Das neue Risikotragfähigkeitskonzept: Was können (sich) Institute leisten?

Alexander Kottmann, Director, PricewaterhouseCoopers GmbH, Berlin

Quelle: PwC

Alexander Kottmann, Director, Berlin, Dieter Lienland, Senior Manager und Wirtschaftsprüfer, Düsseldorf, Angelina Scholtysik, Senior Consultant, Düsseldorf, alle PricewaterhouseCoopers GmbH - Anfang September dieses Jahres hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) einen finalisierten neuen Leitfaden zur Risikotragfähigkeit vorgelegt. Ein aktualisiertes Papier des SSM-Leitfadens wird für Anfang 2018 erwartet. Vor diesem Hintergrund geben die Autoren einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen im Thema Risikotragfähigkeitsrechnung auf nationaler und auf europäischer Ebene. Eine Herausforderung sehen sie - insbesondere für die von der Europäischen Zentralbank (EZB) überwachten Institute - darin, ihre aktuell implementierten Risikotragfähigkeitskonzepte an die geänderten Rahmenbedingungen anzupassen und dabei den Unterschieden der Konzepte von BaFin und der EZB gerecht zu werden. Bei der Ableitung des neuen Zielbildes mahnen sie eine aktive Einbindung der Entscheidungsträger an, um die Akzeptanz der neuen Prozesse und Verfahren für die Überwachung und Entscheidungsfindung sicherzustellen. (Red.)

Ist ein Institut in der Lage, die sich bietenden Geschäftschancen aktiv zu nutzen? Die Antwort auf diese Fragen ist bereits implizit in seiner Risikotragfähigkeitsrechnung und auch in der künftigen Umsetzung der von der EZB geforderten normativen oder ökonomischen Sicht des ICAAP enthalten. Der ICAAP gibt den Instituten - aber auch der Aufsicht - detailliert Auskunft darüber, inwieweit ein Haus in der Lage ist, die sich bietenden Ertragschancen zu nutzen oder in kritischen Situationen Rückschläge abfedern zu können. Damit bilden der ICAAP sowie die fortan explizit geforderten unterschiedlichen Perspektiven der Risikotragfähigkeit die aktuelle und zukünftige "finanzielle" Leistungsfähigkeit der Institute ab.

Risikotragfähigkeitsrechnung: Aktuelle Ausgestaltung in Deutschland

Mit Veröffentlichung der Rahmenvereinbarung zur neuen Baseler Eigenkapitalempfehlung (Basel II) im Juni 2004 wurde als Säule 2 der bankaufsichtsrechtliche Überprüfungsprozess, der die quantitativen Mindestkapitalanforderungen der Säule 1 um eine qualitative Komponente - einer ökonomische Kapitalrechnung - ergänzt, eingeführt. Ziel der ökonomischen Kapitalrechnung ist es, das Gesamtrisiko des Instituts sowie die Risikosituation des Instituts beeinflussenden wesentlichen Einflussfaktoren zu identifizieren und aufsichtlich zu würdigen.

Die Umsetzung der Anforderungen der Basler Säule 2 in deutsches Recht erfolgte dabei im Wesentlichen über die MaRisk1) sowie insbesondere auch über den im Jahr 2011 veröffentlichten Leitfaden "Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte"2) der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (RTF-Leitfaden). Ziel der Risikotragfähigkeitsrechnung ist es, mittels einer Gegenüberstellung der vom Institut eingegangen (Kapital-) Risiken und der für diese Risiken zur Verfügung stehenden intern definierten Deckungsmasse aufzuzeigen, ob der Schutz der Eigentümer beziehungsweise der Gläubiger des Instituts bei schlagend werdenden Risiken gewährleistet ist.

Fortführung oder Liquidation?

