Physisch replizierende ETFs: Vorteile unter Solvency II

Rizwan Khan, iShares Institutional Sales Deutschland, und Marcus Severin, Leiter des Versicherungsgeschäftes in Deutschland und Österreich, beide BlackRock Investment Management (UK) Limited, German Branch, Frankfurt am Main - Mit Umsetzung der EU-Richtlinie Solvency II sehen die Autoren auf die europäischen Versicherer ein Zeitalter mit neuem Risikoverständnis zukommen. Beim Anlageverhalten der Branche erwarten sie für langfristige strategische Investitionen wie für die Nutzung kurzfristiger Marktchancen einen verstärkten Einsatz von ETFs. Den physisch replizierenden ETFs schreiben sie gegenüber den synthetisch replizierenden ETFs zwei wesentliche Vorteile zu: erstens das tendenziell geringer ausfallende Kontrahentenrisiko und zweitens den geringeren Aufwand beim Reporting. (Red.)

Börsengehandelte Indexfonds - auch bekannt als Exchange Traded Funds, kurz ETFs - haben sich im Rahmen des Asset Managements von Versicherungsunternehmen als effiziente Bausteine etabliert. Denn sie bieten transparenten, liquiden und kostengünstigen Zugang zu allen wichtigen Anlageklassen und Märkten. Vor diesem Hintergrund ist es für Versicherer wichtig zu verstehen, wie ETFs unter dem Risikogesichtspunkt gemäß Solvency II bewertet werden. Dabei stellt sich insbesondere die Frage, ob physisch replizierende Produkte anders zu bewerten sind als synthetisch replizierende.

Beginn einer neuen Welt: umfassendes Verständnis des Risikos

Die EU-Richtlinie Solvency II markiert für die Versicherungsbranche den Beginn einer neuen Welt. Zu diesem Schluss kommt die Economist Intelligence Unit, ein globaler Thinktank, in einer aktuellen Untersuchung. Gewiss dürfte sie die Art und Weise, in der Versicherer ihr Kapital anlegen, von Grund auf verändern. Die entsprechenden Änderungen werden nicht nur die Höhe der Eigenmittel, welche die Gesellschaften vorhalten müssen, betreffen. Von besonderer Bedeutung ist auch, dass Versicherer das Marktrisiko ihrer Investments künftig im Rahmen eines Durchschauverfahrens (Look-through-Ansatz) beurteilen sollen, um die daraus resultierenden Solvenzkapitalanforderungen ermitteln zu können. Solvency II zwingt die Versicherer zu einem umfassenden Verständnis des Risikos, das mit jedem Investment in ihren Portfolios verbunden ist.

Börsengehandelte Indexfonds genießen einen großen Stellenwert im Asset Management von Versicherern. Bereits 2014 hat etwa ein Viertel der Gesellschaften ETFs eingesetzt, zeigt eine Umfrage des Analysehauses Greenwich Associates unter 22 großen europäischen Versicherern. Demnach kommen die Produkte sowohl für langfristige, strategische Investitionen zum Einsatz als auch, um taktisch kurzfristige Marktchancen zu nutzen. Inzwischen dürfte der Anteil der ETF-Nutzer noch höher liegen. Denn zum Zeitpunkt der Umfrage beabsichtigten 25 Prozent der Gesellschaften, die damals noch keine ETFs einsetzten, dies innerhalb von zwölf Monaten zu ändern. Und ein Drittel derer, die bereits auf börsennotierte Indexfonds zurückgriffen, wollten den Anteil in ihren Portfolios erhöhen. Bei den Gründen für den Einsatz der Fonds lagen die schnelle Handelbarkeit, die Möglichkeit der breiten Risikostreuung über ein einziges Instrument und die einfache Handhabung vorn. Auch im Rahmen von Solvency II werden ETFs für die Gesellschaften noch interessanter. Denn sie sind effiziente Instrumente, um die erheblichen Anlageveränderungen im Rahmen der Richtlinie umzusetzen.

Gleichwohl herrscht teilweise Unklarheit darüber, wie ETFs im Rahmen der Richtlinie optimal einzusetzen sind. Versicherer sollten in die Betrachtung von ETFs im Zusammenhang mit Solvency II die möglichen Unterschiede zwischen physisch und synthetisch replizierenden Produkten einbeziehen. Für sich betrachtet mögen die verschiedenen Solvenzkapitalanforderungen (SCR) unwesentlich erscheinen. Bei umfangreicheren Anlagevolumina können sie sich aber erheblich auf Aufwand und Kosten der Gesellschaften auswirken. Dabei ist neben den unterschiedlich hohen Solvenzkapitalanforderungen entscheidend, dass die Komplexität der Reporting-Pflichten bei ETFs, die Indizes über Derivate abbilden, eine Herausforderung bedeuten kann.

