Aufsätze

Hochfrequenzhandel: Nutzen und Risiken neuer Technologien auf den Finanzmärkten

Prof. Dr. Andreas R. Dombret, Mitglied des Vorstands, Deutsche Bundesbank, Frankfurt am Main / Gleich mehrfach gab es seit August dieses Jahres an den Börsen starke Kursbewegungen binnen kurzer Zeit. Und als eine der Ursachen der jüngst zu beobachtenden Einbrüche wird in den Bewertungen immer wieder der Hochfrequenzhandel genannt. Vor diesem Hintergrund geht der Autor der Frage nach, welche Rolle Letzterer auf den Finanzmärkten spielt, welchen Nutzen und welche Risiken er mit sich bringt und wie hierauf gegebenenfalls aufsichtlich und regulatorisch reagiert werden könnte. Botschaft seiner Analyse: Hochfrequenzhandel ist in seiner Vielschichtigkeit sowohl Resultat als auch Treiber der Markteffizienz und sollte deshalb differenziert betrachtet und nicht per se reguliert werden. (Red.)Immer, wenn es an den Märkten ungemütlich wird, taucht die Frage auf, ob eine Fehlfunktion der Märkte oder ein Fehlverhalten der Marktteilnehmer vorliegt. Gegenwärtig erleben wir stürmische Zeiten an den weltweiten Aktienmärkten. Die extremen Preisschwankungen werden in der öffentlichen Diskussion oftmals mit dem Hochfrequenzhandel in Verbindung gebracht. Hochfrequenzhändler bewegen große Ordervolumen in einer Geschwindigkeit, die für die menschliche Vorstellungskraft kaum noch fassbar ist. Mögliche Ursache für Preisbewegungen Da der Hochfrequenzhandel (High Frequency Trading - HFT) einen signifikanten Anteil der Umsätze im Aktienhandel ausmacht, ist er für die Preisbewegungen zweifellos mit ursächlich. Aufgrund seines drastisch wachsenden Handelsvolumens und der hohen Geschwindigkeit, die aus dem Wettlauf um den schnellsten Zugang zum Orderbuch resultiert, bildet er - jedenfalls in der öffentlichen Wahrnehmung - eine eigene Kategorie im Wertpapierhandel. Die Hochfrequenzhändler erscheinen den übrigen Handelsteilnehmern im buchstäblichen Sinn davongeeilt zu sein. Um sich dem Phänomen HFT zu nähern, hilft es, den Untersuchungsgegenstand zuerst genauer zu beschreiben und einzugrenzen (Abbildung 1). Hochfrequenzhandel wird üblicherweise von Wertpapierfirmen ausgeübt, die auf eigene Rechnung versuchen, schon kleinste und kurzfristige Gewinnerzielungsmöglichkeiten an den Kapitalmärkten, vor allem den Börsen, durch den Einsatz von Hochgeschwindigkeitstechnologie in Verbindung mit großvolumigen Ordereingaben zu realisieren. Hierzu bedienen sie sich computergenerierter Handelsstrategien, weshalb HFT zu einem bestimmten Teil mit dem algorithmischen Handel deckungsgleich ist. Hochfrequenzhändler verfolgen oftmals Arbitragestrategien; Fundamentaldaten der Wertpapiere spielen häufig keine Rolle. Sie generieren einen extrem hohen Handelsumsatz, weil kleinste Ordergrößen in massenhafter Anzahl von ihnen in die Handelssysteme eingegeben werden. Dies setzt liquide Märkte voraus, weshalb HFT meist nur in den fünf bis zehn Prozent liquidesten Wertpapieren auftritt (Abbildung 2). Die ultraschnellen Handelstechnologien sorgen nicht nur für die Beschleunigung des Wertpapierhandels, sondern lassen auch die Anzahl der von den Hochfrequenzhändlern getätigten Wertpapiertransaktionen und in noch größerem Ausmaß das Volumen der Handelsorders, die von ihnen abgegeben werden, enorm anwachsen.1) In London, wo rund zwei Drittel des europäischen HFT stattfinden, macht HFT laut Analystenschätzungen