Unter schieden wird grundsätzlich zwischen der Steuerung unter Fortführungs- und Liquidations-Gesichtspunkten. Der wesentliche Unterschied der beiden Ansätze liegt vor allem in den zugrunde liegenden Annahmen zur Ableitung der Risikodeckungsmasse sowie des Konfidenzniveaus zur Ermittlung der Risikopotenziale:

- Im Fortführungsansatz werden als Risikodeckungsmasse nur diejenigen Kapitalbestandteile, Rücklagen und Reserven angesetzt, die nicht zur Unterlegung von Risiken aus Säule 1 benötigt werden. Dieser, um die Säule 1 - Mindestanforderungen reduzierten, Risikodeckungsmasse werden die wesentlichen Kapitalrisiken gegenübergestellt. Das Konfidenzniveau zur Ermittlung der Risikopotentiale liegt im Fortführungsansatz in der Regel zwischen 95 Prozent und 99 Prozent.

- Im Liquidationsansatz können alle Kapitalbestandteile, Rücklagen und Reserven als Risikodeckungsmasse angesetzt werden - unabhängig davon, ob diese zur Unterlegung der Risiken aus Säule 1 benötigt werden. Der Risikodeckungsmasse werden dann die wesentlichen Kapitalrisiken gegenübergestellt, wobei das Konfidenzniveau zur Ermittlung der Risikopotenziale im Liquidationsansatz in der Regel zwischen 99 Prozent und 99,9 Prozent liegt.

- Es wird grundsätzlich zwischen einer GuV-orientierten, einer bilanzorientierten und einer wertorientierten/barwertigen Ableitung des Risikodeckungspotenzials unterschieden.

Implementierung beider Ansätze erwartet

Derzeit erwartet die nationale Aufsicht von den beaufsichtigten Instituten die Implementierung beider Ansätze, wobei einem der beiden Ansätze primäre Steuerungswirkung zukommen sollte. Die Notwendigkeit zur gleichzeitigen Implementierung beider Ansätze wurde in dem in 2016 vorgelegten Entwurf der MaRisk vom 18. Februar 2016 explizit festgehalten (siehe hierzu MaRisk-Entwurf AT 4.1. Punkt 2 Tz. 2).

Auffällig ist, dass der Begriff der Risikotragfähigkeitsrechnung oft weitgehend synonym mit dem Begriff des ICAAP verwendet wird. Die europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA konkretisiert den Inhalt des ICAAP3) in ihrer Leitlinie4) zu gemeinsamen Verfahren und Methoden für den SREP: Während die Risikotragfähigkeitsrechnung im Wesentlichen ein Konzept zur Risikoberechnung und Ermittlung der Risikodeckungsmasse darstellt, umfasst der weiter gefasste ICAAP insbesondere auch die organisatorischen und prozessualen Aspekte der Risikosteuerung und -überwachung und schließt dabei die Risikotragfähigkeitsrechnung implizit mit ein.

Vorschläge und Diskussionen zur Neukonzeption der Risikotragfähigkeit

Gründe und Ziele der Neukonzeption: Die Vorschriften zum ICAAP und zur Konzeption der Risikotragfähigkeit wurden in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sehr unterschiedlich umgesetzt. Im Hinblick auf den Übergang der Aufsichtsfunktion für bedeutende Institute auf die EZB, hat die Aufsicht jedoch die Notwendigkeit einer Harmonisierung erkannt und erachtet ein gemeinsames Grundverständnis sowie eine gemeinsame Begriffswelt zur Risikotragfähigkeitskonzeption für erforderlich.

Zusätzlich ist der ICAAP beziehungsweise das Risikotragfähigkeitskonzept aber auch Ausgangspunkt und wichtigste Grundlage zur Beurteilung der Qualität der Risk Governance und der von den Instituten eingegangenen Kapitalrisiken im Rahmen des SREP. Hier werden durch den von der Aufsicht angewandten Säule-1-Plus-Ansatz5) sowie die EBA-Leitlinien zur Ausgestaltung des SREP und zu den ICAAP- und ILAAP-Informationen6) Anforderungen und Erwartungen an den ICAAP postuliert, die letztendlich auch ihren Niederschlag in den nun anstehenden Änderungen finden.