Investments nach Zeit- oder Marktwert zu veranschlagen

Vermögenswerte sind im Rahmen von Solvency II mit ihrem Zeit- oder Marktwert zu veranschlagen. Daraus ergibt sich, dass ein Versicherungsunternehmen für jede Anlage entsprechendes Risikokapital vorhalten muss. In welchem Umfang dies erforderlich ist, leitet sich aus der Bewertung anhand verschiedener Module wie etwa "Marktrisikofaktoren" und "Kontrahentenausfallrisiko" ab. Das Modul "Marktrisikofaktoren" erfasst alle relevanten Bestandteile des Marktrisikos, die den Wert einer Kapitalanlage beeinflussen können. Dazu gehören das Zinsänderungs-, Aktien-, Spread-, Währungs- und Marktkonzentrationsrisiko. All diese Faktoren sind für die Berechnung der Solvenzkapitalanforderung relevant.

Das Modul "Kontrahentenausfallrisiko" soll potenzielle Verluste aufgrund eines unerwarteten Ausfalls oder einer Verschlechterung der Kreditwürdigkeit des Kontrahenten beziehungsweise Schuldners widerspiegeln, und zwar über einen Prognosezeitraum von zwölf Monaten. Voraussetzung dafür ist, dass Methoden, Annahmen und Standardparameter vorhanden sind, um die Risiken zu quantifizieren. Wesentliche Parameter des Moduls "Kontrahentenausfallrisiko" sind die Ausfallwahrscheinlichkeit des Kontrahenten und der geschätzte Verlust bei Ausfall (loss given default, kurz LGD). Die Ausfallwahrscheinlichkeit kommt in den meisten Fällen im Rating des Kontrahenten zum Ausdruck, die LGD-Berechnung ist aufwendiger.

Investmentfonds wie zum Beispiel ETFs dürfen gemäß Solvency II nicht in ihrer Gesamtheit bewertet werden. Stattdessen sollen Versicherungsunternehmen künftig das eingangs erwähnte Durchschauverfahren anwenden, sprich Investmentfonds anhand ihrer einzelnen Bestandteile veranschlagen. An diesem Punkt spielt es eine wesentliche Rolle, wie ein ETF die Wertentwicklung des Index, der ihm zugrunde liegt, abbildet.

ETFs: Abbildung von Indizes auf zwei Arten

Ein ETF kann einen Index auf zwei verschiedene Arten abbilden: physisch oder synthetisch. Physisch replizierende ETFs bilden die Wertentwicklungen der zugrunde liegenden Indizes ab, indem sie die Wertpapiere aus dem jeweiligen Index physisch im Portfolio halten. Bei der vollen Replikation umfasst der ETF alle Wertpapiere des Index in der entsprechenden Gewichtung. Dieser Ansatz kann mitunter aufwendig sein, beispielsweise bei einem sehr breiten Index mit vielen Bestandteilen oder Wertpapieren mit geringerer Liquidität. Dieser Aufwand würde sich in den Kosten des ETFs niederschlagen und könnte somit die Wertentwicklung belasten. In solchen Fällen bietet es sich an, dass der ETF in eine repräsentative Auswahl der Indexpapiere investiert. Kurshistorien zeigen, dass dieser physisch replizierende Sampling-Ansatz sehr effizient ist. Die physische Replikation bietet Anlegern größtmögliche Transparenz. Denn sie wissen zu jedem Zeitpunkt genau, wie der Fonds investiert ist.

Synthetische ETFs halten die Wertpapiere ihrer zugrunde liegenden Indizes in der Regel nicht im Portfolio. Stattdessen gehen sie Swap-Vereinbarungen mit anderen Marktteilnehmern ein. Diese Vereinbarungen können entweder gedeckt oder ungedeckt sein. Im Falle gedeckter Swaps (fully funded) transferiert der ETF-Anbieter das Geld der Investoren zum Swap-Kontrahenten. Dieser investiert es in einen beliebigen Wertpapierkorb, der bei einer Depotbank als Sicherheit hinterlegt wird. Bei ungedeckten Swaps (unfunded) investiert der ETF-Anbieter das Geld selbst in einen Wertpapierkorb, der vom Basisindex des ETF unabhängig sein kann.