bereits 40 Prozent der Wertpapiertransaktionen aus. Für die USA gehen einige Schätzungen davon aus, dass 70 Prozent des Aktienhandelsvolumens auf HFT entfallen. Auf dem Aktienhandelssystem der Deutschen Börse Xetra werden per August 2010 - über 40 Prozent des ausgeführten Volumens und rund 55 Prozent der Orders computergeneriert - mit steigender Tendenz. Symptomatisch für HFT ist auch, dass die durchschnittliche Transaktionsgröße an allen Börsen in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken ist, da durch HFT sehr große Mengen von meist kleinen Orders generiert werden. Ein Resultat des Wettbewerbs HFT ist das Resultat des Wettbewerbs im Börsenhandel. Seit in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts der elektronische Börsenhandel eingeführt worden ist, gewinnt die technologische Kapazität eines Händlers zunehmende Bedeutung für seine Wettbewerbsfähigkeit. Während zu Zeiten des Präsenzhandels zwischen Kauf- und Verkauf eines Wertpapiers eine für den Menschen deutlich erkennbare Haltedauer lag, erfolgt das moderne HFT gewissermaßen im Zeitraffer. Was für den Hochfrequenzhändler zählt, ist die Ausführungsgeschwindigkeit. Der Geschwindigkeitsvorteil gegenüber anderen Handelsteilnehmern ist konstitutives Element der verschiedenen HFT-typischen Handelsstrategien. Typisch für HFT ist zudem, dass es von sogenannten Eigenhändlern ausgeübt wird. Das sind Wertpapierhandelsfirmen, die auf eigene Rechnung - also nicht im Kundenauftrag - handeln. Der Geschwindigkeitsvorsprung ermöglicht es diesen Wertpapierhändlern, Preisunterschiede auf verschiedenen Handelsplätzen auszunutzen. Diese Arbitragestrategien lohnen sich auch schon bei äußerst geringfügigen Preisunterschieden, wenn eine hohe Anzahl von Transaktionen getätigt wird. Aber auch die reine Ordereingabe kann sich für Hochfrequenzhändler auszahlen, wenn die in großen Mengen und in höchster Geschwindigkeit platzierten Orders wieder storniert werden, bevor es zum Matching kommt.2) Durch die Ordereingabe kann eine für den Händler günstige Preisbewegung angestoßen werden, die er in der Folge ausnutzen kann. Denn die Ordereingabe in einem offenen Orderbuch signalisiert für alle Handelsteilnehmer das Bestehen einer Kauf- beziehungsweise Verkaufsabsicht, auf die andere Handelsteilnehmer mit eigenen Ordereingaben reagieren können. Dies erklärt auch, dass HFT auf transparenten Handelsplätzen, vor allem also auf Börsen, ideale Bedingungen vorfindet. Denn dort existiert ein offenes (also für jeden Handelsteilnehmer einsehbares) Orderbuch. Es muss deshalb nicht unbedingt ein Börsengeschäft abgeschlossen worden sein, um den Marktpreis von dort zum Handel zugelassenen Wertpapieren zu beeinflussen. Allein die Ordereingabe signalisiert bereits die Kauf- oder Verkaufsabsicht. Zwar ist es völlig legal, eine Order wieder zu stornieren. Geschieht dies aber "blitzartig", das heißt, so schnell, dass diese Order von einer potenziellen Gegenpartei nicht beantwortet werden kann (matching), so müsste eher von einer Scheinorder gesprochen werden. Der dadurch erweckte Anschein vermeintlicher Liquidität wird deshalb auch als "ghost liquidity" bezeichnet. Aufsichtliche Fragen Aus Sicht der Aufsicht wirft der Hochgeschwindigkeitshandel eine Reihe von Fragen auf: Er kann zu Zwecken der Marktmanipulation missbraucht werden. Des Weiteren kann er Handels- aber auch Nachhandelsinfrastrukturen an