Damit steht das "deutsche Risikotragfähigkeitskonzept" aktuell auf dem Prüfstand. So hat die deutsche Aufsicht bereits bei der Vorstellung des nationalen SREP-Konzepts im Mai 2016 bekannt gegeben, den Leitfaden "Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte" überarbeiten zu wollen. Mit Datum vom 5. September 2017 hat die BaFin den Entwurf eines inhaltlich überarbeiteten Leitfadens veröffentlicht, der bis zum 17. Oktober 2017 kommentiert werden kann.

Parallel zu den Arbeiten der deutschen Aufsicht wurde von der EZB-Bankenaufsicht im Februar 2017 ein Mehrjahresplan mit jeweils sieben Grundsätzen für den ICAAP und den ILAAP veröffentlicht. Auch wenn dieser noch nicht final ist und in den Folgejahren noch weiterentwickelt werden soll, so zeichnen sich dennoch schon heute die künftigen Erwartungen der Aufsicht und Anforderungen an die Ausgestaltung der Risikotragfähigkeit beziehungsweise den ICAAP ab.

Die aktuellen Vorschläge der EZB als auch der deutschen Aufsicht zeigen eine Neugestaltung der Risikotragfähigkeitsrechnung, die nachfolgend vorgestellt zeigt, dass in weiten Teilen eine andere Richtung als bisher bekannt und gelebt eingeschlagen wird.

Erwartungen der EZB-Bankenaufsicht: Am 20. Februar 2017 hat die EZB-Bankenaufsicht einen Brief bezüglich des mehrjährigen Projekts zur Entwicklung umfassender SSM-Leitfäden zum ICAAP und ILAAP für bedeutende Institute veröffentlicht. Im Zuge dessen hat die Europäische Zentralbank detaillierte ICAAP- und ILAAP-Grundsätze zur Diskussion gestellt, welche bis zum 31. Mai 2017 kommentiert werden konnten.

Die europäische Aufsicht hat in dem Brief Grundsätze für sieben ICAAP-Bereiche festgelegt, die auch im Rahmen des SREP in der harmonisierten Bewertung des ICAAP berücksichtigt werden. Mit ihren Grundsätzen für den ICAAP verfolgt die EZB die folgenden drei Ziele:

- Die Unsicherheit der Institute und der zuständigen Aufsichtsbehörden im Hinblick auf die wesentlichen Risiken, denen die Institute ausgesetzt sind oder sein können, soll reduziert werden.

- Das Vertrauen der Aufsichtsbehörden in die Fähigkeit der Institute, ihr Fortbestehen durch eine angemessene Kapitalausstattung sowie die effektive Steuerung ihrer Risiken sicherzustellen, soll gestärkt werden.

- Institute sollen vorausschauend sicherstellen, dass alle wesentlichen Risiken ermittelt, effektiv gesteuert und durch ausreichend Kapital abgedeckt werden.

Dabei betont die EZB die Wichtigkeit des Proportionalitätsprinzips. Damit obliegt die konkrete Ausgestaltung des ICAAP beziehungsweise der Risikotragfähigkeitskonzeption wie bisher weiterhin den einzelnen Instituten.

Überlebensfähigkeit sicherstellen

Das Risikotragfähigkeitskonzept wird in Grundsatz 3 aufgegriffen: "Der ICAAP ist darauf ausgerichtet, die Überlebensfähigkeit des Instituts dauerhaft sicherzustellen und er umfasst kurz- und mittelfristige Beurteilungen aus unterschiedlichen Perspektiven." Unter Berücksichtigung zweier komplementärer Perspektiven - normativ und ökonomisch - soll die Überlebensfähigkeit des Instituts durch eine ausreichende Kapitalausstattung unter Berücksichtigung von Risikoappetit, Risikoprofil und Schwankungen der Kapitalquoten sichergestellt werden.

