträge anzupassen, die Marktlage zu prüfen und somit zu entscheiden, ob die an stehende starke Kursänderung plausibel erscheint oder nicht. Nach einer rund zweiminütigen Pause wird weitergehandelt. Sollte die Marktlage durch diese Selbstregulierung der Marktkräfte nicht aufgelöst werden und nach der Unterbrechung auch weiterhin eine starke Kursabweichung bestehen, muss die Handelspause manuell von einem Börsenmitarbeiter beendet werden. Dieser prüft dann weitere Faktoren, wie etwa die Nachrichtenlage oder das ordnungsgemäße Funktionieren des Handelssystems. Außerdem wird der Auftraggeber der potenziell fehlerhaften Order telefonisch kontaktiert, um ihn auf mögliche Fehler aufmerksam zu machen. Erscheint nach dieser menschlichen Prüfung der stark abweichende Börsenkurs nicht unplausibel, wird der Handel wieder aufgenommen.

5. Unterbrechung von Handelsaktivitäten: Abwicklungsbanken können mit dem sogenannten Stop-Button alle Aktivitäten ihrer Kunden (das heißt der Handelsteilnehmer) unterbrechen. Sie können damit also die Transaktionen ihrer Kunden steuern, für deren mögliche Handelsverluste sie letztlich geradestehen. Der Knopf findet sowohl bei Problemen technischer als auch operativer Art Anwendung. Darüber hinaus kann der Stop-Button bei Überschreiten der Risikolimits eines Handelsteilnehmers eingesetzt werden.

6. Risikomanagement durch Echtzeit-Informationen: Der CCP stellt Echtzeit-Informationen über alle Positionen zur Verfügung und ermöglicht somit ein effizientes Risikomanagement. Dieser Schutzmechanismus findet an der Derivatebörse Eurex Anwendung. Die Echtzeit-Informationen und Sicherheitsleistungen aller Positionen eines Handelsteilnehmers werden während des gesamten Handelstages berechnet und an die Abwicklungsbank weitergeleitet. Eine untertägige Mindesteinschusspflicht (Margin) ist ein wichtiger Teil des Risikomanagements, denn sie reduziert das Gegenparteirisiko im CCP. Der untertägige Marginaufruf erlaubt eine schnelle Reaktion auf steigende Preisvolatilität oder zunehmende Positionen einzelner Teilnehmer und führt damit zu einer Verringerung der offenen Positionen gegenüber dem CCP. Dies reduziert das Risiko des Teilnehmers.

7. Erweiterte Risikomanagement-Funktionalitäten: Schließlich sichern erweiterte Risikomanagement-Funktionalitäten einen fairen und ordnungsgemäßen Handel. Erweiterte Risikomanagement-Funktionalitäten ermöglichen der Abwicklungsbank die Definition von bis zu drei Grenzen einer Risikokennzahl, wie beispielsweise der absoluten Margin-Anforderung. Bei Überschreiten der ersten Grenze wird ein Alarm ausgelöst. Wird die zweite Grenze überschritten, werden Aufträge automatisch gedrosselt. Und schließlich wird bei Überschreiten der dritten Grenze automatisch der Stop-Button ausgelöst. Diese Funktionalität wird im Derivatemarkt Eurex angewendet.

Flash Crash am deutschen Kassamarkt ausgeschlossen

Börsen haben die Aufgabe, einen fairen, transparenten und überwachten Marktplatz zur Verfügung zu stellen - für alle Handelsteilnehmer, egal wie deren Handelsstrategien oder -techniken aussehen. Damit erfüllt eine Börse eine wichtige gesamtwirtschaftliche Funktion. Sie schafft Rahmenbedingungen für eine sinnvolle Vermögensallokation, versorgt die Wirtschaft mit dringend benötigtem Kapital und trägt dabei jederzeit zu einer ordnungsgemäßen Preisbildung bei. Die Infrastruktur muss in jedem Fall mit den Anforderungen wachsen und wirkungsvolle Schutzmechanismen sollten zwingend dazu gehören. Wacklige Handelsinfrastruktur, unerklärliche Ausfälle, plötzliche Börsencrashs aus dem Nichts - all das sorgt nicht unbedingt für Vertrauen in die Börsen. Vor allem in den USA hat es in den letzten Jahren zahlreiche solcher Fälle gegeben.

Dagegen verfügen europäische Börsen über aufeinander abgestimmte Mechanismen, die einen fairen und ordnungsgemäßen Börsenhandel sicherstellen. Sie gewährleisten, dass ein Höchstmaß an Sicherheit des elektronischen Börsenhandels entlang der gesamten Prozesskette erreicht wird. Dadurch werden mögliche Risiken des Börsenhandels adressiert - auch solche, die sich aus dem Hochfrequenzhandel ergeben. Nicht zuletzt ist eine wirksame Kombination der etablierten Schutzmechanismen ein wichtiger Grund dafür, dass ein Flash Crash, wie er sich in den USA ereignet hat, am deutschen Kassamarkt ausgeschlossen ist.

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