die Grenzen ihrer technischen Belastbarkeiten (oder darüber hinaus) führen, und er birgt nicht zuletzt ein Potenzial für systemische Risiken. Wie auch in anderen Feldern schafft der Einsatz neuer Technologien neue Möglichkeiten des Missbrauchs. Werden Scheinorders häufig und planmäßig eingesetzt, kann hierin ein marktmissbräuchliches Verhalten liegen. Untersuchungen der für die Marktaufsicht zuständigen Behörden haben vereinzelte Fälle von Fehlverhalten von Hochfrequenzhändlern zutage gefördert. So haben etwa einzelne Hochfrequenzhändler ihren Geschwindigkeitsvorteil zulasten anderer Marktteilnehmer in manipulativer Absicht ausgenutzt, indem sie umfangreiche Orders platzierten, die anschließend wieder storniert wurden (sogenanntes quote stuffing). Durch die massive Orderplatzierung werden die Systeme anderer Marktteilnehmer überlastet und verlangsamt. Zudem sind die Versuche der anderen Marktteilnehmer, ein Matching durch Eingabe eigener korrespondierender Orders herbeizuführen, von vorneherein vergeblich, weil die anfangs eingegebenen Orders storniert werden, bevor ein Matching zustande kommen kann. Ein Hochfrequenzhändler der solche Taktiken einsetzt, schädigt die Marktintegrität, weil seine Ordereingaben nicht ernsthaft gemeint und für andere Marktteilnehmer unerreichbar sind. Nur er weiß, dass es sich nur um Scheinorders handelt, die für die "wahre" Preisbildung ignoriert werden müssen. Suche nach Antworten Wenn Hochfrequenzhändler ihren technologischen Vorsprung und ihren daraus resultierenden Informationsvorteil für die Manipulation des Preisbildungsmechanismus infolge Eingabe, Änderung und Stornierung von Orders ausnutzen, muss die daraus folgende Bedrohung für die Marktintegrität abgewehrt werden. Die Finanzmarktregulierung muss mit den neuen technologischen Herausforderungen Schritt halten. Sie darf allerdings auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, indem sie technologisch begründete und durch Innovationsvorsprung erarbeitete Wettbewerbsvorteile sanktioniert. Vor diesem Hintergrund ist zu überlegen, welche Antworten auf die Herausforderungen für den Markt, die Marktteilnehmer und die Aufsicht aufgrund der Menge und des Volumens der vom Hochfrequenzhandel generierten Orders und Transaktionen gegeben werden können. Gegenwärtig wird diskutiert, ob die Einführung einer Mindesthaltedauer für Orders Abhilfe für die geschilderten Problemfälle schaffen könnte. Neben der Geeignetheit solcher Maßnahmen muss auch deren Angemessenheit vor ihrer Einführung sorgfältig geprüft werden. Zu berücksichtigen ist, dass im Wertpapierhandel schon immer öffentlich verfügbare Informationen über den Orderfluss benutzt wurden, um Handelsstrategien zu entwickeln. HFT ermöglicht nunmehr, die Geschwindigkeit und die Bezugsgröße der Datenanalyse dramatisch zu erhöhen und die Haltedauer von Positionen zu verkürzen. Die künstliche Verlangsamung der Orderverarbeitung durch Einführung einer Mindesthaltedauer für Orders würde dem HFT den zeitlichen Vorsprung nehmen. Dies wäre allerdings für den Börsenhandel insgesamt von Nachteil. Es wäre zu befürchten, dass ein Auseinanderlaufen der Börsenpreise eine unbeabsichtigte Nebenfolge der Einführung einer Mindesthaltedauer von Orders sein könnte, weil Hochfrequenzhändler durch ihre Arbitragegeschäfte nicht unwesentlich dazu beitragen, die auf verschiedene Handelsplätze verteilte Liquidität einem