Die Erwartung an die Ausgestaltung der Perspektiven, die beide auf internen Beurteilungen basieren sollen, ist wie folgt:

- Die normative interne Perspektive adressiert regulatorische und aufsichtliche Mindestanforderungen und Kapitalvorgaben (darin insbesondere die Kapitalanforderungen der Säule 1 und Säule 2, die Puffer-Vorschriften der CRD IV und die Kapitalempfehlungen der Säule 2). Wichtige Kennzahlen sind dabei die SREP-Gesamtkapitalanforderung (Total SREP Capital Requirements, TSCR) sowie die gesamten Kapitalanforderungen (Overall Capital Requirements, OCR) zuzüglich der SREP-P2G, die abhängig von dem Szenario (Basis oder advers) immer im Zeitverlauf (mindestens drei Jahre) einzuhalten sind.7) Die Prognose beziehungsweise Fortschreibung der Kapitalquoten soll auch aktuelle Entwicklungen angemessen mit einbeziehen (zum Beispiel IFRS 9, BRRD, neue EBA-Leitlinien).

Die ökonomische interne Perspektive ist ergänzend angesichts der Schwächen der Identifikation und Quantifizierung von Risiken gemäß den Vorschriften der CRR8) anzuwenden. Ziel ist es, potenzielle Verluste, die nicht in der normativen internen Perspektive adressiert werden, mit ins Verhältnis zur wirtschaftlichen Tragfähigkeit des Institutes zu setzen. Für die Ermittlung der wirtschaftlichen Risikotragfähigkeit steht es den Instituten frei, auf ökonomische Kapitalmodelle oder andere interne Methoden zurückzugreifen.

Zu beachten ist jedoch, dass die Institute eine umfassende und konservative Sicht auf ihre Risiken haben sollten. Das den Risiken gegenübergestellte Kapital (das heißt die Risikodeckungsmasse) sollte von hoher Qualität sein (vergleiche Grundsatz 5) und zum Großteil aus hartem Kernkapital bestehen. Eine Prognose der Risikotragfähigkeit wird nicht explizit gefordert, dennoch sollen adverse Entwicklungen berücksichtigt werden.9)

Natürliche Schnittstellen

Die Aufsicht erwartet eine enge Verknüpfung der zwei Perspektiven. Natürliche Schnittstellen bestehen daher in der mittelfristigen Geschäfts- und Kapitalplanung, der Risiko-Governance, der Festlegung von Limiten und Managementpuffern sowie den Stresstests.

Erwartungen der nationalen Aufsicht: Auf Basis der sich ändernden Rahmenbedingungen für die deutschen Institute10) ist die deutsche Aufsicht angehalten, ihre Sichtweise in Bezug auf die Ausgestaltung der Risikotragfähigkeitskonzepte an die europäische Sichtweise anzugleichen. Auch zukünftig soll laut deutscher Aufsicht das übergeordnete Ziel des ICAAP die langfristige Fortführung der Unternehmenstätigkeit auf Basis der eigenen Substanz und Ertragskraft sein. Sie erwartet, dass das Institut beiden Schutzzielen (Ziel der Fortführung des Instituts und Schutz der Gläubiger vor Verlusten aus ökonomischer Sicht) weiterhin Rechnung trägt.

Im Sinne der europäischen Leitlinien wird auch von der deutschen Aufsicht explizit ein Bezug zu den neuen Perspektiven (normativ intern und ökonomisch intern) hergestellt: Die Betrachtung der normativen Perspektive folgt dem Ziel der "Fortführung des Instituts", bei der die Berechnungslogik im Wesentlichen nach aufsichtsrechtlichen Regeln bestimmt wird. Die Betrachtung der ökonomischen Perspektive folgt dem Ziel der Sicherung der Substanz des Institutes und dem Schutz der Gläubiger vor Verlusten aus ökonomischer Sicht.

Gemäß dem aktuell vorliegenden Diskussionsstand ist die Erwartung an die Ausgestaltung im Detail wie folgt:

- Normative Perspektive: Das Risikodeckungspotenzial besteht aus regulatorischen Eigenmitteln,11) während die Risikoquantifizierung den regulatorischen Vorgaben folgt. Diese ergibt sich für die Messung der Adressrisiken, Marktpreisrisiken und operationellen Risiken aus der CRR. Die Erwartung, alle wesentliche Risiken der Institute in der normativen Perspektive zu berücksichtigen wird dadurch umgesetzt, dass eine Analyse der Auswirkungen sonstiger identifizierter und wesentlicher Risiken aus der ökonomischen Perspektive hinsichtlich der möglichen Belastung der Gewinn- und Verlustrechnung, der regulatorischen Eigenmittel und/oder der Risikopositionen erfolgt.

