Investitionsklima in Europa: Welche Anreize braucht die (europäische) Wirtschaft?

Ulrich Grillo, Präsident, Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin Nationale Reformen auf Produkt- und Arbeitsmärkten sowie bei den staatlichen Institutionen, eine langfristig orientierte Finanz- und Geldpolitik, die Finanzierung von Investitionen über den Bankkredit sowie nicht zuletzt eine Kapitalmarktunion und ein europäischer Zukunftsfonds sind die vier Säulen, auf denen der Autor das Investitions- und Innovationsklima in Euro verbessern und nachhaltiges Wachstum generieren will. Das kürzlich verkündete Investitionspaket der EU-Kommission hält er für einen Schritt in die richtige Richtung und begrüßt ausdrücklich den eingeschlagenen Weg, die Investitionslücke nicht vorwiegend mit öffentlichen Mitteln, sondern maßgeblich unter dem Einsatz privaten Kapitals schließen zu wollen. Ein wichtiges Anliegen bleibt ihm die Beseitigung des Engpasses an Risikokapital für die Innovationsfinanzierung. Insgesamt ist seine Kernbotschaft stark europäisch ausgerichtet. Die Realwirtschaft in Europa braucht ein klares Bekenntnis gegen Kleinstaaterei und für einen funktionsfähigen EU-Binnenmarkt. (Red.)

Europa braucht ein besseres Klima für Investitionen - private und öffentliche, inländische und ausländische. Seit der Wirtschafts- und Finanzkrise kann die Entwicklung der Investitionstätigkeit nicht zufriedenstellen. Die Stärkung der Wachstumskräfte in der Europäischen Union ist dringend erforderlich. Die Mitgliedstaaten müssen nationale Strukturreformen ergreifen und ihre Finanzpolitik auf Konsolidierungskurs halten. Die EZB und die anderen Notenbanken in der EU müssen alles tun, um den Geldwert zu stabilisieren. Insgesamt ist die Finanzierung der Investitionstätigkeit von noch existierenden Blockaden freizuschaufeln.

Vier Säulen

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat im Sommer 2014 allgemeine Leitlinien für die politische Tätigkeit der neuen Kommission vorgeschlagen - und damit grundsätzlich den richtigen Ansatz für die allgemeine Wirtschaftspolitik gewählt. Diesen muss er nun mit konkreten Plänen für die Belebung von Wachstum und Beschäftigung unterlegen.

Nationale Reformen auf Produkt- und Arbeitsmärkten sowie in den Institutionen der Staatstätigkeit sind und bleiben auf mittlere Frist die erste Säule. Die Mitgliedstaaten sollten beherzt Barrieren für Wachstum und Beschäftigung abbauen, vor allem für die private Investitionstätigkeit in der Industrie. Dabei gibt es in vielen Mitgliedstaaten noch genügend zu tun. Die Zeit drängt, um Europa aus der Phase eines deutlich abgesunkenen Potenzialwachstums zurück aufs Vorkrisenniveau von etwa zwei Prozent zu führen. Wachstumspolitik braucht Zeit, ihr Erfolg aber ist nach wenigen Jahren an höherer Produktivität und steigenden Pro-Kopf-Einkommen klar ablesbar. In den meisten Mitgliedstaaten hapert es bei diesen Messgrößen noch erheblich.

Die zweite Säule muss in einer langfristig orientierten Finanz- und Geldpolitik bestehen. In der makroökonomischen Flankierung hat die expansive Geldpolitik der EZB und anderer Notenbanken bereits den richtigen Rahmen gesetzt. Diesen muss jeder Mitgliedstaat mit einer tragfähigen Finanzpolitik untermauern.

Dazu zählt, auch bei der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte auf eine möglichst wachstumsfördernde Politik zu setzen. Keine Regierung darf an Bildung, Forschung und Entwicklung sowie öffentlichen Investitionen sparen. Dagegen gehören allgemeine Verwaltungsausgaben und konsumtive Ausgaben der öffentlichen Haushalte auf den Prüfstand. Diese dringend notwendige Kurskorrektur steht noch aus: Tatsächlich haben Regierungen Investitionen, aber auch die anderen wachstumsfreundlichen Komponenten der Staatstätigkeit zurückgefahren.

