Aufsätze

Späte Genugtuung - Schwächen der Währungsunion

Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Nur: Die Deutsche Bundesbank lacht nicht. Selbst wenn sie das bei der ihr eigenen Zurückhaltung tun wollte: Ihr nähme die augenblickliche Lage um den Wert von Euro jegliche Lust hierfür. Zu drohend haben sich die Wolken am Horizont für die Einheitswährung verdichtet. Ob nach den gescheiterten ersten Bemühungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission nun eine Garantieerklärung für Griechenland hilft, steht dahin. Das frühe Feuerwerk der Märkte ist ein Strohfeuer. Für manche ist es eher schon ein "friendly fire", dessen ungewollte Verwundungen die Akteure erst mit Zeitverzögerungen schmerzhaft spüren werden.

Bestätigung der "Krönungstheorie"

Weder lachen noch auftrumpfen wird die Bundesbank. Zu sehr hat sie sich nolens volens zur Mitarbeit im Eurosystem eingepasst und angepasst, die eigene Vergangenheit damit zurückgedrängt. Ihre eigene Vergangenheit holt nun die Bundesbank wieder ein. Was derzeit besorgt über die Grundlagen des Euro zu hören ist, greift 20 Jahre zurück und einiges weiter: Es ist für viele die Bestätigung der "Krönungstheorie", für die die Spitze des Hauses damals erbittert gekämpft hatte. Sie war von der Dynamik der Politik besiegt worden.

Seit Schaffung des Vorläufers des Euro, der Rechnungseinheit und des Kunstgeldes ECU im Europäischen Währungssystem (EWS), gehörte diese "Krönungstheorie" zum festen Kanon der Voraussetzungen der Bundesbank für ihre Zustimmung zur Währungsunion. Grob gesagt: Erst wenn die politische Union mit einer finanzpolitischen Zentralgewalt und allen weiteren währungsrelevanten Politiken vergemeinschaftet sei - dann könne die Währungsunion als Krone dieser Schöpfung oder als Schlussstein des europäischen Gebäudes folgen.

Keine "Vergemeinschaftung" der Politik

Damals hatten die Dynamiker unter den Europäern auf dem Wege zur Einheitswährung der deutschen Notenbank vorgeworfen, diese Theorie zum Schutze der eigenen Souveränität über die D-Mark (über die sie tatsächlich nie verfügte) geschaffen zu haben. Denn da es zu einer Vereinheitlichung der stabilitätsrelevanten Politiken in einer politischen Union nie kommen werde, werde auch nie die D-Mark aufgegeben und eine Währungsunion entstehen.

Der "Krönungstheorie" stand die Entwicklungstheorie mit damals größerer politischer Durchschlagskraft gegenüber: Europa werde durch die Schaffung einer Einheitswährung einen "Schub" erleben, der politisch und wirtschaftlich zur Vollendung des europäischen Einigungswerks führen werde. Dieser Schub werde Institutionen und Strukturen des bestehenden europäischen Verfassungsgefüges voranbringen, nationale Vorbehalte und Rechte zurückdrängen und rasch eine solide, nachfolgende Grundlage für die zuvor geschaffene einheitliche Währung bilden.

Den bescheidenen Effekt zeigt nun das Vertragswerk von Lissabon. Allerdings hat inzwischen die Einsicht Platz gegriffen, dass es zu einem Gebilde der Vereinigten Staaten von Europa mit der völligen Vergemeinschaftung der relevanten Politikbereiche auf lange Zeit nicht kommen werde. Überdies haben die damaligen "opting-out-Staaten" der EG außerhalb der Währungsunion (einschließlich der mit Stillschweigen übergegangenen Reife Schwedens für eine Mitgliedschaft im Euroraum) ihr Heil in der Isolation gefunden und meinen es bewahren zu müssen (wer redet heute noch ernsthaft im Hinblick auf die zu erwartenden Wahlen in Großbritannien vom Beitritt des Inselreiches?). Stattdessen rumort es von Seiten der Schwachen vor der Beitrittstür zur Gemeinschaft - wenn auch nur fallweise, um den Kummer mit der eigenen maroden Wirtschaft und Währung durch deren Verschwinden im Euro los werden zu können.