Die Prognoserechnung beziehungsweise Kapitalplanung hat einen Zeitraum von mindestens drei Jahres zu umfassen sowie ein Basisszenario (Planszenario) und adverse Szenarien12) zu berücksichtigen.

- Ökonomische Perspektive: Das Risikodeckungspotenzial ist losgelöst von der Abbildung der externen Rechnungslegung zu ermitteln. Bei barwertiger Ermittlung sind dabei sämtliche Vermögenswerte, Verbindlichkeiten und außerbilanzielle Positionen zu berücksichtigen.13) Es besteht dennoch die Möglichkeit, von Bilanz- und GuV-Größen auszugehen, wobei dann jedoch das bilanzielle Eigenkapital um stille Lasten und Reserven zu bereinigen ist. Erwartete Verluste sind zu berücksichtigen. Risiken sollen konsistent zur Definition des Risikodeckungspotenzials gemessen werden, wobei hier grundsätzlich - abhängig von der Größe und Komplexität des Institutes - drei verschiedene Verfahren möglich sein sollen:

- Barwertige Ermittlung von Kapital und Risiken.

- Barwertnahe Ableitung von Kapital von Risiken.

- Säule 1+ Ansatz (barwertnahe Ableitung des Kapitals; Säule 1-Risikowerte zuzüglich barwertnahe Säule 2 Ergänzungen).

Wie die EZB sieht auch die deutsche Aufsicht in der ökonomischen Perspektive hinsichtlich der Konservativität bei der Quantifizierung von Risiken eine Anlehnung an die Säule 1-Verfahren vor (zum Beispiel IRB-Ansatz mit einem Konfidenzniveau von 99,9 Prozent).

Primärziel der Methodenfreiheit

Die Verantwortung für die Ausgestaltung der Risikotragfähigkeitskonzepte verbleibt bei den Instituten. Dies entspricht weiterhin dem Primärziel der Methodenfreiheit, durch die die Institute eine interne Steuerung analog ihrer individuellen Geschäfts- und Risikostrategie unter Beachtung des Proportionalitätsprinzips implementieren können. Die Aufgabe der deutschen Aufsicht muss in der engen Begleitung des Entwicklungsprozesses liegen.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem europäischen und dem nationalen Konzept: Sowohl die deutsche als auch die europäische Aufsicht sehen die normative und ökonomische Perspektive als komplementäre beziehungsweise eng verwoben. Dabei betonen die EZB und die BaFin die Steuerungsaspekte der beiden Perspektiven. In diesem Zusammenhang erwartet die Europäische Zentralbank, dass sich die Verknüpfung in der Planung und den Kapitalmaßnahmen, der Risiko-Governance, der Limite und Managementpuffer und im Stresstesting widerspiegelt. Hier betreten die Institute insbesondere in Bezug auf die Integration der normativen Sicht Neuland.

Im Vergleich zu den Erwartungen der EZB an die Risikotragfähigkeitsrechnung besteht ein wesentlicher Unterschied jedoch darin, dass die deutsche Aufsicht zumindest für eine Übergangszeit an den bestehenden Going-Concern-Risikotragfähigkeitskonzepten festhalten will. Der SREP-Zuschlag ist dann jedoch als Teil der aufsichtsrechtlichen Kapitalanforderungen als regulatorische Nebenbedingung zu beachten. Diese Übergangsfrist kann jedoch nur für national beaufsichtigte Institute erhöhte Relevanz entfalten.