In beiden Fällen stellen die Swap-Gegenparteien dem ETF die Rendite des zugrunde liegenden Index im Tausch gegen die Performance des Wertpapierkorbes bereit. Unabhängig davon, ob die Struktur gedeckt oder ungedeckt ist, ergibt sich bei synthetisch replizierenden ETFs aufseiten des Investors ein Verlustrisiko für den Fall, dass der Swap-Kontrahent ausfällt.

Kontrahentenrisiko bei physisch replizierenden ETFs geringer

Im Hinblick auf die "Marktrisikofaktoren" sind die Unterschiede zwischen physisch und synthetisch replizierenden ETFs nicht signifikant. Ein Blick auf das "Kontrahentenrisiko" offenbart jedoch deutliche Differenzen. Bei synthetisch replizierenden ETFs unterliegt der Investor dem Kreditrisiko des Swap-Kontrahenten. Die Sicherheiten, die der Swap-Kontrahent in Form von Wertpapieren hinterlegt, vermindern dieses Risiko. Allerdings können die Sicherheiten vom Basisindex des ETFs losgelöst sein. Dadurch kann aufseiten des Investors ein Verlust entstehen, sollte der Swap-Kontrahent ausfallen. Dies kann dazu führen, dass die Solvenzkapitalanforderung bei synthetisch replizierenden ETFs steigt. Im Falle physisch replizierender ETFs dürfte dies nicht der Fall sein, da die Wertentwicklung des Fonds ausschließlich von den Portfoliobestandteilen abhängt.

Reporting bei physisch replizierenden ETFs einfacher

Eines der Ziele von Solvency II ist es, den Versicherungskunden größtmögliche Transparenz zu bieten. Daher sind umfassende Reporting-Pflichten ein wesentlicher Bestandteil der Richtlinie - mit unterschiedlichen Folgen für physisch beziehungsweise synthetisch replizierende ETFs. Bei Letzteren ergeben sich aufgrund des Kontrahentenrisikos sehr aufwendige Reporting-Anforderungen: Im Rahmen des Durchschauverfahrens müssen die Versicherer beziehungsweise die ETF-Anbieter, mit denen sie zusammenarbeiten, alle im Abschnitt "Kontrahentenrisiko" enthaltenen Fragen beantworten.

Darüber hinaus dürfte es schwierig werden, das Durchschauverfahren auf ein Sicherheitenportfolio, dem es womöglich an Transparenz mangelt beziehungsweise das überhaupt nicht veröffentlicht wird, oder auf das entsprechende Indexportfolio anzuwenden. Physisch replizierende ETFs hingegen bieten täglich größtmögliche Transparenz bezüglich ihrer Portfoliobestände, Wertenwicklungen und Kosten. Insofern dürfte es keine Probleme bereiten, das Durchschauverfahren zur Erfüllung der Solvenzkapitalanforderungen umzusetzen. Darüber hinaus können die Fondsanbieter die Versicherer bei der Umsetzung des Durchschauverfahrens auf der Ebene der einzelnen Wertpapiere unterstützen, indem ihre Berichte den Anforderungen auf fristgerechte und effiziente Weise entsprechen.

Kontinuität bei veränderten Anforderungen

Solvency II bedeutet für das Asset Management von Versicherungsunternehmen in jeder Hinsicht große Veränderungen, sei es bei den Anlagemöglichkeiten, dem Anlageprozess oder den Reporting-Pflichten. Die Solvenzkapitalanforderungen dürften sogar bei den grundlegenden Geschäftsmodellen der Gesellschaften Spuren hinterlassen. Vor diesem Hintergrund bieten börsennotierte Indexfonds als etablierte Finanzinstrumente eine gewisse Kontinuität, mit der sich die neuen Anforderungen umsetzen lassen. Die Unterschiede zwischen physisch und synthetisch replizierenden Produkten können signifikant sein: Die Solvenzkapitalanforderungen dürften bei physisch replizierenden ETFs niedriger ausfallen als bei synthetisch replizierenden ETFs, denn die Einbindung von Swap-Kontrahenten führt zu einem erhöhten Risiko. Das Reporting ist bei physisch replizierenden ETFs aufgrund der hohen Transparenz sehr einfach. Im Gegensatz dazu besteht bei synthetisch replizierenden ETFs noch keine Klarheit über das Reporting im Rahmen von Solvency II. Die Vorgaben dafür dürften jedoch sehr viel anspruchsvoller ausfallen, da in diesem Fall zwei zugrunde liegende Portfolios zu berücksichtigen sind.

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