Bewährung in schlechten Zeiten gefragt

Wie stark - oder wie wenig - auch eine deutsche politische Einheit und die europäische Währungsunion im Verhältnis zueinander konditioniert waren: Die "Macher" machten - und wollten "Währungsgeschichte". Es kam zum "Kraut-und- Rüben-Vertrag" von Maastricht, in dem sehr zum Schaden einer stabilen Währung alles "schwammig" blieb (so Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt seinerzeit). Zur Sicherung der fehlenden Zentralgewalt in den währungsrelevanten Politikbereichen diente der Stabilitätspakt. Damit sollte auch den Bedenken der Bundesbank Rechnung getragen werden. Als Draufgabe wurde sogar primärrechtlich die währungspolitische Autonomie der Europäischen Zentralbank und ihrer Mitgliedsbanken gewährt. Dieses System funktionierte lange gut. Seine Bewährung in schlechten Zeiten stand bislang aus.

In guten Zeiten (bis vor wenigen Monaten sogar) folgte der Spott über die "Krönungstheorie", in einer pervertiert gesehenen Situation setzte er allen Unkenrufen der "Gestrigen" die Spitze auf, quasi die Krone. Zum Einwand einer dennoch für möglich erachteten, politisch hingenommenen oder gar geförderten exzessiven Staatsverschuldung in den Mitgliedstaaten hieß es: Solche werde der Markt bestrafen mit Bonitätsverschlechterung, Zinsan stieg, zunehmender Haushaltsbelastung und schließlich Kreditverweigerung an den Sünderstaat. Dies werde das Ventil der Abwertung im alten Wechselkursgefüge ersetzen und alle staatliche Zügellosigkeit der Kreditaufnahme im Eurosystem bändigen.

Klimmzug am Hochreck mit "Einmal-Effekten"

Wie sich nunmehr zeigt, war dies alles zu kurz gedacht: Denn nach dem Schritt "eins" des Marktes durch schwere Bestrafung des Übeltäters Griechenland im Wege von Zinsanhebungen und Kreditverweigerung erleben wir nun den Schritt "zwei", nämlich die Hoffnung des Marktes auf Solidarität der Mitgliedstaaten und deren Garantieerklärung zugunsten Griechenlands.

Im Markt verfing bereits anfänglich das "Nie-und-nimmer" der Politik hinsichtlich der Übeltäter wenig. Schon in der Vergangenheit hatten die Mitgliedstaaten der Eurozone ein Laisser-faire betrieben: Nachfolgende Zweifel über die Beitrittsreife Griechenlands - schon damals verbreiteten dessen statistische Meldungen einen gewissen "Hautgout" - wurden damit kommentiert, dass es sich um eine im Vergleich verschwindend kleine Volkswirtschaft handele (von kleinen Volkswirtschaften denkt man übrigens anders, seit Island - aus freilich anderen Gründen - in die Knie gegangen ist). Außerdem befleckte bereits der Geburtsakt der Währungsunion deren weiße Weste. Denn in Erinnerung bleibt, dass aus kulturellen, abendländischen und welchen Gründen auch immer zumindest zwei oder drei Mitgliedstaaten die Qualifikation im Ausleseverfahren abgesprochen wurde, nicht nur, weil die betroffenen Regierungen mit "Einmal-Effekten" den Klimmzug an diesem Hochreck wagten.

Hierzu passte glänzend, dass der Euro auch in Gebieten eingeführt wurde, die gar nicht Vertragsgebiete waren: In Saint- Pierre, Miquelon und Mayotte - zwar fast vergessenen Inselchen unter Frankreichs Oberhoheit: Auch das war ein weiterer schwarzer Fleck, volkswirtschaftlich nicht von Belang, für die Prinzipienfestigkeit des Systems aber ein weiterer Schlag. Noch schädlicher wirkte das Umfeld um die erste Änderung des Stabilitätspaktes. Er wurde nachgeschneidert nach politischen Bedürfnissen einflussreicher Mitgliedstaaten ohne Rücksicht auf die Vertragsgrundsätze. Auch die Stellung der EZB in dem Kapital des EG-Vertrages über die Währung hat durch den Vertrag von Lissabon Schaden genommen. Die Europäische Zentralbank wurde zu einer von weiteren anderen Institutionen des Vertrages herabgestuft.