Finanzierung von Investitionen über den Bankkredit

Die dritte Säule ist die Finanzierung von Investitionen über den Bankkredit. Sie kommt nach Jahren der bilanziellen Schwierigkeiten in den Bankensystemen einiger Mitgliedstaaten allmählich wieder in Gang. Die umfassende Bilanzüberprüfung der EZB hat zwar noch einige Hausaufgaben aufgezeigt. Aber insgesamt ist die Unsicherheit über die Kapitalausstattung und Stabilität der Banken deutlich reduziert. Die Fragmentierung der Banken- und Kapitalmärkte nimmt ebenfalls ab. Es bestehen gute Chancen, dass die wesentlichen Probleme der Fremdkapitalfinanzierung nun überwunden sind - zumal Förderbanken die besonderen Schwierigkeiten in einzelnen Mitgliedstaaten durch gezielte Maßnahmen angehen. Die EU sollte die Rahmenbedingungen für die Fremdkapitalfinanzierung von Investitionen weiter verbessern. Wie? Hierzu sollte sie die Spielräume in den Strukturfondsmitteln, in der Europäischen Investitionsbank (EIB) und in den bestehenden und neu entstehenden nationalen Förderbanken nutzen. Die jüngsten Vorschläge von Kommissionspräsident Juncker von Ende November zur Investitionsfinanzierung bieten zusätzliche Chancen.

Die vierte Säule besteht aus einer Kapitalmarktunion und einem Europäischen Zukunftsfonds. Europa braucht endlich eine Kapitalmarktunion, die diesen Namen verdient. Was in der EU fehlt, ist eine ausreichende Nutzung des Kapitalmarktes für die Finanzierung von Investitionen: Es mangelt an einer EU-weiten, kräftigen Struktur für die Bereitstellung von Eigenkapital für junge, schnell wachsende Unternehmen; an den richtigen Rahmenbedingungen für Beteiligungskapital, das größere Vorhaben möglich macht; an ausreichendem Risikokapital für die Aufgaben der digitalen Transformation der Wirtschaft und für die Industrie 4.0 in Europa; an praxistauglichen und qualitativ hochwertigen Verbriefungsstrukturen für klassische Mittelstandskredite und andere Vermögensklassen, die wiederum in den Bankbilanzen Platz für neue Kredite an Mittelständler und private Haushalte schaffen würden; an europaweit tauglichen Standards, Usancen, Audit- und Ausschreibungsregeln für Projekte, die in Partnerschaft zwischen öffentlicher Hand und Unternehmen entstehen; schließlich an geeigneten regulatorischen Rahmenbedingungen für die Nutzung geduldigen, langfristigen Anlagekapitals, mit dem die öffentliche Infrastruktur ausgebaut wird.

Zudem sollte die EU-Kommission die Finanzmärkte intelligenter regulieren. Seit der großen Krise gibt es - mit unzureichender Rücksicht auf die Finanzierungsbelange systemisch unbedenklicher Wirtschaftsaktivitäten der Realwirtschaft - eine Fehlregulierung, die korrigiert werden muss. Unterm Strich würde sich eine veritable Kapitalmarktunion ergeben.

Ein europäischer Zukunftsfonds

Die EU ist noch nicht ausreichend für die disruptiven Innovationen des digitalen Zeitalters gerüstet. Um in der ersten Liga der Innovation mitspielen zu können, brauchen die Unternehmen mehr Mut zu neuen Geschäftsmodellen. Außerdem ist deutlich mehr Risikokapital erforderlich - dem stehen 28 nationale Förderprogramme, Steuerregeln und Börsenusancen entgegen. Zwar hat die EU schon Schritte in die richtige Richtung getan: mit Finanzierungsmodulen für die transeuropäischen Netze, mit der Connecting-Europe-Fazilität im Haushalt, mit einer stärkeren Ausrichtung der reichlich gefüllten Strukturfondsmittel an Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit und mit Projektbonds. Dies reicht aber nicht aus. Die EU sollte einen großen Schritt wagen und einen Europäischen Zukunftsfonds schaffen. Dieser Zukunftsfonds könnte eine ernsthafte Antwort auf das Silicon Valley darstellen. Es ist verkehrt, dass innovative Unternehmen dann, wenn sie mehr als eine Startfinanzierung benötigen, nach San Francisco fliegen müssen, um sich Kapital zu organisieren. So fällt Europa im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe und Projekte zurück. Die Kleinstaaterei im Markt und der Förderung ist nicht mehr zeitgemäß.

Der Zukunftsfonds sollte sich aus öffentlichen und privaten Geldern speisen. Er sollte vor allem auch Risiko- und Beteiligungskapital für die Wirtschaft bündeln und bereitstellen. Der Fonds müsste Beratung anbieten, ein professionelles Management aufweisen und im Laufe der Zeit immer stärker private Mittel anlocken. Auf diese Weise würde er eine breite Palette an Anlagemöglichkeiten für private und öffentliche Investoren aus aller Welt bieten.