In Bezug auf die Zusammensetzung des Risikodeckungspotenzials ergibt sich ein Widerspruch zwischen dem europäischen und dem nationalen Ansatz andererseits. Während die deutsche Aufsicht in der ökonomischen Perspektive vorsieht, dass das Risikodeckungspotenzial losgelöst von der externen Rechnungslegung abgeleitet werden soll, aber auch Verfahren angemessen sein können, die das bilanzielle Eigenkapital um stille Lasten und Reserven bereinigen, sollen bei der EZB lediglich die stillen Lasten bei der Ermittlung des internen Kapitals Berücksichtigung finden. Stille Reserven empfiehlt die EZB jedoch nicht in das interne Kapital mit einfließen zu lassen. Sofern man als Institut den Ansatz stiller Reserven plant, sollte das mit Vorsicht und unter vollständiger Transparenz geschehen. Dieser Punkt könnte insbesondere bei Instituten mit HGB-Rechnungslegung noch zu Diskussionen führen.

Unterschiedliche Erwartungen in Bezug auf das Stresstesting

Final finden sich unterschiedliche Erwartungen in Bezug auf das Stresstesting. Dies findet auf nationaler Ebene in den Diskussionen zur Risikotragfähigkeit nur eine untergeordnete Rolle und lässt die Schlussfolgerung zu, dass im Wesentlichen die Stresstests, gemäß den Vorgaben der Ma-Risk weiterhin Gültigkeit haben werden. Die europäische Aufsicht hingegen fordert in Grundsatz 7 des SSM-Leifadens, dass die Schwerpunkte der Stresstests auf die größten Anfälligkeiten des Instituts gelegt werden sollten und auch aufsichtsrechtliche Stresstests Berücksichtigung finden müssen. An die Ausgestaltung des Reverse Stresstests stellt die EZB die Anforderung, dass die TSCR als Untergrenze festgelegt werden soll. Zudem sollten Stresstests - ähnlich wie bei der Sanierungsplanung - idiosynkratisch, marktweit oder kombiniert sein.

Die Konsultationsfrist für den nun von der BaFin veröffentlichten Entwurf endet bereits am 17. Oktober 2017. Die EZB lässt sich an dieser Stelle etwas mehr Zeit, da ein aktualisiertes Papier des SSM-Leitfadens für Anfang 2018 erwartet wird. Unmittelbare Herausforderung - insbesondere für die von der EZB überwachten Institute - wird dabei sein, ihre aktuell implementierten Risikotragfähigkeitskonzepte an die geänderten Rahmenbedingungen anzupassen und dabei den bestehenden Unterschieden der Konzepte von BaFin einerseits und der EZB andererseits gerecht zu werden.

Die Risikotragfähigkeit ist ein wesentliches Instrument der Geschäftsleitung zur Risikosteuerung und Risikoüberwachung. Bei der Ableitung des neuen Zielbildes sollten die Entscheidungsträger aktiv mit eingebunden werden, um so die Akzeptanz der neuen Prozesse und Verfahren für die Überwachung und Entscheidungsfindung sicherzustellen.

Einen besonderen Fokus legt die Aufsicht dabei auf die Weiterentwicklung der Kapitalplanung: Hier spiegelt sich auf Basis der finanziellen Leistungsfähigkeit des Institutes die künftige Risikotragfähigkeit wider. Zu beachten ist auch, in welchem Maße die neuen Risikotragfähigkeitskonzepte zu höheren ökonomischen Kapitalanforderungen führen. Demnach empfiehlt es sich, parallel zur Weiterentwicklung der Risikotragfähigkeit eine sorgfältige Analyse der quantitativen Auswirkungen durchzuführen, so dass durch den gegebenenfalls erhöhten Kapitalbedarf die Leistungsfähigkeit des Institutes nicht mehr als unbedingt nötig eingeschränkt wird.

Fußnoten

1) Die inhaltliche Konkretisierung zum Begriff der Risikotragfähigkeit ist unter AT 4.1 erfasst. Demnach hat das Institut auf der Grundlage des Gesamtrisikoprofils sicherzustellen, dass die wesentlichen Risiken durch das Risikodeckungspotenzial (RDP), unter Berücksichtigung von Konzentrationen laufend abgedeckt sind und die Risikotragfähigkeit damit gegeben ist. Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (2012): Rundschreiben 10/2012, Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) vom 14. Dezember 2012, Bonn.

