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IWF-Jahresversammlung 2015 in Lima - unsicheres Umfeld für das globale Wachstum

Dr. Andreas Dombret, Mitglied des Vorstands, Deutsche Bundesbank, Frankfurt am Main - Die Aussichten für ein globales Wachstum haben sich aus Sicht des Internationalen Währungsfonds in den beiden vergangenen Ouartalen 2015 verschlechtert. Nicht zuletzt die Unsicherheiten über die Preisentwicklung auf den Rohstoffmärkten sowie die weitere Entwicklung in China hat der Autor auf der Herbsttagung von IWF und Weltbank als schwer kalkulierbare Risikofaktoren ausgemacht. Die Besorgnis um einen erwarteten geldpolitischen Kurswechsel der USA will er allerdings nur bedingt gelten lassen. Denn neben dem mittlerweile recht langen Vorlauf, sich auf diese Situation einzustellen, will er generell die Widerstandsfähigkeit der Volkswirtschaften durch eine Kombination aus nachhaltiger Fiskalpolitik, makroprudenziellen Maßnahmen und einer angemessenen Finanzmarktaufsicht flankiert sehen. Mit Blick auf die zuletzt wieder stärker diskutierte Ausgestaltung des globalen finanziellen Sicherheitsnetzes (GFSN) mahnt er die Beachtung der Mandate der hierdurch potenziell betroffenen Institutionen, wie etwa der Notenbanken, an. (Red.)

Die Jahresversammlungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank werden in jedem dritten Jahr traditionell nicht in Washington abgehalten, sondern in einem der Mitgliedsländer. In diesem Jahr fanden die Tagungen vom 8. bis 11. Oktober in der peruanischen Hauptstadt Lima statt. Im Vordergrund der Beratungen stand die gestiegene Unsicherheit in Bezug auf das weltweite Wachstum. Im Rahmen seiner wirtschaftspolitischen Überwachung wird der IWF seine Analyse von Risiken und Übertragungseffekten fortentwickeln. Zudem soll eine Bestandsaufnahme des internationalen Währungssystems erfolgen. Dies schließt Überlegungen zur Angemessenheit und Ausgestaltung des globalen finanziellen Sicherheitsnetzes (GFSN) ein.

Weltwirtschaft - gestiegene Risiken

Der IWF-Lenkungsausschuss (IMFC) unter dem Vorsitz des mexikanischen Notenbankgouverneurs Carstens sah eine Fortsetzung des globalen Wachstums, schätzte die Lage der Weltwirtschaft jedoch als unsicherer ein als noch im Frühjahr. Er folgte damit den Analysen des zur Jahresversammlung veröffentlichten World Economic Outlook (WEO) des IWF. Dessen Prognosen deuten zwar weiterhin auf eine gemäßigte Expansion der Weltwirtschaft hin, die allerdings regional sehr unterschiedlich und weniger schwungvoll ausfällt als noch im April vorhergesehen. Wenngleich in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften insgesamt ein moderates Wachstum zu verzeichnen ist, haben sich die mittelfristigen Aussichten - nicht zuletzt infolge einer Abwärtsrevision des Potenzialwachstums - verschlechtert.

Die Schwellenländer werden laut WEO zwar in der Summe stärker expandieren als die fortgeschrittenen Volkswirtschaften, allerdings wird sich das Wachstum hier gegenüber früheren Prognosen abkühlen. Es wird jedoch auch anerkannt, dass die Widerstandsfähigkeit der Schwellen- und Entwicklungsländer insgesamt gestiegen ist und diese daher besser auf ein verschlechtertes Umfeld reagieren können. In der Gesamtschau sind die Risiken für die Weltwirtschaft aber gestiegen.