Dies wird nicht sofort funktionieren. Deshalb sollten die Mitgliedstaaten, die EU, europäische Institutionen wie die EIB sowie nationale Förderbanken für die Grundfinanzierung sorgen. Dafür könnten bereits 50 Milliarden Euro als öffentliches Startkapital ausreichen.

Was könnte dieser Fonds finanzieren? Neben Langfristkrediten insbesondere auch Eigenkapital, Fonds und Garantien für Eigenkapitalrisiken, Haftungsinstrumente und ähnliche Maßnahmen. Der Zukunftsfonds sollte kapitalmarktfähig sein - und seine Mittel durch die Begabe von Anleihen am Kapitalmarkt aufstocken. Private Ko-Investoren sollten selbst entscheiden können, ob sie eine verlässliche Festverzinsung oder eine erfolgsabhängige Dividende haben wollen. Die EIB verfügt mit dem Europäischen Investitionsfonds (EIF) über ein solches Element. Dieser EIF ist aber vom Volumen unzureichend dimensioniert. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) wiederum verfügt über Erfahrung in langfristigen Beteiligungen, ist aber auf dem Feld der Innovationsfinanzierung bislang kein großer Spieler.

Die Investitionsschwerpunkte des Fonds sollten sich an den generellen Leitlinien der europäischen Politik orientieren, wie sie von Europäischem Rat und Kommission ausgearbeitet werden. Der Fonds sollte nicht allein durch Bankkredit finanzierbare Vorhaben investieren. Die Stichworte sind bekannt: transeuropäische Netze, digitale Infrastruktur, Industrie der Zukunft nebst smarten Dienstleistungen, moderne, effiziente Energieerzeugung, -verteilung und -management.

Investitionsinitiative der Kommission mit Optimierungspotenzial

Das von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker initiierte milliardenschwere Investitionspaket ist ein erster Schritt in die richtige Richtung: Nicht in erster Linie über öffentliche Mittel, sondern vor allem über privates Kapital soll die vorhandene Investitionslücke in Europa geschlossen werden. Dieser Ansatz ist grundsätzlich richtig, denn privates Investitionskapital ist reichlich vorhanden. Für Investoren und Unternehmer in Europa ist der Junckersche "Europäische Fonds für strategische Investitionen" (EFSI) ein wichtiges Aufbruchssignal.

Erklärtes Ziel der Investitionsinitiative ist es, dass private Investoren nicht nur in Länder mit bestem Rating investieren, sondern auch in die krisengeplagten südeuropäischen Peripherieländer. Richtig ist: Europa muss insgesamt wettbewerbsfähiger werden und seine Leistungskraft merklich erhöhen. Nur dann besteht die begründete Chance, die hartnäckige Finanz- und Schuldenkrise zu überwinden. Dann kann der Kontinent sogar gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass das Investitionspaket nicht durch neue öffentliche Schulden finanziert werden soll. Dafür gibt es in den allermeisten Mitgliedstaaten keine oder allenfalls sehr geringe Spielräume. Damit sind die Risiken aber nicht vom Tisch. EU-Haushaltsmittel werden indirekt im Ausmaß der übernommenen Garantien gebunden. Auch könnte die Verlusthaftung für private Investoren einer Fehlallokation von Kapital Vorschub leisten, wenn keine sorgfältige Projektauswahl und kein Monitoring durchgeführt würden. Umso wichtiger ist, dass die Investitionsprojekte wirtschaftlich und technisch tragfähig und auch sinnvoll sind. Die EIB verfügt über ausreichende Expertise auf diesem Gebiet.

Der Erfolg der Fondsinitiative hängt maßgeblich davon ab, wie die Mittel verwendet werden. Die zentrale Frage lautet, ob es gelingt, nachweislich rentable Projekte zu finden und anzustoßen. Die Stoßrichtung der Kommission ist zielführend: Der Einsatz der Mittel soll auf strategisch wichtige Bereiche mit überdurchschnittlich hoher Produktivität und Impulswirkung sowie echtem Mehrwert für die Leistungskraft der europäischen Wirtschaft fokussiert werden.

Ob das Investitionspaket die gewünschten Wirkungen auf Wachstum und Arbeitsplätze liefert, muss sich gleichwohl zeigen. Die Struktur- und Regionalfondsmittel sind häufig ohne nachhaltige Anstoßwirkungen verpufft. Aufgrund unterschiedlicher Hürden (etwa Ko-Finanzierung, mangelnde Verwaltungskapazitäten, Korruption bei der Mittelverwendung) haben Investoren sie, gerade in besonders bedürftigen Ländern, nicht im geplanten und erwünschten Maße abgerufen. Zudem scheitern Finanzierungen von kleineren Unternehmen und Mittelständlern oft an aufwendigen Antragsverfahren. Entscheidend kommt es jetzt darauf an, den Fonds zügig und unbürokratisch mit einem effektiven Instrumentenkasten auszustatten.