einheitlichen Preisniveau anzunähern. Außerdem wären die von einer Mindesthaltedauer betroffenen Marktteilnehmer nicht mehr in der Lage, sofort auf exogene Ereignisse zu reagieren. Dies würde darauf hinauslaufen, dass derjenige, der eine Order zuerst einstellt, "bestraft" wird, weil er immer die Bindungsfrist seines Angebots zum Abschluss einer Transaktion abwarten müsste. Jeder andere Marktteilnehmer wäre hingegen in der komfortablen Situation, diese Phase der Verwundbarkeit ohne eigenes Sanktionsrisiko ausnutzen zu können.3) Die Konsequenz einer Mindesthaltedauer wäre deshalb die Verteuerung des Liquiditätsangebots in Form eines Anstiegs der Geld-Brief-Spannen. Zielkonflikt zwischen Ermöglichung und Beherrschung von Innovation Diese zu befürchtende Verteuerung der Liquidität durch Einführung einer Mindesthaltedauer bedeutet allerdings nicht ohne Weiteres, dass eine Mindesthaltedauer absolut falsch wäre. Die beschriebenen zu erwartenden volkswirtschaftlichen Kosten müssten aber im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Analyse berücksichtigt werden. Ebenfalls sollten die impliziten Kosten für andere Marktteilnehmer, die auf Hochgeschwindigkeitsorders nicht erfolgreich reagieren können, Berücksichtigung finden. Diese einander widerstreitenden Interessen der Marktteilnehmer zeigen, dass die Antwort auf innovationsgetriebene technologische Herausforderungen nicht eine rein technische sein kann, sondern dass in jedem Einzelfall zu entscheiden ist, in welchem Ausmaß ein Eingriff in grundsätzlich freie Finanzmärkte gerechtfertigt wäre. Fest steht, dass der technologische Vorsprung von den Hochfrequenzhändlern ausgenutzt werden kann, um sich in marktmissbräuchlicher Weise einen nicht gerechtfertigten Vorsprung vor den anderen Handelsteilnehmern zu verschaffen. Dies führt zu der Frage, ob die Verhinderung marktmissbräuchlicher Praktiken, die auf erfolgreicher Innovation beruhen, gerade dadurch erreicht werden sollte, dass diesen Praktiken ihr technologisches Innovationscharakteristikum - die Geschwindigkeit - genommen wird (etwa durch eine Mindesthaltedauer), oder ob nicht auch "innovationsneutrale" Maßnahmen infrage kommen. Gesamtwirkung ins Auge fassen Dieser Zielkonflikt zwischen Ermöglichung und Beherrschung von Innovation könnte gelöst werden, indem einerseits die Aufsichtsbehörden technologisch ausreichend befähigt werden und andererseits das level playing field auf den Finanzmärkten stärker gefördert wird. An diesem Beispiel wird die grundsätzlich wünschenswerte zielgerichtete Ergänzung der Aufsichtspolitik durch ordnungspolitische Elemente deutlich. Ein generelles Ziel ist es, dass die Aufsichtsbehörden auf Augenhöhe mit den von ihnen zu beaufsichtigenden Marktteilnehmern stehen; dies betrifft gerade auch ihre technologischen Möglichkeiten. Dies bedeutet aber nicht, dass zulasten von Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der technologische Fortschritt an die Kette gelegt oder gar rückgängig gemacht werden sollte. Der dazu korrespondierende Ansatz müsste auf die Schaffung gleicher - im Sinne von "fairer" - Wettbewerbsbedingungen auf den Finanzmärkten abzielen. Hierfür muss der Hochfrequenzhandel in seiner Gesamtwirkung ins Auge gefasst werden. Um dem übermäßigen Einstellen von Orders Herr zu werden, wird die Einführung einer Order-Transaction-Ratio diskutiert. Ziel dieser Maßnahme ist es, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Anzahl der Orders und der Anzahl der ausgeführten Transaktionen eines Händlers zu gewährleisten. Diese Maßnahme verfolgt einen eher leitenden als prohibitiven Zweck. Denn der Händler kann seine Hochgeschwindigkeitstechnologie grundsätzlich weiterhin in beliebiger Intensität einsetzen; seine Handlungsfreiheit verengt sich jedoch auf einen von ihm selbst flexibel beeinflussbaren Toleranz-Korridor. Somit stärkt die Order-Transaction-Ratio normativ das Leitziel freier Kapitalmärkte: die volkswirtschaftlich sinnvolle Allokation von Kapital in Form der Zusammenführung von Käufer und Verkäufer, die letztlich erst in Form einer abgeschlossenen Transaktion ihre Vollendung findet. Das reine Einstellen von Orders stellt nur eine Vorstufe dafür dar. Die Aufgabe des Normgebers ist es, das angemessene Verhältnis zwischen der maximal akzeptablen Anzahl von Orders im Verhältnis zu den abgeschlossenen Transaktionen zu bestimmen. Bei der Frage nach der näheren regulierungstechnischen Ausgestaltung der Order-Transaction-Ratio ist eine Reihe von Aspekten zu bedenken. Sie bietet den Vorteil, dass sie einerseits präventiv abschreckend wirkt, andererseits aber erst ex-post vollzogen werden kann. Die Ausgestaltung dieses "ex-post-Betrachtungszeitraums" sollte ausreichend lang gefasst sein, damit etwa Stornierungs-Spitzenzeiten nicht vorschnell die Sanktion auslösen können. Um unbeabsichtigte Nebeneffekte zu vermeiden, sollte sie auf extreme Fälle zugeschnitten werden. Negative Folgen für die Markteffizienz und Liquidität vermeiden Orderstornierungen aufgrund veränderter Risikoeinschätzung des Marktes sind grundsätzlich legitim. Insbesondere die Liquiditätsspender, zum Beispiel Market-Maker, sollten nicht durch eine Order-Transaction-Ratio von ihren Quotierungen abgeschreckt werden. Die Quotierung von ausländischen Aktien kann "flüchtiger" sein, als dies bei inländischen Aktien der Fall ist, weil Änderungen von Wechselkursen zur Stornierung und Neueingabe von Orders führen können. Auch deshalb sollte der Begriff der Stornierung tatbestandlich so gefasst sein, dass nur "echte" Stornierungen darunter fallen; es ist zu beachten, dass nicht alle formellen Stornierungen auch Stornierungen im materiellen Sinn sind. Denn die Änderung einer bestehenden Order kann aus systemtechnischen Gründen auch durch "formelle" Stornierung statt Überschreibung erfolgen. Auch die Anwendung legitimer Strategien sollten nicht zu sehr erschwert werden, damit negative Folgen für die Markteffizienz und Liquidität vermieden werden. Andererseits dürfte eine Order-Transaction-Ratio nicht zu leicht umgangen werden können, etwa indem massenhaft Kleinsttransaktionen ausgeführt werden, um die Bezugsgröße zu erhöhen. Die Order-Tran-saction-Ratio sollte deshalb ein volumengewichtetes Verhältnis festsetzen. Anders als eine Mindesthaltedauer würde eine Order-Transaction-Ratio sich nicht unterschiedslos auf alle Marktteilnehmer auswirken, sondern nur diejenigen Händler erfassen, die exzessiven Gebrauch von der Orderstornierung machen. Eine Order-Transaction-Ratio wäre also aufgrund ihres eingeschränkten subjektiven Anwendungsbereichs ein weniger schwerwiegender Eingriff in die Freiheit des Marktes als eine Beschränkung, die unterschiedslos für alle Handelsaktivitäten gelten würde. Für eine Kontrolle der Order-Transaction-Ratio kämen in erster Linie die