Ein potenzieller Unsicherheitsfaktor für die Weltwirtschaft ist die Preisentwicklung auf den Rohstoffmärkten. Zweifellos wirken sich die gesunkenen Rohstoffpreise in den Ländern, die Rohstoffe importieren, günstig auf die Konjunktur aus. Dem sind jedoch die Belastungen entgegenzuhalten, die aufseiten der rohstoffexportierenden Länder für Wachstum und Haushalt entstehen. Momentan kann aus Sicht des IWF noch nicht abschließend beurteilt werden, welcher Effekt letztlich stärker ist. Wichtig ist aus Sicht der Bundesbank, dass die vom Rohstoffpreisrückgang betroffenen Länder wie zum Beispiel die Ölexporteure oder starke Rohstoffexporteure wie zum Beispiel Brasilien angemessen reagieren und ihre Wirtschaftspolitik entsprechend gestalten.

Risiken - insbesondere für die Schwellenländer

Als Risiken, die insbesondere die Schwellenländer betreffen, identifizierten die Teilnehmer die enger gewordenen Finanzierungsbedingungen, abgeschwächte Kapitalzuflüsse und den verstärkten Abwärtsdruck auf die jeweiligen Währungen. Zudem besteht die Befürchtung, dass der erwartete geldpolitische Kurswechsel in den USA diese Risiken verstärken und zu einer abrupten Umkehr von Kapitalflüssen mit den entsprechenden Folgen für Finanzmärkte und Realwirtschaft führen könnte.

Bei aller Besorgnis der Märkte in Hinblick auf die Geldpolitik in den USA sollte aus Sicht der Bundesbank jedoch im Auge behalten werden, dass Geldpolitik sich an Fundamentaldaten orientieren und erforderliche Maßnahmen zum gegebenen Zeitpunkt umsetzen muss. Marktteilnehmer haben seit dem Taper Tantrum ausreichend Zeit gehabt, sich auf die gegenwärtige Situation einzustellen. An dieser Stelle ist entscheidend, dass verwundbare Länder die Widerstandsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften stärken. Neben einer nachhaltigen Fiskalpolitik können makroprudenzielle Maßnahmen und eine angemessene Finanzmarktaufsicht dazu beitragen. Ein flexibles Wechselkursregime kann ebenfalls unterstützend wirken, derartige Herausforderungen abzufedern.

Zentrale Herausforderung: Verringerung der öffentlichen Verschuldung

Eine bedeutende Rolle für das weltweite Wachstum spielt auch die weitere Entwicklung in China. Zwar wird für China trotz der jüngsten Turbulenzen auf den Aktienmärkten vom IWF keine "harte Landung" erwartet, allerdings würde ein Rückgang der chinesischen Nachfrage weltweit die Exporte dämpfen. Dies könnte aus Sicht der Bundesbank nicht nur die ASEAN-Länder aufgrund ihrer geografischen Nähe treffen; gerade exportorientierte Volkswirtschaften wie Deutschland bekämen dies wohl auch zu spüren.

Der IMFC hat sich in Hinblick auf die fortgeschrittenen Volkswirtschaften für eine weiterhin akkommodierende makroökonomische Politik beziehungsweise eine flexible Umsetzung der Fiskalpolitik zur Stärkung des Wachstums ausgesprochen. Bei diesen Erwägungen muss aus Sicht der Bundesbank allerdings klar sein, dass ein geringes Potenzialwachstum nicht nachhaltig durch kurzfristige, stimulierende makroökonomische Maßnahmen erhöht werden kann - weder in fortgeschrittenen Volkswirtschaften noch in Schwellenländern. Wenn es darum geht, die mittelfristigen Wachstumsperspektiven zu verbessern, sollten Strukturreformen an erster Stelle stehen.