Engpass an Risikokapital

Technologischer Fortschritt, Innovationen, Forschung und Entwicklung, aber auch strategische Infrastrukturvorhaben sind mit herkömmlichen Finanzierungsinstrumenten nur schwer oder gar nicht zu realisieren. Der Innovationserfolg technologieorientierter Unternehmen hängt wesentlich davon ab, inwieweit es gelingt, ausreichend haftende Finanzierungsmittel zu mobilisieren. Die Mittel des Fonds sollten deshalb auch dazu dienen, den Engpass an Risikokapital für die Innovationsfinanzierung zu beseitigen.

Um den Kapitalmarkt in der ganzen Breite für die Mobilisierung von Zukunftsinvestitionen zu nutzen, sollte zudem verstärkt auf den Verbriefungsmarkt zurückgegriffen werden, etwa für die Finanzierung von Infrastruktur. Grundsätzlich eignen sich Infrastrukturinvestitionen über öffentlichprivate Partnerschaften (ÖPP) gut für Verbriefungszwecke. Die Charakteristika von Infrastruktur machen sie als Langfristanlage für institutionelle Investoren interessant: beständige und planbare Cashflows, hohe Kapitalintensität, attraktives Rendite-Risiko-Profil, Langlebigkeit der Projekte auf Basis langfristiger Verträge. Gerade angesichts der niedrigen Zinsen könnte die Verbriefung ihre Stärken ausspielen. Über den Einsatz von Verbriefungen lassen sich auch kleinere Infrastrukturprojekte zu einem Investment aggregieren und institutionelle Investoren locken. Versicherungen, Fonds und Pensionseinrichtungen könnten so einen sehr viel stärkeren Beitrag zur Finanzierung von Zukunftsinvestitionen leisten.

Regulatorische Investitionshemmnisse beseitigen

Die grassierende Investitionsschwäche in Europa ist nicht allein auf Mangel an Kapital zurückzuführen. Fundamental ist die nachhaltige Verbesserung des Investitionsumfelds. Um die gewünschten Impulswirkungen zu unterstützen, müssen finanzielle Anreize für Zukunftsinvestitionen und Strukturreformen Hand in Hand gehen.

Als großes Hindernis für Investitionen in Europa erweist sich die komplexe Finanzmarkt-Regulatorik: Mehrfachbelastungen des Banken- und Finanzsektors schlagen unweigerlich auf die Realwirtschaft durch. Sie stehen im Widerspruch zur Ankündigung der Politik, die Rahmenbedingungen für eine reibungslose (Langfrist-)Finanzierung nachhaltig zu verbessern.

Bereits in der vergangenen Amtsperiode der EU-Kommission wurde das Thema der Langfristfinanzierung einer Überprüfung unterzogen. Entsprechende Umsetzungsschritte stehen kurz vor der Verabschiedung durch die europäischen Institutionen. Um Investments von Versicherungen, Banken und Fonds attraktiver zu machen, müssen diverse Regulierungen auf den Prüfstand.

Inkonsistenzen und negative Wechselwirkungen zwischen bereits verabschiedeten oder aktuell diskutierten Vorhaben sowie parallele und zugleich widersprüchliche Regelungen gleicher Sachverhalte in etlichen Vorschriften blockieren Investitionen. Eine Nachsteuerung bei zentralen Regulierungsvorhaben auch und gerade im Hinblick auf die Unterstützung von langfristigen Finanzierungen ist daher dringend geboten. Dies betrifft etwa den Abbau bestehender Hürden für den Verbriefungsmarkt, die Beseitigung nicht praxisgerechter Anlagevorschriften für institutionelle Anleger oder die Entschärfung einengender Kapital- und Liquiditätsvorgaben für Banken. Der BDI hat hierzu entsprechende Vorschläge gemacht.

Die deutsche Industrie setzt nun hohe Erwartungen in die neue EU-Kommission. Kommissionspräsident Juncker muss das starke politische Mandat des EU-Parlaments nutzen und seine wachstumsorientierte Agenda entschlossen umsetzen. Vor allem sind die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten gefordert, gemeinsam das Investitionsklima in Europa deutlich zu verbessern: Die Realwirtschaft in Europa braucht ein klares Bekenntnis gegen Kleinstaaterei und für einen funktionsfähigen EU-Binnenmarkt, von dem gerade Deutschland in besonderem Maße profitiert.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X