Man darf freilich nicht vergessen: Die D-Mark als Ankerwährung hätte jedenfalls trotz nostalgischer Rückblicke keinen Bestand gehabt. Ihr Anker wäre auf Treibsand gefallen, der damals, 50 Jahre nach ihrer Schaffung, zunehmend in Bewegung geraten war. Welche politisch starken EG-Mitgliedstaaten hätten im Hinblick auf ihre nationalen Währungen die Dominanz der D-Mark geduldet? Und was wäre mit der deutschen Wirtschaft, ihren Exporten und ihrer daraus fließenden Stärke geschehen, wenn nicht innerhalb Europas Kapitalverkehrsfreiheit, Binnenmarkt und Währungsunion auch die Märkte für Deutschland weiter geöffnet hätten?

Blick zurück

Auch der Blick zurück im Zorn hilft nicht weiter. Im Rückspiegel erscheint die Klage jener vier Professoren vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Unterzeichnung des Vertrages von Maastricht und sodann später die Einführung des Euro als Geldzeichen. "Warum die Währungsunion scheitern muss" hieß damals das öffentlichkeitswirksam herausgegebene Konvolut über die "Euro-Klage" im Jahre 1998. Wie bei einer Prozession finden sich dort die Kreuzwegstationen "Eine Währungsunion ohne politische Fundamentierung kann nicht dauern", "Fehlende Voraussetzungen für eine wirksame Stabilitätspolitik", "Zur Notwendigkeit eines Mindestmaßes an ökonomischer Übereinstimmung im neuen Währungsgebiet" sowie "Reale Entwicklungsunterschiede und deren Konsequenzen" zwischen den Beitrittsstaaten.

Die Klage musste rechtlich scheitern. Denn die Politik nutzte einen weiten Handlungsspielraum im Europarecht und im nationalen Verfassungsrecht. Schon deshalb gegen eine (Währungsrechts-)Ordnung vorzugehen, weil die Verantwortlichen aus politischen Gründen die gegebenen rechtlichen Instrumente zur Durchsetzung des Vertrages und zur Wahrung der Stabilität, etwa durch Sanktionen nicht anwenden können oder nicht anwenden wollen - das liegt außerhalb der rechtlichen Beurteilungen.

Keine falsche Solidarität

So sehr die Verfassungshüter in anderen Bereichen, etwa auf dem der Restitution von Eigentum im wiedervereinigten Deutschland, höchst angreifbare Entscheidungen aufgrund höchst angreifbarer Faktendarstellung getroffen haben: Bei der Währungsunion lagen sie richtig. Bei richtiger Handhabung hätte das Instrumentarium des Vertragswerks von Maastricht trotz "Kraut und Rüben" die nötige Wirksamkeit entfaltet, um Gefahren der Verschuldung und Verschuldungsexzesse einzelner Mitgliedstaaten zu verhindern.

Die Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft ist damit keineswegs zu Ende. Sie ist aber gefährdet, wenn nicht eine entschlossene Wende zur strikten Handhabung des kostbaren Vertragswerks erfolgt. Der Euro könnte stabil bleiben, wenn die Verantwortlichen Stärke beim Schutz seiner Grundlagen zeigten. Zu den Grundlagen gehört aus guten Gründen nicht eine falsche Solidarität, die in der Übernahme von Schulden oder der Abgabe von Garantien für staatliche Finanzmiseren bestünde. Dies schließt der Vertrag strikt aus. Es hört sich nicht gut an - aber gerade deswegen muss an Griechenland leider ein erstes, doch für die Währungsstabilität schicksalhaftes Exempel statuiert werden. Der Pessimist sagt allerdings: Hierzu wird es nicht kommen, selbst wenn das Land aus eigener Kraft die notwendigen Ziele verfehlt.

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