Handelsüberwachungsstellen infrage. Sie haben den Vorteil der größeren Marktnähe im Vergleich zu nationalen Aufsichtsbehörden. Risiken aus makroprudenzieller Sicht HFT birgt aber auch Risiken aus makroprudenzieller Sicht. Die makroprudenzielle Aufsicht hat das Ziel, die Finanzstabilität zu wahren. Finanzstabilität setzt die Beherrschung systemischer Risiken voraus; dafür muss die Funktionsfähigkeit des Finanzsystems, das aus den Finanzmarktakteuren und der Finanzinfrastruktur besteht, gesichert sein. Börsen, wie auch andere multilaterale nicht-diskretionäre Handelssysteme, sind ein wichtiger Teil der Finanzinfrastruktur. HFT-spezifische Risiken für die Finanzinfrastruktur ergeben sich zum einen aus der Vernetzung der Märkte, auf denen HFT aktiv ist, sowie zum anderen aus dem Überlastungspotenzial, das aus der Geschwindigkeit und Menge an Orders entsteht. Die Börsen, aber auch die Nachhandelsinfrastrukturen (zum Beispiel zentrale Kontrahenten) müssen deshalb hinreichend belastbare und widerstandsfähige Systeme aufweisen, um auch in Spitzenzeiten die Orderflut sicher und effizient verarbeiten zu können. Das Störpotenzial aus der Ordermenge und -geschwindigkeit kann sich zudem in Verbindung mit technischem Fehlverhalten der Hochfrequenzhändler - Systemfehlbedienung, Systemfehlfunktion und Systemausfall - verstärken und dadurch die Infrastruktursysteme überlasten. Neben diesen technischen Fehlfunktionen, sei es auf Händler- oder auf Infrastrukturseite, können aber auch technisch an sich beherrschbare Ordereingaben in so starkem Ausmaß und mit so hoher Geschwindigkeit erfolgen, dass sie sich trendverstärkend auswirken, mit der Folge, dass die Stabilität des Finanzmarkts bedroht wird. So können Preisspiralen aufgrund von Kaskadeneffekten auch in systemseitig belastbaren Infrastrukturen entstehen. Das systemische Risiko kann in diesen Fällen sogar größer sein, weil eine außer Kontrolle geratene Preisbildung schwerer zu korrigieren sein und zu schwereren Folgen führen kann, als ein Fehler im Rechensystem der Börse. Die Übertragung der Risiken auf andere Märkte (Ansteckungsrisiko) und die Auslösung eines Herdentriebs auf breiter Front können zu schwerwiegenden Verwerfungen auf mehreren Finanzmärkten und möglicherweise sogar zu Rückkopplungseffekten auf die Realwirtschaft führen. Die Handelsinfrastrukturen müssen deshalb technische Sicherungsmaßnahmen einsetzen, die die Stabilität vor allem der Preisbildungsfunktion des Marktes sichern beziehungsweise wiederherstellen können. Hierfür sind Volatilitätsunterbrechungsmechanismen (circuit breakers), die international bestehen sollten, geeignet und erforderlich. Sie sorgen dafür, dass der Handel in einem bestimmten Finanzinstrument ausgesetzt wird, wenn der Preisausschlag eine bestimmte Bandbreite verlässt. Deren Ausgestaltung sollte darauf Rücksicht nehmen, dass der circuit-breaker-Mechanismus mit Korrespondenzmärkten harmonisiert ist. Der Handelsstopp in einem bestimmten Finanzinstrument sollte auch ausgelöst werden, wenn auf dessen Heimat-(= Referenz-) Markt ein Handelsstopp erfolgt. Denn HFT-Strategien basieren oft auf Arbitragetechniken, sodass die Preisbildung auf verschiedenen Korrespondenzmärkten im Wesentlichen gleichförmig verläuft. Auch die Nachhandelsinfrastrukturen müssen gegen die Risiken aus HFT ausreichend gesichert sein. Der zentrale Kontrahent (Central Counterparty - CCP) sollte