Flankiert werden sollten diese durch eine nachhaltige Fiskalpolitik, die auf solide öffentliche Finanzen hinwirkt und somit das für dauerhaftes Wachstum unerlässliche Vertrauen schafft. Dies gilt nicht nur angesichts des zweifelhaften langfristigen Nutzens fiskalpolitischer Maßnahmen, sondern auch vor dem Hintergrund oftmals sehr geringer fiskalischer Spielräume. Mögliche negative Auswirkungen von konsolidierender Fiskalpolitik auf Wachstum, Preise und Schuldenquote dürften eher kurzfristiger Natur sein und bieten keine Rechtfertigung für das Aufschieben von fiskalischen Konsolidierungsmaßnahmen. Es ist und bleibt eine zentrale Herausforderung, die hohe öffentliche Verschuldung zu verringern.

In jüngster Zeit hat - auch vor dem Hintergrund der gestiegenen Risiken für die Weltwirtschaft - im IWF die Diskussion um die Angemessenheit und Ausgestaltung des globalen finanziellen Sicherheitsnetzes (GFSN) wieder an Dynamik gewonnen. Unter dem globalen Finanzsicherheitsnetz kann man die Gesamtheit der weltweiten bilateralen, regionalen und multilateralen Finanzarrangements und -institutionen zur Prävention und Bewältigung finanzieller Krisen verstehen. Das GFSN wurde als Reaktion auf die Finanzkrise in den vergangenen Jahren erheblich ausgebaut. Dies geschah nicht nur durch die gestärkte Finanzkraft des IWF als zentrale multilaterale Institution, sondern auch durch die Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) oder die Neugründung beziehungsweise Erweiterung anderer regionaler finanzieller Arrangements.

Überprüfung des globalen finanziellen Sicherheitsnetzes mit Augenmaß

Im Ergebnis ist das GFSN heute breiter aufgestellt denn je. Nach vorn blickend ist es aus Sicht der Bundesbank besonders wichtig, auf die richtige Ausgestaltung der Instrumente und deren Anreizwirkungen zu achten, da ansonsten die Gefahr besteht, dass Instabilität unbeabsichtigt eher zunimmt als dass sie eingedämmt wird. Als weitere Maßnahmen sollten nun Schritte im Vordergrund stehen, die private Investoren dazu motivieren, in den Ländern langfristig engagiert zu bleiben.

Weniger sinnvoll erscheint eine ständig steigende Bereitstellung öffentlicher Mittel. Diese könnte Staaten und private Investoren im Vertrauen auf eine potenzielle Haftungsübernahme Dritter (bailout) zum Eingehen unangemessen hoher Risiken verleiten und so zu einem Moral-Hazard-Problem führen. Letztlich bestünde die Gefahr, dass Mitgliedsstaaten im Vertrauen auf eine vermeintliche Versicherung durch das GFSN in ihren Anstrengungen um eine stabilitätsorientierte inländische Wirtschaftspolitik zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften nachlassen und dadurch anfälliger für Krisen werden. Im Ergebnis würde dann die Stabilität des internationalen Finanzund Währungssystems eher gefährdet als gestärkt.

Mandate der Zentralbanken beachten

Nicht zuletzt müssen bei allen Diskussionen um Angemessenheit und Ausgestaltung des GFSN auch die Mandate der hierdurch potenziell betroffenen Institutionen respektiert werden. So haben zum Beispiel die Zentralbanken in der Vergangenheit durch bilaterale Swaplinien zur Sicherung der internationalen Finanzstabilität beigetragen. Maßgebend für solche Swaplinien ist, dass Notenbanken auf Grundlage ihrer jeweiligen Mandate bilateral und ad hoc über deren Ausgestaltung entscheiden können. Bestrebungen, diese Swaplinien zu koordinieren und dadurch zu einem institutionalisierten Bestandteil des GFSN zu machen, würden nicht nur in Widerspruch zur Unabhängigkeit von Zentralbanken stehen, sondern könnten auch die grundlegende Moral-Hazard-Problematik, die mit Sicherheitsnetzen verbunden sein kann, verschärfen.

Dr. Andreas Dombret , Global Senior Advisor , Oliver Wyman GmbH, München (und Vorstand i.R., Deutsche Bundesbank)
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