2) Die BaFin gibt in ihrem Leitfaden einen Überblick über Kriterien für die Überprüfung der internen Risikotragfähigkeitskonzepte unter Berücksichtigung unterschiedlicher Steuerungskreise, die in der aufsichtlichen Praxis angewandt werden. Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (2011): Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte vom 07. Dezember 2011, Bonn.

3) Die Leitlinien umfassen auch Informationen zum Überprüfungs- und Bewertungsprozess für den Internal Adequacy Assessment Process (ILAAP). Gemäß der Art. 86 der Eigenkapitalrichtlinie 2013/36/EU (CRD IV) und den Leitlinien der EBA für den SREP ist der ILAAP ein eingerichtetes Verfahren zur Ermittlung, Messung und Steuerung und Überwachung der Liquidität. Institute sollen demnach nicht nur die Angemessenheit des internen Kapitals darlegen, auch sind die Verfahren zur Beurteilung der Angemessenheit der Liquidität durch die Aufsicht zu überprüfen.

4) Vgl. European Banking Authority (2014): Leitlinie zum aufsichtlichen Überprüfungs- und Beurteilungsprozess (SREP) (GL 13), London.

5) Der Säule 1-Plus Ansatz wird im angloamerikanischen Raum bereits gelebt und stellt nur in der nationalen Sichtweise eine Neuerung dar. 2015 hat die Prudential Regulation Authority der Bank of England bereits ein Policy Statement (PS 17/15) zur Umsetzung des Säule 1-Plus Ansatzes veröffentlicht.

6) Vgl. EBA/GL/2016/10.

7) Im Basisszenario der normativen internen Perspektive darf der Eigenkapitalbedarf nicht unter die gesamten Kapitalanforderungen zuzüglich P2G fallen. Sofern dies eintrifft, wird erwartet, dass ein vom Institut festgelegter Managementpuffer diese Lücke mithilfe geeigneter Kapitalpläne wieder schließt. Das absolute Minimum im Rahmen des adversen Szenarios ist die TSCR (= Säule 1 Anforderungen zzgl. der Pillar 2 Requirements (P2R)).

8) Schwäche der CRR ist, dass sie in der normativen Sicht nicht alle möglichen Risikoarten und damit nicht alle Risikoquellen erfasst. Zudem wird in Teilen nur eine relativ grobe Risikoquantifizierung aufgrund der schablonenhaften Anwendung von Risikomaßen zugelassen. Damit sind unter der CRR Risiken ggf. nur grob eingeschätzt.

9) Obwohl die EZB keine Kapitalplanung für die ökonomische Perspektive fordert, ist diese aus unserer Sicht im Hinblick auf die Einhaltung nationaler Richtlinien geboten (siehe im Speziellen MaRisk AT 4.1 Tz.9). Darüber hinaus sind Informationen über die Entwicklung der ökonomischen Risiken für die Beurteilung der normativen Perspektive sowie das frühzeitigen Erkennen von Limitüberschreitungen sinnvoll.

10) Dazu zählen z.B. auch die CRD V, die Überarbeitung der EBA-SREP Guideline sowie die Veröffentlichung des o.g. Mehrjahresplans der EZB.

11) Der Ansatz von weiteren Kapitalbestandteilen, soweit diese aufsichtsseitig zur Abdeckung von aufsichtlichen Kapitalanforderungen und -erwartungen anerkannt werden ist erlaubt. Dazu zählen auch die § 340f HGB Reserven.

12) Hinsichtlich der Schwere des adversen Szenarios ist anzunehmen, dass mindestens die TSCR eingehalten wird. Die nationale Aufsicht fordert mindestens ein adverses Szenario.

13) Geplantes Neugeschäft ist ausdrücklich nicht anzusetzen.

Alexander Kottmann , PwC, Director, Financial Services Risk & Regulation, Berlin
Dieter Lienland , Senior Manager, PricewaterhouseCoopers GmbH (PwC), Düsseldorf
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