geeignete Risikomanagementsysteme in Betrieb haben und auf deren Grundlage befähigt sein, die maßgeblichen Risikopositionen seiner Teilnehmer akkurat zu erfassen. Nicht zuletzt müssen auch die Handelsteilnehmer hinreichend sichere und belastbare Risikomanagementsysteme implementieren, damit das operationelle Risiko in Form von technischen Fehlfunktionen und irrtümlichen Falscheingaben reduziert werden kann, bevor es sich auf andere Handelsteilnehmer oder auf die Finanzinfrastrukturen ausbreitet und dadurch zu einem systemischen Risiko auswachsen kann. Solche Risikomanagementsysteme müssen auch auf die hinter den zugelassenen Handelsteilnehmern stehenden Händler ausgeweitet werden, sofern sie über die Handelsteilnehmer unmittelbaren Zugang zum Markt haben (zum Beispiel aufgrund sponsored access). Differenzierte Betrachtung Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Phänomen HFT differenziert betrachtet werden sollte. Es beinhaltet Elemente einer Technologie wie auch einer darauf fußenden Art von Handelsstrategie. HFT sollte nicht per se reguliert werden, dafür ist es zum einen zu vielschichtig, zum anderen aber auch zu ambivalent in seinen Auswirkungen. Es ist sowohl Resultat als auch Treiber der Markteffizienz, die ihrerseits mehr Prozess als Status ist. Für die Aufsicht, aber auch die Infrastruktur-Betreiber und die Marktteilnehmer gilt es, den Blick auf die Risiken zu lenken, die in ihrer Entwicklung keinen Stillstand kennen. Der Autor dankt Christoph von Busekist für seine tatkräftige Unterstützung bei der Verfertigung dieses Aufsatzes. Fußnoten 1) Vgl. DB Research: "High-frequency trading - Better than its reputation?", http://www.dbresearch.de/PROD/DBR_INTERNET_DE-PROD/PROD0000000000269468/High-frequency+trading %3A++Better+than+its+reputation%3F.pdf, Seite 3. Sowie; Kirilenko unter anderem ("The Flash Crash: The Impact of High Frequency Trading on an Electronic Market", 2010), wonach die Halbwertszeit eines Portfolios eines typischen HFT-Traders zirka 115 Sekunden betragen kann. 2) Randall Dodd gibt an, dass HFT zirka 73 Prozent des Handelsvolumens auf US-Aktienmärkten und zirka 20 Prozent auf den US-Terminmärkten einnehme (Randall Dodd in "Finance and Development", (47) März 2010, Seite 27 (26-28)). Martha McQuay, PLC, "High frequency trading: the road to regulation?", 27 October 2010, Seite 1 rechnet mit mindestens 60 Prozent HFT für die US- und mindestens 30 Prozent für die EU-Aktienmärkte. Die SEC schätzt in "Concept release on equity market structure" (14. Januar 2010), dass mindestens 50 Prozent des Handels auf US-Aktienmärkten durch HFT erfolgen. 3) Die Order-Trade-Ratio für US/EU-Märkte betrage 100:1 (vgl. Australian Securities Exchange (ASX) Review "Algorithmic Trading and Market Access Arrangements, 8 February 2010, Seite 10); DB Research spricht von etwa 80 Prozent Stornierungsrate (vgl. DB Research: "High Frequency Trading - Better than its reputation?", 7. Februar 2010, Seite 4 (https://www.dbresearch.com/PROD/DBR_INTERNET_DE-PROD/PROD0000000000269468.pdf; jsessionid=C65 0FC59D5FB2800CF8D2158BA91419F.srv22-dbr-com) 4) Vgl. Prof. Gomber in: "High-Frequency Trading", Goethe Universität Frankfurt am Main, März 2011, (Seite 56 und 57).

Dr. Andreas Dombret , Global Senior Advisor , Oliver Wyman GmbH, München (und Vorstand i.R., Deutsche Bundesbank)
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